Otto verabschiedet sich mit Content Marketing vom Katalog

Klaus Eck
7 min readNov 26, 2018

Zum letzten Mal erscheint der Otto-Katalog am 4. Dezember 2018 in seiner Printform. Damit stellt der Hamburger Versandhändler nun nach Quelle und Neckermann seinen Katalog ebenfalls ein. Er war längst nicht mehr zeitgemäß und verursachte hohe Kosten. Dennoch machten viele Medien den Abschied vom Katalog zu einem großen Thema. Den Druck der allerletzten Ausgabe und die damit verbundene mediale Aufmerksamkeit nutzte Otto geschickt für das eigene Content Marketing. Ich habe eine Umfrage unter einigen Content-Experten durchgeführt, um die Bedeutung dieser Aktion einzuordnen.

Otto ist längst ein Online-Händler und kein Katalogversandhändler mehr

Das Ende des gedruckten Katalogs war nur konsequent, schließlich macht das Hamburger Unternehmen heute 95 Prozent seines Umsatzes ohnehin online. Davon kommt fast die Hälfte über Smartphones und Tablets. Somit lag es nahe, auf dem Katalog-Titel deutlich auf die Otto App zu verweisen.

Für Ottos Pressesprecher Nick Marten steht das aktuelle Katalogcover symbolisch für den Wandel von Otto: “Heute sind wir durch und durch ein Onlinehändler. Mehr noch: 70 Prozent der Visits auf http://otto.de kommen über Smartphones und Tablets. Die mobilen Endgeräte sind also die Symbole der neuen Shoppingwelt und haben sukzessive die alten Vertriebskanäle verdrängt oder mindestens verändert. Der Katalog sendet damit die klare Botschaft: Otto ist längst in der digitalen Welt ankommen.”

Dennoch gibt es die letzte Ausgabe noch in einer Millionen Auflage. Die Zukunft des Versandhauskatalogs ist auf dem Titel klar erkennbar: Dort sehen wir ein Model, welches uns durch ein Smartphone-Display anzuschauen scheint. Darunter eine Sprechblase, in der es verheißungsvoll heißt: „Ich bin dann mal App!“

Content Marketing oder Werbung?

Ist das nun Content Marketing oder eher Werbung, habe ich mich gefragt, als ich das Bild zum ersten Mal gesehen habe. Darüber lässt sich durchaus streiten. So ist Heinz Wittenbrink, der Leiter des Content Strategy Studiengangs in Graz der Ansicht, dass der Produktbezug zu groß ist: “Für mich ist der Titel kein Content-Marketing, weil es hier nicht um einen unabhängig vom Produkt oder der Marke relevanten Content geht. Sonst wäre jeder Marketing-Content schon Content-Marketing.”

Ganz anderer Meinung ist jedoch Nick Marten von Otto: “Content Marketing steht per Definition für Inhalte mit Mehrwert. Der Hinweis auf unsere Otto App hat definitiv Mehrwert, schließlich lädt sie auch die letzten Printfans in unsere selbstgemachte, digitale Einkaufswelt ein. Gleichzeitig steht das Cover für unsere einmalige Transformationsgeschichte und neben den zahlreichen nostalgischen Rückblicken, wird diese Geschichte über Otto zum Glück auch erzählt.”

Otto verweist mit dem Titelblatt in der Tat auf seine Markenhistorie und deren Weiterentwicklung in die heutige Zeit und verbindet es mit einem Call to Action, der für Kontinuität in der Kundenbeziehung sorgen könnte und neue Kunden gewinnen soll. Zudem erinnert mich die Aufforderung, eine App herunterzuladen gleichzeitig an den selbstironischen Satz “Ich bin dann mal weg!” und das Buch des TV-Entertainers Hape Kerkeling, der sich im Fernsehen rar gemacht hat.

Der Hype um den Katalog wird von Otto gezielt eingesetzt

Die unmittelbare Aufforderung zum App-Download ist eine gute Idee gewesen, weil auf diese Weise der Hype um den Abschied von Print sehr gut genutzt wird, um auf die neuen Bestell- und Informationsmöglichkeiten zu verweisen. Das Titelblatt ist in zahlreichen Publikationen direkt übernommen worden, sodass es als Content Marketing für Otto auch in seiner kurartierten Form wirken kann. Somit kommt die Markenbotschaft an und vervielfältigt sich auf feinste Weise.

Das ist Agenda Setting und selbstproduziertes Newsjacking der Dritten Art. Denn Zeitschriften wie Katalogtitel, die es schaffen, eine solche mediale Wirkung zu entfalten, sind eher selten. Dieses ist Otto sehr gut gelungen. Durch die umfangreiche Berichterstattung über das Ende des berühmten Otto-Katalogs gelangt die App-Botschaft über die Bebilderung zahlreicher Medienberichte in die breite Öffentlichkeit.

Auf dem ersten Blick ist das vielleicht nicht als Content Marketing erkennbar. Doch was macht das Content Marketing letztlich aus? Es ist immer auch eine Marketingmaßnahme, die einen Inhalt dazu nutzt, eine Handlung auszulösen. In diesem Falle ist es eher eine Information als Direktmarketing, die für den crossmedialen Wechsel zur App wirbt.

Eine solche Maßnahme lohnt sich für Otto. Denn es ist nicht leicht, inmitten der zahlosen Apps wahrgenommen und sogar heruntergeladen zu werden. Zudem zahlt es auf die Reputation des Technologieunternehmens ein, welches noch immer von vielen Bundesbürgern nur als Kataloganbieter wahrgenommen wird. Der letzte Titel verschafft der Otto App viel Aufmerksamkeit und sorgt sicherlich auch für einige Downloads.

