Was man über Konsens von BDSM lernen kann
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Angeregt von einer Geschichte die vor einiger Zeit in den Nachrichten herumging, in welcher das soziale BDSM-Netzwerk FetLife mit negativem Subtext erwähnt wird, habe ich das Gefühl dass ich für die vernünftigen BDSMler (was meiner 8-jährigen Erfahrung in der Szene nach die große Mehrheit ist) eine Lanze brechen muss — und das gilt auch für die, die Dinge wie Rape- und Abduction-Play praktizieren. Die Reputation von BDSM, und BDSMlern, nimmt von solchen Stories immer wieder Schaden. Ich verstehe dass es beängstigend, geradezu abstoßend, klingen kann dass es Webseiten mit Foren/Gruppen gibt deren Namen “Entführungsfantasien” oder “Wie man richtig Vergewaltigungsspiele spielt” sind, doch das funktioniert anders als es klingt.
In der BDSM Szene ist die oberste Priorität für jeden, der nicht kriminell ist, Konsens für alles das passiert von jedem der involviert ist. Die meisten Dinge die wir tun wären außerhalb eines komplett konsensuellen Kontexts illegal, und mit Recht strafbar mit teilweise langen Gefängnisstrafen. Niemand möchte tatsächlich beleidigt, geschlagen, gefesselt, entführt oder vergewaltigt werden (oder alles davon auf einmal); BDSMler die etwas oder alles davon genießen können tun das in fast allen Fällen nur mit bestimmten, wenigen Menschen, in bestimmten, wenigen Situationen.
Was Handlungen einen negativen Wert gibt, und emotionalen Schaden verursacht, ist nicht die Handlung selbst, sondern eine Abwesenheit von Konsens — informierter, bewusster Konsens. Das bedeutet: Konsens muss von jedem beteiligten Spielpartner komplett informiert gegeben werden für alles in das dieser einwilligt, alle Spielpartner müssen sich darüber einig sein was die Definitionen und Konsequenzen von Handlungen sind über die gesprochen wird die potentiell ausgespielt werden könnten, und alle Spielpartner müssen in einem geistigen Zustand sein der sicherstellt dass sie vollständig verstehen und beurteilen können was das für sie bedeutet. Letzteres wiederum heißt auch dass sie nicht unter dem Einfluss von Substanzen sein dürfen die ihre Auffassung der Realität und Fähigkeit rationaler Einschätzungsfähigkeit zu sehr beeinträchtigt, und sie müssen (völlig) bei Bewusstsein und fähig sein jederzeit während der Spiel-Session Konsens geben und zurückziehen zu können.
Dass die Unterscheidung zwischen einer “guten” und “schlechten” Handlung komplett auf Konsens basiert, nicht auf der Handlung selbst, kann verwirrend und unintuitiv erscheinen, aber sie ist wichtig. Sie ist die gesamte Grundlage von BDSM, und effektiv auch für den Wert von Handlungen außerhalb davon. Ich verstehe dass die meisten Menschen es wohl niemals genießen werden von irgendjemandem in irgendeinem Kontext Schläge zu bekommen, für die meisten Menschen ist diese Unterscheidung also eher unwichtiger. Allerdings ist es wichtig sich bewusst zu sein dass das nicht für alle Menschen der Fall sein muss. Manche genießen es tatsächlich geschlagen, gefesselt, vergewaltigt zu werden in (zeitlich) seltenen Fällen und von sehr wenigen, bestimmten Menschen denen sie völlig vertrauen.
Solch ein Kontext muss den/die richtige(n) Spielpartner beinhalten, die passende Situation, die passende Zeit, die passende Stimmung, den passenden Ort, und noch mehr. Falls diese Umstände zutreffen, können manche Menschen in Betracht ziehen Konsens für bestimmte Dinge zu geben die in die Kategorie des BDSM fallen — und das beinhaltet auch Dinge die wir Rape Play (Vergewaltigungsspiele) und Abduction Play (Entführungsspiele) nennen.
Der “Spiel”-Teil der Terminologie ist hier das wichtige. Er stellt die relevante Unterscheidung klar, und auch wenn manche Gruppennamen in diesen sozialen Netzwerken ihn möglicherweise nicht beinhalten ist es auf einer sinnvollen kinky Platform immer eine implizite Prämisse dass es sich um Spiele handelt, nicht reale Umstände, über welche gesprochen und diskutiert wird und für welche Tips und Ratschläge gegeben werden. Sobald es daran irgendeinen Zweifel gäbe würde die Gruppe schneller gebannt werden als Team Rocket ihren Abschiedspruch zuende bringen kann, und auch die Gruppenleitung könnte Probleme bekommen (abgesehen von der negativen Reputation die Mitglieder sofort abbekommen würden).
