Siehe Deine Mutter

Karl-Maria de Molina
9 min readNov 28, 2021

Der Tod Jesu im Erlösungsplan

Im Erlösungsplan hatte Gott die Menschwerdung seines Sohnes vorgesehen. Viele Propheten (Jesaja, Micha usw.) haben dem jüdischen Volk Hinweise gegeben, wie diese Menschwerdung von statten gehen würde: Er soll aus dem königlichen Geschlecht Davids abstammen und in Bethlehem auf die Welt kommen. Eine Jungfrau soll seine Mutter sein.

Wie der Sohn Gottes die Menschheit von der Erbsünde erlösen würde, war dem damaligen jüdischen Volk jedoch unklar. Daher klärt Jesus seine Jünger auf. Im Text vom Evangelisten Matthäus 16, 13 lesen wir: „Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen“. Damit war den Jüngern klar, ihr Meister werde in Jerusalem sterben. Dies führte zu heftigen Reaktionen, u.a. von seinem designierten Nachfolger Petrus: „Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten“ (Mt. 16, 22).

Die Evangelisten geben uns keinerlei Hinweise, wann die Mutter Jesu von der Ankündigung seines Todes erfahren hat. Ihr war jedoch die feindselige Haltung der Ältesten gegenüber ihrem Sohn bekannt. Mehr vielleicht nicht.

Die katholische Kirche feiert am Sonntag vor der Karwoche den sogenannten Palmensonntag. Damit wird an den feierlichen Einzug Jesu in Jerusalem erinnert. Geistliche Autoren wie Escrivá bemerken dazu, dass seine Mutter nicht dabei war. Er entnimmt dies aus der Tatsache, dass sie in dieser Szene von keinem der Evangelisten erwähnt wurde.

Jerusalem ist ca. 150 km von Nazareth entfernt. Das bedeutete für die damalige Zeit eine mehrtätige Reise. Wir wissen, dass mehrere Frauen aus Nazareth am Kreuz waren. Wir dürfen davon ausgehen, dass Maria mit ihnen gereist ist. Jesus war im Voraus mit den Jüngern marschiert und in Bethanien bei der Familie des Lazarus übernachtet. Wo Maria und die anderen Frauen in diesen Tagen gewohnt haben, wird uns in von den Evangelisten nicht überliefert.

Wenn ich diese Gedanken hier anstelle, ist nur damit, wir uns ein besseres Bild von den Geschehnissen in der Karwoche machen und diese Szenen in Jerusalem besser verstehen.

Was wusste Maria von den künftigen Ereignissen? Bei der Darstellung Jesu im Tempel trat Simeon an Maria und kündigte ihr großes Schmerzen an. Wir lesen bei Lukas 2, 34: „Dir wird ein Schwert durch die Seele dringen“. Die Ursache dieser Schmerzen bleibt ihr zunächst im Verborgenen.

Ab dem Zeitpunkt, wo Jesu sein Zuhause verließ, um die Apostel zu rekrutieren und zu predigen, lebte er nicht mehr bei seiner Mutter. Nur in Jerusalem sind sie wieder vereint. Und hier nur auf dem Weg zum Kalvarienberg und am Kreuz ist sie in der Nähe ihres Sohnes.

Maria und Johannes am Kreuz Jesu

Das Leben Jesu auf Erden weist zwei hohe Punkte auf: Sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung. Daher schildern uns alle Evangelisten die beiden Szenen sehr ausführlich.

Johannes war als Einzige der Apostel am Kreuz. Daher sind uns seine Schilderungen von höchster Bedeutung.

Daher habe ich für diesen Artikel auf einen Text Johannes zurückgegriffen als er mit der Mutter Jesu am Kreuz war. Kapitel 19, 27 lesen wir: „Ecce mater tua“. Was für einen schönen Satz: „Siehe Deine Mutter“. Gott vertraut uns seine Mutter und gibt sie uns zu unserer Mutter. Wir sind damit vollwertige Mitglieder seiner menschlichen Familie! Was für ein Geschenk. Ich fühle mich unfähig, die Tragweite dieses Geschenkes zu ermessen.

