Agile Vorgehensweise nach Scrum

Wie kann ein Preismodell für agile Projekte mit externen Partnern aussehen?

Eine Analyse des Konzeptes der fairen Risikoverteilung zwischen dem Auftraggeber und Auftragnehmer am Beispiel des “adVANTAGE” Modells.

  • Auftragnehmer führen agile Projektmanagement-Methoden ein, um komplexen Aufträgen gerecht zu werden.
  • Die Abrechnung und Vertragsgestaltung in agilen Projekten stellt sich als problematisch heraus.
  • Das “adVANTAGE”-Modell bietet hierfür eine faire Lösung.
  • Mit dem “adVANTAGE”-Modell ist das Risiko gleichmäßig zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer verteilt.
  • Das “adVANTAGE”-Modell hat sich bei der Firma adesso AG in der Praxis unter Beweis gestellt.

Der Ist-Zustand und ein Blick in die Zukunft

Eine der größten Herausforderungen bei der Einführung der agilen Projektmanagement-Methoden in Projekten mit externen Firmen ist die Vertragsgestaltung.

Die agilen Methoden ermöglichen schnelle Entwicklungszyklen und helfen, durch das iterative Vorgehen, das Produkt zu entwickeln, das den eigentlichen Mehrwert schafft und gut am Markt ankommt. Nicht ohne Bedeutung ist auch das Versprechen eines funktionierenden Inkrements am Ende jedes Sprints, was den Projektabbruch oder eine Projektpause jederzeit ermöglicht, ohne dass es ein nicht funktionierendes System dem Auftraggeber übergeben wird. Nach jedem Sprint ist die Software in einer Form, dass sie in die Produktion (produktive Umgebung = verfügbar für die Endnutzer) gestellt werden kann.

In diesem Artikel wird genauer auf eine der größten Herausforderungen bei der Einführung von agilen Projektmanagement-Methoden in Software-Projekten eingegangen — Vertragsgestaltung und Abrechnungsmodelle in agilen Projekten.

Herausforderungen bei der Vertragsgestaltung in IT-Projekten

Klassische Projektmanagement-Methoden

In der Praxis wird mit dem Problem so umgegangen, dass die Dienstleister versuchen, den Projektaufwand für das ganze Vorhaben mit allen potenziellen Risiken einzuschätzen — oder eher zu erraten, denn bei so vielen Unbekannten lässt sich der Aufwand nicht rational einschätzen. Es werden zusätzlich Puffer-Zeiten eingeplant, um potenzielle Mehraufwände abzudecken und das Projekt gewinnbringend abzuschließen. Diese Art der Projektschätzung mangelt jedoch an Transparenz, betrachtet Änderungen der Anforderungen während des Projektes sehr kritisch und führt oft zu einer Lose-Lose-Lösung, bei der weder der Dienstleister noch der Kunde mit dem Projektergebnis zufrieden sein können. Der Festpreis stellt sich oft als zu niedrig angesetzt dar (in der initialen Pitch-Phase versucht man, die Wettbewerber mit dem besten Preis zu schlagen) und das Produkt, das anhand der initialen Spezifikation entwickelt wurde, entspricht nicht den Marktbedürfnissen.

Der beschriebene Zustand stellt somit keine Grundlage für eine erfolgreiche und langfristige Zusammenarbeit dar. Bei der Suche nach Verbesserungen in diesem Prozess wird man sich immer häufiger an den agilen Ansätzen orientieren müssen.

Agile Projektmanagement-Methoden

Aus den im obigen Absatz beschriebenen Gründen lässt sich der Fixpreis für ein agiles Projekt nicht bestimmen. Die Entwicklung von Prototypen und die vorprogrammierten Änderungen der Anforderungen führen dazu, dass viel von der geleisteten Arbeit sich nicht direkt in dem Endprodukt widerspiegelt. Der eigentliche Aufwand lässt sich dabei nicht im Voraus bestimmen. Ein Fixpreis-Vertrag würde den Auftraggeber dazu bewegen, mehrere Änderungen der Anforderungen und zusätzliche Funktionalitäten ohne zusätzlichen Kosten zu fordern und den Dienstleister dadurch benachteiligen und das komplette Projektrisiko an ihn übertragen.

