Warum es Ausdruck meines politischen Verdrusses ist, dass ich nicht in die SPD eingetreten bin, um über die GroKo abzustimmen.

mathis
3 min readFeb 8, 2018

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Ich bekomme wöchentlich etwa vier bis fünf Mails zu Petitionen von Change.org oder ähnlichen Plattformen, bei denen ich mit meiner Unterschrift das Klima oder die Bienen retten kann. Und jetzt kam Kevin Kühnert und schlägt mir vor, was diese Pettitionsverbreiter auch tun: Schnell Mitglied werden und dann Abstimmen.

Ich habe mich über die Wochen, die die NoGroKos zum Eintritt geworben haben so verhalten, wie ich mich gegenüber Online-Petitionen auch verhalte: Interessiert zur Kenntnis genommen und nicht erwartet, dass meine Unterschrift in diesem Fall die Regierung rettet.

Jetzt ist die Eintrittsfrist vorbei und ich wundere mich über meine Kurzsichtigkeit, beziehungsweise meinen fatalen Fehlschluss.

Denn mir aufgefallen, dass dieses Mitgliedervotum der SPD Basis über das Zustandekommen der #GroKo eine Situation schafft, wie sie in unserer parlamentarischen Demokratie eigentlich gar nicht vorgesehen ist: Die basisdemokratische Abstimmung über eine (in Ressorts und Eckpunkten festgelegte (!!)) Regierung.

Mitglied kann in der SPD werden, wer älter als 14 Jahre ist und nicht gleichzeitig einer anderen Partei angehört. Abgesehen von einem (bei nur kurzer Mitgliedsdauer geringem) einkommensabhängigen Beitrag steht der Abstimmung nichts mehr im Wege.

Mit dem Mitgliedervotum gegen Politikverdrossenheit

Ich habe den Aufruf zum Eintritt in die Partei um gegen die GroKo zu stimmen wirklich wie einen Aufruf zum Teilnehmen an einer Online Petition verstanden und damit die eigentliche Kraft des Mitgliedervotums völlig falsch eingeschätzt.

Dr. Hugo Müller-Vogg nennt es „Demokratie à la SPD“ und beschreibt sein Motto als: „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom”. Da ist das Mitgliedervotum im „Demokratie à la SPD“ weniger widersprüchlich: Denn mit der Möglichkeit, dass basisdemokratisch und (unter Ausschluss anderer ParteigängerInnen) bundesweit über die künftige Regierung abgestimmt werden kann, setzt die SPD der zunehmenden Politikverdrossenheit à la „das bringt doch eh nichts“ das stärkste Mittel entgegen, das sie aufbringen kann.

Und warum bin ich dann nicht eingetreten?

Dass ich das nun so formulieren kann, kommt leider 48 Stunden zu spät. Mich bewegt dennoch die Frage, warum ich die Kraft des Mitgliedervotums als so wenig real eingeschätzt habe. Und das führt mich zurück zu den Online-Petitionen à la Change.org und andere.

Ich habe häufig auf Straßen gestanden und Passantinnen Petitionslisten unter die Nase gehalten und gebeten zu unterschreiben. Ich unterschreibe auch jetzt noch meist, wenn ich physische Listen vor mir habe.

Hätte mir die SPD bei einem Stadtbummel ein Formular unter die Nase gehalten auf dem ich für oder gegen die #GroKo hätte stimmen können: Ich hätte es gemacht!

Die ständige Dauerbeschallung mit was ich mit meiner Stimme jetzt mal eben erreichen kann stumpft ab. Denn ich sehe die Effekte nicht. Die mit emotionalen Schlagwörtern von Werbe-PR-Leuten aufgebauschte NGO-Rhetorik geht mir immens auf die Nerven. Die damit gepaarte Datenschutzproblematik (die mit phsysischen Petitionen nicht vergleichbar ist) durchs Veröffentlichen meiner (politischen) Positionen und das ständige per E-Mail/Twitter/Facebook/Snapchat Weiterverbreiten, macht mich zum Online-Petition-Gegner.

Die Neueintritte in die SPD hätten — wenn wir annehmen dass tendenziell eher GroKo-Ablehnende eintreten — rein statistisch tendenziell zu einem NoGroKo im Mitgliedervotum geführt. Und dieses wäre bindend gewesen für die Parteispitze. Mein mentaler Vergleich der SPD-Abstimmung mit Online Petitionen hätte nicht schlechter sein können.

Schade.

Ich kann nur hoffen, dass die, die jetzt noch abstimmen können einen munter abschiebenden Seehofer als Innenminister nun wirklich nicht mehr akzeptieren können.

Dass ich diesen Vergleich zwischen Mitgliederentscheid und Online-Petitionen mental gezogen habe und nicht weiter verfolgt habe, um die eigentliche Kraft des Vorstoßes zu sehen, begründe ich in meiner abgestumpften Politikverdrossenheit. Sonst hätte ich wohl gesehen, „dass das was bringt“.

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mathis

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