Viele Handlungen Jesu wurden entweder im alten Testament oder von ihm selbst angekündigt: Eucharistie, sein Tod und seine Auferstehung. Dass er uns seine Mutter zur Mutter geben würde, war insofern neu als uns dies nicht von den Evangelisten überliefert ist. Uns ist auch nicht bekannt, ob Jesus seine Mutter im Vorfeld informiert hat. Nach der Szene Jesu als 12-Jähriger in Jerusalem (Lukas 2,41–52) ist davon auszugehen, dass er über diese Entscheidung im Vorfeld nicht mit seiner Mutter gesprochen hat.

Wir kehren zurück zur Szene der Kreuzigung. Maria erlebt in diesem Moment auf dem Kalvarienberg wie ihr Sohn von den Soldaten regelrecht geschlachtet wird. Und inmitten dieser Schmerzen erhält von ihrem Sohn, Mutter für alle Menschen zu werden, eben auch für diese Soldaten. Welch ein Auftrag!

Nach meinem Dafürhalten verlange Jesus von seiner Mutter menschlich besehen das Unmögliche: Die Schächer ihres Sohnes „ad hoc“ zu verzeihen, zu lieben, keinen Groll zu pflegen. Wie hätten wir auf diese Bitte Jesu reagiert? Geht es noch, wäre das Mindeste, was wir ihm geantwortet hätten. Nicht so Maria. Das war teil ihrer Berufung als sie dem Erzengel Gabriel das „fiat mihi secundum verbum tuum“ sprach.

Geistliche Autoren sprechen von sieben Wortmeldungen Jesu am Kreuz. Zwei an seinen Vater, eine an den Verbrecher Dimas, eine an die Soldaten, eine an seine Mutter und eine an den Jünger Johannes. Wobei die letzten zwei in einem engeren Zusammenhang zu sehen sind.

Jesus hängt am Kreuz. Seine Mutter harrt neben dem Kreuz. Einige Frauen sind auch dabei. Auch Johannes ist da. In kurzer Zeit wird Jesus sterben und uns von der Erbsünde erlösen. Und damit uns in die Familie Gottes eingliedern. Das heißt, wir werden Kinder Gottes und damit Brüder und Schwestern Jesu werden. Das war der Grund seiner Menschwerdung. Genügt Jesus, dass wir Kinder Gottes werden? Anscheinend nicht. Er will uns in seine zweite Familie aufnehmen. In seine irdische Familie. Er will, dass wir Mitglieder der heiligen Familie aus Nazareth werden.

Einige geistliche Autoren haben diese Eingliederung in die Familie Mariens erwähnt. Keiner hat es jedoch so eindrucksvoll wie Escrivá formuliert: „zu dieser Familie gehören wir“.

Die Kirche hat die räumliche und zeitliche Verbindung zwischen der Kindschaft zu Gott und der Kindschaft zu Maria so verstanden, dass jemand erst Kind Mariens wird, wenn er / sie Kind Gottes wird. Beide Titel, Kind Gottes und Kind Mariens, hat uns Jesus vom Kreuz aus verliehen. Er hätte uns den zweiten Titel nach der Auferstehung schenken können, und zwar beim Abschied vor der Himmelfahrt, wo sowohl Maria als auch die Jünger dabei waren. Aber nein. Jesus hat uns den Titel Kinder Mariens im höchsten Moment gegeben: Am Kreuz. Damit verdeutlicht er, wie wichtig ihm dieser Titel ist. Er wollte, dass wir diesen Titel hochschätzen und uns deswegen glücklich schätzen, unser ganzes Leben.

Die Kirche ist gut beraten, uns häufig daran zu erinnern, dass wir nicht nur Kinder Gottes, sondern auch Kinder Mariens sind.

Unsere Vorstellungskraft ist eingeschränkt. Wir tun uns schwer damit, ein geistiges Wesen zu erfassen. Gepaart mit der Vorstellungskraft geht es mit der Liebe. Wir sind eher in der Lage für einen Menschen wie Maria Liebe zu empfinden als für ein himmlisches Wesen wie Gott. Menschen brauchen Bilder. Wie können wir uns die Dreifaltigkeit vorstellen? Maler, Bildhauer haben sie wie folgt dargestellt: Gott Vater ist ein weißbärtiger Mann, der Heilige Geist ist eine Taube und Jesus Sohn in der Form eines Menschen, d.h. erst nach der Menschwerdung. Wie sah Jesus vor der Menschwerdung aus?

