Weighted Opportunity Pipeline: Wie aus Pi mal Daumen belastbare Wandlungswahrscheinlichkeiten werden

Johannes Dierkes
wdp-insights
Published in
3 min readSep 29, 2020

Der Wert eines Targets basiert auch auf einer Schätzung künftiger Umsätze. Hier wird viel über den Daumen gepeilt — manchmal mit schwerwiegenden Folgen für den Kaufpreis und das anvisierte Wachstum.

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Wenn Sie ein Unternehmen erwerben, dann bezahlen Sie bekanntlich nicht nur für seinen existierenden Kundenstamm, sondern auch für wahrscheinliche zukünftige Kunden und avisierte Umsätze. Die Umsätze mit potentiellen Neukunden werden geschätzt, basierend auf unterschiedlichen Erfolgswahrscheinlichkeiten — je nachdem, wo im Vertriebsprozess sich die Leads befinden. Das Ganze nennt sich Weighted Opportunity Pipeline.

Beispiel: Ihr Target kalkuliert mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 %, neu generierte Leads wirklich in Kunden zu wandeln. Nachdem er oder sie persönlich mit einem Vertriebler ins Gespräch gekommen ist, steigt diese Wahrscheinlichkeit auf 40 %. Nach einem Produkttest liegt sie laut Ihres Targets schon bei 60 % und nach Versand eines Angebotes bei 80 %. Die Sales Pipeline wird nun also Schritt für Schritt mit diesen Wahrscheinlichkeiten gewichtet und ihr wird ein Wert beigemessen.

So weit so gut. Oder auch nicht so gut. Denn die Erfolgswahrscheinlichkeiten legt jedes Target individuell fest. Oft nach bestem Wissen und Gewissen, manchmal auch basierend auf willkürlichen Schätzungen, in den aller meisten Fällen aber nicht auf wirklich validen Grundlagen.

Für eine realistische Bewertung von Sales Pipelines ist es unbedingt erforderlich, die Vertriebshistorie zu analysieren. Wurden wirklich 20 % aller Erstansprachen in Kunden gewandelt? Oder war das ggf. nur bei Leads der Fall, die über Empfehlungen kamen? Oder vielleicht nur bei solchen, die vom besten Vertriebsmitarbeiter bearbeitet wurden? Um es noch weiter auf die Spitze zu treiben: Wie viele der unterschriebenen Verträge wurden denn auch wirklich eingehalten? Im Zweifel gibt es auch hier noch Verluste, wenn Kunden während des Implementierungsprozesses wieder abspringen — z. B. aufgrund von unterschätzter Komplexität oder fehlender Schnittstellen. Ein signierter Vertrag bedeutet also keineswegs immer eine Wandlungswahrscheinlichkeit von 100 % und darf daher nicht 1 zu 1 als Umsatz in der Planung berücksichtigt werden.

Eine genaue Analyse der Weighted Opportunity Pipeline kann einen massiven Einfluss auf den Kaufpreis Ihres Targets haben. Das Modell, nach dem gewichtet wird, sollte auf historischen Daten beruhen. Diese zu finden und zu verstehen ist nicht immer leicht, aber der Deep-Dive lohnt sich. Weichen die tatsächlichen Erfolgswahrscheinlichkeiten von den angenommenen ab, sollte das Berechnungsmodell nachgeschärft werden, um aus der Weighted Opportunity Pipeline valide Rückschlüsse auf die Business-Planung ziehen zu können.

Eine Justierung führt nicht selten auch zu einigen weiteren „Augenöffner“-Momenten. Dann nämlich, wenn klar wird, dass man die Sales Pipeline für das geplante Wachstum mit deutlich mehr weiteren Leads füllen muss als ursprünglich angenommen. In diesem Fall muss das Vertriebs-Team einer genauen Analyse unterzogen werden: Wie leicht ist der Vertrieb skalierbar? Können durch zusätzliche Ausgaben in beispielsweise Onlinemarketing (SEA, Social, Display etc.) schnell und preiswert zusätzliche Leads generiert werden — das wäre gut — oder erfordert jeder Lead umfassenden persönlichen Einsatz der Vertriebsmitarbeiter, zum Beispiel auf Messen, in Telefonaten oder Außenterminen? Letzteres ist immer mit hohem zeitlichem Aufwand verbunden und wäre weniger gut. In diesem Falle sollten Sie Ihre Investition überdenken oder Zugeständnisse beim Kaufpreis einfordern.

Johannes ist Digital-Experte, Transaktionsberater, leidenschaftlicher Unternehmer und Triathlet. Bei wdp ist er der Team Lead für die kommerzielle Bewertung, Evaluierung und Entwicklung von digitalen Unternehmen. In früheren beruflichen Stationen beriet er zahlreiche Kunden aus dem digitalen und finanziellen Bereich und half beim Aufbau eines Fintech-Startups für einen Kölner Company-Builder.

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