Trendexpedition UK (2): London

Michael Kirmes
14 min readFeb 12, 2018

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Ende Januar war ich eine Woche in England unterwegs. Und ich habe mich dort nicht nur mit Nudging auseinandergesetzt, sondern auch das Land genossen und viele Eindrücke gesammelt. Einige davon, die sich auf Innovationen und die Zukunft beziehen, möchte ich hier teilen (und damit auch die schon auf Instagram und Twitter geposteten Erlebnisse etwas ergänzen). Im ersten Post habe ich mich den Eindrücken aus Manchester gewidmet, in diesem zweiten Post folgen nun Beobachtungen aus London.

1. Melting Pot of Times

Im Staffelfinale der sechsten Staffel der Science-Fiction-Serie Doctor Who findet alle Vergangenheit zum gleichen Zeitpunkt statt:

“The War of the Roses enters its second year as London picnickers are warned not to feed the pterodactyls and Charles Dickens is interviewed on television about his new Christmas ghost special. Holy Roman Emperor Winston Churchill returns to Buckingham Senate on his personal mammoth.” (TARDIS Data Core)

London, Doctor Who 6x13

Ein wenig so habe ich auch das reale London empfunden. Ich habe noch keine andere Stadt erlebt, in der verschiedene Epochen der Geschichte so nahtlos und selbstverständlich miteinander verwoben sind wie in London. Meine Heimatstadt Frankfurt ist, ähnlich wie New York oder San Francisco, relativ stark in der modernen Gegenwart verortet, mit einigen abgegrenzten historischen (oder fake-historischen) Ausnahme-Arealen. Berlin ist für mich vor allem ein (sehr lebendiges) Denkmal der letzten 100 Jahre; Boston, Florenz und Jerusalem glänzen ähnlich vor allem an den Stätten ihrer jeweiligen historischen Höchstbedeutung. Singapur und auch Tel Aviv sind hingegen vor allem an der cutting edge präsent, und fühlen sich stellenweise immer schon etwas nach gelebter Zukunft an.

London bietet all das gleichzeitig. Die Stadt ist voller Menschen, die ihrem ganz normalen, stressigen Alltag nachgehen, zwischen Starbucks, U-Bahn und Büro, umgeben von Leuchtreklamen und congestion charges. Es gibt beeindruckende historische Bauten und beschauliche Nachbauten. Obwohl inzwischen die ersten Modell mit Elektroantrieb fahren, sehen die meisten Black Taxis noch aus wie vor 60 Jahren. Egal, welche Epoche der englischen Geschichte an einem Ort eine Rolle spielt, die Erinnerung ist üblicherweise voller Stolz. Dennoch wird nicht nur in Erinnerungen geschwelgt, sondern die Zukunft immer schon fest eingeplant, inklusive einer abgefahrenen und noch lange nicht abgeschlossenen Skyline.

Vorne der Nachbau des Shakespeare Globe Theaters, hinten The Shard, dazwischen Häuser verschiedener Epochen
Time is leaking!

2. The ShARd-Experience

Ein Teil dieser abgefahrenen Skyline, war The Shard — ebenfalls Doctor Who-gefeatured und höchstes Gebäude Westeuropas — für mich ein klar gesetztes Ziel. Groß angepriesen (und extra zu bezahlen) ist dabei die Virtual Reality Experience, die man dort oben auf dem 72. Stockwerk erleben kann. Unter der VR-Brille rutscht man dort eine Rutsche herunter, durch die Londoner Skyline, um die Shard herum. Oder balanciert als einer der Bauarbeiter über einen Stahlbalken. Sicherlich aufregend, aber eigentlich völlig fehlplatziert (und noch dazu überteuert). Da fährt man hoch in den 72. Stock, um dann eine Brille aufzusetzen, die einem die beste Sicht auf London nimmt, um sie durch ein künstliches Erlebnis zu ersetzen? Seit ich zwischen den Jahren viele verschiedene VR-Anwendungen ausführlich ausprobiert habe, bin ich ein großer VR-Fan, und auch diese Anwendung ist sicher ein spaßiges Erlebnis. Aber könnte man das Erlebnis nicht lieber als Download für Oculus und Vive bereitstellen, um damit Menschen in aller Welt Lust auf einen echten Besuch der Shard zu machen?