Der König David schrieb in Psalm 26,8 den berühmten Satz: „Vultum tuum, Domine, requiram“. Zu dieser Zeit kannte das Haus Israel nur einen Gott mit dem Namen Jahwe. David war von der Sehnsucht getrieben, Gott sehen zu wollen. Mose hatte nur Zeichen von ihm wahrgenommen: Feuer, Wind. Aber kein Antlitz, keinen Körper. So sind wir Menschen: Wir brauchen etwas Konkretes, Wahrnehmbares. Und daher hat uns Gott Jesus als Bruder gegeben, und dann Maria als Mutter. Und zur eigenen Mutter entwickelt der Mensch in Normalfall die stärkste Beziehung. Und weil Gott das weiß, hat uns eben seine Mutter zur Mutter gegeben. Sie ist für uns der Pfad, der zu Gott führt.

Wir sind vollwertige Mitglieder der Familie Jesu

Was heißt konkret für uns heute im 21. Jahrhundert, dass wir vollwertige Mitglieder der Familie Jesu sind?

Wer kennt die Prinzessin Diana nicht? Warum ist so berühmt? Sie war Mitglied der Royals, der königlichen Familie in Großbritannien. Viele Menschen würden sich glücklich schätzen, Mitglieder so einer Familie zu sein. Und was sagt uns der Glaube? Wir sind Mitglieder der königlichen Familie Jesu. Mehr geht nicht. Zugegeben, viele von uns haben es noch nicht ganz verstanden. Ich bedanke mich täglich bei Jesus, bei Maria und bei Joseph dafür, dass ich Mitglied dieser Familie.

Kein Mensch auf Erden kann uns so lieben, wie Jesus, Maria und Joseph es tun. Sie lieber Leser, liebe Leserin fragen sich, wie kann ich diese Liebe spüren und erkennen? Ich bleibe Ihnen die Antwort nicht schuldig und liefere einige Beispiele von heiligen und von ganz normalen Menschen.

Der Name Bernadette Soubirous haben Sie womöglich in Zusammenhang mit den Erscheinungen in Lourdes gehört. In einer Erscheinung sagte ihr die Mutter Gottes: “Ich kann es nicht versprechen, Sie glücklich zu machen in dieser Welt, aber in jener…”. Aufgrund der Erscheinungen wurde die Seherin von den Behörden in Lourdes und von den Mitschwestern in Nevers drangsaliert. Und inmitten dieser „Verfolgung der Guten“ tröstete sie die Mutter Gottes. Bernadette hat die Liebe Mariens mitten im Drangsal spüren dürfen.

Im 20. Jahrhundert lebte in Polen eine junge Frau Namens Faustina. Auf Eingebung Gottes wurde sie Nonne im Orden der Barmherzigkeit. Ihr ist Jesus mehrfach erschienen. Aufgrund dessen wurde sie Opfer von vielen Intrigen und Anfeindungen von den Schwestern im Kloster. Auch einige ihrer geistlichen Leiter haben sie heftig kritisiert. Inmitten dieser Erlebnisse erschien ihr die Mutter Gottes und sagte zu ihr: “Ich weiß, wie Du leidest, aber hab keine Angst. Sie gewiss: Ich leide mit Dir mit und ich werde es immer tun”. Damit waren die Anfeindungen nicht aus der Welt; sie stand mit ihrem Leid aber nicht allein. Die Mutter Gottes, ihre Mutter litt mit ihr zusammen.

Sie werden mir zurecht entgegnen: Mit diesen Beispielen kann ich nichts anfangen. Mir ist die Mutter Gottes bislang nicht erschienen und sie wird es auch nicht tun. Meine einfache Antwort: Sie ist an Ihrer Seite, auch wenn Sie sie nicht sehen. Liege ich falsch? Ich gebe Ihnen Beispiele von normalen Menschen wie Sie und ich.

Ein Freund von mir hatte massive private und berufliche Probleme. Er war arbeitslos. Seine Frau hat ihn in dieser Zeit verlassen. Er bezog eine Wohnung für sich allein. Zum ersten Mal in seinem Leben war er allein. Er war in einer großen Familie aufgewachsen. Er wusste nicht, was es heißt, allein zu sein. Und inmitten dieser Einsamkeit. Inmitten dieser Sorgen hörte er klar und deutlich in seinem Herzen eine Stimme: „Du bist mein Kind“. Das geschah als er auf ein Bild der Heiligen Familie schaute. Er meinte, die Stimme klang bestimmend. Die Stimme ließ keinen Zweifel zu: Es ist so, Du bist mein Kind. Anschließend war er wie verwandelt. Er meinte: Es war ein Balsam für meine Seele. Es war „der Balsam der Zärtlichkeit“. Seitdem nimmt die Mutter Gottes einen großen Raum in seinem Leben.

