Von Moonshots und Prototypen, oder: “Public Interest Tech”– What goes up must trickle down.

Ein Longread.

Katharina Meyer
13 min readJul 17, 2019

tldr; “Wir fördern Public Interest Tech” steht auf der Website des Prototype Funds. Was das Weltall mit dem Internet und das Apollo 11 Programm mit dem Prototype Fund zu tun hat. Und warum Innovation kein Wert an sich ist.

Nicht von ungefähr ähneln sich die Umlaufbahn des Sputnik und das Icon des Internet-Explorers.

“Wir fördern Public Interest Tech” steht auf der Website des Prototype Funds. Weil dieses weasle word im deutschsprachigen Raum (im Gegensatz zum amerikanischen) aber noch nicht klar definiert ist, geht es heute in Richtung unendlicher Weiten (a.k.a. die Geschichte der Raumfahrt) und zu niedrigsten Einstiegs-Schwellen (“Bottom up”–Innovations-Konzepten), um zu klären, warum Public Interest Tech nicht nur das “neue Schwarz” des “alten” Civic Tech ist.

Um zu verstehen, wie sich technische Innovationen auf die Gesellschaft auswirken und was die Haupthindernisse für ihre breite und dabei sozialverträgliche Einführung sind, kann man analysieren, wie Staat(en) und der gemeinnützige dritte Sektor und andere Akteure schon heute zu Innovationen beitragen, künftig beitragen könnten, warum der Zugang zu Ressourcen für neue Herangehensweisen entscheidend ist — und auch: inwiefern der soziale Wandel mit technologischen und wirtschaftlichen Faktoren verknüpft ist.

Ein guter Einsteig hierfür ist die aktuelle Berichterstattung zu 50 Jahren Moonshot: Die Erschließung des Weltraums als Sehnsuchtsort war schon immer eng mit technologischem Fortschritt und Innovationsförderung verbunden. Während heute wieder Silicon Valley-Magnaten statt um Yacht-Längen um private Raumschiffe konkurrieren, verfielen nach den ersten Sende-Signalen des Sputnik-Satelliten 1957 ganze Nationen in einen Wettlauf zum Mond.

Die gesteuerten Sprunginnovationen in der Raumfahrtforschung kulminierten mit der Apollo-Mission in einem “small step” für einen einzelnen Mann, der ein so großer für die Techniksoziologie war.

Bis zu diesem ersten Fußabdruck in Regolith wurden im Apollo-Paket staatliche und private Investitionspakete geschnürt, Lehrpläne angepasst und durch Kameraobjektive ikonische Bilder eingefangen, um die kollektive “Mondsucht” zu befeuern. Rund 300 Jahre vergingen laut Wikipedia von der Erfindung der ersten Fernrohrs bis zum Öffnen der Raumsonde — die Faszination für das Weltall ist ungebrochen.

Und obwohl Innovationen und Kulturtechniken rund um Informations- und Kommunikationstechnologien sehr viel schneller flächendeckend Einzug in unseren Alltag gehalten haben als z.B. Astronautennahrung (in Form von Soylent), kann man anhand des Vergleichs zwischen Space und Cyberspace einiges darüber lernen, warum bottom-up-Innovationsprozesse eine wichtige Voraussetzung sind, damit auch wirklich Alle am gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt partizipieren können — und dieser nicht nur weiter soziale Ungleichheiten fortspielt.

Die wichtigste Voraussetzung für eine gemeinwohlorientierte Technologie ist ein grundsätzliches Verständnis ihrer Funktionsweisen, also eine Literacy in Tech- Fragen, Einsatzideen für die eigene Lebenswirklichkeit und “trickle down-”Folgeinnovationen, die sich in den Alltag integrieren lassen.

Denn: ohne vielfältige Anwendungsfelder ist auch die schönste Innovation elitär, man kann ihren Start nur durch die Mattscheibe oder über “Entscheider-Briefings” mitverfolgen. Und früher oder später landet sie im Technik-Museum, immer mit einer Armlänge Abstand zu denen, die sie über Steuergelder mitfinanziert haben.