Nicht unbemerkt, aber unbeworben blieben hingegen die Augmented Reality-Stationen rund um den ganzen Turm. Vielleicht, weil es keine klobigen Brillen gab, sondern noch klobigere Fernglaslinsen-Kästen mit einem Bildschirm, auf dem man das, worauf man die Zoomlinse richtet, in einer Vergrößerung sehen kann. Neben der Vergrößerung, die ein normales Fernglas auch leisten könnte, gibt es aber interessante Zusatzfunktionen: man bekommt Informationen zu den angezeigten Gebäuden eingeblendet, kann die Sicht auf eine Aufnahme des exakt gleichen Ausschnitts zu Sonnenaufgang, Sonnenuntergang oder nachts schalten, oder sogar in die Zukunft blicken, indem geplante und noch im Bau befindliche Gebäude in die anvisierte Szenerie eingefügt werden (natürlich ebenfalls mit Zusatzinformationen).

View from the Shard, Night View & 2030 skyline

Die meisten Besucher nehmen dieses Angebot vermutlich nicht als Augmented Reality wahr. Es gibt wie gesagt keine Brillen, also kein Google Glass und keine Hololens. Stattdessen schwer schwenkbare Teleskopgehäuse. Aber bei Augmented Reality geht es nicht um Brillen, sondern darum, zusätzliche Informationen oder Objekte so in unser Sichtfeld zu integrieren, dass es die wahrgenommene Realität ergänzt. Und genau das tun diese Kästen, genauso wie Pokémon Go auf dem Smartphone oder Navdy Head-Up Displays auf der Windschutzscheibe. Und selbst im Vergleich zu den schwerfälligen Zoomboxen auf der Shard wünsche ich mir keine AR-Brillen, sondern AR-Fenster. Obwohl es auf dem 72. Stock schon zugig ist, da darüber die Glasverkleidung nicht mehr den ganzen Turm umschließt, geht die Aussicht noch immer durch Glasscheiben. Ist auch sicherer so. Aber wenn wir sowieso durch Glas gucken müssen, warum dann nicht gleich die Informationen dort anzeigen? Dann schwenke ich keinen Bildschirm hin und her, sondern gucke einfach dorthin, wo mich etwas interessiert, tappe vielleicht gegen die Scheibe, und erfahre, was ich dort sehe. Oder nutze zwei Finger für pinch to zoom. Schalte mal eben eine ganze Fensterscheibe auf Nachtmodus. Das wäre großartig, und ein Extra-Erlebnis, für dass der Weg nach oben auch wirklich notwendig ist. Ich bin mir sicher, das wird kommen. Auch wenn es wahrscheinlich noch etwas dauert, deutet die momentane Ausgestaltung der Shard darauf hin, dass diese vermutlich einer der ersten Orte mit so einer Technologie sein wird.

3. Individualisierter Kaffeedruck

Ebenfalls gesetzt auf meiner Tour durch London war ein Besuch bei der Tea Terrace im schicken Kaufhaus Fraser. Denn die Tea Terrace bietet eine ganze besondere Kaffee-Innovation: den Selfieccino. Kurz vor meiner England-Reise hatte mein Kollege Andreas Steinle bereits darüber getwittert:

Als braver Mitarbeiter habe ich mich also aufgemacht zur Oxford Street und hoch in den fünften Stock und landete in einem grell-pastellrosa und -blauen, blumig-kitschigen Cinderella-Café. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass das Angebot noch läuft, musste ich ein Foto mit meiner Tischnummer und Getränkpräferenz (neben Cappuccino geht nämlich auch heiße Schokolade) per WhatsApp an das Café schicken und bekam kurz darauf den mit Lebensmittelfarbe bedruckten personalisierten Kakao.

Natürlich trifft dieses Angebot wunderbar den Zeitgeist der Instagram-Individualisierung, und natürlich wurde entsprechend seit dem Launch Ende November 2017 auch überall über den Selfieccino der Tea Terrace berichtet, die offenbar tatsächlich die ersten in Europa waren, die diesen Service anbieten.

Man kann nun der zu erwartenden Verbreitung dieser Innovation auch anderswo in Europa quasi in Echtzeit zugucken. Seit Anfang des Jahres folgten Cafés in Rotterdam, Bratislava und Thessaloniki dem Beispiel der Tea Terrace, die jetzt zusätzlich auch in Guildford, Surrey Gesichter auf den Schaum druckt. Zumindest in Rotterdam, Bratislava und London scheint man dabei auf den Cino Printer Coffee für 1.500 € aus Italien zurückzugreifen, mit dem man übrigens auch Bier, Joghurt oder Eis bedrucken kann.

