“Fake News”: Gehören absichtlich Angst oder Wut schürende Falschnachrichten verboten?

Aus Langes Sicht
11 min readDec 29, 2016

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Auch wenn es unpopulär ist: Ich will heute die Bemühungen der Bundesregierung unterstützen, gegen “Fake News” vorzugehen. Und zwar sowohl mittels der Einrichtung eines “Abwehrzentrums”, das laufend konkret gegen Fake News vorgehen soll, als auch mittels einer Strafverschärfung, um Fake News besonders unter Strafe zu stellen. Ich habe beobachtet, dass in der öffentlichen Diskussion viele Missverständnisse darüber vorliegen. Mit diesem Beitrag will ich in einfachen Worten einige Fürs und Widers erörtern sowie wichtige juristische Hintergründe und Begriffe (er)klären.

Okay. Ich weiß, dass manche Menschen das sehr kritisch sehen. Sie sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr. Ich sehe das auch so — allerdings mit anderen Vorzeichen. Artikel 5 unseres Grundgesetzes gibt uns nämlich nicht nur die großartige Freiheit der Meinungsäußerung, er ist auch ein Auftrag an die jeweilige Regierung ist, eine freie Meinungsbildung zu sichern. Denn diese freie Meinungsbildung ist die Grundlage für eine freie Meinungsäußerung — und sie ist bedroht. Und darum soll es hier gehen.

Skrupellos lügen um Hass und Wut gegen Menschen oder Parteien zu schüren

Wo ist denn das Problem?, fragen sich vielleicht manche. Das Internet und vor allem “Social Media” haben uns nicht nur eine einzigartige Möglichkeit geschenkt, neue Meinungen kennen zu lernen, uns weiter zu bilden und viel Neues zu erfahren. Es bringt uns zum Lachen und zum Träumen, und wir können so oft direkt Anteil nehmen an den Gefühlen anderer Menschen. Es lässt uns aber leider auch sehr viel Extremes direkt erleben: Wut, Empörung, Hass, Schmähungen, Verleumdungen, Beleidigungen, Anfeindungen, Erniedrigungen… die Liste ist lang. Das ist für manchen sehr belastend, aber das müssen wir aushalten. Zumindest kann man das nicht “verbieten”.

Das Problem ist, dass Teil dieses “neuen Dialogs” inzwischen auch so genannte “Fake News” sind: Ganz bewusst, komplett skrupellos und fast immer mit klarer Niedertracht lancierte Nachrichten, die täuschend echt wirken, und die sehr viel Aufregung entfachen sollen, vor allem mit Angst oder Wut oder Empörung. Manche tun das um Traffic auf ihre Seiten zu bringen, also Geld zu verdienen, andere tun das, um aus politischen Gründen andere Menschen, Unternehmen oder Gruppen zu diskreditieren und negative Emotionen gegen sie zu schüren. Und das hat wiederum direkte Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen, zum Beispiel bei Wahlen.

“Das riecht nach Zensur!”

Aus diesem Grund wollen im Augenblick so viele Politiker gegen diese Fake News etwas tun. Und gleichzeitig haben andere Angst, das könne in die Meinungsfreiheit gerade eingreifen. “Das riecht nach Zensur”, sagen die einen. “Hier entsteht ein neues Orwell’sches Wahrheitsministerium”, sagen die anderen. Und noch andere vergleichen das Vorhaben mit der Praxis in totalitären Staaten, wie der DDR oder Nordkorea. Nun ja. Das liegt wohl auch an einer großen Unsicherheit, denn der Begriff “Fake News” in keiner Weise ausreichend präzisiert ist.

Was sind denn Fake News und was sind keine?

Ist eine Fake News nun jede Nachricht, die man verbreitet, die am Schluss “gar nicht stimmt”? Wie sieht es mit Falschmeldungen aus, die erkennbar falsch sind, sagen wir mal Meldungen des Postillon? Wer bestimmt eigentlich, was “wahr” oder “falsch” ist? Was ist, wenn sich der Autor einfach nur geirrt hat? Kann irgendjemand, dem eine News einfach nur nicht passt, sie einfach so zur “Fake News” erklären? Was ist, wenn man etwas sagt, was sich erst nachher als falsch herausstellt? Und wie ist es einzuschätzen wenn ich sage “Merkel ist eine Napfsülze”, obwohl das ja gar nicht zutrifft (sie ist ja Bundeskanzlerin)? Soll das nun alles strafbar werden?

