Die Dezentrale Autonome Organisation (DAO) — Phänomen oder Idee zu einer neuen Unternehmensform?

Markus Büch
11 min readOct 9, 2020

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Im Frühjahr 2016 wurde eine auf der Blockchain-Technologie angelegte Dezentrale Autonome Organisation namens „The DAO“ auf der Ethereum-Blockchain initiiert. Dieser rein digitalen Organisationsstruktur stellte eine Vielzahl von Personen auf digitalem Wege ein Kapital in Höhe von über 150 Mio. $ zur Verfügung. Aus dem so entstandenen Fonds sollten mittels Mehrheitsentscheid der Kapitalgeber ausgewählte Projekte finanziert werden. Kurz nach dem Start führte eine Schwachstelle der Programmierung zum Ende und Rückabwicklung dieses Organisationsgebildes. Unabhängig von diesen Geschehnissen bietet das rein auf der Distributed-Ledger-Technologie basierende Konzept sogenannter Dezentraler Autonomer Organisationen eine neuartige organisationsbasierte Finanzierungsform. Fraglich ist, welches Innovationspotential darin steckt.

I. Einleitung

Die Blockchain-Technologie polarisiert. Zum einen wird in ihr eine die Welt verändernde Technologie erblickt und zum anderen sie als gut vermarktetes Schlangenöl angesehen, das außerhalb der Urform virtueller Zahlungsmittel namens Bitcoin keinen Nutzen verspricht. Für ein endgültiges Urteil ist es freilich zu früh. Die Entwicklung dieser Infrastrukturtechnologie steht am Anfang und muss sich technisch wie auch ökonomisch erst bewähren.

Zu konstatieren ist jedoch, dass wohl keine andere Technologie so in den nichttechnischen Bereich hineinstrahlt wie die der Distributed-Ledger-Systeme. Mit der Idee, mittels einer dezentral organisierten Datenbank und “Code” eine Art technisches Vertrauen hervorzurufen, um die in der Wirtschaftswelt sowie insbesondere im Finanzsektor vorherrschenden Intermediärstrukturen zu substituieren, gehen gesellschaftliche und ökonomische Überlegungen einher, die teilweise philosophische Züge ausweisen und nichts geringeres als Paradigmenwechsel[1] einfordern. Kurz: Wer sich beispielsweise mit dem Archetypus der Kryptowährungen „Bitcoin“ auseinandersetzt, muss sich fast zwangsläufig über das Wesen des Geldes Gedanken machen. Andernfalls lässt sich die Tragweite dieser Invention nicht vollends begreifen.

Ganz unabhängig vom technologischen Reifegrad sind in den letzten Jahren dem Blockchain-Universum eine Vielzahl von Anwendungen und Überlegungen entsprungen, die mehr als nur technische Aspekte zum Inhalt haben. Nicht nur das mit Hilfe jener Technologie neue Zahlungsmittel neben (oder gar statt) der gesetzlichen erschaffen werden. Daneben werden mit dem Konzept der Smart Contracts automatisierte Transaktionsprozesse revitalisiert, die den vertraglichen Leistungsaustausch neu konturieren und letztlich dem Vertragsmanagement gänzlich neue Möglichkeiten bieten. Zudem erblickten mit den sogenannten „Initial Coin Offerings“ (ICO) und „Security Token Offerings“ (STO) alternative Instrumente für die Startup- und Unternehmensfinanzierung das Licht der Finanzwelt. Schließlich hat das Denkmodell des „digitalen Zwillings“ eine Virtualisierung realer Wirtschafts- und Vermögensgüter angestoßen und damit neben dem “Internet der Dinge” ein „Internet der digitalen Originale und Werte“ ausgerufen.

Auch das im Folgenden in den Fokus genommene Phänomen der „Decentralized Autonomous Organization“ bzw. der Dezentralen Autonomen Organisation (DAO) ist ein Beispiel dafür, welche Anwendungsvielfalt die Distributed-Ledger- bzw. Blockchain-Technologie jenseits von virtuellen Zahlungsmitteln bietet. Zu Ende gedacht, ermöglicht die Technologie der verteilten Datenbank zumindest auf digitaler Ebene das Erschaffen eigentümerloser Plattformstrukturen oder demokratisch fundierter Unternehmenskooperationen. Damit geht eine Neuausrichtung der von tradierten Organisationskonzepten geprägten Unternehmenswelt einher. Da die Idee der Dezentralen Organisationen auch technologieneutral umgesetzt werden kann, wird im Folgenden die blockchain-basierte Dezentrale Autonome Organisation in den Fokus gestellt.