Wie Mariana Mazzuccato, Gründerin und Direktorin des UCL Institute for Innovation & Public Purpose (IIPP), schreibt:

Der vor 50 Jahren durch Apollo angeregte Prozess systemischer, interdisziplinärer, sektorübergreifender Innovationen war genauso wichtig wie die Mission selbst. Apollo machte sowohl staatliche wie private Investitionen und Innovationen nicht nur in der Luft- und Raumfahrt, sondern auch in verschiedenen weiteren Feldern wie Materialforschung, Medizin, Biologie, Geologie, Lebensmittel, Elektronik und Kommunikation notwendig. Die Mission brachte Kinder dazu, davon zu träumen, Astronauten zu werden; belebte STEM-Fächer in Schulen wieder; verlangte von Forschern verschiedener Disziplinen und Sektoren, zusammenzuarbeiten; stimulierte neue Risikobereitschaft in vielen weiteren Teilprojekten, von denen auch einige scheiterten.

Apollo bedeutete dennoch nicht, dass zugleich auch die breite Bevölkerung an den technischen Fortschritten paritätisch teilhatte. Schlüsselprobleme der sozialen Ungleichheit blieben weiterhin bestehen und bestehen durch ungleiche Verteilung von Ressourcen auch heute noch. Genauso, wie die Digitalisierung sich manchmal anfühlt wie ein Entwicklungshilfeprojekt, gesteuert aus dem Silicon Valley, war das Wettfliegen zum Mond ein eindeutig hierarchischer Prozess, gesteuert durch top-down-Politiken.

Und so gilt damals wie auch teilweise heute noch, ob im Orbit oder in neuronalen Netzen: Während der technologische Fortschritt (™) in einigen Teilgebieten scheinbar unaufhaltsam Strecke macht, haben weite Teile der Weltbevölkerung nicht nur “Edge”, sondern auch keine Kapitalrendite durch die größtenteils steuerlich induzierten Innovations- und Technologiepolitiken.

Denn erst durch auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Programme und Zugang zu (finanziellen) Ressourcen erhalten bereits gesellschaftlich engagierte Entwickler-Communities und BürgerwissenschaftlerInnen (die sich historisch direkt an die Computer Professionals for Social Responsibility anschließen könnten, die in ihrem Programm schon in den 1990ern forderten, Technologie solle nach Prinzipien des Gemeinwohls a.k.a Public Interest, organisiert und ausgerichtet sein) die Möglichkeit, nicht nur “Imaginaries” zu Technologien auf Public Interest auszurichten und entsprechende Prototypen zu entwickeln, sondern tatsächlich Werkzeuge an den Markt — und noch wichtiger– in die Gesellschaft einzubringen.

Was Technologien im öffentlichen Interesse von jenen mit Renditeerwartung meist unterscheidet ist, dass ihre Funktionsweisen normativ so reguliert sind, dass sie einen realen gesellschaftlichen Mehrwert haben und nicht nur einen neuen Absatzmarkt erschliessen, sich in die Logiken von Kybernetik oder Überwachungskapitalismus eingliedern.

Der Widerstreit zwischen Angebotscharaktern (technological affordances) in der Technologieentwicklung ist ein real existierender und permanenter, wie z.B. auch Andrew Russell in seinem Buch Open Standards beschreibt.

Same, same, but different.

Tatsächlich befinden wir uns zum fünfzigsten Jubiläum der Apollomission sogar in einer vergleichbaren disruptiven Situation der Innovationspolitik: Diesmal geht zwar nicht um das All, sondern neben anderen emergenten Technologien um Künstliche Intelligenz.

Und die “Leistungsschau der Nationen” manifestiert sich statt als Muskelspiel mit der Sowjetunion nun als gefühlter Hegemonialkonflikt mit einer anderen großen Volksrepublik: China.

