Die Wahrheit kommt ans Licht: Was uns das Framing Manual über die ARD verrät.

K. E. Winkler
7 min readFeb 22, 2019

Es ist in aller Munde: das sogenannte „Framing Manual“ der ARD. Mit diesem Leitfaden ist ein Dokument an die Öffentlichkeit geraten, das die Befürchtungen der größten Kritiker der staatlichen Rundfunkanstalten in den Schatten stellt. Von der Bild-Zeitung, über die FAZ bis hin zur Welt, auf zahlreichen Blogs und in Rundfunkrechts-Foren, auf fast allen Kanälen der unabhängigen Medien wird der Skandal kommentiert. Einhellige Meinung: die ARD übt sich bewusst und systematisch in Meinungsmanipulation und Propagandamethoden der übelsten Sorte. Das schlimmste daran: die Führung der ARD zuckt mit den Achseln und zeigt kein Zeichen der Reue. Es ist ihr ziemlich egal, was man über sie denkt.

Das Framing Manual finde ich aber auch in anderer Hinsicht äußerst aufschlussreich. Es offenbart nämlich in fast schon kindlich naiver Deutlichkeit, was die ARD umtreibt, wie sie sich selbst wahrnimmt und was ihr Selbstverständnis über ihren Auftrag in der Gesellschaft ist. Genauer gesagt, was die Redakteure, Justiziare, Intendanten und Regieassistenten denken und fühlen, wenn sie sich täglich auf den Weg in die Anstalt machen.

Zwischen den Zeilen des Leitfadens finden sich entlarvende Aussagen. Dazu muss man vor Augen haben, dass das Dokument in mehreren Workshops unter der Mitwirkung von 160 Mitarbeitern des ARD-Konsortiums entstanden ist. Die Sorgen, Nöte und Fragen der Mitarbeiter waren Ausgangspunkt des Textes. Die Autorin gibt Ratschläge zum Umgang mit unangenehmen Anfragen oder Kritik (S. 7). Im Kern sollen ihre Framing-Methoden den Mitarbeitern helfen, die gespürten Widersprüche zwischen ihrem Beruf und der Moral aufzulösen. Offenbar sind die ARD-Angestellten verunsichert und benötigen Hilfe, sich gut zu fühlen und wieder in den Spiegel blicken zu können.

So nimmt der Leitfaden etwa explizit die Gewissenskonflikte auf:

„Dass bei einer Sache das moralische Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist oder droht, aus den Fugen zu geraten. Dass etwa Menschen ein Unrecht angetan wird (sagen wir, durch „Zwangsgebühren“), und es daher einen gemeinschaftlichen Auftrag gibt, dieses Unrecht zu korrigieren (indem wir Bürgern „die Freiheit zurückgeben“, über den „Erwerb von Rundfunkangeboten“ selbst zu entscheiden).“ (S. 3)

Der moralische Auftrag der ARD

Der offizielle, rechtliche Auftrag der staatlichen Rundfunkanstalten ist unscharf. Vielfach wird von einer „Grundversorgung“ der Bevölkerung mit Informationsangeboten ausgegangen, die auch ein wenig Unterhaltung und Sport enthalten kann. Das diffuse Bild des Auftrags wird selbst nach der Lektüre der Landesgesetze und verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nicht ansatzweise klarer. Jedenfalls geht es darum, über Rundfunkwellen redaktionell gestaltete Ton- und Bewegtbild-Beiträge zu verbreiten, mit dem Ziel der Information der Bevölkerung. Ob auch ein Bildungsauftrag oder gar ein Erziehungsauftrag dazugehört, ist umstritten und liegt in der Deutung des Betrachters.

Unbekannt war mir bislang, dass die Anstalten selbst von einem moralischen Auftrag ausgehen. Der Framing-Leitfaden reitet auf dem Moral-Ansatz und empfiehlt, alles moralisch zu argumentieren, weil dies bei den Menschen besser hängen bliebe. Dieser simple Trick ist aber nicht das entscheidende. Der Leitfaden lässt erkennen, dass die ARD-Mitarbeiter selbst höchst moralisch motiviert sind:

„Die Arbeit der ARD ist von moralischen Prinzipien getragen. Die ARD setzt sich für bestimmte Dinge ein, weil sie von ihrer moralischen Notwendigkeit für das gesellschaftliche Miteinander überzeugt ist.“ (S. 4)

Die Journalisten der ARD setzen sich also für „bestimmte Dinge“ ein, weil sie fühlen, dass diese Dinge moralisch überlegen sind. Sie wollen gar nicht objektiv informieren. Sie wollen die Gesellschaft (aus ihrer Sicht zum Guten) verändern. Sie wollen nicht nur passiv berichten, sondern aktiv gestalten. Ich würde sagen: falschen Job gewählt. Da hätte man sich besser als Politiker, Unternehmer oder Architekt versucht.