II. Das Phänomen „The DAO“

Der Anwendungsbereich Dezentraler Autonomer Organisationen ist mittlerweile sehr vielfältig. So reichen die Zwecke von dem Organisieren einer Open-Source-Zusammenarbeit, der Steuerung einer dezentralen Applikation (DApp) oder dem kollaborativen Management von virtuellen wie auch realen Vermögenswerten über Dezentrale Anlageinstrumente bis hin zur Finanzierung unternehmerischer oder sozialer Projekte. Gleichwohl ist die Finanzierungsfunktion eines ihrer originären Kernelemente. Letzteren Zweck hatte das bislang prominenteste Projekt, welches das DAO-Konzept in die Realität umsetzte. Es wurde im Frühjahr 2016 initiiert und trug selbstbewusst den Namen „The DAO“. Anzumerken ist, dass es sich — soweit ersichtlich — nicht um die allererste Dezentrale Autonome Organisation des Blockchain-Raumes handelte. Vor allem das Dash-Netzwerk (dash.org) wurde im Nachhinein und vielleicht auch als Reaktion auf den weltweiten Bekanntheitsgrad von “The DAO” unter Hinweis auf ihre dezentralisierte Steuerung („decentralized Governance by Blockchain“) als die „original DAO“ bezeichnet.[2] Nichtsdestotrotz bestehen zwischen beiden spezifische Unterschiede, da „The DAO“ auf einem Blockchain-Netzwerk aufbaute, während „Dash“ ein eigenes Blockchain-Netzwerksystem darstellt. Doch soll dies hier nicht weiter vertieft werden.

1. Entstehungsprozess

Das Projekt „The DAO“ begann im Jahr 2015 zunächst als reine Idee von Ethereum-Entwicklern. Mit einer Art von theoretischem Zwischenschritt wurde schließlich im März 2016 eine Blaupause der erachten Struktur veröffentlicht[3], die neben einer ausführlichen Erläuterung des Hintergrundes und der grundlegenden Organisationseigenschaften einen kompletten auf Basis der Programmiersprache „Solidity“ geschriebenen Programmcode wiedergab. Die Abläufe der internen Organisationsprozesse sollten dem Entwurf nach allein durch Algorithmen gesteuert werden und weitgehend durch auf der Blockchain implementierte Smart Contracts automatisiert ablaufen. Allerdings setzte der Urheber des Entwurfs diesen nicht selbst in die Realität um. Vielmehr implementierten und initiierten Dritte Ende April 2016 den publik gemachten Programmcode auf dem (öffentlich zugänglichen) Blockchain-Netzwerk Ethereum unter dem Projektnamen „The DAO“.[4]

2. Zweck

Zumeist wird das Projekt „The DAO“ als dezentraler Investmentfonds beschrieben. Doch widerspricht der vorgenannte Entwurf einer solchen Einordnung. Originärer Zweck von „The DAO“ war nicht das renditeorientierte Investieren, sondern Waren und Dienstleistungen nachzufragen sowie anzubieten. Die Organisation sollte wie ein Unternehmen am Markt teilnehmen. Gleichwohl war es für das Entfalten dieser Eigenschaft notwendig, „The DAO“ mit entsprechendem Kapital auszustatten. Insofern lässt sich ihr Zweck mit dem Sammeln von virtuellem Kapital zur Projektfinanzierung am Besten beschreiben. Eine reine Reinvestition in Form von reinen Beteiligungen an anderen Unternehmen war jedenfalls nicht vorgesehen. Im Ausgangspunkt glich das Konzept einer Schwarmfinanzierung, war jedoch mehr als das, da „The DAO“ der Idee nach als eigenständiges Unternehmen selbst Teil des Wirtschaftskreislaufes werden und nicht nur als Kapitalanlagenvehikel agieren sollte.