Nicht nur dort sind Unternehmen und Forschungseinrichtungen Treiber in Sachen Technologieentwicklung, sie können auch auf die nötigen finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen zurückgreifen und werden zusätzlich staatlich oft unterstützt, alles in der alten Tradition der Weltausstellungen.

Dafür, wie emergente Technologien hingegen für das Gemeinwohl eingesetzt werden können, gibt es nur eine überschaubare Anzahl an Beispielen.

Dabei ist es wichtig, und gesellschaftlich unabdingbar, neue Entwicklungen auf ihre Risiken und Chancen hin zu untersuchen, sie zu erklären und zugänglich zu machen, sodass möglichst viele Menschen davon profitieren können.Open Source und Transparenz sind wichtige Bausteine, wenn es um Rechenschaftspflicht und faire Nutzung geht.

In den Technologieframework-begleitenden Kommissionen sitzen Public-Interest-EntwicklerInnen oder Think Tanks aus der Zivilgesellschaft allerdings wieder nicht, und so gehen, verkürzt dargestellt, aus VC- Initialrunden und der staatlichen “Fördergießkanne” statt nützlicher Anwendungen für die Gesellschaft auch eine Menge tickender Zeitbomben für Demokratien (Computervisiondatensets zur Überwachung von Minderheiten), Umwelt(Bitcoin) … etc. hervor. Was weiterhin fehlt: der Zugang zu Ressourcen auch für Communities, die die Anwendungsfälle von emergenten Technologien schon alltäglich–und oft negativ– betreffen.

“The Moon & the Ghetto”.

Ökonom Richard L. Nelson, Vorreiter der Evolutionsökonomik und Berater der US-Militär-nahen RAND Corporation in einer für die Institution besonders wechselvollen Periode (den 1960er und -70er Jahren, inkl. unrühmlicher Rolle bei der Beratung FÜR den Vietnam-Krieg), beschreibt in seinem Paper “The Moon & the Ghetto” eines der größten Paradoxe der Technologieentwicklung so:

How can a society capable of astonishing technical accomplishment (like the moon shot) fail to achieve far simpler and less costly tasks?Gemeint waren mit diesen “simpler Tasks” damals zum Beispiel die Anhebung des Armutsniveaus.

Heute würde man die beschriebenen Herausforderungen deshalb nicht mehr verniedlichen, sondern SDGs oder “Grand Challenges” nennen.

Nelsons Erklärmodell für das “Moon/Ghetto–Paradox” besteht aus drei Komponenten. Als Hindernisse der gesellschaftlichen Teilhabe an technologischen Fortschritt können:

  • unzureichende politische Mechanismen
  • eine anfällige Organisationsstruktur
  • sowie eine ungleichmäßige Verteilung von wissenschaftlichen und technischen Talenten ursächlich sein,

manchmal auch alle drei gemeinsam.

Hinzu kommt der fehlende Zugang zu Produktionsmitteln und Anschubfinanzierung.

Besonders dem dritten Punkt sollte man sich zuwenden, um sich an einer Begriffsdefiniton von Public Interest Tech zu versuchen. PIT steht unter dem inoffiziellen Motto What goes up must trickle down: Fehlende Teilhabe führt nicht nur in der Demokratietheorie zu mindestens “gefühltem” Abgehängtsein, sondern auch in den Technikvisionen.

Wie Julia Kloiber in diesem Talk bei Z2X digital ganz richtig festgestellt hat: Wenn wir heute über Technologie sprechen, erzählen wir meist Horrorgeschichten — die dazu führen können, dass die Zukunft auch ausschließlich furchteinflößend wird.

Let’s not ask what we can do, but what we should do. Not what’s possible, but what makes sense. And let’s think hard about all the potential impact, intended and unintended.” (Peter Bihr)

Wenn wir Innovationen in den Dienst der Gesellschaft stellen wollen, müssen wir aktiv an ihnen mitarbeiten, durch die Gesellschaft mitformulierte Technikvisionen umsetzen und uns technische Tools und Infrastruktur wieder zu eigen machen.

