I have a dream — mit dem Rennrad an einem Tag an den Lago

Katrin Grothues
6 min readJul 9, 2020

Verrückte Ideen werden meist im Winter geboren. Man sitzt mit den Radkumpels gemütlich bei einem Glühwein am Feuer und sinniert über die kommende Saison. Die ist natürlich noch weit weg und so scheint alles möglich und die eigenen Kräfte unendlich. So auch bei uns. Und bei irgendeiner dieser Abende nimmt die Idee Gestalt an: Wir fahren an den Lago. An einem Tag. Mit dem Rennrad. Alle sind Feuer und Flamme, die Route wird schonmal bei Komoot vorgeplant, 380km, nur 3000HM, das schaffen wir doch locker. In Michaelas Mutter finden wir schnell eine Fahrerin für den Supportwagen.

Der Winter geht dahin, wir “trainieren” auf den Spinningbikes und beim Langlaufen. Dann steht das Frühjahr vor der Tür und die ersten Radeinheiten draußen. Kann sein, dass es an Corona und dem für viele damit einhergehenden Homeoffice lag, aber auf einmal steht der Juni vor der Tür und damit das angepeilte Datum für die Fahrt: Midsommer. Und auf einmal scheinen die 380km doch recht viel und die eigenen Kräfte doch begrenzt. Am Ende bleiben 3 wackerer BikerInnen über, die das Abenteuer wagen: Michaela, Sepp und ich. Ich gebe zu, dass ich die 2 Wochen vor der Tour sehr mit mir und dem Plan gehadert habe. Ich habe mehr Gründe gefunden, warum das Ganze eine total bescheuerte Idee sein muss: nur noch 3 Leute, da lässt sich kein Windschatten fahren. Das Wetter ist viel zu unbeständig und zu kalt. Ich habe viel zu wenig trainiert. Und außerdem ist Neumond und da kann ich eh nicht fahren. Nach viel Ringen entscheide ich mich aber doch für das Abenteuer. Und von dem Moment an blicke ich voller Vorfreude — und Angst — der Abfahrt entgegen.

Fit fühle ich mich. Corona sei dank ist unser 3 wöchiger Frühjahrsurlaub im März nach Peru ohne Rad ins Wasser gefallen, so dass mehr Zeit auf dem Rad blieb. Und Sport im Freien war ja zum Glück immer erlaubt. Diverse Touren von 160–180km, dann einmal 200km in kleiner Gruppe rund um München und als letzter Test 220km alleine haben meinen Körper und mein Selbstbewusstsein ausreichend gestärkt. Dennoch blieben eine gehörige Portion Respekt und Aufregung vor der Herausforderung.

Unser Plan: Ich schlafe bei Michaela, Sepp kommt morgens dazu. Abfahrt um 2.30h bei Michaela. Aufstehen um 2h, dann einen Kaffee, etwas Kuchen. Die erste Pause im Inntal nach ca. 110–130km bei einem Bäcker. Vorher hat eh nix offen. Dann den Brenner rauf bis nach Sterzing. Dort wollten wir Michaelas Mutter treffen und könnten auch Kleider tauschen. Dann weiter bis Bozen und hoffen, dass der Wind nicht zu stark wird. Anschließend den letzten Rest bis Riva und Pausen nach Bedarf.

In Summe sollten es 380km und gute 3000HM werden, wobei mit Erreichen des Brenners schon 180km und 2000HM hinter uns liegen würden.

Die Packliste war schnell zusammengestellt: Zum Start morgens neben den normalen Radsachen noch die Windweste, Regenjacke, Knielinge und Armlinge. Licht und Navi natürlich, außerdem 5 Riegel und eine Banane. Außerdem hatte ich einen kompletten Satz Wechselsachen im Auto.

Es geht los. Der Wecker klingelt um 2h. Ich habe tatsächlich 2,5h geschlafen. Hätte ich nicht gedacht. Die Nacht davor konnte ich erst nach 3 h einschlafen, so nervös war ich. Kaffee, Kuchen, Flaschen füllen, alles läuft nach Plan. Dann die erste Überraschung des Tages: Michaelas Hinterrad ist platt. Nun gut, wechseln wir morgens um 2.30h im Dunkeln vor der Türe rasch den Schlauch. 7 Bar rein und um 2.50h geht es los. Die ersten KM durch bekanntes Terrain laufen gut. Dann biegen wir auf neue Routen ein und es wird spannend. In Dunkelheit mit Stirn- und Lenkerlampe geht es durch den Wald. Das Navi ist natürlich schwarz und schaltet die Hintergrundbeleuchtung nur auf expliziten Wunsch an. Wir fahren zügig, aber mit der gebotenen Vorsicht durch die Nacht. Um ca. 4.30h wird es langsam heller. Statt des erhofften romantischen Sonnenaufgangs erwarten uns tiefschwarze Regenwolken in Richtung Tegernsee. Keiner traut sich auszusprechen, was alle denken: da zieht gerade ein ausgewachsenes Regenband durch. Nur nicht komplett nass den Achensee runter, denke ich. So warm sind 12 Grad dann doch nicht, wenn man komplett nass ist. Noch ist es trocken von oben, nur die Straße ist komplett nass. Bei Wildbad Kreuth geben wir auf und ziehen unsere Regenjacken an. Dies hilft ein wenig, jedoch sind Schuhe, Hose, Sitzpolster komplett nass. Sepp schiebt schonmal ein paar Honigwaffeln nach, bei mir muss der erste Riegel dran glauben. Es geht den Achenpass rauf, dann zum Achensee. Dort ein kurzer Fotostopp und runter Richtung Inntal. Dort auf den mittlerweile trockenen Radweg und Vollgas Richtung Kaffee und Semmeln. Schwaz haben wir als Frühstücksziel auserkoren. Wir überqueren den Inn in Richtung Innenstadt. Eine nette Dame weist uns den Weg zur nächsten offenen Bäckerei. 2 Semmeln, einen Cappuccino und einen Kakao später und mit gefüllten Flaschen machen wir uns wieder auf den Weg. Noch ein kurzes Stück durch das Inntal, dann geht es an den Anstieg zum Brenner. Wir fahren zunächst die alte Römerstraße, die leicht nach einem guten Anstieg leicht wellig bis nach Matrei führt. Hier wechseln wir auf die Bundesstraße. Die Steigung ist angenehm und der Verkehr eher gering. So erreichen wir um kurz vor 12 den höchsten Punkt des Passes. Oben darf ein Foto mit dem Ortsschild nicht fehlen. Schnell noch Jacken drüber und los geht es in Richtung Sterzing, wo Kuchen und Wasser auf uns warten.