3. Organisationseigenschaften

Mit Blick auf die organisatorischen Eigenheiten sah das Konzept vor, dass nach Installation und Initialisierung des Programmcodes jede Person an eine im Ethereum-Netzwerk für „The DAO“ eingerichtete digitale Transferadresse (smart contract address)[5] Einheiten der Kryptowährung „Ether“ übermitteln konnte und hierfür im Gegenzug sogenannte „DAO-Token“ gleich einer virtuellen Unternehmensbeteiligung erhielt. Diese vom Programmcode kreierten DAO-Token sollten dem Inhaber mitgliedschaftsartige Rechte vor allem in Form von Stimmrechten vermitteln. Die Stimmkraft entsprach dabei der Höhe der übertragenen „Ether“ gleichsam der Höhe einer Einlage. Die DAO-Token waren jeweils als gleichrangig, teilbar und frei übertragbar ausgestaltet. An die Initialisierung des Programmcodes schloss sich eine 28-tägige Phase an, die in etwa mit einer Zeichnungsfrist vergleichbar ist. Über diesen Zeitraum konnten DAO-Token erworben werden. Zudem sah der Code eine automatische Rückzahlungsfunktion vor, falls innerhalb der Initialisierungsfrist weniger als umgerechnet 500.000 $ eingesammelt worden wären. Diese Funktion kam jedoch nicht zur Anwendung, denn an die Transferadresse von „The DAO“ wurden innerhalb von 4 Wochen Ether in einer Gesamtsumme von über 150 Mio. $ übermittelt. Insgesamt wurde von über 23.000 verschiedenen Adressen Ether an „The DAO“ transferiert.[6] Da eine Person über mehrere Transferadressen verfügen kann, wird die Beteiligtenzahl auf 10.000 bis 15.000 geschätzt. Zum damaligen Zeitpunkt handelte es sich damit um das weltweit größte Crowdfunding.

Als Kernfunktion sah die Konzeption vor, dass die Inhaber der gewährten DAO-Token die Möglichkeit erhielten, einen Vorschlag zur Verwendung von Teilen des eingesammelten Vermögens zu unterbreiten. Ein jeder Inhaber der DAO-Token konnte sich dabei selbst zum Destinatär („Contractor“ genannt) einer Auszahlung vorschlagen. Voraussetzung war, dass ein entsprechender Projektvorschlag („Proposal“) übermittelt wurde. Um die Finanzierung krimineller oder terroristischer Projekte zu verhindern, war ein mehrköpfiges Kuratorium vorgesehen, welches übermittelte Verwendungsvorschläge überprüfte und durch Setzen auf eine „Whitelist“ zur Abstimmung freigab. Nach Ablauf einer individuell festgelegten Überlegensfrist (mindestens 2 Wochen) konnten die Inhaber von DAO-Token über den unterbreiteten Verwendungsvorschlag abstimmen. Wurde der Projektfinanzierungsvorschlag mittels einer spezifischen Mehrheit angenommen, erhielt eine hierfür extra eingerichtete Transferadresse eine zweckgebundene Auszahlung aus dem Fonds. Solange die Höhe einer vorgeschlagenen Projektfinanzierung nicht derjenigen des gesamten Fondskapitals entsprach, war eine Zustimmung von 20 % aller Inhaber von DAO-Token notwendig, ansonsten mussten 53,33 % dem Vorschlag zustimmen.