Es gibt viele Gründe warum Menschen BDSM und auch die Teile davon mögen die die meisten Menschen als “Gewalt” bezeichnen würden. Vertrauen, beweisen dass man selbiges wert ist, sich fallen lassen, keine Kontrolle haben -> sich nicht darum kümmern müssen was man tut und wie man dabei aussieht wären nur ein paar verbreteitere Gründe. Das Klischee von Vergewaltigungsopfern die versuchen durch BDSM Kontrolle zurück zu gewinnen ist furchtbar, und die Menge der sehr seltenen Fälle in welchen das leider halbwegs wahr ist ist so insignifikant dass sie für diese Diskussion irrelevant wird. Kein vernünftiger Mensch würde mit jemandem spielen der versucht BDSM als Coping Mechanismus (Bewältigungsstrategie) für Traumata oder andere psychische Problemsituationen zu missbrauchen (solange man sich dessen bewusst ist). BDSM wegen einem psychologischen Hintergrund zusätzlich zu genießen kann unter bestimmten Umständen vertretbar sein, aber das ist ein anderes (sehr kompliziertes) Thema.
Ein großer Teil von Diskussionen in jeder BDSM Community ist wie man sicher feststellen kann ob Konsens weiterhin gegeben ist, und wie man sicherstellt dass der passive Part einen Entzug von Konsens zu jedem Zeitpunkt kommunizieren kann. Es gibt Methoden um das zu tun tun falls reden nicht möglich oder eingeschränkt ist, und völlig egal was getan wird, wir stellen zu jedem Zeitpunkt sicher dass entweder problemlos verbal kommuniziert werden kann oder dass eine Hand frei ist um zu schnipsen oder etwas hörbar fallen zu lassen (wie z.B. eine Metallkugel) falls der passive Part nicht schnipsen kann. Das ist unsere höchste Priortät, und wenn wir nicht tun können was wir vorhatten ohne dass eins dieser Dinge sichergestellt ist, tun wir sie nicht — Punkt. Wer sie dann trotzdem tut bekommt sehr schnell einen Ruf als verantwortungslos und unvorsichtig, potentiell gar gefährlich. Jeder macht Fehler und Aufmerksamkeit kann entgleiten, aber die Reaktion auf einen Fehler stellt sehr eindeutig klar was die ursprüngliche Absicht war.
Besonders bei härteren BDSM-Praktiken werden diese Sicherheitsmechanismen immer wichtiger, und komplizierter. Praktiken wie Rape Play und Abduction Play sind eher selten in der Szene; einige haben Fantasien in die Richtung (inklusive mir), aber die schwerwiegendsten Gründe für die die (noch) nicht in die Richtung gehen ist dass sie keinen Partner haben dem sie genügend vertrauen und/oder dass sie nicht das Gefühl haben genug darüber Bescheid zu wissen wie man diese Dinge sicher und konsensuell ausspielt. Niemand möchte bei so etwas auf der passiven Seite sein und abbrechen wollen ohne einen Weg zu finden das tun zu können, ganz genauso wie kein Mensch auf der aktiven Seite am Ende herausfinden möchte dass der passive Part schon lange abbrechen wollte aber man das nicht erkannt/verstanden hat.
Viele oben spielende Menschen in der BDSM Szene haben Probleme damit sich einzugestehen was sie mögen, und zu akzeptieren dass es nicht die Handlung sondern fehlender Konsens ist welcher den Handlungen negativen Wert gibt. Das ist besonders bei Praktiken wie Rape Play der Fall, da diese eine so extrem negative Assoziation haben — gerechtfertigterweise, da es kaum etwas schlimmeres gibt das man einem Menschen gegen seinen Willen antun kann was außerhalb von BDSM ausschließlich der Fall ist. Breakdowns (emotionale Zusammenbrüche) innerhalb einer Session und wie man sich auf gesunde Weise um einen Partner kümmert welcher einen solchen emotionalen Drop erlebt sind ein riesiger Teil vom Diskurs bei jeder Praktik. Oft ist es der passive Part welcher zusammenbricht, aber gerade in härteren Sessions kann das auch dem aktiven Part passieren.
