Business Model Canvas für digitale Geschäftsmodelle (2/2)

Michele Savino
5 min readDec 6, 2016

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Im ersten Teil des Artikels wurden die Ebenen Kundensegmentierung, Kanäle, Kundenbeziehung und Umsatz des Businessmodel Canvas (BMC) mit zwei Kernthemen aus den Digitalisierungs-Workshops gegenübergestellt. Diese beiden Themen — exponentielle Trends und digitales Engagement — generieren Fragestellungen (s. Abbildung in blau). Im zweiten Teil werden nun die restlichen Ebenen des BMC (Ressourcen, Aktivitäten, Partner, Kosten) mit zwei weiteren Kernthemen gegenübergestellt: Ökosysteme und Assets (s. Fragestellungen in der Abbildung, grau hinterlegt).

Die Auswirkungen der exponentiellen Trends auf das heutige Geschäftsmodell wurden hinreichend in den vorherigen Artikeln behandelt. Nun werden wir die zentrale Rolle funktionierender Ökosysteme bei der Entwicklung nahtloser Kundenerlebnisse näher betrachten.

Ökosysteme schaffen nahtlose digitale Erlebnisse

In kreativen Denkprozessen (z. B. Design Thinking) entstehen interessante Ideen über zukünftige Erlebnisse. Kundenerlebnisketten, Empathy Maps und Customer Experience-Matrizen sind nur einige Beispiele dafür, wie man mit Tools Ideen strukturiert und visualisiert. Neben Bedürfnissen und Erlebnissen stehen auch Emotionen der Zielgruppen (s. Empathy Map) im Mittelpunkt.

Wie aber werden diese Kundenerlebnisse erfolgreich umgesetzt? Dank des Erfolges von Smartphones spielen mobile Applikationen eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung eines digitalen Erlebnisses. Bei der Umsetzung sind neben dem mobilen Erlebnis mehrere Erfolgsfaktoren wichtig. Die Umsetzungskosten etwa müssen in Relation zum Nutzen des Erlebnisses stehen. Die Umsetzungsdauer muss schnelle technologische Innovationszyklen berücksichtigen (s. Diskussionen über die Ablösung von mobilen Apps durch Chatbots). Vor allem muss sichergestellt werden, dass das digitale Erlebnisse eine nahtlose (‚seamless‘) Experience für den Konsumenten darstellt, denn nur so ist ein relevanter Nutzen für den Konsumenten des Erlebnisses sichergestellt. Sehr schnell wird klar, dass man diese Nahtlosigkeit nicht allein, sondern in sogenannten digitalen Ökosystemen erreicht. Es gibt einige prominente Beispiele erfolgreicher Ökosysteme, etwa Android (mit Google Play Store) und Apple (mit iTunes). Das jüngste Beispiel eines erfolgreichen Ökosystems und einer nahtlosen Customer Experience ist Amazon Echo.

Die Box ist für ca. 180 Euro im Amazon Store erhältlich und weist eine ähnliche Wachstumskurve wie jene die ersten Smartphones auf. Mit Hilfe der Entwickler-Community wächst die Anzahl Echo-zentrierter Services sowie die Anzahl kompatibler Devices praktisch täglich. Unternehmen wie Amazon setzten alles daran, damit ihr Ökosystem offen genug ist, um so viele Teilnehmer wie möglich, unabhängig von ihrer Größe, teilhaben zu lassen.

Wie entstehen digitale Ökosysteme?

Im Mittelpunkt eines digitalen Ökosystems stehen offene Plattformen, deren digitalisierte Abläufe den Teilnehmern und Nutzern das Leben erleichtern können. Die Plattformen sind skalierbar (in der Regel cloud-basiert). Eine Hauptaufgabe besteht darin, digitalisierte Abläufe (meist Software-Applikationen) so zu orchestrieren, das ein nahtloses Erlebnis sichergestellt wird. Offene API-Schnittstellen (Application Programming Interfaces) ermöglichen eine effiziente Orchestrierung, wobei ‚Effizienz‘ vor allem eine kostengünstige Integration gemeint. Die Webseite https://www.betfy.co.uk/internet-realtime/ visualisiert in Echtzeit die API-Aufrufe bekannter Plattformen (s. nachfolgende Abbildung, Aufrufe pro Stunde).