Horizonte

Horizon 2020 ist das größte Forschungs- und Innovationsprogramm der EU, das mit fast 80 Mrd. EUR Investitionsvolumen bereits seit 6 Jahren und noch bis einschließlich 2020 läuft. Es verspricht “Durchbrüche”, “Entdeckungen” und “Weltneuheiten”, indem es Ideen aus den Laboren auf den Markt bringt.

Und macht damit Innovation erneut zu einem elitären, exklusiven Prozess: Expertise wird vor allem der Industrie und klassischen Institutionen und Forschungseinrichtungen zugetraut, die Gesellschaft ist nur als Juniorpartner erwünscht. “Exzellenz” ist nachgefragt und verweist damit alle weiteren Stakeholder, einschließlich der angewandten Wissenschaft, der community-gesteuerten Bottom-up-Innovation, der Open Science, der Meta-Analyse, der Regulierung, und dem Zusammenspiel von Politikern und der Öffentlichkeit auf die Rangplätze der Mittelmäßigkeit. Dabei entwickeln insbesondere diese Gruppen gemeinsam Technologien, die zur direkten Verbesserung oder Beeinflussung von Governance, Politik oder gesellschaftspolitischen Fragen eingesetzt wird. Und geben so eine der möglichen Definitionen von “Public Interest Tech”.

Die Ford Foundation, die einen Public Interest Tech-Buzz betreibt, beschreibt als ersten Schritt deshalb, ein gemeinsames Verständnis von Technologien von öffentlichem Interesse zu kodifizieren, Chancen und Herausforderungen zu identifizieren und eine strategische Ausrichtung auf Public Interest Technologien sowohl auf der Anwendungs- als auch Infrastrukturebene vorzunehmen.

Wir müssen zu einer umfassenden Einbeziehung des öffentlichen und dritten Sektors in die Steuerung, Auswahl und Bewertung von Technologien zurückkehren und das Ausloten dieser Möglichkeiten nicht den großen Unternehmen überlassen, sondern zu einem gesellschaftlichen Kollaborationsprojekt machen.*

(*Mit der nötigen Staatsferne, wo Staatsferne geboten ist, zum Beispiel bei der Entwicklung sicherer digitaler Kommunikationswege.)

Und “PIT” dabei als einen Rahmen begreifen, der keinen Lösungsweg vorgibt, aber Möglichkeiten eröffnet.

Unsere Digitalen Technologien sind die binären Brücken und Straßen der modernen Gesellschaft — die Gewährleistung ihrer Zuverlässigkeit sollte nicht privatisiert werden. Public Interest Technology ist deshalb genau das, nach was sie klingt — ein Technologieframework.

Mit Mut in die Lücke.

Die Herausforderungen von Raumfahrtmissionen und digitale Infrastrukturen und Anwendungen in Alltag, Demokratie und Nachhaltigkeit sind natürlich qualitativ unterschiedlich und bedürfen einer individuellen Betrachtung: Bei Raumfahrtmissionen geht es um vornehmlich technische Probleme mit technologischen Lösungen, auch verfügen sie über klar umrissene Definitionen für Erfolg und Misserfolg.

Ungleich mehr Denkschulen bestehen zu den Ursachen und Heilmitteln für “wicked” Problemkomplexe, wie z.B. Armut oder Klimawandel.

Technologien oder Ingenieurswesen allein können die Antwort auf soziale Herausforderungen nicht liefern, der Markt sie nicht regulieren.

Die Bewältigung (großer) Herausforderungen bedeutet deshalb, über das hinauszugehen, was Evgeny Morozov als “Solutionismus” bezeichnet, bei dem Probleme von Technologen neu definiert werden, um sie an die verfügbaren Werkzeuge anzupassen.

Stattdessen müsste der Prozess in etwa so aussehen:

Die durch diesen Keislauf und mit sozialen Stakeholdern entstehenden Werkzeuge könnte man als “Community Technologies” bezeichnen.