Niemand der noch bei Verstand ist sagt “Wir sollten echt mal Rape Play machen, nicht groß drüber nachdenken, lass uns einfach loslegen!” — wenn jemand das tut ist das ein zuverlässiges Zeichen für jeden sinnvollen BDSMler mit diesem Menschen niemals irgendwas zu praktizieren, und die Reaktion eines verantwortungsbewussten Menschen wird immer die Selbe sein: Halt Abstand. Jeder weiß dass diese Dinge gefährlich sind; das gilt für jeden Teil von BDSM auf eine gewisse Weise, aber für die härteren Praktiken — vor allem die mit Meta-Konsens — nochmal besonders.
Meta-Konsens ist Konsens welcher an einem bestimmten Punkt — explizit, freiwillig! — gegeben wird, und an jedem folgenden mit einem Zeichen oder Safeword zurückgezogen werden kann, aber alles andere das man tut oder sagt wird nicht als Entzug von Konsens behandelt, selbst wenn der Partner so überzeugend seine Rolle spielt dass ein Beobachter nicht daran zweifeln würde dass hier mit allen Mitteln und mit aller Kraft verzweifelt Widerstand geleistet wird. Damit umzugehen ist für keinen Beteiligten einfach; man braucht eine Menge Vertrauen und vorsichtige, verantwortungsbewusste Herangehensweisen ans Spiel und aneinander.
In einem Kontext in welchem eine entsprechende “reale”, nicht gespielte Situation fehlenden Konsens und Widerstand beinhaltet kann es schwer werden konstant festzustellen ob Konsens noch vorhanden ist. Das ist der Grund wieso es so viele aktive Gruppen für viele verschiedene BDSM-Praktiken auf FetLife gibt: Es wird diskutiert wie man diese so Safe, Sane und Consensual (“Sicher, Vernünftig und Konsensual”) — der BDSM-Term dafür ist “SSC” — wie möglich ausleben kann. Die andere, “härtere” Kategorie, unter welche auch Vergewaltigung und Entführung fallen (generell alles wo Meta-Konsens notwendig ist, und alles wo es ein Risiko von nicht-kurzfristigen Folgen gibt) ist RACK; Risk-Aware Consensual Kink (Risiko-bewusstes konsensuales Kink).
Natürlich geht es bei allen Praktiken mit Meta-Konsens auch darum, dass es sich auf bestimmte Weise “realistisch” anfühlt. In Rape Play wird gekämpft, geschlagen, körperliche Kraft wird ausgeübt, die Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt und in aufwendigeren Spielen sind auch die Location und die Teilnehmer relevant. Es kann passieren dass mehrere Menschen konsensuell teilnehmen ohne dass alle dem passiven Part bekannt sind, wenn dieser dem Partner der die Kontrolle hat genügend vertraut und vorher diskutiert und Konsens dafür gegeben wurde dass potentiell andere Menschen involviert werden können.
Wie man Konsens zu jedem Zeitpunkt sicherstellt ist das wichtigste Thema in jeder Gruppe welche Praktiken mit Meta-Konsens-Anteil behandelt. Zeichen, Safewords, besonders Körpersprache welche auf tatsächliches Unwohlsein hinweisen kann sind höchst relevante Diskussionsthemen. Passive BDSMler können manchmal dazu tendieren den aktiven Part (oder sich selbst) “beeindrucken” zu wollen indem man “beweist” wie viel man aushält, oder man will eine Gelegenheit nicht “verschwenden” welche sich nur selten bietet. Dadurch kann es passieren dass eine Session nicht sofort als abzubrechen kommuniziert wird, selbst wenn man sie nicht mehr genießt. Deshalb sind Safewords nicht 100% verlässlich, weswegen eine große Menge an Vertrauen vorausgesetzt ist — dass der passive Part eins nutzt wenn nötig, und dass der aktive Part es mitbekommen und beachten wird falls Konsens zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden ist aber eine Kommunikation aus irgendeinem Grund nicht stattfindet.