Aber ist das nicht alles schon kalter Kaffee (haha!)? Zu einem ähnlichen Preis gab es nämlich bereits im Sommer 2015 den vergleichbaren, israelischen Ripple Maker, der dann vor zwei Jahren auch von allerlei Medien vorgestellt wurde, nachdem er auf der CES 2016 in Las Vegas mehrere Preise gewonnen hatte. Vor einem Jahr tauchte der Ripple Maker dann sogar schon in London auf, weil die Datingplattform match.com zwei Tage lang das Event “Espresso Yourself” ausgerufen hatte, bei dem partnersuchende Kaffeetrinker die Profilfotos einiger Mitglieder der Plattform auf ihrem Kaffee finden konnten. Auch die Lufthansa hat in Frankfurt mit gebrandetem Kaffeeschaum für Business- und First Class-Kunden experimentiert.

Hat der Selfieccino also momentan nur noch mal einen neuen kurzen Moment, wird bald wieder in Vergessenheit geraten, um dann in einem Jahr unter wieder leicht anderen Umständen als neue große Innovation angepriesen zu werden? Vielleicht. Ich glaube aber, dass die Tea Terrace sehr clever den am besten vermarktbaren Usecase in den Vordergrund gestellt hat.

Latte Art, die den Kaffeeschaum verziert, war schon vor den Kaffeedruckern beliebt, weil sie das Talent der Baristas demonstrierte, immer einzigartig war und sich gut auf Instagram macht. Beim Kaffeedrucker fiel das künstlerische Talent allerdings weg, und dann hat Ripple mit seinen großen Partnern zu wenig auf die Einzigartigkeit der Dekoration gesetzt. Lufthansa-Werbung im Kaffeeschaum ist zwar in gewisser Weise “individualisiert”, aber eben nicht persönlich. Bei Match.coms “Espresso yourself” wurden die Porträts fremder Menschen im Kaffee verewigt, was zwar interessant ist, aber ebenfalls keine eigene Gestaltung beinhaltet.

Natürlich kann man mit Ripple auch seine eigenen Logos und Designs erstellen, es gibt sogar eine App dafür, aber das ist mühselig und erfordert kreative Fummelarbeit. Und die Porträt-Druckfunktion wurde nicht mit einem Selbstporträt des Kaffeetrinkenden demonstriert, sondern stattdessen mit einem Foto von Mark Zuckerberg. Nein danke. Den Kunden anzubieten, ihr eigenes Konterfeit auf ihr Getränk zu bekommen ist sehr naheliegend und einfach, aber statt als das Killerfeature wurde diese Möglichkeit höchstens als eine Option unter zahlreichen angeboten. Die Tea Terrace ist das mit dem Begriff “Selfieccino”, den sie sich jetzt offenbar auch schützen lassen wollen, wesentlich fokussierter angegangen.

4. Contactless Transport of London

Eine Innovation, die den meisten Londonern vermutlich als solche nicht mehr bewusst ist (da schon seit 2012 experimentell und seit 2014 flächendeckend eingeführt), aber mir als Reisendem aus Deutschland noch positiv auffiel, war das Bezahlen im ÖPNV. Bei meiner Last-Minute-Recherche zur Reisevorbereitung hatte ich feststellen müssen, dass das Bestellen eines Travelcard-Papiertickets im Offiziellen Shop des Britischen Fremdenverkehrsamts mehr Vorlaufzeit benötigt, da dieses archaisch mit der Post zugestellt wird. Also hatte ich mich damit abgefunden, die nötigen Fahrten eben direkt zu bezahlen — möglicherweise mit Aufschlag.

Bei meiner ersten Busfahrt musste ich dann lernen, dass Bargeld in Bussen gar nicht mehr akzeptiert wird. Eine Oystercard hatte ich auch nicht, also musste ich wohl mit Kreditkarte zahlen. Zu meiner Freude ging das aber contactless — sowohl in dem Sinne, dass ich die Kreditkarte nur in die Nähe eines NFC-Sensors halten musste, aber auch in dem Sinne, dass man damit ohne Kontakt zum Busfahrer oder einem Fahrkartenautomaten mit einem Wisch die Fahrt antreten kann. Damit hatte ich einen angenehm einfachen Ersatz zur Oystercard offenbar schon die ganze Zeit in meiner Tasche.

