Klimawandel, was tun?

Jörg Ossenkopp
5 min readJun 20, 2023

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Ein persönlicher Kommentar zu den Empfehlungen des IPCC-Berichts von März 2023

Baum in Dierhagen

In den letzten Tagen geriet ich immer wieder in Diskussionen, in denen es um die Grünen und deren Politik ging. Die meisten sind sich einig: die Grünen machen derzeit leider sehr viel falsch. Was sie genau falsch machen, das ist eine andere Frage, die ich hier gar nicht behandeln möchte. Aus einer Vogelperspektive haben diese Diskussionen eigentlich immer folgende Form:

  1. Prämisse: Der Klimawandel wird nicht geleugnet.
  2. Heranführung: Die politische, wirtschaftliche und soziale Umsetzung des Umgangs mit dem Klimawandel wird auf die Grünen in der Ampel-Regierung verengt
  3. Weitere Verengung: Es kommen Details aus der aktuellen rechtsliberalen Medienlandschaft, oft zum neuen Heizungsgesetz, oft falsch
  4. Der Schluss: man darf nicht übertreiben, nicht aus ideologischen Gründen ein Verbotsregime aufziehen und die Dinge übers Knie brechen, gegen den Willen der Bevölkerung

Zumeist bin ich zunächst erleichtert, fast überrascht, dass als Prämisse akzeptiert wird, dass der menschengemachte Klimawandel als wissenschaftlich erwiesen gilt. Das sollte inzwischen nicht mehr diskutiert werden müssen. Der nächste Schritt jedoch schon von der Prämisse zur Heranführung, der ist meines Erachtens problematisch. Die Art und Weise des Voranschreitens vom Akzeptieren des Klimawandels hin zur politischen Umsetzung des Umgangs mit dem Klimawandel, die bereits kommt mir mangelhaft vor. Warum ist diese Art und Weise des Voranschreitens mangelhaft? Um das zu erklären, möchte ich mir noch einmal eine Grafik aus dem Syntheseberichts des IPCC (März 2023) vornehmen und diese in einigen Details kommentieren. Als erstes jedoch möchte ich noch einmal den wissenschaftlichen Konsens aus dem Synthesebericht des IPCC kurz skizzieren.

Was ist die aktuelle Situation im Klimawandel (Stand März 2023)?

Weltweit zielt die internationale Politik eine maximale Erwärmung durch Treibhausgase, insbesondere CO2, um 1,5 °C an. Heute beträgt die globale durchschnittliche Erwärmung bereits 1,1 °C; beides im Vergleich mit vorindustriellen Zeiten. Momentan haben wir die ersten Verbote der Gartenbewässerung und der Poolbefüllung in Deutschland, der Wald brannte vor kurzem in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg, das Grundwasser senkt sich, es gibt Überflutungen und Pandemien, Artensterben usw.

Derzeit steigt der CO2-Level stark weiter. Wenn wir so weiter machen wie bisher, laufen wir auf eine weltweite durchschnittliche Erwärmung auf 3,2 °C zu. Was genau das heißt, dafür haben wir keine geologischen Vorbilder, solch eine Erwärmung in dieser geologisch gesehen extrem schnellen Zeit gab es in der Erdgeschichte noch nicht. Es gibt Kipppunkte, die 16 geographischen Kippelementen zugeordnet sind, die deshalb umzuschlagen drohen, wiederum geologisch gesehen extrem schnell, zum Teil in einem Zeitraum von 50 Jahren. Daraus ergäben sich dann weitere katastrophale Änderungen im planetarischen Ökosystem.

Quelle

Um der Erinnerung nachzuhelfen seien hier noch einmal die 16 planetarischen Kippelemente aufgezählt:

  1. Schmelzen des arktischen Meereises
  2. Schmelzen des grönländischen Eisschilds
  3. Zusammenbruch des westantarktischen Eisschilds
  4. Methanfreisetzung durch tauende Permafrostgebiete und Kontinentalschelfe
  5. Abtauen des tibetischen Hochlands
  6. Unterdrückung der atlantischen Tiefenwasserbildung
  7. Unterdrückung der antarktischen Tiefenwasserbildung
  8. Schwächung der marinen Kohlenstoffpumpe
  9. Änderungen von El Niño
  10. Antarktisches Ozonloch
  11. Ozonloch über dem Nordpol
  12. Störung des indischen Monsuns
  13. Störung des westafrikanischen Monsuns
  14. Rückgang der borealen Wälder
  15. Austrocknen des amazonischen Regenwalds
  16. Ergrünung der Sahara und Versiegen der Staubquellen

Eine Erwärmung von 3,2 °C kann in der Konsequenz so weit gehen, dass die Erde unbewohnbar wird für Menschen.

Was tun?