Außerdem muss den Partnern die Körpersprache, besonders die subtile, des anderen absolut vertraut sein. Den Unterschied zwischen gespieltem und realem Unwohlsein findet man meistens in Mikro-Expressionen und kaum bemerkbarer Gestik, oder im Ausbleiben davon. Im besten Fall hatte der passive Part bereits ein Mal einen Breakdown bei einer vergangenen Session bevor man eine mit Meta-Konsens beginnt, sodass der aktive Part ein paar Anzeichen kennt die für diesen Menschen damit einhergehen (Breakdowns sind sehr individuell). Zwischen einem gespielten “Nein!” bzw. einem gespielten körperlichen Widerstand und einem echten “NEIN!” bzw. einem echten körperlichen Widerstand unterscheiden ist nicht leicht, und spätestens jeder der mal eine Session mit Meta-Konsens hatte weiß das. Adrenalin und Erregtheit manipulieren eines Menschen Einschätzungsvermögen und die rationale Entscheidungsfähigkeit, und dessen sind wir uns bewusst.
Eine grundlegende Regel für jede BDSM Session ist dass der aktive Part niemals unter dem Einfluss von starker Emotion (außer besonderer Zuneigung) oder irgendeiner bewusstseinsbeeinflussenden Droge sein wird, zu keinem Zeitpunkt. Für die meisten BDSMler gilt das auch für den passiven Part, abgesehen von bestimmten gewollten/erwarteten Emotionen. Sowohl der aktive als auch der passive Part müssen eine Sesssion zu jedem Zeitpunkt abbrechen können ohne dass der andere Part das in Frage stellt, ohne ihnen das irgendwie übel zu nehmen, ohne zu suggerieren dass man sich dessen schämen müsste und ohne zu diskutieren — und man sollte wissen dass das immer der Fall sein wird. Bei wem das nicht verlässlich ist, von dem halten sich verantwortungs- und risikobewusste BDSMler (was für die meisten gilt!) fern. Solch ein Mensch ist toxisch, und potentiell gefährlich. Ganz besonders bei Praktiken mit Meta-Konsens.
Menschen in aktiven Rollen müssen konstant wachsam sein und beim kleinsten Zweifel abbrechen. In Sessions welche voll und ausschließlich auf Meta-Konsens setzen (was die große Mehrheit ist, und für viele BDSMler das einzige das überhaupt in Frage kommt) kommt oft das “Ampelsystem” zum Einsatz, was bedeutet dass der passive Part zusätzlich zu “rot” für einen kompletten Abbruch auch “gelb” für “pass auf, aber noch ist kein Abbruch nötig” und “grün” für “alles super, weitermachen” nutzen kann. Der aktive Part kann zusätzlich immer nach dem aktuellen Status fragen und die Session entsprechend nach der Antwort anpassen ohne komplett abbrechen zu müssen.
Das ist so in Meta-Konsens-Sessions nicht einfach so machbar, da Safewords — bzw. allgemein verbale Kommunikation außerhalb der gespielten Ebene — schnell die emotionale Stimmung (den “Subspace”) angreifen oder gar zerstören können. Ein Subspace ist ein Zustand in welchem der passive Part komplett die Außenwelt ausblendet und ausschließlich im Moment und Gefühl lebt, und sich da komplett reinversetzt um voll im Gefühl des Vertrauens und Fallenlassens aufzugehen. Da hin zu kommen erfordert eine große Menge an perfekt miteinander harmonierenden Faktoren, vollstes Vertrauen in den Partner und dessen Achtsamkeit, und hat heiliger-Gral-Status für manche Submissives in aufwendigeren, komplexeren Sesssions.
Artikel, die über härtere Praktiken von BDSM schreiben, implizieren oder suggerieren oft dass Gruppen die diese Praktiken zum Thema haben darüber reden würden wie man tatsächlich Leute entführt; wie man “besser” jemanden vergewaltigt. Das ist ganz großer Schwachsinn. Das Gegenteil ist der Fall: Es geht darum wie man sicherstellen kann dass was passiert sich niemals zu einer echten Vergewaltigung oder Entführung, da gegen den Willen vom passiven Part in irgendeiner Form, entwickelt. Das ist unsere Priorität.
Wir BDSMler sind uns des Unterschieds einer Handlung mit negativer Assoziation und einer Handlung mit fehlendem Konsens bewusst. Das müssen wir sein. Und Sie?
Die Dissertation “Kink in Flux: BDSM theory and sexual praxis” von Celeste Pietrusza von 2019 bei der Duquesne University zitiert die englische Originalversion dieses Artikels.
Der Rolling Stone zitiert diesen Artikel im Feature “Is it Safe for Abduction Fetish Sites to Exist on the Internet?”, von Britni de la Cretaz, mit Genehmigung.
Dieser Text wurde auf Anfrage des BDSM-Magazins Schlagzeilen in der Ausgabe 163 gedruckt; online ist der dort erschienene Text hier abrufbar.