Dennoch war der Groschen wohl noch nicht ganz gefallen, denn bei meiner ersten Fahrt mit der Underground von St. Pancras/King’s Cross aus kaufte ich pflichtbewusst meinen Fahrschein wieder am Automaten. Erst als ich bei der Rückfahrt von der wesentlich kleineren Swiss Cottage Station keinen Automaten mehr sah, dämmerte mir, dass ich es ja einfach mal versuchen könnte, wieder mit einem Wisch meiner Kreditkarte durch das Drehkreuz zu treten, und — Heureka! — das klappte. Von da an gab es kein Halten mehr, bei so einem simplen Fahrtantritt nehme ich gerne immer wieder Bahn und Bus.

Beeindruckenderweise hat London die Busse schon 2003 auf das Touch&Go-Oyster-System umgestellt, und 2009 NFC-Geräte eingeführt. Alles, um das Ein- und Aussteigen möglichst schnell und effizient zu gestalten. Dazu gehört offenbar auch, das Zahlen mit der kontaktlosen Kreditkarte mindestens so günstig wie oder sogar günstiger als die anderen Zahlmethoden zu machen — denn schließlich geht das am schnellsten, was bereits griffbereit in der eigenen Tasche ist. Beim Nachrechnen und dann Nachlesen zu Hause mit der Kreditkartenabrechnung zeigte sich: es wird immer der günstige Off-Peak-Tarif berechnet, und es gibt sogar Daily (und Weekly) Caps, die nicht überschritten werden. Meine einzige teurere Fahrt war die, die ich für 4,90 £ (statt 2,40 £) am Automaten erstanden hatte. Ich habe ansonsten genau das gleiche bezahlt, was ich auch mit einer Oystercard bezahlt hätte. Und wesentlich weniger, als ein Travelcard-Papier gekostet hätte, selbst wenn man eine Express-Zustellung nicht mitberechnet. Das ist ein erstaunlich vernünftiges und kundenfreundliches System.

Der Rhein-Main-Verkehrsverbund, mit dem ich in meiner Heimat unterwegs bin, gilt als der teuerste Verkehrverbund Deutschlands. Seit September 2017 gehöre ich allerdings zu den Testern des RMV-Smart-Programms, das mit neuen Preismodellen für Gelegenheitsfahrer wie mich experimentiert. Unter anderem wird dabei nicht mehr nach Tarifzonen abgerechnet, sondern nach gefahrener Strecke und benutzten Verkehrsmitteln. Das ist angenehm, weil es einige Fahrten (kürzere Strecken und insbesondere solche, bei denen man nur gerade so die Grenze der Tarifzone überschreitet) günstiger macht, andererseits erfordert es innerhalb von Frankfurt eine genauere Planung. Ich muss nun bereits bevor ich losfahre bei der App-Ticketbuchung entscheiden, ob ich zwei Stationen vor meinem Ziel noch einmal umsteige oder ob ich dieses letzte Stück stattdessen laufe, um nicht auf den Anschlusszug warten zu müssen. Inbesondere nach der Erfahrung in London, wo ich mir über so etwas überhaupt keine Gedanken machen musste, weil ich auch gar kein Ticket mehr gelöst habe, freue ich mich daher umso mehr über die aktuelle Ankündigung des RMV, dass die neue Streckenabrechnung ab Sommer auch mit einem Einsteigen-und-Losfahren-Verfahren verbunden werden soll, bei der mein Handy selber erkennt, wo ich ein- und aussteige und entsprechend abrechnet. Damit spart der RMV die teuren NFC-Sensoren in Bussen und an den S- und U-Bahnstationen, und ich spare mir das Rumwedeln mit meiner Kreditkarte. Frankfurt wäre plötzlich weiter in der Zukunft angekommen als London. Spannend!