Innovation nicht um der Innovation willen, sondern im öffentlichen Interesse.

Die Politik sollte deshalb stärker untersuchen, welche wissenschaftlichen und technologischen Bereiche, Plattformen, Dienste usw. künftig gemeinwohlorientiert entwickelt werden können und wie diese unser Leben beeinflussen; ebenso wie Wissenschaftler und politische Berater im Bereich der HighTech- Forschungs- und Innovationspolitik dies schon lange tun. Öffentliche Institutionen sollten in der Lage sein, das gewünschte Ergebnis zu skizzieren und gleichzeitig versuchen, die “Tyrannei der technologischen Möglichkeiten” zu überwinden.

Das öffentliche Interesse bzw. Gemeinwohl ist ein “unbestimmter” Rechtsbegriff, weil er in keiner gesetzlichen Vorschrift, in der er vorkommt, konkretisiert wird. Vielmehr ist es uns überlassen, ihn durch Einzelfälle mittels Subsumtion mit konkreten Inhalten auszufüllen. Das können zum Beispiel Leuchtturmprojekte der digitalen Souveränität sein.

Gemeinwohl als regulative Idee und generalisierte Erfahrung des Sozialen bezieht sich auf Werte und Normen. Indem sich der Einzelne mit seinem gesellschaftlichen Umfeld auseinandersetzt und es selbst aktiv mitgestaltet, entwickelt er sich als soziales Wesen. Technologie wird von unseren bestehenden kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Systemen produziert und funktioniert innerhalb dieser — in diesen Systemen können neue Technologien bestehende Strukturen verstärken — oder eine Neuausrichtung erzwingen. Die Voraussetzungen sind aktuell erschwert: Herausfordernd sind u.a. ungleicher Zugang zu digitalen Technologien; unverantwortliche Unternehmensinfrastruktur und begrenzte Ressourcen, staatliche Überwachung; politisch motivierte gezielte digitale Angriffe usw.

Trotzdem arbeiten täglich EntwicklerInnen in Regierungsbehörden, gemeinnützigen Organisationen, Hochschulen und Universitäten, Bibliotheken, in Technologiekooperativen, Freiwilligen-Netzwerken und Organisationen der Sozialen Bewegung daran, digitale Infrastruktur und Anwendungen so zu entwickeln, einzusetzen und instand zu halten, dass sie ihren Communities zugute kommen. Und das oft ehrenamtlich, am Rand der Belastungsgrenze.

Unterstützt werden muss deshalb auch bei der Wartung, nicht nur der “Innovation”. Es sind erhebliche Ressourcen erforderlich, um bestehende Technologien zu erhalten, zu schützen, zu updaten und zu verbessern, aber der Aufmerksamkeits-Schwerpunkt von Förderlinien liegt aktuell noch zu oft auf der Entstehung neuer Projekte.

Effektive Arbeit für das Gemeinwohl erfordert außerdem Zugang zu Menschen mit technischem Fachwissen.

Aber: Technologieentwicklung bleibt ein Teameffort!

Zu den Public Interest–Praktikern gehören SoftwareentwicklerInnen DesignerInnen und Projektmanager ebenso wie ForscherInnen, Communityorganizer, Provider, Stadtbeamte und Menschen mit vielen anderen Rollen und Hüten.

Sie arbeiten an Themen, die unseren Alltag prägen, einschließlich des Schutzes der Umwelt, der Menschenrechte und vielen anderen großen gesellschaftlichen Aufgaben— mit einem Verständnis für die ethischen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Kerndimensionen des technologischen Wandels.

Human-Centered Design als Prinzip : “More than Code”

Der More than Code”-Report, veröffentlicht 2018, ist ein partizipatives Aktionsforschungsprojekt, das darauf abzielt, die Art der Arbeit, die derzeit mit Technologien für soziale Gerechtigkeit (und allgemeiner: im öffentlichen Interesse) geleistet wird, sowie die Wege, die Menschen in diese Arbeit führen, zu kartieren und besser nachvollziehbar zu machen.

