Hört uns zu!
Von Corona lernen und die richtigen Antworten für eine Arbeitswelt auf Augenhöhe finden. Lena Marie Glaser ist ausgebildete Juristin und Gründerin von Basically Innovative
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Viel wird seit Corona über die Auswirkungen auf unsere Arbeitswelt berichtet. Über Nacht kam es zu großen Veränderungen für uns alle. Die Krise machte klar, wo die Schwachstellen liegen: Zwischen Überforderung und Langeweile zeigte sich, wer gut vorbereitet war und wer alleine gelassen wurde. Gleichzeitig entstand ein Riesenpotenzial: Es ist Zeit für Reflexion. Zurück in die alten Muster? Nein, danke.
Lange davor veränderten die digitalen Technologien, wie wir arbeiten. Dieser Wandel der Arbeitswelt wurde bisher allerdings eher nur nebenbei und schleichend wahrgenommen. So ermöglicht uns die Technologie schon länger von zu Hause, vom Strand oder im Co-Working Space zu arbeiten. Rund um die Uhr, ohne im Büro zu sitzen.
Jetzt ist alles anders, viele mussten im Home-office arbeiten. Sie erlebten es ganz individuell und beginnen nachzudenken, wie, wo und wann sie eigentlich arbeiten wollen. Neue Regeln sind nun zu verhandeln, eine andere Art zusammenzuarbeiten wurde in wenigen Wochen notwendig und erlernt.
„We can’t go back to normal“ übertitelte die britische Tageszeitung The Guardian einen Artikel zur Covid-19-Krise und gibt die neue Richtung vor. Unsere heutige Arbeitswelt ist geprägt von Kontrolle, Angst und fehlenden Mitgestaltungsmöglichkeiten. Also Rahmenbedingungen, die es Menschen in Organisationen schwer machen, mit unerwarteten, komplexen Herausforderungen gut umzugehen. Das muss sich ändern.
Dafür braucht es nun ein Umdenken in den Köpfen von EntscheidungsträgerInnen und jedem und jeder einzelnen von uns; verkrustete Muster sind aufzubrechen, neue Strukturen und eine Kultur zu schaffen, in denen die Menschen gefragt und gehört werden. Die skandinavische Arbeitsweise kann hier Inspirationsquelle sein.
Im Jänner 2020 vor Corona war ich einige Wochen in Kopenhagen und habe mir angeschaut, wie in Unternehmen und Co-working spaces gearbeitet wird. Die Rolle der Führungskraft dort ist es, den Rahmen zu schaffen, damit die MitarbeiterInnen autonom ihre Aufgabenstellungen erledigen und eigene Ideen umsetzen können. Grundlegend dafür ist eine Vertrauenskultur, die nicht von Kontrolle und Einschüchterung geprägt ist.
Eine junge Österreicherin, die in Kopenhagen für ein dänisches Start-up arbeitet, beschreibt es so:
In Dänemark wird nicht kontrolliert, sondern Vertrauen geschenkt. Es gibt eine Offenheit für Neues. Die Menschen haben keine Angst Fehler zu machen, denn sie werden allgemein als Chance für die Weiterentwicklung gesehen.
Ihr Vorgesetzter erklärte sein Selbstverständnis als Führungskraft so:
In mein Team nehme ich nur Menschen auf, die in ihrem Feld besser sind als ich und ermögliche ihnen dann so gut wie möglich zu arbeiten. Das ist meine Rolle als Chef.
Dazu kommt, dass bereits vor Corona viele jungen Menschen anders arbeiten wollten. Die Autorin und Wirtschaftsredakteurin Kersten Bund umschreibt die Bedürfnisse der Generation Y in ihrem Buchtitel so: “ Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen”. Das ganze Berufsleben für ein böses Unternehmen schuften? Nein danke! Lieber wählen wir unsere Arbeitgeber danach aus, welche Rahmenbedingungen und Möglichkeiten sie uns bieten. Kersten Bund dazu:
Wir sind nicht faul! Wir wollen arbeiten. Nur eben anders. Nachhaltiger. Im Einklang mit unseren Bedürfnissen.
Gerade reflektierte junge Frauen wie ich formulieren ihre Bedürfnisse und Anforderungen an Arbeitgeber sehr konkret. Mit Basically Innovative habe ich 2017 eine Plattform dafür geschaffen. Seither beobachte und analysiere ich für mein Projekt “Wie wir arbeiten wollen. Millennials und die neue Arbeitswelt. Die Basically Innovative Forschungsreisen 2017–2020” genau, wie wir arbeiten wollen und was das für Organisationen bedeutet. Ich besuchte Veranstaltungen, Unternehmen, Co-working spaces und unterwegs sprach ich mit ganz unterschiedlichen Menschen. Von Wien über New York nach Kopenhagen.
Ich spreche mit mutigen AussteigerInnen und etablierten PersonalentwicklerInnen, mit engagierten Nachwuchsführungskräften, erfahrenen Angestellten und mit ArbeitssoziologInnen und SozioökonomInnen, PolitikerInnen, SchülerInnen, Studierenden, LehrerInnen und UnternehmensberaterInnen, ArchitektInnen und Künstlerinnen.
Und egal wen ich getroffen habe, auf welcher Konferenz oder in welchem Unternehmen ich war — das Thema Arbeit lässt niemanden kalt. Der eigene Job hat für viele eine große Bedeutung, es stiftet Sinn, gibt Struktur und sozialen Halt. Und doch macht er immer mehr (junge) Menschen krank.
