10 Dinge, mit denen wir 2020 aufhören sollten
Das neue Jahrzehnt ist mittlerweile anderthalb Monate alt und eins steht fest: Viel verändert hat sich nicht. Während bekannte Schlagzeilen auf bekannte Probleme hinweisen, wird es Zeit, zu überlegen, was dieses Jahrzehnt definitiv nicht mit ins nächste hinüberschleppen soll. Da manche Dinge etwas länger brauchen, sollten wir als Gesellschaft jetzt schon anfangen, damit wir es schaffen, bis 2030 alles abzuhaken. Deshalb hier eine (unvollständige) Liste der Dinge, mit denen wir dieses Jahrzehnt einfach aufhören sollten:
1. Der Umwelt schaden. Wenn die Feuer in Australien uns eins lehren, dann das die Umwelt an einem Burnout leidet — wortwörtlich. Jeden Tag gerät das Klima ein bisschen mehr aus den Fugen und während manche sich noch fragen, ob Autofahrer*innen beim Klimapaket genug entschädigt werden, sterben in Australien mehrere Millionen Tiere. Wer legt eigentlich für die Kränze nieder?
2. Menschen für Dinge diskriminieren, die sie nicht ändern können. Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten ein weißes T-Shirt an, auf das Sie leider mittig Tomatensauce gekleckert hätten. Sie haben keine Jacke dabei, kein Ersatzshirt und keine Möglichkeit, es zu waschen. Den ganzen Tag über würden Leute Sie angucken und Sie auf den Fleck aufmerksam machen. Das finden Sie unfair und nervig? Natürlich, weil Sie es (in dem Moment) nicht ändern können. Menschen zu diskriminieren und zu mobben aufgrund ihres Geschlechts, ihres Aussehens, ihrer Sexualität etc. ist unfair. Diese Gegebenheiten können nicht einfach wie ein T-Shirt abends ausgewechselt werden. Warum sollte man sie dann gegen Menschen verwenden? Ach, was sage ich: Hören wir einfach generell auf, andere Menschen zu diskriminieren. Wie viel mehr Zeit man hat, wenn man nicht noch den ganzen Tag über andere nachdenken muss.
3. Privilegien nicht kennen. Sind wir ehrlich, wenn Sie nicht wissen, was damit gemeint ist, haben Sie vermutlich zu viele. Ich schlage vor, eine Liste der eigenen Privilegien zu erstellen, nur um alle vor Augen zu haben und diese Liste dann regelmäßig zu ergänzen, wenn ein neues in den Sinn gekommen ist. Sie sind weiß? Christlich? Ein Mann? Deutscher? Haben einen Schulabschluss? Arbeiten? Sehen Sie, die Liste wird länger und länger…
4. Gleichberechtigung. So ein schönes Konzept. Alle Menschen werden gleichbehandelt, haben die gleichen Rechte. Was auf dem Papier wie eine demokratische Utopie klingt, benachteiligt in Wirklichkeit, na?, genau, eh schon Benachteiligte. Die gleichen Rechte helfen nicht weiter, wenn man im übertragenen Sinn nicht den Tisch mit den Formularen für den Antrag erreichen kann. Wir laufen alle das gleiche Rennen, aber manche haben einen Vorsprung (erkauft) und manche versuchen, mit Fußfesseln mitzuhalten. Die Bedingungen sind gleich, aber nicht fair und das sollte auch von der Gesellschaft so anerkannt werden.
5. Immer nur reagieren. Ich habe den Traum, dass wir dieses Jahrzehnt anfangen, aktiv einzugreifen und zu handeln, bevor etwas geschieht und wir nur noch die Scherben aufkehren können. Was muss passieren, bevor ein Tempolimit eingeführt, der Zugang zu Alkohol erschwert, CO2 verteuert und die Umwelt geschützt, Mieten günstiger, Polizeigewalt thematisiert, ein Nazi verurteilt wird? (Liste bitte beliebig ergänzen) Wenn uns der jetzige Zustand noch nicht reicht, möchte ich mir nicht die Situationen ausmalen, die uns dann schlussendlich zur Reaktion und zum Handeln zwingen.