Auf der anderen Seite, ein reines Time-and-Material-Modell, in dem jede Projektstunde, ungeachtet des Projektergebnisses, vergütet wird, kann den Auftraggeber benachteiligen, weil er weniger Kontrolle über das Endergebnis behält und zudem könnte dieses Modell den Dienstleister zur langsamerer und weniger sorgfältiger Arbeit ermutigen, weil er von Projektverzögerungen profitiert (verbucht mehr Stunden). In dem Fall liegt das gesamte Projektrisiko bei dem Auftraggeber.

Tabelle 1 — Merkmale verschiedener Projektmanagment-Methoden

Keine von den beiden Situationen ist gleichzeitig für die beiden Parteien zufrieden stellend. Es wird daher ein Vertragsmodell angestrebt, welches das Risiko gleichmäßig verteilt sowie einen Kostenmanagementmechanismus für den Auftraggeber bereitstellt. In einer Studie wurde das Modell namens adVANTAGE vorgestellt, das genau diesen Ansprüchen entspricht und sich in der Praxis bei Firmen wie der adesso AG bewiesen hat. [1] In der Tabelle 1 wurden die wichtigsten Merkmale des Fixpreis-Modells, des Time-and-Material-Modells (T&M) sowie des adVANTAGE-Modells gegenübergestellt.

Das adVANTAGE-Vetragsmodell

Schritt 0: Initiale Anforderungsaufnahme und Budgetschätzung.

Der Dienstleister schätzt den Aufwand für die Umsetzung jeder User Story ein. Aufgrund der groben Natur der User Story ist die Einschätzung durch eine gewisse Unsicherheit geprägt. Diese Unsicherheit ist aber nicht höher als bei der Einschätzung auf Basis eines Lastenheftes oder einer im voraus geschriebenen Spezifikation. Von Vorteil ist es hierbei zusätzlich, dass diese Unsicherheiten auf jede kleine Story verteilt und nicht auf das ganze Projekt bezogen werden. Im Unterschied zu dem Fixpreis-Modell stellt diese Einschätzung nicht die Grundlage für die Abrechnung dar, sondern ist es eine rein informative Kennzahl für die weiteren Phasen.

„User Stories (…) — individuelle, testbare Einheiten, die man auf der Business-Ebene mit einfachen Worten beschreiben kann.”

Schritt 1: Priorisierung der User Stories und Definieren von Sprints.

Nach der Priorisierung findet am Anfang jedes Sprints die Auswahl der Stories für den anstehenden Sprint statt. Es werden die Stories mit der höchsten Priorität in der Menge, die im Laufe des Sprints objektiv umsetzbar ist, ausgewählt. Die Auswahl der Stories soll es ermöglichen, am Ende des Sprints ein funktionierendes System auszuliefern. (Ggf. nicht mit allen Funktionalitäten, d.h., wenn man als Beispiel ein Kundenmanagement-System nimmt, wäre Ziel des ersten Sprints, dass der Nutzer sich auf der Plattform anmelden kann. Im zweiten Sprint könnte er sich zusätzlich registrieren. Im dritten hätte man drei Nutzer-Typen etc..)

“Es werden die Stories mit der höchsten Priorität in der Menge, die im Laufe des Sprints objektiv umsetzbar ist, ausgewählt.”

Schritt 2: Sprint Umsetzung.

Die Reihenfolge sowie die Menge der Stories innerhalb des Sprints ist nicht veränderbar.

Schritt 3: Sprint-Inspektion und Abrechnung.

Unterbezahlter Sprint. Wie in der Tabelle 2 abgebildet, werden die Kosten für den Sprint als die Summe aller Sprint-Aktivitäten gesehen. Es gibt Positionen wie Scrum Master-Aufwand oder Anforderungsanalyse-Meetings, die nicht einer konkreten Story zuzuordnen sind (hier z.B. 22.000 EUR). Bei den User Stories ist der initial geschätzte Aufwand sowie der tatsächliche Aufwand zu sehen (z.B. 80 Manntage — jeweils 1.000 EUR pro Tag — s.u.). In der folgenden Tabelle ist zu sehen, dass, wenn das Team weniger Zeit gebraucht hat, als zuvor geschätzt wurde, dann wird nur der tatsächlich benötigte Aufwand in Rechnung gestellt.