Früher machte Arbeit körperlich krank, heute psychisch. Seit 2004 haben die Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen um nahezu 71,9 % zugenommen, so die Soziologin Prof. Dr. Heike Ohlbrecht bei der Demografietagung in Wien. Eine repräsentative Umfrage des BMASK aus 2017 zur Häufigkeit von Burnout in Österreich zeigt, dass besonders unter 30-jährige betroffen sind.
Doch wie wollen wir eigentlich arbeiten? Ganz konkret wünschen sich viele meiner GesprächspartnerInnen vor und nach Corona eine offene, wertschätzende Kommunikation mit der Führungskraft, ein gutes Teamklima, Mitgestaltungsmöglichkeiten und sinnvolle Aufgaben, Mitsprache wie, wann und wo sie arbeiten wollen, weniger Kontrolle und mehr Vertrauen, Unterstützung bei der persönlichen Weiterentwicklung.
Wir brauchen also Rahmenbedingungen, die uns nicht hindern, sondern fördern!
„Schönes Leben anstatt Reichtum.“ Das wünschten sich die SchülerInnen eines Wiener Gymnasiums im New Work Lab Dezember 2019. Sie fordern vor allem eine gute Führungskraft und wollen einen sicheren Arbeitsplatz, der ihnen eine gute Lebensqualität mit „Work-Life-Balance“ und Wohlbefinden ermöglicht.
Besonders die kritischen Nachwuchskräfte wählen hier genau aus: Bietet mir der potentielle Arbeitgeber meine gewünschten Rahmenbedingungen? Sie fragen bereits im Jobinterview nach Home-Office, Bildungskarenz, Teilzeit oder Fortbildungsmöglichkeiten und achten auf die Atmosphäre im Team. Das haben einige EntscheidungsträgerInnen bereits verstanden, die den “War for Talents” wahrnehmen, eigene Employer Branding Abteilungen institutionalisieren und Bewertungsplattformen aktiv betreuen, um schlechte Rankings ihrer (ehemaligen) MitarbeiterInnen zu vermeiden.
Im Jahr 2019 besuchte ich eine Veranstaltung der österreichischen Industrie. Dort wurde diskutiert, dass es eine andere Unternehmenskultur braucht, die in einem komplexen Umfeld, die als V.U.C.A. Welt bezeichnet wird, den richtigen Rahmen für die Menschen bietet. Der Personalexperte eines großen Technologiekonzerns bestätigte dort: Es fehlt etwas, es brauche mehr Vielfalt in Industrieunternehmen. Ihm zufolge ist es seinem Unternehmen wichtig, sich als guter Arbeitgeber für Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zu positionieren.
Eine absolute Notwendigkeit für Unternehmen, wie auch die Studie Deloitte Millennials Survey 2019 für Österreich zeigt. Unternehmen müssen Vielfalt ernst nehmen, um für Nachwuchskräfte interessant zu bleiben. Dieser weltweiten Befragung von rund 16.000 Millenials zufolge, müssen Unternehmen daher eine Unternehmenskultur entwickeln, die Diversität und Inklusion ermöglicht.
Marie, Anfang 20 und Studentin der Sozial- und Kulturanthropologie, lernte ich bei einem Kongress für soziale Unternehmen kennen. Sie sagte:
Junge Frauen denken anders. Daher sollten Unternehmen uns zuhören, um in Zukunft als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.
Doch die Realität ist leider eine andere, wie die deutsche Zeit Online schreibt:
Es geht Männern weniger darum, jungen Frauen eine Chance zu geben, sondern vielmehr um den eigenen Machterhalt. An dieser Stelle hat sich die Unternehmenskultur trotz Quotengesetz nicht ernsthaft gewandelt.
So wie Marie und mich, gibt es viele engagierte, kritische Frauen, die diese enge, verkrustete Arbeitswelt aufbrechen wollen. Sie schließen sich zusammen und wollen gemeinsam die Arbeitswelt für alle verbessern. Veranstaltungen von und für diese Community organisiert, schaffen den Rahmen dafür.
Nach Corona ist die Zeit gekommen — Politik und Wirtschaft sind gefragt, nachhaltig die richtigen Weichen zu stellen. Nur so sind wir auf die großen Transformationen der Zukunft vorbereitet. Dafür braucht es Arbeitsbedingungen, in denen die MitarbeiterInnen auf Augenhöhe gehört, eingebunden und begleitet werden. So können sich Organisationen auch als attraktive Arbeitgeber der Zukunft etablieren und Talente gewinnen, motivieren und halten.
Daher liebe EntscheidungsträgerInnen: Hört uns zu! Holt euch unsere Perspektiven und Erfahrungen. Bekommen wir dann die richtigen Rahmenbedingungen auf Augenhöhe, top-down Unterstützung und Mitgestaltungsmöglichkeiten, habt ihr das Erfolgsrezept für eure Zukunft nach Corona gefunden.
Meinen Blog, Presse-Interviews und das neue Herzensprojekt NEW WORK LOVE — Newsletter für VordenkerInnen findet ihr auf meiner Website www.basicallyinnovative.com Abonniert ihn und werdet so Teil einer wachsenden Community, die anders arbeiten will.