4. Das Ende von „The DAO“

Noch bevor das erste Projekt zur Abstimmung gestellt werden konnte, kam es zu einer Art von Systemangriff, der das Projekt letzten Endes zum Scheitern brachte. Eine bis heute unbekannte Person hatte eine Schwachstelle in dem Programmcode entdeckt. Dieser sah neben den oben angesprochenen Eigenschaften auch eine Art von Austritts- und Rückzahlungsfunktion vor. Inhaber von DAO-Token konnten somit die Mitgliedschaft in „The DAO“ beenden und sich ihren „Einlage“ wieder auszahlen lassen. Problematisch war allerdings, dass — vereinfacht gesprochen — die Rückzahlungsfunktion den jeweiligen Token-Saldo nach der Auszahlung nicht auf null setzte. Damit war ein wiederholtes Rückzahlen der Einlage möglich. Mit Hilfe dieses Programmierfehlers wurden aus „The DAO“ innerhalb kurzer Zeit Ether im Wert von umgerechnet ca. 50 Mio. $ abgezogen. Dieser atypische Kapitalabfluss wurde allerdings bemerkt. Um den Vorgang jedoch ungeschehen zu machen, musste letztlich die gesamte Datenstruktur der Ethereum-Blockchain mittels einer sogenannten Hard Fork „zurückgesetzt werden“, was einen gravierenden Eingriff in das Blockchain-Dogma der absoluten Datenunveränderlichkeit darstellte. Zwar stimmte die Mehrheit der Netzwerkbeteiligten diesem Schritt zu, gleichwohl wird diese — zugegebenermaßen schwerwiegende — Entscheidung noch heute als Beleg für das Fehlen einer authentischen Dezentralität des Ethereum-Netzwerkes angesehen. In der Folge konnten jedenfalls die mit „The DAO“ im Zusammenhang stehenden Transaktionen restrukturiert und die Einzahlungen gleichsam „rückabgewickelt“ werden. Soweit ersichtlich, erhielt jeder DAO-Token-Inhaber seine Einlage zurück. Späten Ruhm erlangte “The DAO” letztlich dadurch, dass sich mit dem Projekt die United States Securities and Exchange Commission (SEC) auseinandersetzte und hierüber am 25.07.2017 einen „Report of Investigation“ veröffentlichte.[7] Etwaige Folgen blieben aus. Keiner der Beteiligten musste sich verantworten.

III. Einordnung des DAO-Konzeptes

1. Ursprung und Terminologie

Das Konzept der Dezentralen Autonomen Organisation stammt aus der Blockchain-Welt und dementsprechend ist der Begriff relativ jung. Feststehende und vor allem allgemeingültige Definitionen fehlen. Vorreiter ist zum einen die sogenannte „Decentralized Autonomous Company“ (DAC), die im Jahr 2013 als Reaktion auf Zentralisierungseffekte beim Bitcoin-Netzwerk von Daniel Larimer erdacht wurde. Hierbei handelte es sich um eine digitale Unternehmensstruktur, die aus einem Blockchain-Netzwerk selbst besteht, dieses nebst seinen Beteiligten ein Unternehmen als solches repräsentieren sollte. Zum anderen findet sich das Konzept zur DAO in dem ebenfalls aus dem Jahr 2013 stammenden Papier zur Ethereum-Blockchain von Vitalik Buterin. Er sprach dort — verkürzt — von einer Art virtuellen Organisation, deren interne Entscheidungsfindung und -vollzug allein mithilfe der Blockchain-Technologie erfolgen solle.

Im Lauf der Zeit entwickelte sich ein Begriffsverständnis, nach welchem das DAO-Konzept “eine partielle Substitution traditioneller Modelle der Unternehmensführung ermögliche; so könne eine Dezentrale Autonome Organisation eigenständig ohne menschliche Beteiligung agieren und reagieren”.[8] Vor diesem Hintergrund steht der Begriffsbestandteil “dezentral” primär dafür, dass die Organisationsstruktur kein Steuerungs- bzw. Entscheidungszentrum aufweist, sondern alle Beteiligten gleichberechtigt seien. Der Terminus “autonom” adressiert hingegen die Unabhängigkeit der Organisation von menschlichem Einfluss.

2. Eigenschaften einer DAO

Das Konzept der Dezentralen Autonomen Organisationen basiert vornehmlich auf den technischen Eigenheiten blockchain-basierter Netzwerke, insofern zieht sie hieraus auch ihren funktionalen Charakter. In der Folge sind auch die Definitionen der Begriffsbestandteile “Dezentral” und “Autonom” technisch eingefärbt.

a) Verteiltes Netzwerk als Grundlage einer DAO. Organisatorische Basis einer DAO bildet eine „verteilte irreversible Datenbank” mithin eine Blockchain. Hinter dieser Technologie steht — allgemein gesprochen — eine spezifische Technik der Datenspeicherung und im Kern eine Datenbankstruktur, in der Informationen in Blöcken chronologisch (kettenartig) sowie kryptographisch gesichert abgelegt werden. Diese Datenbank ist über ein Netzwerk verteilt, bei dem jeder in das Netzwerk integrierte Rechner (Node) peripher und gleichberechtigt ist (sogenanntes „Peer-to-Peer-Network“) mithin über die gleichen Datensätze verfügt. Hierdurch entsteht eine auf Redundanz basierende dezentrale Datenverwaltung. Daher ist auch vom Konzept einer verteilten Datenbank- oder Buchführungsstruktur (= Distributed-Ledger-Technology) die Rede. Es gibt daher keine zentrale Recheneinheit, die einzig die Daten beherbergt und den sternförmig verknüpften Nutzern nur den Datenzugriff ermöglicht (sogenanntes „Client Server Network“).