Er identifiziert EntwicklerInnen und Netzwerke, die im Public Interest-Space arbeiten, einschließlich derjenigen, die in der Technologiewelt nicht “die üblichen Verdächtigen” sind, um von ihnen zu lernen: wo sie Barrieren sehen; was sie für das Wachstum und die Diversifizierung des Feldes am dringendsten benötigen.

Hier ein paar spannende Key–Findings aus der Executive Summary:

Auf die Unterstützung dieser Bedürfnisse sollte noch viel öfter abgezielt werden, wenn Steuergelder für die Entwicklung von Technologie eingesetzt werden.

Code & Law

Die gesellschaftlichen und Umwelt-Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, verweisen uns bei der etymologischen Betrachtung des Public Interest ebenfalls noch einmal auf die 1960er Jahre: Zwar gab es auch damals schon technische Werkzeuge, die den Alltag erleichterten und mitgestalteten (z.B. im Haushalt). Besonders formend für die gesellschaftliche Transformation zeigte sich aber ein anderes Intrument: Das Recht.

Gemeinwohlorientierte Juristen waren diejenigen, die ihr Feld definierten, vorantrieben und etablierten: “Public Interest Law” ist ein Begriff, der sich in den Vereinigten Staaten während und nach den sozialen Unruhen der 1960er verbreitete. Es baute auf einer Tradition auf, die von Louis Brandeis formuliert wurde, der, bereits bevor er Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten wurde, die Interessen der Allgemeinheit in seine Rechtspraxis einbezog. In einer Rede von 1905 kritisierte Brandeis die Anwaltschaft und beklagte, dass “sich fähige Anwälte weitgehend zu Großkonzernen entwickelt haben und die Verpflichtung vernachlässigt haben, ihre Befugnisse zum Schutz des Volkes einzusetzen”. In den späten 1960er und 1970er Jahren begannen amerikanische Absolventen der juristischen Fakultät, in ihrer Arbeit nach Sinngehalten zu suchen, um die sozialen Fragen zu beeinflussen, die damals in der amerikanischen Gesellschaft heiß diskutiert wurden. Sie definierten sich als “Juristen im öffentlichen Interesse”, um sich von den von Brandeis genannten “Corporate Adjuncts” zu unterscheiden.

Die Rechtswissenschaftlerin Deborah Rhode fasst die Geschichte der Bewegung in den USA wie folgt zusammen: “Juristen im öffentlichen Interesse haben Leben gerettet, Grundrechte geschützt, entscheidende Prinzipien festgelegt, Institutionen transformiert und wesentliche Vorteile für diejenigen sichergestellt, die sie am meisten brauchen…. In praktisch jeder großen amerikanischen Sozialreformbewegung des letzten halben Jahrhunderts haben Juristen im öffentlichen Interesse eine wichtige Rolle gespielt”.

Dass das auch für EntwicklerInnen und HackerInnen eine lohnende Herausforderung sein könnte, davon konnte man in ähnlicher Form in einem Vortrag beim 33C3 hören: Statt Bürger vor Überwachung zu schützen, kümmern sich Hacker um Business-Class-Flüge und das große Geld.”

Public Interest Law ist in den Vereinigten Staaten institutionalisiert. Nichtstaatliche Organisationen, die sich für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte unter Nutzung des US-amerikanischen Rechtssystems einsetzen, für den Schutz der Umwelt kämpfen oder sich im Namen der Verbraucher einsetzen, nennen sich Public Interest Law-Organisationen; es gibt Law Clinics, die Zugang zu rechtlichem Beistand auch für diejenigen mit berechtigten Anliegen sicherstellen, die sich keinen Anwalt leisten könnten.Vielen spricht dafür, das Staat und dritter Sektor sich zusammentun, um auch das Technologiefeld zum Wohl aller nachhaltig umzugestalten.