Tabelle 2 — Unterbezahlter Sprint

Überbezahlter Sprint. Auf der anderen Seite, wenn der tatsächliche Aufwand höher als geschätzt war, wird der zusätzliche Aufwand auch in Rechnung gestellt, jedoch zu einem deutlich niedrigeren Preis. In der Tabelle 3 ist ein Beispiel zu sehen, in dem die Mehraufwände zu 60 % des normalen Tagessatzes gebucht werden. Auf diese Art und Weise stellt adVANTAGE eine faire Verteilung des Risikos zwischen den beiden involvierten Parteien sicher. Der Auftraggeber bezahlt nur für die fertiggestellten Funktionalitäten und der Dienstleister wird bezahlt, auch wenn seine initialen Schätzungen zu niedrig angesetzt wurden.

Tabelle 3 — Überbezahlter Sprint

Nicht fertige/nicht akzeptierte Stories. Es kann auch dazu kommen, dass manche Stories während des Sprints nicht fertig geworden sind oder vom Auftraggeber nicht abgenommen wurden. In beiden Fällen obliegt es dem Auftraggeber zu entscheiden, ob die Stories in den nächsten Sprint aufgenommen werden oder ob sie abgebrochen und vom Backlog entfernt werden (alternativ auf „on hold“ gesetzt werden).

Wie es in der Tabelle 4 zu sehen ist, wird der geschätzte und tatsächliche Aufwand, sowie die Kosten der Story in den nächsten Sprint übertragen und taucht somit auf der Rechnung des aktuellen Sprints nicht auf. Die Story wird dann mit dem gesamten kumulierten Aufwand in der Rechnung des nächsten Sprints auftauchen. Wenn der Auftraggeber sich entscheidet, eine Story abzubrechen und sie vom Backlog zu entfernen, wird die bisher geleistete Arbeit an dieser Story nach üblichen Regeln trotzdem abgerechnet. Die Regel macht Sinn, denn sie stellt für den Dienstleister sicher, dass seine Arbeit immer bezahlt wird und hilft dem Auftraggeber, sich selbst zu disziplinieren, keine unwichtigen Stories in das Backlog aufzunehmen.

Tabelle 4 — Teilweise bezahlter Sprint

Schritt 4: Iteration oder Abbruch.

Alternativ kann der Auftraggeber das Projekt nach jedem Sprint abbrechen, wenn er das Gefühl hat, dass das Projekt alle notwendige Funktionalitäten erreicht hat und/oder das Budgetlimit bereits erreicht wurde. Da jeder Sprint in einem funktionierenden Zustand resultiert, ist es für den Auftraggeber eine risikolose Exit-Strategie.

Nach jedem Sprint hat der Auftraggeber die Möglichkeit eine neue Iteration zu starten oder das Projekt zu beenden.

Praxisbeispiele und Schlussfolgerungen

Aufgrund der Komplexität des Systems waren sich der Auftraggeber und der Dienstleister einig, dass eine verlässliche Preiseinschätzung im Voraus unmöglich wäre. Durch die Implementierung des adVANTAGE-Modells waren die Parteien aber in der Lage, das Projekt in kleine individuelle User Stories zu teilen. Damit konnte man sehr schnell mit der Arbeit beginnen und überschaubare Einheiten in Rechnung stellen, was dem Auftraggeber einfaches Kostenmanagement ermöglicht hat. Die Zusammenarbeit war mehr produkt- und fortschrittorientiert und die einzelnen User Stories konnten mit einer hohen Qualität umgesetzt werden. Die Zeiterfassung für die Abrechnung wurde von jedem einzelnen Teammitglied für sich selbst gemacht, so dass der Aufwand an Formalitäten nicht höher war als bei klassischen Projekten. Den Erfahrungsberichten der beiden Parteien zufolge, konnte man keinen negativen Einfluss dieser Methode auf die Produktivität feststellen und man hat eine hohe Transparenz geschaffen.

Zum Abschluss muss man noch sagen, dass dieses Vertragsmodell grundsätzliches gegenseitiges Vertrauen sowie das Verständnis für die Risiken eines agilen Verfahrens verlangt, damit es effizient funktionieren kann. Die Autoren der Studie sind aber zuversichtlich, dass die Prinzipien der Risikoverteilung sowie fairen Stundenabrechnung auch in vielen anderen Projekten erfolgreich adaptiert werden können.

Referenzen.

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Founder, alphta.consulting

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