Dieses verteilte Netzwerk dient einer DAO als Schablone, in dem die hieraus resultierende Dezentralität als Organisationsgerüst herangezogen wird. Einer DAO fehlt im Gegensatz zu den üblicherweise hierarchisch strukturierten Organisationsformen insbesondere das klassische Leitungsorgan im rechtlichen Sinne (Geschäftsführer, Vorstand). Rein organisatorisch betrachtet, finden sich somit keine Akteure, bei denen sich bestimmten Kompetenzen die Organisation betreffend konzentrieren. Dem Grundsatz einer DAO nach sind — gleich dem Peer-to-Peer-Network — alle Organisationsbeteiligten gleichberechtigt. Freilich können unterschiedliche Beteiligtenarten etabliert werden. Grenzen setzt letztlich nur das begriffliche Verständnis von einer DAO. Von der Seite der Programmierung gibt es jedoch keine Schranken.

b) Blockchain-basierte DAO-Mitgliedschaftsstruktur. Die Technologie der Blockchain ist das digitale Fundament für virtuelle Vermögenswerte, da mit ihn dauerhaft unverfügbare Datensätze gespeichert werden können und sich diesen eine “reale” Funktion als virtuelle Wertmarke (Sammelbegriff „Token“) und hierfür jedes erdenkliche wertbildende Attribut zuweisen lässt.

Mit Hilfe eines blockchain-basierten Datenbanksystems können die Daten, die die Wertmarken oder ihre Eigenschaften abbilden, innerhalb des Netzwerkes einer bestimmten digitalen Adresse und damit letztlich einer bestimmten Person manipulationsfest zugeordnet werden. Die eine Inhaberstellung üblicherweise auszeichnenden Tatsachen wie Besitz, Einträge in öffentliche Register, Zeugnisse oder sonstige Legitimationsurkunden sind als Zuordnungsvehikel obsolet. In der Folge werden die für Transaktionen von (realen) Vermögensgütern sonst notwendigen Intermediäre nebst ihren Verifikationsdienste nicht mehr benötigt, da zum einen das Blockchain-Netzwerk die Austauschplattform selbst ist und zum anderen das System die Beteiligten „selbst“ identifizieren und die zwischen ihnen ablaufende Transaktionen verifizieren kann.

Dieses System wird bei einer DAO insbesondere dafür genutzt, um die organisatorische Zugehörigkeit und auch etwaige spezifische Attribute der Mitgliedschaft wie beispielsweise Partizipations- oder Stimmrechte zu vermitteln. Durch den einem Blockchain-System immanenten Manipulationsschutz, die Transparenz der gespeicherten Daten und die durch die Dezentrale Netzwerkarchitektur generierte Systemstabilität entsteht im Ergebnis eine Datenauthentizität und damit eine Art von technologisch fundiertem Grundvertrauen unter den Netzwerkteilnehmern bzw. den DAO-Beteiligten. Dieses ist unabhängig von retrospektiven Erfahrungswerten oder der Kenntnis der Identität und sonstiger vertrauensbildender Eigenheiten. Hierdurch entsteht eine neuartige Form von Vertrauen, das sich nicht (mehr) von dritten Stellen — im Organisationskontext vor allem durch das Handelsregister — ableitet, sondern aus dem System selbst.

c) Organisationsautonomie mittels Smart Contracts. Eine DAO gründet sich primär auf einem sogenannten Smart Contract mithin auf einem innerhalb eines Blockchain-Netzwerkes ablaufenden Computerprogramm. Hintergrund dessen ist, dass ihre Existenz — quasi dem Ideal vom Archetyp Bitcoin folgend — unverfügbar und die ihr zugrundeliegenden Transaktionsprozesse überdies auch nicht von den DAO-Beteiligten modifizierbar sein sollen.