6. Das Internet als Neuland begreifen. Okay, Butter bei die Fische: So neu ist das Internet nicht mehr. Ich hatte meine erste E-Mail-Adresse Ende der 90er Jahre. Wir müssen das Internet als Bestandteil unseres Lebens anerkennen und damit auch Regeln und Gesetze schaffen, die auf diesen noch sehr rechtsfreien Raum zutreffen. Mit dem Internet kann man nicht Peekaboo spielen: Auch wenn Sie sich die Augen zuhalten und seine Existenz ignorieren, wird es immer noch auf Knopfdruck dieses eine schlimme Bild von jener einen Feier damals ausspucken können. Das Internet ist augenscheinlich ein Trend, der nicht mehr verschwindet. Die Frage ist, was machen wir als Gesellschaft damit und wie können wir den besten und größten Nutzen für alle daraus ziehen.
7. Den Kapitalismus feiern. “Ohne den Kapitalismus hätten wir das alles hier nicht.” Jein, nur wenn damit auch ein boomender Niedriglohnsektor, Altersarmut und die ‘Generation Praktikum’ gemeint ist, denn der Kapitalismus hat nicht nur Vorteile gebracht. Eigentlich hat er nur ein paar Menschen Vorteile gebracht und denen dann richtig viele. Der Triple-Down-Effekt scheint heutzutage wie eine Lüge, die den Ärmeren erzählt wird, damit sie noch ein bisschen weiter in ihrer Armut verharren, ohne eine Revolution zu starten. In den seltensten Fällen tropft irgendetwas durch — meist weder Geld noch Empathie oder Anerkennung. Sozial ist anders. Hand in Hand geht damit übrigens auch die Forderung nach mehr Freiheit für die Märkte. Nein, weil siehe oben.
8. Wütend sein. Verstehen Sie mich nicht falsch; Wut ist eine wichtige Emotion. Wut kann Bäume versetzen und Grenzen verschieben, aber sie spaltet auch Gesellschaften. Im richtigen Moment kann Wut eine Zukunft ermöglichen, im falschen den Untergang. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Wut weiter so in unsere zwischenmenschlichen Beziehungen kriecht und es sich dort bequem macht. Liebe, Respekt und ein fairer Umgang miteinander sollten immer das Nonplusultra sein. Entschuldigung, so Sätze lösen bei mir immer eine kleine Übelkeit aus — jetzt geht’s wieder. Die Aussage hat aber trotzdem bestand.
9. Nur das eigene Weltbild sehen. Was, wenn es gar nicht nur eine Realität gäbe, sondern mehrere? Was, wenn jeder Mensch, eine eigene Realität erleben würde, wäre das nicht irre? Wir sind die Summe unserer Entscheidungen, unserer Umwelt, der Meinungen anderer, die wir konsumiert haben. Es gibt vermutlich nicht einen Menschen auf der Welt, der*die mir in dieser Summe gleicht. Ich sehe Dinge anders, weil ich sie anders erlebt habe und diese Realität hat damit genauso ihre Berechtigung wie die Realitäten aller anderen Menschen. Diese Pluralität müssen wir aushalten. Dieses Jahrzehnt sollten wir alle an unserer Ambiguitätstoleranz (danke für dieses Wort, Fest&Flauschig) arbeiten und verstehen, dass die Medaille anscheinend mehr als nur zwei Seiten hat.
10. Aufschreiben, was sich ändern muss, aber nichts ändern. Damit ist diese Liste lang und umfassend genug. Es wird Zeit, dass wir als Gesellschaft die Dinge angehen und Veränderungen herbeiführen. Vielleicht hat sich diese Liste dann bis 2030 erledigt und ich kann in zehn Jahren eine neue schreiben, zum Beispiel über alles, was sich seit 2020 aus gutem Grund geändert hat. Wäre das nicht schön?