Der Prototype Fund ist ein erster Tropfen auf den heißen Stein.

Ganz ähnlich wie mit den ersten Mondbildern bzw. im Rekurs, dem Blickfeld auf den Planeten Erde und seine Devs, versuchen wir, eine Inspiration zu sein für jene, die versuchen ihre technischen Skills zum Wohl der Gesellschaft einzusetzen.

Wir wollen bessere Technologie für alle. Der Prototype Fund ist ein Programm mit Fokus auf großen Herausforderungen und neuen Lösungsideen. Mit unserer Anschubförderung ermutigen wir Menschen, ungewöhnliche Ansätze zu verfolgen. Gemeinsam mit unseren Projekten erproben wir neue Wege für Innovation: Wie kann man Bürokratie reduzieren, Community aufbauen, Skillsharing und Lernen fördern? Wir setzen Impulse für Datensparsamkeit, Sicherheit, Nutzerfreundlichkeit. Wir haben Mut zu Experimenten und unterstützen selbstständige Entwickler und kleine interdisziplinäre Teams dabei, ihre Ideen umzusetzen. Wir arbeiten für diverse Gruppen von NutzerInnen und stellen deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt.

  • Open Source –​Die Ergebnisse werden als Open Source Software öffentlich zugänglich gemacht, davon profitiert die Tech-Community und die Nachhaltigkeit.
  • Agenda-Setting über Themenschwerpunkte–Wir setzen Schwerpunkte und suchen gezielt nach Lösungen für Herausforderungen unserer Zeit. ​“Tools für eine starke Zivilgesellschaft” hatte Instrumente im Blick,​die der Zivilgesellschaft auch im digitalen Zeitalter erlauben, ihre Kontrollfunktion einzunehmen. Mit “Diversity— Open Source für alle!” haben wir auf drei unterschiedliche Aspekte von Vielfalt hingewirkt: Ob vielfältige Zielgruppen für Tools, in Form von diversen Teams oder auch „Security through Diversity“. Bei “Power to the users” ging es darum, wieder die NutzerInnen in den Mittelpunkt der Toolentwicklung zu stellen und Ihnen die Kontrolle über den digitalen Raum zurückzugeben , mit “Maschinen lernen lassen — Technologien für die Zukunft” wollten wir besseren Einblick in die Entstehung von emergenten Technologien erhalten. Mit “Commit — System erneuern” haben wir zuletzt verstärkt über die Digitalisierung und ihre Folgen für die Umwelt nachgedacht.
  • Vernetzung –​ Wir vernetzen unsere Projekte untereinander und mit Partnern und bauen so eine starke handlungsfähige Community auf.
  • Über Coachings​–vermitteln wir Wissen für sichere und nutzerfreundliche Tools. Wir arbeiten mit ExpertInnen aus dem Bereich Human Centered Design.

Gemeinsam mit dem BMBF haben wir vorübergehend eine Lücke in der deutschen Förderlandschaft geschlossen.

Wenn wir eine inklusive Digitalisierung mit mehr nützlichen Werkzeugen für BürgerInnen wollen, dann müssen wir solche Projekte aber noch gezielter fördern und mit bestehenden Communities arbeiten — und auf den PTF müssen sehr viel umfangreichere Fördermittel folgen.

Unser Programm geht zumindest bis 2020 in Deutschland weiter, die kommende Runde 7 wird schon vom 1. August 2019 bis 30. September ausgeschrieben.

Und auch andere europäische Länder ziehen vielleicht bald nach.

So richtig erfolgreich ist das Konzept Public Interest x allerdings erst, wenn die Ressourcen an Industrie und Zivilgesellschaft zu gleichen Teilen verteilt werden.

Dann kann die Zukunft vielleicht noch ein echter Moonshot werden.

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Katharina Meyer

is a STS scholar, heads Prototype Funds’ research&strategy, investigates social development environments & curates knowledge and (art) objects