5. Disrupt Stadtrundfahrten!

An anderer Stelle war das Mobilitätsangebot in London hingegen nicht so reibungslos. Ich bin generell eigentlich ein Fan von Hop-on, Hop-Off-Busrundfahrten, um mir in fremden Städten erst mal einen Überblick zu verschaffen und vor Ort die touristische Vorbereitung nachzuholen, die ich im Vorfeld nicht geleistet habe. Ich kann aussteigen, wenn es mir irgendwo gut gefällt oder die Ansagen Lust auf ausführlichere Erkundungstouren machen. Wenn die Erläuterungen live von guten Tourguides mit Persönlichkeit gegeben werden, kann man die gleiche Strecke auch mehrmals fahren und lernt jedes Mal etwas neues. London hat mehrere Anbieter solcher Touren, die allerdings alle zu 90% die gleichen Strecken fahren und alle auch nur auf einer der Routen Live-Guides an Board haben. Da es im Januar in London noch ziemlich kalt war, habe ich mich für den offenbar einzigen Anbieter mit einer App entschieden, die eine genaue, digitale Routenkarte (statt eines Faltflyers) beinhaltet und vor allem auch die aktuelle Position der verschiedenen Busse anzeigt, sodass man weiß, wie lange man noch warten muss und ob man entsprechend schon bibbernd an der Bushaltestelle stehen sollte oder noch in Ruhe einen Kaffee mit oder ohne Selfie trinken kann.

Soweit die Theorie. In der Praxis stellt sich heraus, dass sich die beworbene App noch in der Beta-Version befindet, und das leider auch sehr deutlich. Ja, es gibt eine digitale Karte, aber diese zeigt immer nur die Stopps einer ausgewählten Route an (statt alle, was gerade das Umsteigen erleichtern würde) und verortet diese in einigen Fällen leider noch dazu gute 50 Meter von der eigentlichen Haltestelle entfernt, sodass man nach längerem Warten am falschen Ort den Bus dann in einiger Entfernung anhalten und wieder losfahren sieht, bevor man dorthin gesprintet sein könnte. Zudem zentriert die Karte bei jedem Ladevorgang an einem willkürlichen Startpunkt der Rund(!)fahrt, statt an der Position, wo man sich selbst gerade befindet und wo man sich entsprechend gerne orientieren würde.

Eine wenig hilfreiche Information

Das traurigste aber ist, dass die Anzeige der aktuellen Bus-Positionen nur sehr unregelmäßig aktualisiert wird, und sich anhand der Anzeige (anders als z.B. bei Uber) auch nicht unbedingt abschätzen lässt, wie lange ein Bus noch braucht, bis er von seiner Position an der eigenen Haltestelle ankommen dürfte. Auch lässt sich durch die unregelmäßige Aktualisierung bei in beiden Richtungen befahrenen Strecken nicht erkennen, in welche Richtung ein bestimmter Bus sich gerade bewegt, denn er bewegt sich ja nicht.

So blieb mir häufig doch nichts anderes übrig, als frierend an Bushaltestellen zu stehen und die vagen 15–20 Minuten (nach Plan) zu warten, bis hoffentlich der nächste Bus des richtigen Anbieters vorbeifährt. In der Zwischenzeit halten an derselben Haltestelle alle paar Minuten reguläre Stadtbusse in die gleiche Richtung, mit modernen NFC-Bezahlsensoren und einem in mehreren Apps nachvollziehbaren Fahrplan. [Neben Google Maps möchte ich mich hier sehr für Moovit stark machen, das mir inzwischen in Florenz, Aarhus, Manchester, London und sogar Berlin zuverlässig den Weg durch den oftmals für Fremde schwer durchschaubaren öffentlichen Nahverkehr gewiesen hat]. In diesen Momenten fiel mir das Startup freety.guide aus meiner Frankfurter Nachbarschaft wieder ein, das vorhat, kostenlose Stadtrundfahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Audioguides möglich zu machen.

Kurz darauf stellte ich mein Stadtführungsprogramm entsprechend vom Bus aufs Smartphone um, mit einem Praxistest der London-Audioguides von Play and Tour und iziTravel. Da sich meine Führung durch die Houses of Parliament aus ungeklärten Gründen um eine gute Stunde verschoben hatte, wanderte ich in dieser Zeit durch Westminster, die Mall, Whitehall und St. James’ Park und hörte mir dabei verschiedene Stimmen mit verschiedenen Informationen zu den dort verstreuten Sehenswürdigkeiten an. Teilweise starteten die Aufnahmen sogar automatisch, wenn ich am richtigen Ort stand, allerdings lief ich die Stationen (bedingt durch meine gegebene Start- und anvisierte Zielposition) entgegen der eigentlich angedachten Richtung ab. Nebenbei entwickelte sich meine Vorstellung davon, wie eine gute digitale Stadtführungs-Experience (Audio-Augmented Reality) aussehen sollte.