Diese Ansicht teilt auch Doris Eichmeier, Content Strategin und meine Mitbuchautorin bei “Content Revolution im Unternehmen”. Sie ist sich sicher: “Es ist sogar eine sehr ambitionierte und kluge Art des Content Marketings: Es wird versucht, sich von einem zentralen Content-Kontaktpunkt zu verabschieden, ohne dass das gesamte Content-Konstrukt (Sonnensystem) Schaden nimmt. Der Katalogtitel will die Customer Journey fortführen, möglichst nahtlos. Das Schlimmste wäre ja, den Katalog einfach aus. diesem System zu reissen und seine Konsumenten somit in einer neu entstandenen Sackgasse stehen zu lassen. Otto hat begriffen, das praktikable Alternativen zum Katalog angeboten werden müssen und nutzt dazu die beste Plattform: den Katalogtitel. Why not? Das finde ich intelligent und naheliegend. Dazu wurden offensichtlich contentstrategische Überlegungen angestellt. Das ist keine Werbung, sondern Dienst am Kunden.“

Auch der Content Marketing Berater Karsten Lohnmeyer glaubt, dass man den letzten Katalog sehr wohl als Content Marketing bezeichnen kann: “Wie Otto das seit Monaten kommunikativ ausbreitet und für sich nutzt, verdient höchste Anerkennung. Das sieht nach einer richtig guten Kommunikationsstrategie aus, die die Emotionalität, die die Einstellung des Otto Katalogs mit sich bringt, aufnimmt und die eigentlich negative Nachricht ins Positive kehrt. Und das hat sich über Monate aufgebaut: Zuerst die reine News, dass der Katalog eingestellt wird, die alle (Branchen-)Medien aufgenommen haben. Dass dann jetzt fortzuerzählen bis jetzt z.B. mit der Videostory auf http://Bild.de — „hier wird der letzte Otto Katalog gedruckt“ und mit Berichten in fast allen großen Medien ist wunderbar — und natürlich ist es das Sahnehäubchen, den Otto Katalog als finale Edition mit einem klaren Call to Action zu verschicken. Ist das nur gute PR oder schon Content Marketing? Ich denke beides, denn die Grenzen zwischen beiden Disziplinen sind ja fließend. Jedenfalls hat Otto hier alles richtig gemacht, der reine Mediawert dessen dürfte fast unbezahlbar sein. Ich frage mich wirklich, wieviele Menschen, die schon seit Jahren nichts mehr bei Otto bestellt haben, jetzt darauf aufmerksam wurden, dass man ja nicht immer Amazon nutzen muss.”

Etwas kritischer sieht Falk Hedemann, Consultant für digitale Kommunikation, den finalen Otto Katalog: “Das Cover des letzten Otto-Katalogs finde ich interessant, denn es zeigt nicht etwa eine erwartbare Retrospektive, sondern weist in die Zukunft, die längst schon Gegenwart ist. Die Otto App ist der neue Katalog, so die Botschaft. Klingt erstmal nach einer cleveren Marketing-Idee, doch wenn man Content-Marketing-Maßstäbe ansetzt, bleiben Fragen:

  • Wer ist denn die Zielgruppe, wenn 95 Prozent der Kunden nach Angaben von Otto bereits Digitalbesteller sind?
  • Wie empfinden die Katalogempfänger den erzwungenen Wechsel des Vertriebskanals?
  • Welche anderen Marketingkanäle werden den Katalog als Marketinginstrument ersetzen?
  • Sind digitale Vertriebskanäle nicht längst Standard, wodurch „Ich bin dann mal App!“ schon überholt wäre?
  • Passt das Sprachbild zum Kundenstamm von Otto?

Ein Katalog mit über 1.000 Seiten ist sicher nicht mehr zeitgemäß, aber wenn man ihn schon so viel länger weiterführt — Neckermann und Quelle beendeten ihre Katalog-Ära bereits 2009 und 2012 — wäre aus meiner Sicht eine sinnvolle Verbindung aus Print und Digital ein Experiment wert gewesen. So frage ich mich eher, ob die letzte Ausgabe wirklich noch sein musste.”

Aufmerksamkeit durch den Katalog-Buzz zum Abschied

Die gute Idee, auf einer etablierten Plattform auf einen weiteren Kanal zu verweisen und es sogar als Abschiedsmarketing auf dem Titel des Katalogs zu bringen, das ist kreativ und ein gutes Beispiel für Lean Content Marketing. Viele Marken nutzen bislang ihre Potentiale nicht, um ihre verschiedenen Content-Marketing-Aktivitäten zusammenzuführen.

Statt jede Kampagne für sich allein stehen zu lassen, würde es sich lohnen, im Rahmen einer integrierten Content Strategie jeweils aufeinander zu verweisen: Content Curation in eigener Sache findet viel zu selten statt. Deshalb gefällt mir Ottos Katalog-Aktion sehr gut. Sie zeigt eine neue Facette des Content Marketings auf, die viel zu selten genutzt wird.

P.S.: Wenn euch dieser Medium-Artikel gefällt, freue mich sehr darüber, wenn ihr mir viele Claps auf Medium gebt, kommentiert und den Beitrag anderen zur Lektüre empfehlt. Dieses ist der vierte Beitrag meiner wöchentlichen Medium-Reihe.

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Klaus Eck

Gründer und Geschäftsführer der Content-Marketing Agentur @dtales #contentstrategie #contentmarketing