Die Antwort ist ein klares: NEIN! Wenn das alles strafbar wäre, oder strafbar gemacht würde, dann bekämen wir wirklich ganz erhebliche Schwierigkeiten, dann würde sich niemand mehr trauen, etwas zu sagen, weil dann immer das Risiko der Strafbarkeit droht. Das wäre der in der Tat der Tod der Meinungs- und Pressefreiheit. Und das hätte in unserem Land, das die Meinungsfreiheit extrem hoch hält, einfach nicht zu machen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) würde das sofort kassieren. Trotzdem habe ich viele Menschen in den sozialen Medien gesehen, die genau das denken und deswegen “am Rad drehen”, “fassungslos” sind, die sich “an den Kopf fassen” oder “einfach nur wütend” sind.

“Wer bestimmt eigentlich, was wahr oder falsch ist?”

Aber hier können wir uns alle entspannen. Niemand, der in der Politik von “Fake News” redet, meint das. Ich weiß, dass viele denken, alle Leute in der Politik wären nur inkompetente Kartoffelnasen, und deswegen traut man denen alles zu. Ich habe aber keine Zweifel: Das stimmt nicht. Dagegen stimmt eines ganz sicher: Nicht alles, was unwahr ist, ist auch eine Fake News. Auch Felix kann also beruhigt sein: Und die Abgrenzung ist sogar leichter als er denkt.

Von falschen Tatsachenbehauptungen und Meinungen

Zunächst einmal muss man den Unterschied zwischen einer Tatsachenbehauptung und einer Meinungsäußerung verstehen. Das ist schon die halbe Miete. Grundsätzlich gilt: Meinungsäußerungen werden nie bestraft, falsche Tatsachenbehauptungen aber schon. Und daran würde auch ein “Fake-News-Gesetz” nichts ändern.

Artikel 5 unseres Grundgesetzes schützt die freie Meinungsäußerung. Dieser Schutz ist zwar begrenzt (siehe “Diese Rechte finden ihre Schranken…”), aber der Schutz geht trotzdem sehr weit. Die Grenze ist erst da erreicht, wo eindeutig in die Rechte anderer eingegriffen wird, sprich: wenn die Meinungsäußerung nur zum Ziel hat, einen anderen herabzuwürdigen. Das nennt die Rechtsprechung dann “Schmähkritik”, und die ist nach § 185 StGB strafbar: Das ist also eine “Beleidigung”. Und das ist schon heute so.

Artikel 5 GG schützt aber nicht falsche Tatsachenbehauptungen. Ein falsche Tatsachenbehauptung wäre zum Beispiel: “Angela Merkel hat der AfD 100.000 EUR gespendet”. Hier wird eine Tatsache behauptet, also etwas, was sich objektiv messen oder beweisen ließe, beispielsweise durch einen Kontoauszug. Ob das auch praktisch nachweisbar ist, spielt dabei keine Rolle. Mehr noch: Die Rechtsprechung arbeitet hier mit einer so genannten “Beweislastumkehr”: Wer so etwas behauptet, müsste es selbst beweisen (z.B. durch einen Bankauszug), und wenn er das nicht kann, dann ist er eben dran, sprich strafbar, in dem Fall nach § 186 StGB (“üble Nachrede”).

Eine Meinung dagegen ist etwas, was nicht objektiv überprüft werden kann. Da gibt es kein “wahr” oder “falsch”, da gibt es nur ein “finde ich auch” oder ein “finde ich nicht”. Das könnte zum Beispiel ein Satz sein: “Angela Merkel ist eine schlechte Kanzlerin”. Das ist eindeutig eine Meinung. Hierzu hat der Medienrechtsanwalt Carsten Ulbricht auch einen sehr schönen, juristisch durchaus anspruchsvollen Text geschrieben.

Manchmal ist die Abgrenzung schwierig

Und dann gibt es auch noch Aussagen, da weiß man es nicht so genau, zum Beispiel ein “Alexander Gauland ist ein Nazi”. Je nach Kontext kann das einerseits eine “Schmähung” sein, die dann nach § 185 StGB (also “Beleidigung”) strafbar wäre. Das wäre der Fall, wenn man sich mit Gauland gar nicht weiter auseinandergesetzt hat, sondern “einfach nur mal die Nazi-Keule rausholt”, um ihn… genau, um ihn zu beleidigen.

Es könnte aber eine “Bewertung” sein, also wenn man sich mit den Werten der Nazis auseinandergesetzt hat und jetzt zu dem Schluss kommt, Gauland entspricht dem. Dann ist es nicht strafbar, weil eine zulässige Meinungsäußerung.