Das IPCC hat in seinem Synthesebericht eine sehr schöne Grafik dazu veröffentlicht. Diese Grafik zeigt, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, aktiv zu werden. Die Grafik ist aufgeteilt in a) kurzfristige Handlungsmöglichkeiten und deren Kosten bis 2030 und b) Handlungsmöglichkeiten, die sich aus einer Veränderung der Nachfrage durch uns Endverbraucher bis 2050 geschieht.

Quelle

Kurzfristige Handlungsmöglichkeiten und deren Kosten

Das sind für mich die wichtigsten Lehren, die ich aus Teil a) der Grafik ziehe:

  1. Der Ausbau von Solar- und Wind-Energie bringt gleichzeitig am meisten Effekt und verursacht am wenigsten Kosten.
  2. Nuklearenergie genauso wie neue Technologien, das CO2 wieder aus der Atmosphäre einzufangen (CCS) bringen im Vergleich mit anderen Energiestrategien am wenigsten und kosten sehr schnell sehr viel.
  3. Es ist zwar nicht billig, aber eine der effektivsten Maßnahmen ist es, die bestehenden natürlichen Ökosysteme zu schützen und so zu belassen, wie sie sind
  4. Der Wald in allen Klimazonen ist ein entscheidender Faktor. Wiederaufforstung und neue Arten und Weisen, Agrikultur mit Wald zu verbinden sind sehr effektiv unter den Klimamaßnahmen.
  5. Wir müssen auf unsere Ernährung achten, zu nachhaltiger, gesunder Ernährung übergehen und weniger Nahrung verkommen lassen. Neu war für mich, dass man beim Nahrungsanbau gezielt auch wieder Kohlenstoff binden kann.
  6. Unter allen Maßnahmen, die die Infrastruktur und die Mobilität angehen, sind effiziente Gebäude gleichzeitig die effektivste und kostenintensivste Methode. Sie haben jedoch nur etwa ein Drittel der Effektivität von Solar oder Wind. Das neue Heizungsgesetz gehört hier hinein. Es gibt im Bereich Infrastruktur aber fünf weitere Maßnahmen, die deutlich weniger kostenintensiv und etwa halb so effektiv sind, d.h. wenn man alle fünf zusammen zählt doppelt so effektiv effiziente Gebäude.
  7. Effizienter und viel kostengünstiger als neue CCS-Technologien ist der Umstieg auf das Fahrrad und auf ÖPNV, diese Maßnahme ist fast so effektiv wie Nuklearenergie und viel, viel billiger.
  8. Im Vergleich zum Umstieg auf Solar und Wind sowie der Erhaltung der Ökosysteme spielt die Industrie nur eine halb so große Rolle in der Effizienz. Die Industrie sollte auf andere Brennstoffe umsteigen, neue CCS-Technologien stellen dagegen die kleinste aller Veränderungen dar, bei sehr hohen Kosten.

Für die politische Diskussion heißt das für mich: jede Konzentration auf das Heizungsgesetz geht am Thema vorbei. Die politische Diskussion sollte sich darum drehen, wie wir schnell und umfassend auf Solar und Wind umsteigen. Sie sollte sich darum drehen, wie wir weltweit die bestehenden Ökosysteme erhalten, und neue Wege finden, Nahrungsanbau mit Wald zu verbinden. Wir als Konsumenten sollten versuchen, uns nachhaltig und gesund zu ernähren und Fahrrad zu fahren und ÖPNV, und Energie zu sparen. Nuklearenergie braucht nicht groß priorisiert zu werden, und die Hoffnung, wir werden neue Technologien finden, um das CO2 wieder einzufangen, die ist bis 2030 nicht wirklich relevant.

Veränderung der Nachfrage durch uns Endverbraucher bis 2050

Die größte Einsparung bis 2050 kann und muss durch die Änderungen geschehen, die im Bereich der Nahrung passieren. Im Bereich der Energie wird es gleichzeitig darum gehen, mehr Menschen mit mehr Energie zu versorgen und dabei aber in der Energieerzeugung unzuschwenken auf Solar und Wind. In der Mobilität müssen fossile Brennstoffe verabschiedet werden (elektrische Autos sind in der Einschätzung unsicher in den Kosten). Die Industrie muss mitziehen, steht aber fünfter und damit letzter Stelle.

Ausblick

Wenn ich mir eine Zukunft vorstelle, in der wir uns gesund und nachhaltig ernähren, in der wir auf Solar- und Windstrom umgestiegen sind und wieder freier atmen können, in der wir viel Radfahren und in der wir neue, kreative Arten und Weisen gefunden haben, den Wald zu pflegen und zu nutzen, so hört sich das für mich gar nicht so schlecht an.

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Jörg Ossenkopp

Philosopher and Techie, interested in values and leadership