Smart Contracts stellen eine Weiterentwicklung der Nutzungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie dar. Ein Smart Contract ermöglicht einen voll automatisierten Austausch der innerhalb eines Blockchain-Netzwerkes vorhandenen virtuellen Wertmarken, indem dieses Computerprogramm den hierfür vorab festgelegten Prozess einer Transaktion überwacht und diesen bei Eintritt zuvor definierter Voraussetzungen — einem determinierten Algorithmus folgend — selbständig abwickelt.

Weitere Besonderheit ist, dass ein Smart Contract nach seiner Initialisierung autonom und unabhängig von jedem menschlichen Einfluss abläuft und auch nicht gestoppt werden kann. Hierdurch kann insbesondere ein vom Eintritt bestimmter (individuell festgelegter) Bedingungen abhängiger Leistungsaustausch automatisch vollzogen werden. Den Bedingungseintritt verifiziert allein das Computerprogramm ohne Interaktion mit den Transaktionsbeteiligten unter Einsatz vorprogrammierter Wenn-Dann-Sonst-Anweisungen. Die Transaktion steht nicht zur Disposition der Beteiligten, selbst wenn diese es übereinstimmend wollen. Anzumerken ist allerdings, dass zum einen der Begriff „Smart Contract“ und dessen Funktionsweise weit vor dem Start von Bitcoin etabliert wurde[9], sowie zum anderen, dass das hier zum Tragen kommende Prinzip des automatisierten Leistungsaustausches seit dem Aufkommen des Konzeptes von Warenautomaten bekannt ist. Mit einem Vertrag im rechtlichen Sinne hat ein Smart Contract im Übrigen nichts zu tun.

Der „The DAO“-Smart Contract stellte sich dabei als sehr komplex dar, da er sämtliche Parameter der Organisation und auch die internen und externen Transaktionsprozesse abbilden musste. Wesentliche Funktionen insbesondere die Mitgliedschaft betreffend, konnten dadurch automatisiert und in der Folge unabhängig von menschlichem Einfluss ausgeführt werden. Wobei letzten Endes diese Autonomie zugleich die Achillesferse von „The DAO“ darstellte.

IV. Fazit

Ohne Zweifel entspringen dem Blockchain-Universum spannende Entwicklungen. Diese tragen durchaus das Potential in sich, sowohl die Wirtschafts- als auch die Finanzwelt zu verändern. Da die Distributed-Ledger-Technologie noch jung ist, verkraftet diese auch Rückschläge wie den von „The DAO“. Die Blockchain-Welt hat sich auch längst davon erholt. Zwischenzeitlich haben sich Service Provider (z. B. Aragon.org oder DAOStack.io) etabliert, die das Initiieren einer DAO erleichtern und somit das Konzept massentauglich machen wollen. Freilich fehlen regulatorische Rahmenbedingungen, wobei diese nach der Ideal der DAO-Idee im Grunde irrelevant sind.

[1] Siehe hierzu Kuhn, Die Struktur wissenschaftlichen Revolutionen, 25. Aufl., 2017, S. 57 ff.

[2] Vgl. https://bitcoinist.com/dash-original-dao/.

[3] Vgl. C. Jentzsch, Decentralized Autonomous Organization to Automate Governance Final Draft — Under Review“, 2015, https://download.slock.it/public/DAO/WhitePaper.pdf.

[4] Zum Ganzen auch DuPont, Experiments in Algorithmic Governance: A history and ethnography of “The DAO,” a failed Decentralized Autonomous Organization, in: Campbell-Verdun (Hrsg.), Bitcoin and Beyond, 2018, S. 157 ff.

[5] Diese lautet 0xBB9bc244D798123fDe783fCc1C72d3Bb8C189413.

[6] Vgl. https://etherscan.io/address/0xbb9bc244d798123fde783fcc1c72d3bb8c189413#analytics.

[7] Vgl. https://www.sec.gov/litigation/investreport/34-81207.pdf, zuletzt abgerufen am 26.08.2019.

[8] “These organizations can re-implement certain aspects of traditional corporate governance using software (…). These organizations also can be operated autonomously, without any human involvement.”, vgl. A. Wright/De Filippi, Decentralized Blockchain Technology and the rise of lex cryptographia, 2015, S. 3, https://ssrn.com/abstract=2580664.

[9] Vgl. Szabo, The Idea of Smart Contracts, http://www.fon.hum.uva.nl/rob/Courses/InformationInSpeech/CDROM/Literature/LOTwinterschool2006/szabo.best.vwh.net/idea.html.

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