Oder es kann auch eine (in dem Fall wohl falsche) Tatsachenbehauptung sein, wenn sich nämlich aus dem Kontext ergibt, dass man ihm unterstellt, dass er Mitglied der NSDAP gewesen sein soll. Die wäre dann nach § 187 StGB strafbar. Interessant: Bei § 187 StGB stellt sich nicht einmal die Frage, ob die Aussage “wahr” oder “falsch”, oder ob man selbst wusste, dass es falsch ist. Der Gesetzgeber sagt: Wenn man so etwas Ungeheuerliches verbreitet, dann muss man selbst beweisen können, dass es wahr ist. Kann man das nicht, wird man bestraft — selbst wenn es eigentlich wahr ist, in diesem Fall mit bis zu einem Jahr Haft.

Wenn man allerdings wusste, dass es falsch ist, was man sagt, dann wird es noch härter, dann kann man bis zu fünf Jahre in den Knast gehen!

Das klingt kompliziert? Ja, im Einzelfall ist das nicht immer leicht zu entscheiden, aber die Gerichte haben hier Jahrzehntelange Erfahrung gesammelt und kommen hier fast immer zu angemessenen Ergebnissen. Wir können aber auf jeden Fall schon einmal feststellen, dass gewisse “Fake News” schon immer unter Strafe standen — und das sogar ganz massiv!

Als Beispiel sei hier der Fall von Renate Künast genannt, der Aussprüche in den Mund gelegt wurden, die sie gar nicht getätigt hat. Hiergegen stellt sie auch in der Tat Strafantrag.

Und was will jetzt die Bundesregierung?

Nun ja, so richtig weiß das noch niemand. Sie selbst wohl auch noch nicht — jedenfalls nicht genau. Entzündet hat sich die ganze Diskussion daran, dass die Bundesregierung darüber nachdenkt, wie man mit den ganzen Fake-News umgeht, die angeblich auch den US-Wahlkampf maßgeblich beeinflusst haben. Tatsächlich ist das auch eine Bedrohung. Denn diese Fake News können Stimmungen in der Bevölkerung massiv beeinflussen und Meinungen ganz massiv manipulieren.

Und das ist nicht einfach mal nur “freie Meinungsäußerung”. Der Haken ist nämlich: In einer Demokratie muss nicht nur die Meinungsäußerung frei sein, das muss auch für die Meinungsbildung gelten. Denn ohne eine freie Meinungsbildung ist auch die Meinungsäußerung bald nichts mehr wert.

Artikel 5 sichert nicht nur die Freiheit der Meinungsäußerung sondern auch die Freiheit der Meinungsbildung

Man könnte zwar argumentieren, dass sich das ja alleine regelt. Also dass der Bürger schlau genug wäre, das zu erkennen, oder dass das die Aufgabe von Journalisten sei. Hier gibt es aber berechtigte Zweifel. Diese Fake News sind tatsächlich nur sehr schwer zu erkennen, sagen wir mal wie ein Trickbetrug. Und niemand würde einen Trickbetrug straflos machen, weil sich ja der Bürger davor schützen könnte. Denn diese “Fakes” werden immer besser gemacht, oftmals werden sie von “Bots” und Fake Profilen unterstützt, dass man die falsche Nachricht so oft sieht, dass man sie schon alleine wegen ihrer bloßen Präsenz für richtig hält. Und leider springen auch Medien zu oft (und sehr schnell) auf diese falschen Nachrichten auf, sie wollen sich ja das Geschäft mit den Klicks nicht entgehen lassen.

Fake-News zu erkennen ist aufwändig. Ich weiß das. Ich verbringe oft Stunden damit, die wirklichen Hintergründe einer Aussage zu recherchieren. In der Tat hatten wir noch nie so viel Gelegenheit dazu. Aber es braucht eben auch viel Übung, Erfahrung — und vor allem Zeit, die die meisten Menschen sich dafür nicht nehmen wollen. Man könnte es auch “Medienkompetenz” nennen, und mit ihr sieht es bei uns wirklich nicht so gut aus. Und den Journalisten fehlt es leider häufig an der Zeit: Sie müssen heute eben alles sofort berichten, selbst wenn noch nicht klar ist, was überhaupt passiert ist — oder ob es überhaupt passiert ist. Lassen sie sich nur mal ein oder zwei Tage Zeit, müssen sie sich schon den Vorwurf der versuchten Vertuschung anhören.

Und warum soll es dann noch einen neuen Straftatbestand geben?

Falsche Nachrichten sind heute zu einem Großteil strafbar. Das stimmt. Nämlich dann, wenn sie “in Beziehung auf einen anderen” gemacht werden, sprich eine Person. Dann sind dann die §§ 186 (üble Nachrede) und 187 StGB (Verleumdung).