Jedes Anliegen, für das sich die ARD stark macht, ist ein moralisch strittiges Anliegen.“ (S. 8)

Die moralische Überlegenheit der Mitarbeiter hat zudem eine, für mich äußerst beunruhigende Richtung. Sie ist getragen von den überzogenen sozialistisch-kommunistischen Idealen, die zu den Unrechtsregimen der DDR, des Stalinismus und des Maoismus geführt haben:

„Wir glauben nicht an eine Hierarchie unter Menschen, für uns sind alle Mitbürger gleich viel wert (daher kommen wir dem Auftrag nach, jeden zu schützen und zu befähigen).“

Alle sind gleich. Daher haben wir den Auftrag, jeden zu schützen. Der Auftrag wird gar nicht in der Information gesehen. Das hat mit Rundfunk nichts zu tun. War der Schutz aller nicht die exklusive Aufgabe von Polizei, Feuerwehr, Krankenhäusern und Sozialsystemen? Kann sich eine staatliche Anstalt ihren Auftrag heute selbst aussuchen?

Der Auftrag der ARD basiert nach diesem Leitfaden auf der verklärten marxistischen Idee. Das Ziel ist der Schutz aller. Der Rundfunk nur das Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Aber wovor genau müssen alle geschützt werden? Vor sich selbst! Denn die Menschen wissen nicht, was gut für sie ist. Sie müssen es von der ARD gesagt bekommen.

Diese übertriebene, abgehobene Moralvorstellung führt unweigerlich zum Animal-Farm-Effekt: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“.

Oder um es mit dem Leitfaden zu sagen: „Die ARD ist die Gesellschaft: Wir sind Ihr“ (S. 27)

Die ARD hat Angst und wähnt sich im Krieg

Angesichts der selbstsicher dreinschauenden Vorleser der Nachrichtensendungen und der arrogant, überheblichen Talkshow-Moderations-Tussis mag man nicht glauben, dass die ARD überhaupt irgendwelche Zweifel an ihrer Existenz wahrnimmt. Doch der Leitfaden stellt fest: Es gibt einen „Streit um die ARD“ (S. 10).

„Eine ganze Batterie von abwertenden Schlagwörtern wurde über die Zeit von unterschiedlichen Nicht­ Befürwortern der ARD auf das öffentliche sprachliche Tablett gehoben.“ (S. 16)

Die ARD-Angestellten sind verzweifelt. Sie können vor Sorge nicht mehr schlafen, dass der Laden schon morgen dicht gemacht wird. Acht Milliarden Euro im Jahr können einfach nicht beruhigen. Es gibt zwar keine Kritiker, aber einfach zu viele Gegner (das Wort Gegner zählte ich 22 mal, Kritik kommt nicht vor)

„Der Grund, dass sich die ARD für das jeweilige Anliegen einsetzt, während ihre Gegner — ob etwa in Form politischer Kräfte oder Kommerzmedien — sich gegen das Anliegen stark machen, liegt darin, dass beide ‚Lager’ ein und dieselbe Faktenlage unterschiedlich bewerten.“ (S. 8)

In ihrem Fanatismus sieht sich die ARD in einer dualistischen Welt gefangen: das Gute ist sie — da draußen, um sie herum, sind die Gegner. Es herrscht ein Krieg der Gesellschaft um die moralische Deutungshoheit und die sittlich, ethisch richtige Ausrichtung der gesamten Bevölkerung. Mit wehenden Fahnen trotzt die ARD dem Widerstand derjenigen, die sich von ihr nicht belehren lassen. Und sie greift zur mächtigsten Waffe:

„Sprache ist das wirkvollste Instrument für die Mobilisierung von Mitbür­gern.“ (S. 10)

„Die Rundfunkbeteiligung ist gelebte Eigenverantwortung für die deutsche Kultur, Wirtschaft und Demokratie als Grundlage unseres individuellen Wohlergehens.“ (S. 35)

Die ARD wird nicht ruhen, bis auch der Letzte zum guten, moralischen Deutschtum konvertiert, gleichgeschaltet oder eben ruhig gestellt ist. Es ist ein Kampf. Es ist: Ihr Kampf.

