Ich erkläre dir Weezers Coveralbum

Nilz Bokelberg
4 min readJan 24, 2019

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So, ich erkläre dem geneigten Hörer einmal kurz die heute überraschend erschienene teal-farbene Platte von Weezer
(Wenn du glaubst, dass nach Pinkerton keine gute Platte von Weezer mehr kam, dann lies bitte nicht weiter, sondern geh wieder Radiohead hören…):

Rivers Cuomo ist schon seit Jahren auf der Suche nach dem perfekten Popsong. Seit dem blauen Album sucht er den. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Ein wichtiger Aspekt dabei war es immer, zu covern. Weezer haben eine lange Tradition von Songcovern, von “Viva la Vida” über “Pokerface”, “Unbreak my Heart” oder “Kids” und vielen mehr. Und diese Cover haben immer ein Ziel. Rivers und seine Band wollen wissen: Wie haben die den Song ursprünglich gemacht?

Wenn man sich mal vor seine Anlage setzt oder seine Kopfhörer auf und sich Lieder anhört, die man seit gefühlt 1000 Jahren kennt, die immer überall laufen und ewige Hits sind, sich aber dann die Mühe macht, mal ganz bewusst zu hören: Wie viele Instrumente spielen da? Was spielen die einzelnen Instrumente genau? Wie klingen die Zusammen? Was wurde hier wohl zuerst komponiert? Wenn man sich diese Fragen beim hören stellt, eröffnet sich einem eine völlig neue Welt. Wirklich! So habe ich zum Beispiel Abba neu entdeckt und war weggeblasen, wie komplex diese Kompositionen sind und wie wenig man das wahrnimmt, wenn man die Songs einfach nur hört und mitsummt. Es ist ja oft sogar noch doller: Man hält diese Lieder für simpel! Ha! Wie blöd man sein kann!

Es gab diese goldenen Zeiten des Songwritings. Und die waren ganz klar in den 70/80er Jahren. Und wenn man jetzt verstanden hat oder rausfinden kann, wie damals Lieder geschrieben wurden, wie man auf gewisse Melodiebögen kam, wie eigentlich so ein unmöglicher Popsong wie “Bohemian Rhapsody” so viele Menschen berühren konnte, wenn man sich da auf die Suche begibt, lernt man mehr über Songwriting als irgendwo sonst. Und wenn man dann versucht nachzuspielen, nachzuempfinden, nachzuarrangieren, ist das ein äusserst spannender und komplexer Prozess, bei dem vielleicht das Ergebnis am langweiligsten scheint, aber im Endeffekt am aufregendsten ist. Im eigenen Stil kann man jedes Lied der Welt covern, das ist keine Kunst, das ist die Comfort Zone. Die Kunst ist hier das Mimikry, es zu schaffen, das Klangbild des Originals nachzuempfinden. Das können nur Menschen, die auch Musik machen können und die Musik lieben.

Das ganze lässt sich vielleicht noch mit dem, von der Kritik oft zu Unrecht geschundenen, “Psycho”-Remake von Gus Van Sant vergleichen, der zu einem Großteil (ich glaube, es geistert die Zahl von 80% herum) sogar die originalen Einstellungen von Hitchcock übernommen hat. Es ging nicht darum, den Film mit einer gewollt eigenen Note neu zu erzählen, es ging darum, herauszufinden, wie einer der größten Erzähler des Kinos überhaupt erzählt hat. Very meta? Vielleicht. Aber wie aufregend!

Nun aber noch weiteres zum Weezer Coveralbum: Die Platte ist heute überraschend als Stream auf YouTube etc. veröffentlicht worden, es ist (noch) keine Vinyl-Ausgabe geplant und man konnte im Webshop eine limitierte Auflage von 80er Jahre Weezer-Plastik-Portmonees inkl. des Coveralbums auf CD und einer digitalen Kopie des SCHWARZEN Albums bestellen. Das schwarze Album ist DAS heiß ersehnte Weezer-Album und erscheint am 1.3.

Das Artwork der heute erschienenen Platte ist im albernen Miami Vice Look, genauso wie die Farbe und die Cover sind größtenteils 80er Jahre Songs. Ganz offensichtlich also haben wir es hier mit einem Gag zu tun. Mit einer Fingerübung. Mit einem Spaß aus dem Studio, einer Art Amuse Gueule, einem Gruß aus der (Studio-) Küche. Aber nicht mit einem sorgsam kuratierten, gedachten und gemachten Album. Das Teal-Album ist ein Fanservice, wenn man so will. Ich kann auch Nicht-Weezer-Fans nicht verübeln, damit nicht viel anfangen zu können oder die Songauswahl für lame zu halten. Aber als Fan macht diese Platte genau soviel Sinn wie Spaß und es ist klar, dass man die weder allzu ernst nehmen, noch zu hoch hängen muss. Bands können heute veröffentlichen was und wann sie wollen. Und da kann eben auch mal so eine Coverplatte bei rauskommen. Um die Wartezeit auf das richtige Album zu verkürzen, vielleicht.

Und, übrigens, wenn man genau hinhört, dann haben natürlich auch diese Cover immer irgendwo den besonderen Weezer-Sound. Wie könnte es auch anders sein? Manchmal ist es sogar umgekehrt: “Mr. Blue Sky” — wie konnte das zum Beispiel nicht schon immer ein Weezer-Song sein? Im Grunde genommen haben ELO das von Weezer gecovert, bevor es Weezer gab. Und jetzt haben sie es sich eben rechtmässig zurückgeholt. Das ist nur fair. Und der Song ist wirklich wie für Rivers Stimme geschrieben.

Wenn ihr also diese Dinge zu Herzen nehmt und damit vor Augen diese Platte nochmal hört: Könnt ihr dann nicht auch so einen Spaß dabei haben, wie ich?

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