  • Das Auswählen und Abspielen der Erklärungen sollte primär über meine Position gesteuert werden. Ich will hören, was es an meiner momentanen Position Interessantes zu sehen gibt. Wenn ich mich an einen anderen Ort bewege, wo es etwas zu sehen gibt, sollte zur dort relevanten Erklärung gewechselt werden. Aber möglichst fließend, d.h. die vorige Sinneinheit (nicht aber ein mehrminütiger Vortrag) sollte noch abgeschlossen, nicht unterbrochen werden (und das möglichst in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit, mit der ich mich weiterbewege). So, wie das ein echter Stadtführer auch leisten würde.
  • Es sollte eine Möglichkeit geben, sich interessante Richtungen (oder Busrouten) vorschlagen zu lassen; die einzelnen Abschnitte sollten aber so unabhängig voneinander sein, dass ich mich nicht in einer bestimmten Richtung bewegen muss, damit sie Sinn ergeben.
  • Ich würde gerne Musik-Playlisten/-Apps einbinden können, die die Zeit vertreiben, wenn es nichts zu sehen/hören gibt, ähnlich wie bei Zombies, Run.
  • Ich will vorauswählen können, welche der vorhandenen Themenbereiche mich interessieren. iziTravel bietet viele verschiedene thematische und allgemeinere Touren an, aber ich muss zwischen diesen manuell wechseln, und weiß aber jeweils nicht sofort, welche davon Content haben, der in meiner Nähe relevant ist. Ich hätte gerne eine Checkliste, auf der ich auswählen kann, dass mich allgemeine historische Informationen, Beatles-Trivia und Harry Potter-Locations interessieren, kunsthistorische Abhandlungen aber nicht, sodass nur die entsprechenden Audiofiles abgespielt werden.
  • Um gegen den persönlichen Faktor von guten Livetouren ankommen zu können, hätte ich gerne von Prominenten gesprochene (und mitgestaltete) Touren. Für eine Tour in der David Tennant Bezüge zwischen den Lokalitäten und Doctor Who herstellt, eine Führung von Ian McKellen durch das Shakespeareanische England, oder persönliche Einblicke ins London von Comedians wie Jimmy Carr oder James Corden wäre ich bereit, gutes Geld auszugeben. Ebenso für gut sound-gemischte Führungen, die auch passende Klangeffekte und Musik verwenden (die Harry Potter-Tour z.B. würde durch den passenden Filmsoundtrack ungemein gewinnen)
  • Damit die App auch beim Reisen mit mehreren Personen brauchbar bleibt, muss es die Möglichkeit geben, das Abspielen zwischen mehreren Geräten zu synchronisieren, sodass alle das gleiche hören.

Ich glaube, dass es nicht unwahrscheinlich ist, das solche Apps kommen werden. Gute Live-Touren werden dadurch nicht verdrängt werden, aber die ineffizienten (und sowieso oft auch nur aufgezeichneten) Bus- und Bootsrundfahrten schon. Warum mehrere zusätzliche Fahrzeugflotten in Betrieb halten, wenn es bereits ein besser funktionierendes öffentliches Bus- und Bootssystem gibt, dem nur die Informationsebene fehlt?

BONUS: Harrods Technikabteilung

Eine kleine Technologie-Innovationsausstellung findet sich in einer Ecke der Technikabteilung bei Harrods. Fast alle Dinge, die es dort zu sehen gab, kannte ich bereits aus der Berichterstattung von Messen und aus Designblogs, aber es war dennoch nett, folgende Dinge mal selber in der Hand zu halten und über die hohen Preise für diese netten aber eher nutzlosen Gimmicks zu staunen:

  • PowerUp 3.0, eine Smartphone-Steuerung für Papierflieger
  • Prynt, ein kleiner Fotodrucker, der Videos zu den Fotos in eine App integriert
  • Panono, die 360-Grad-Kamera mit der höchsten Auflösung
  • Sensorwake, ein Wecker, der mit Gerüchen weckt
  • Basslet, ein Subwoofer fürs Handgelenk
  • Lyfe, eine Zimmerpflanze die mit Hilfe von Magneten im Raum schwebt und sich dreht, sowie Flyte, die schwebende Glühbirne
  • Muse-Headband, das Selftracking-Tool fürs Meditieren
Lyfe is Lyfe!

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Michael Kirmes

Workshop creator by day, innovation researcher by night. Behavioral Economist by training. I work for @ziWorkshop, but express my own views here.