Neben der Orchestrierung digitaler Prozesse zu einem nahtlosen Kundenerlebnis mittels Plattformen (s. rote Linie in der nachfolgenden Abbildung) ermöglichen APIs die effiziente Ausführung von Prozessen an digitalen Interaktionspunkten (s. grüne Linie).

Anmerkung: Abläufe von Ökosystem-Teilnehmern (Partner, Lieferanten etc.) werden aus Gründe der Einfachheit nicht in den Abbildungen dargestellt.

Welche Rolle übernimmt das Unternehmen im Ökosystem?

Wie viel Umsatz ein Unternehmen mit Geschäftsmodellen generieren kann, die auf einem Ökosystem basieren, hängt hauptsächlich davon ab, welche Rolle das Unternehmen im Ökosystem spielt. Amazon wird mit Echo im Smart Home-Ökosystem eine zentrale Rolle spielen. Die Anbieter von Smart Home Devices können ihre Relevanz anhand der Größe der Community (Kunden) messen, die sie im Ökosystem mit einbringen. Die Softwareentwickler spielen in jedem Ökosystem eine zentrale Rolle. Je mehr offene Schnittstellen von Entwicklern in Applikationen eingebunden werden, desto grösser ist die Entwickler-Community, die für das Ökosystem Abläufe mittels Software digitalisiert. Damit sind digitalisierte Abläufe mittels Software neben offenen Schnittstellen ein wichtiger Treiber für funktionierende Ökosysteme.

Digitale Assets entscheiden über die Rolle im Ökosystem

Jedes Unternehmen muss für sich entscheiden, welche eigenen digitalen Assets (Software, Sensoren, APIs, Plattformen, Daten etc.) aktiver Bestandteil des Ökosystems sind. Ihre Rolle im Ökosystem hängt proportional vom Status der Digitalisierung der eigenen Wertschöpfung ab. Dass Amazon, Google, Facebook, Microsoft und Apple sich in einer guten Ausgangslage befinden, hängt nicht zuletzt davon ab, dass ihr Geschäftsmodell bereits heute vorwiegend auf digitalen Assets basiert (s. Artikel zu den 4 Etappen der digitalen Reise).

‚Make, Buy or Rent‘-Strategie?

Wie kann ein Unternehmen, dessen Wertschöpfung heute auf physischen Assets und Domänenwissen der eigenen Mitarbeiter basiert, am Erfolg digitaler Geschäftsmodelle teilhaben? Hier muss genau abgewogen werden, in welche digitalen Assets aus heutiger Sicht zu investieren ist bzw. welche Assets besser zugekauft werden sollten. Diese Frage kann nur vom Unternehmen selbst beantwortet werden. Eine Vision des zukünftigen Geschäftsmodells in der digitalen Welt muss vorhanden sein. Aus Sicht der digitalen Assets können lediglich folgende abstrakte Fragen formuliert werden:

In die Forschung digitaler Assets investieren!

Mehr denn je wird die eigene Forschung in digitalen Assets eine wesentliche Rolle spielen. Die Reduktion der Technologie- und Kommunikationskosten sowie die weltweite Verfügbarkeit von Experten in unterschiedlichen Bereichen sollten genutzt werden, um im eigenen Labor nach digitalen Technologien zu forschen. Nur durch praktische Erfahrung im Umgang mit diesen Technologien und deren Anwendung in neuen Geschäftsmodellen kann ein Unternehmen die notwendigen Erkenntnisse über die eigene digitale Zukunft gewinnen.

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