Die Ökonomie des Klassenkampfs

Die ARD informiert nicht nur einfach, sie moralisiert. Sie kämpft für unser Land. Aber das ist nicht alles:

„Und wo es Ihnen um die volkswirtschaftlichen Beitrag der Bürger durch ihren gemein­ samen Rundfunk ARD geht, da sagen Sie nicht: „Die ARD ist keine Blackbox“ — sondern heben die Fürsorge hervor, die wir Bürger durch unseren Rundfunk ARD auch für unser volkswirtschaftliches Wohlergehen tragen.“ (S. 17)

Die ARD sieht sich als Garant des Wohlergehens aller, Garant der Volkswirtschaft. Was EZB und Wirtschaftsministerium nicht schaffen: da hilft die ARD gerne aus.

Wie sieht dieses Wohlergehen aus? Natürlich als Gegenentwurf zur unseligen

„Profitwirtschaft, die ihrer Natur nach zumindest primär keine besondere emotionale Bindung zum Menschen hat, sondern ihn als Kunden und damit als Mittel zum finanziellen Zweck sieht“ (S. 29)

Diese Profitwirtschaft hat nämlich auch einen Auftrag. Von bösen Mächten:

„Private Sender und Medienkonzerne sind profitwirtschaftliche Sender, deren legitimes moralisches Anliegen die hohe Gewinnmarge ist — durch das Einsparen von Kosten und Ausreizen von Preisen. Ihr Auftrag ist das Generieren von Profit an Menschen als Kunden im Rahmen des Legalen. Das Profitprinzip bemisst die Relevanz der Bürger daran, wieviel man an ihnen verdienen kann (auch durch profitablen Zugriff auf ihre Köpfe durch Werbung oder die Vermischung von Werbung und redaktioneller Arbeit). Damit haben Kommerzmedien, profitorientierte Medien oder Profitsender einen Auftrag, welcher der moralischen Prämisse des gemeinschaftlichen Rundfunks ARD entgegensteht.“
(S. 29)

„Anders als die ARD sind sie eben nicht einem moralischen Auftrag zum Schutze und zur Befähigung aller Bürger verpflichtet.“ (S. 31)

Der Kapitalist ist der Egel der Gesellschaft. Er saugt — am Rande der Legalität und Legitimität — den Köpfen der Menschen das Blut aus, um Profit zu generieren. Der Auftrag der ARD ist es, uns alle vor diesen Kapitalisten zu schützen!

„Unser Eigeninteresse an der gemeinsamen Rundfunkinfrastruktur ARD ist umfassender. Denn sie ist die Grundlage unseres privaten und wirtschaftlichen Wohlergehens. Und zwar sowohl dann, wenn wir selbst vom freien Zugang zum gemeinsamen Programm Gebrauch machen, als auch dann, wenn wir das nicht tun und stattdessen ‚nur’ von der sozialen, demokratischen und wirtschaftlichen Stabilität profitieren, die die ARD sichert. (S. 35)

Unser täglich mediales Wohlergehen gib uns heute

Der Leitfaden ist mehr als eine Sprechanweisung. Der Text verbindet die Moralvorstellungen mit konkreten Handlungsanweisungen, wie die gute ARD ihre „Gegner“ besiegen kann. Er ist Zeugnis eines religiös-fanatischen Kultes innerhalb der ARD. Wüsste ich nicht, wofür das Akronym ARD steht, würde ich nach der Lektüre des Leitfaden denken, es handele sich um eine Sekte à la Scientology.

Die ARD geht ernsthaft (ich erinnere: das Werk ist in Workshops entstanden, gelesen, abgenommen und bezahlt worden) davon aus, dass es unmoralisch wäre, wenn Bürger sie auch nur einen Tag nicht empfangen könnten:

PSALM 9.3:

„Und wieso (anhaltende) Exklusion marginalisierter Mitbürger unmoralisch ist,

ebenso wie die Vernachlässigung von Mitbürgern durch die Gesellschaft,

wenn es darum geht, ihr grundlegendes, tägliches mediales Wohlergehen zu sichern –

indem sie Zugang haben zu guter Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung.“ (S. 9)

Amen.

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