Traurige Roboter

Zweiter Tag der SXSW 2016: AI, Machine Learning und Robots

Martin Recke
Still Day One
3 min readMar 13, 2016

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Je mehr menschliche Fähigkeiten von Maschinen und Robotern übernommen werden, umso dringlicher stellt sich die Frage nach dem, was den Menschen ausmacht. Sind es nur jene Fähigkeiten, die noch nicht automatisiert werden können? Und was ist, wenn nichts mehr davon übrig bleibt?

Jede wirkliche Revolution in der Arbeitswelt geht mit massiven Jobverlusten einher. Die industrielle Revolution hat die Arbeit in der Landwirtschaft bis auf einen kleinen Rest reduziert. Nun stehen womöglich ähnliche Prozesse für Wissensarbeiter bevor. Künstliche Intelligenz wird Arbeitsplätze kosten. Oder umgekehrt und positiv formuliert — menschliche Intelligenz für neue Aufgaben und Herausforderungen freisetzen.

Lego für Geeks auf der SXSW

Die künstliche Intelligenz (KI) lebt seit ihren Anfangstagen mit einem seltsamen Paradox: Sobald eine Funktion oder Fähigkeit, die als Element künstlicher Intelligenz galt, erfolgreich implementiert ist, gilt sie sofort als selbstverständlich — und wird nicht mehr als KI wahrgenommen.

Ein prominentes Beispiel ist die Erkennung menschlicher Sprache, die als Paradebeispiel für KI galt. Inzwischen reden wir wie selbstverständlich mit unseren Telefonen und denken keine Sekunde daran, dass dies irgendetwas mit AI zu tun haben könnte.

Dieses Paradox wirkt sich auch auf das Interaktionsverhalten zwischen Mensch und Maschine aus. Wir interagieren intuitiv mit Robotern wie mit anderen Lebewesen, auch wenn unser Verhalten gar keinen Sinn zu haben scheint, weil Roboter nur sehr eingeschränkt oder gar nicht auf dieses menschliche Verhalten reagieren.

Wendy Ju illustrierte dies am Beispiel eines autonomen Mülleimers, der rein äußerlich wenig mit einem Lebewesen gemein hat. Für die Interaktion mit Menschen ist der Ausdruck von Zuständen oder auch Emotionen wichtiger als die äußere Erscheinung.

Wenn ein Roboter schon an seiner Aufgabe scheitert, dann sollte er wenigstens Traurigkeit darüber zum Ausdruck bringen. Beruhigend für die Apokalyptiker: Die Expertenrunde auf dem Panel war sich heute einig darin, dass eine Machtübernahme durch Roboter vorerst nicht zu erwarten sei.

Go is a game of gut feel, and that’s been taken from us as well. (Max Levchin)

Künstliche Intelligenz ist heute vielfach noch auf menschliche Unterstützung angewiesen. Max Levchin sieht gar human-assisted AI als einen unaufhaltsamen Trend. Wo Siri nicht weiter weiß, kommt der Mensch ins Spiel.

So verschiebt sich die feine Linie zwischen Mensch und Maschine, und der Mensch wird zum Assistenten der Maschine. Wen dies beunruhigt, der möge an herkömmlich-analoge Szenarien wie die Arbeit am Fließband denken, wie sie schon das industrielle Zeitalter hervorgebracht hat.

Umgekehrt sieht Levchin den Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt des Wirtschaftens rücken, denn Profitmaximierung sei nicht so gut für den User — der aber letztlich über den wirtschaftlichen Erfolg entscheidet. Levchin nennt diesen Trend Beneficence:

Beneficence: The doing of good; active kindness.

Dag Kittlaus, vormals Gründer von Siri und heute Mitgründer von Viv (Tagline: the global brain), sieht Siri inzwischen als das erste Kapitel einer längeren Geschichte. AI sei jetzt an dem Punkt angekommen, an dem das iPhone war, bevor es den App Store gab.

Im Interview mit Steven Levy prophezeit Kittlaus eine Art neues, AI-getriebenes Internet: Wir werden keine Software auf unseren Spiegel oder den Kühlschrank herunterladen, sondern alles wird in der Cloud sein. Intelligence wird zur Utility, wie Strom und fließendes Wasser.

Auch Kittlaus, da ist der Norweger ganz Europäer, stellt sich philosophischen Fragen wie dieser: Kann man einer Maschine vertrauen, die meistens richtige Entscheidungen trifft — auch wenn man nicht versteht, wie sie diese Entscheidungen trifft? Diese Maschine bekommt so lange neue Informationen, sie lernt so lange dazu, wie sie richtige Entscheidungen trifft — bis sie irgendwann falsche Entscheidungen trifft.

Seine Prognose: AI wird als Superintelligence einen Punkt erreichen, an dem sie außer Kontrolle geraten kann. Die offene Frage ist, wann das geschieht und welche Folgen es haben wird. Übernehmen die Maschinen also doch die Macht?

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Martin Recke
Still Day One

Co-founder @nextconf, book author (“Next Level CMO”, “Parallelwelten”), blogger, journalist, political scientist, theologian, singer, father, roman-catholic.