Nach Erreichen dieses Punktes unserer Tour in recht guter Verfassung und vor allem hervorragender Laune wusste ich, dass wir es schaffen können und schaffen würden. Ich hatte damit gerechnet, nach fast 200km und 2000HM schon viel kaputter zu sein. Wir waren zwar schon fast 10h unterwegs, aber von Müdigkeit oder Radfahrunlust keine Spur.

Bei Michaelas Mutter angekommen stärkten wir uns mit Kuchen, Obst, Wasser, warfen unnötige Kleidung ab und ölten die Ketten. Endlich kam die Sonne raus und es wurde warm. Unser Begleitfahrzeug würde nun direkt nach Riva fahren, wäre aber allzeit bereit uns bei Defekt oder körperlicher Schwäche aufzunehmen.

Wir rollten nun auf dem wirklich sehr komfortablen Etschradweg nach Bozen. Die Etappe verlief unspektakulär. Auch der gefürchtete Gegenwind blieb aus. Wir hatten den nächsten Stopp bei / kurz nach Bozen angepeilt. In der Stadt direkt wollten wir nicht bleiben, sondern waren auf der Suche nach was außerhalb auf dem Land, etwas gemütlicher, mit einer schönen Auswahl an kalten Getränken und Süßkram. Ca. Bei Leifers wurden wir im Café al Ponte fündig. Ein schöner Gastgarten mit Schattenplätzen, Caffe, Gelato, Panini.

So gestärkt brachen wir um 17 h wieder auf. Es ist ein doch recht warmer Nachmittag geworden. Noch 90 km laut Tacho, allerdings noch durch Trento. Ich verstehe nicht, wie man eine so hässliche Stadt in eine so schöne Gegend bauen kann. Ich fand Trento schon von Autofahrten her immer einfach nur unübersichtlich, hässlich, abstoßend. Und das hat sich für mich persönlich auf dem Rad bestätigt. Prompt verfahren wir uns und landen fast auf der Autobahn. Ein freundliches Hupen macht uns darauf aufmerksam und ganz Geisterfahrerstyle rollen wir die Autobahnauffahrt wieder zurück und suchen uns einen anderen Weg. Jetzt sind es zwar nur noch 50km, jedoch hinterlassen die fortgeschrittene Zeit und die Wärme Spuren und wir legen doch noch einen kurzen Stopp ein, diesmal extrem unromantisch bei Lidl. Auf dem Parkplatz verdrücken wir noch ein wenig Riegel, Obst und Chips und trinken warme Cola. Einmal aus Trento raus rollen wir wieder recht entspannt auf dem Radweg im Abendlicht gen Ziel. In Rovereto zeigen die Passanten auf dem Weg zum Restaurant oder mit der Abholpizza unter dem Arm, dass es eigentlich schon Zeit für den Tagesausklang ist.

Noch ein letzter zum Glück moderaten Anstieg und dann liegt er endlich vor uns: Lago di Garda. Wir halten in der Kehre zwischen Nago und Torbole an, es ist mittlerweile 21.15h. Ich bin ergriffen: von dem Anblick des Sees im letzten Licht des Tages. Von unserem Zusammenhalt als spontan entstandenem Team. Von der Leistungsfähigkeit meines Körpers, der zwar langsam keine Lust mehr auf Radfahren hat, aber immer noch erstaunlich fit ist. Vom Gefühl, in unserer so stark Technik getriebenen Welt mit reinem Muskelkraft und mentaler Stärke diesen langen Weg nicht nur einfach zurückgelegt zu haben, sondern an einem einzigen Tag. Wir machen noch ein obligatorisches Zielselfie, dann rollen wir hinunter nach Riva in die Sailing Bar, wo Michaelas Mum schon auf uns wartet. Essen gibt es zwar nur noch Toast, aber Getränke sind noch reichlich da, so dass wir mit unserem wohlverdienten Aperol anstoßen.

Am Ende können wir 380km, 14,5h reine Fahrzeit und 18,5h Zeit unterwegs in unser Trainingstagebuch schreiben.

Mehr Berichte von mir findet ihr auf meinem Blog www.freiefahrtfuerkatrin.de

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Katrin Grothues

Product Owner for Connected Car Software living in southern Germany. And Sports Enthusiast spending a lot of time on the bike.