Sofern diese Aussage aber nicht in Bezug auf eine Person getroffen wird, greifen die §§ 186 und 187 StGB nicht. Wenn zum Beispiel jemand behauptet, wie tatsächlich im Januar 2016 geschehen, ein 13-Jähriges Mädchen sei von einer Gruppe Asylanten vergewaltigt worden, und das ist alles erstunken und erlogen, dann ist das nicht strafbar. So eine Meldung kann aber extrem schädlich sein. Sie hat auch ganz konkret Hass gegen Asylanten geschürt. Denn sie verbreiten sich im Allgemeinen rasend schnell im Internet, nicht zuletzt deswegen, weil das die Absender inzwischen sehr professionell darauf anlegen.

Das Problem: Die Richtigstellung verbreitet sich nicht. Und deswegen bleibt hängen: “Die Asylanten vergewaltigen unsere Kinder”, und daraus kann sich dann z.B. ein besonderes Wahlverhalten ableiten, im schlimmsten Fall sogar Straftaten, wenn dann einige sagen “so nicht”. Und ich würde sogar vermuten, dass sie einen Anteil daran hatte, dass es im Jahr 2016 unglaubliche 921 Anschläge auf Asylunterkünfte gab. Diese Art von Fake News sind also alles andere als “harmlos”.

Und dagegen will die Bundesregierung vorgehen — zumindest verstehe ich das so, und das finde ich auch sinnvoll. Sie will also (unter Einsatz von moderner Technik) solche Falschmeldungen frühzeitig erkennen, sie prüfen und dann frühzeitig gegen sie kommunikativ vorgehen — und ggf. auch strafrechtliche Schritte einleiten. Und sie will dabei auch gleich die Bevölkerung schulen, so wie ich das verstanden habe, also zeigen, wie man in Zukunft vielleicht besser und schneller Fake News erkennt und dass man hier und da vielleicht einen Moment zögern sollte, bevor man es weiter teilt. Ich denke: Das ist absolut richtig.

Braucht es dafür ein besonderes Gesetz?

Es gibt im Gesetz also eine Regelungslücke. Wie schon gesagt: Der Fall mit “Lisa”, dem angeblich vergewaltigten Mädchen, wäre nach heutigem Recht “legal”. Deswegen fordern viele Politiker jetzt auch ein neues Gesetz. Allerdings muss man jetzt auch aufpassen, dass man nicht einfach alles, was einem nicht passt, unter Strafe stellt. So ein Gesetz muss sehr präzise formuliert sein und auch sehr restriktiv sein. Man muss sehr aufpassen, dass man damit nicht auch die freie Meinungsäußerung beschneidet.

Denkbar wäre zum Beispiel, dass man eine Fake News nur dann unter Strafe stellt, wenn folgende Merkmale hinzukommen. Ich wage hier einfach mal einen Versuch einer ersten Definition. Eine bestrafungswürdige “Fake News” liegt dann vor, wenn vier so genannte “Tatbestandsmerkmale” erfüllt sind, nämlich jemand
(1) wissentlich eine falsche Tatsachenbehauptung aufstellt,
(2) das mit der Absicht macht, einen finanziellen oder politischen Vorteil zu erlangen, damit
(3) einer Organisation oder einer Personengruppe schadet, und
(4) besondere technische Mittel zur Verbreitung der Fake News einsetzt.

Die Ziffer 4 ist dabei besonders wichtig. 1 und 2 sind die Grundlage, aber sie alleine reichen nicht, etwas unter Strafe zu stellen. Das ist heute das tägliche Brot vieler Journalisten und vieler Populisten. Die besondere Verwerflichkeit besteht in der besonderen Verbreitung der Informationen. Gemeint sind hier z.B. Bots oder massenhaft Fake Profile. Bestraft wird hier nicht die Lüge, sondern das Vortäuschen, dass diese Lüge bereits Teil der öffentlichen Meinung ist.

Und nun?

Tja. Ich bin sicher, niemand wird meinen kleinen “Gesetzesentwurf” hier umsetzen. Und es werden auch ganz viele Leute wild widersprechen. Den Text werden vielleicht ein paar Hundert Leute lesen. Aber nun ja, mir hat es Spaß gemacht, hier zu recherchieren, ich fühle mich jetzt “schlauer”, und vielleicht kann ich davon etwas weitergeben. Und bestimmt finden sich unter den Kommentaren auch gute Anregungen, die mich noch schlauer machen.

Ich bin gespannt…

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Hier bloggt Mirko Lange gegen eine einseitige Sicht auf Dinge: für mehr Differenzieren, Ergründen und Hinterfragen. Auf lange Sicht ist das nämlich besser.