Bekannte von mir sind Vertriebler und müssen Aufträge für die Firma akquirieren. Das kann u. U. schwer sein. Einer von diesen Bekannten erzählte mir einmal Folgendes: „Es geschah vor einigen Jahren, dass ich immer Aufträge von Kunden an Festtagen der Mutter Gottes erhielt“. Und er fügte hinzu: „Einmal war die Lage sehr schwierig. Er Großkunde hatte alle Projekte im Monat Juli gestoppt und es sollten für den Rest des Jahres keine weiteren Aufträge kommen. Dann fuhr ich nach der Arbeit zum Wallfahrtsort Marienthal im Rheingau. Es war dunkel, es regnete. Wegen des Nebels war die Fahrt ein kleines Abenteuer. Ich betrat die Kapelle. Ich las die Täfelchen an den Wänden: Maria hat geholfen. Ich dachte mir, auch mir wird sie sicherlich helfen. Und so geschah es. Kurz darauf erhielten wir von einem Kunden viele Projekte. Das Leben ging weiter. Maria hat geholfen!“.

Lieber Leser, liebe Leserin, schauen Sie ihn Ihrem Leben. Und sie werden auch diese Art von Spuren Mariens entdecken.

Papst Johannes Paul II wurde im Jahr 1981 Opfer eines Attentates. Es war der 13. Mai, Fest der Mutter Gottes von Fatima. Zwei Kugeln haben ihn getroffen: Am Unterleib und am Finger. Die weiteren Kugeln verfehlten ihr Ziel. Der Attentäter konnte sich sein Missgeschick nicht erklären. Er war ein Profikiller und hatte bis dahin eine 100-prozentige Quote. Als ihn der Papst im Gefängnis besuchte, konnte sich der Attentäter nicht erklären, dass der Papst noch lebte. Was er nicht wusste, die Mutter Gottes schützte den Papst. Sie hat zwar das Attentat zugelassen, aber nicht den Tod. Man erzählt, dass der Papst ab diesem Ereignis gestärkt hervorging. Er wusste, sie, die Mutter Gottes, wacht über mich. Es wird mir nichts geschehen! Und so war es.

Einen ähnlichen Fall betrachten wir im Leben eines Kindes im Nordosten Spaniens, südlich der Pyrenäen. Das Kind war sterbekrank. Der Hausarzt hatte ihn aufgegeben. Nicht aber seine Mutter. Sie wandte sich an die Mutter Gottes mit der Bitte, das Kind zu retten. Dafür war sie bereit eine Dankeswallfahrt zum benachbarten Wallfahrtsort Torreciudad zu machen. Und die Geschichte nahm die Wendung, die Sie Lieber Leser, liebe Leserin erwarten: Übernacht war das Kind gesund. Tags darauf kam der Arzt und fragte die Mutter, wann das Kind gestorben sei. Nein, antwortete die Mutter, das Kind sei nicht gestorben, die Mutter Gottes habe ihn gerettet. Die Mutter Gottes hatte das Kind für die Gründung des Opus Dei vorgesehen und er musste daher weiterleben. Wir können uns vorstellen, welchen tiefen Eindruck dieses Ereignis im Leben dieses Menschen hinterlassen hat. In Dankbarkeit hat er später aus dem kleinen, verschlafenen Wallfahrtsort eine Stätte der Verehrung der Mutter Gottes gemacht, mit vielen Tausenden von Pilgern.

Ich könnte weitere Beispiele von den Spuren der Mutter Gottes im Leben vieler Menschen. Wichtig ist, dass Ihr Leben ein neues Kapitel aufschlägt, und zwar als Mitglied der Heiligen Familie. Sie schöpfen daraus eine innere Freude, die kein Schicksalsschlag zu vertreiben vermag. Die innere Freude, solch eine Mutter zu haben.

Aus der Erscheinung der Mutter Gottes in La Salette Mitte des 19. Jahrhunderts wissen wir, dass die Mutter Gottes unseretwegen weint. Nicht nur damals als sie in Israel wohnte, hat für uns geweint. Auch heute noch. Unser Leben muss vom Wunsch getragen sein, ihr eine Freude zu bereiten, täglich.

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