Die Zeichen des Klimawandels und der Trockenheit sind unübersehbar (Foto: Ole Wintermann)

Der Umgang mit der Erderhitzung: Sind wir die nächsten Bewohner der Osterinseln?

Jared Diamonds “Collapse”: Die Osterinseln sollten uns als abschreckendes Beispiel dienen

Ole Wintermann

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Jared Diamond hat in seinem spannend zu lesenden Buch “Collapse” vor inzwischen bereits 14 Jahren einen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen geworfen, die bereits in der Vergangenheit zum Untergang von Gesellschaften geführt haben. Für ihn als Geographen waren es die folgenden 5 Faktoren, die sich als besonders gefährlich für existierende Kulturen erwiesen haben: Umweltschäden, Klimaschwankungen, Feindliche Nachbarn, der Wegfall von Handelspartnern und eine falsche Reaktion der Gesellschaft auf Veränderungen. Nach der Lektüre des Buches sind mir besonders die Beispiele der Bewohner der Osterinseln sowie der Wikinger auf Grönland im Kopf geblieben. Beides sind Beispiele, in denen negative Umwelt- und Klimaveränderungen zu existenziellen Krisen geführt haben, weil begleitend keine gesellschaftliche Lösung des Problems gefunden werden konnte und die Kulturen zudem sehr abgeschieden gelebt haben. Er schließt am Ende Buches mit der Frage, ob die Erde im Angesicht der globalen Erderhitzung der Ort ist, der die Osterinsel für die Polynesier war: Die Mitglieder dieser Kulturen wussten, dass sie ein existenzielles Problem hatten, allein, sie kamen nicht mehr von der Insel weg. Ist unsere Erde diese Insel?

Dieses starke erzählerische Bild von Diamond kommt mir ins Gedächtnis, wenn ich die gegenwärtigen politischen Diskussionen zur Bekämpfung der Erderhitzung anschaue. Im Angesicht einer neuen existenziellen Bedrohung können sich die Entscheiderinnen weltweit nicht auf konkrete Aktionen gegen diese Bedrohung einigen, geschweige denn das Problem an sich überhaupt ersteinmal als relevant anerkennen. Es fehlt demnach ein Modus Vivendi, um endlich die Ursache des Problems anzugehen.

Der Klimawandel unterscheidet sich von anderen politischen Herausforderungen in vielerlei Hinsicht

Die Ursachenbekämpfung ist mit mehreren Problemen verbunden, die bei anders gelagerten Herausforderungen wie der Reform der Rentenpolitik zum politischen Geschäft dazugehören, bei der Erderhitzung aber Menschenleben kosten:

a) Die Fraktion der Wissenschaftsleugner reicht bis tief in die deutsche (jedoch nicht nur diese) Parteienlandschaft der bürgerlichen Mitte und ist mitnichten eine originäre Eigenschaft der politischen Rechten. Obgleich auch bezüglich der letzten Hitzewelle ein eineindeutiger (statistischer wie auch sachlicher) Zusammenhang hergestellt worden ist, bemühen sich Demokraten der Mitte und der Rechten zu betonen, dass diese eine Hitzewelle ein Wetterereignis war, das es so schon immer in Deutschland gegeben habe (was zwar nicht für den Eintritt eines solchen Ereignisses per se falsch ist, jedoch komplett falsch wird, wenn das Niveau der Temperatur und der Häufigkeit im Mehrjahresverlauf betrachtet wird).

b) Eine ausgesprochen schlechte Rolle nehmen Teile der deutschen Medien ein, wenn es darum geht, das Bewusstsein in der Bevölkerung für die reale Gefahr der Erhitzung zu schärfen. Solange von “Sonne satt” und dem “Knacken eines neuen Hitzerekords” gesprochen wird, als wäre letzteres Ausdruck irgendeiner besonderen und ganz gezielten “Leistung” und als wäre es ein Wettbewerb, bei dem wir uns gegen europäische Nachbarländern durchsetzen müssten, wird sich der Bewusstseinswandel nicht vollziehen. “Sonne satt” müsste in der Neuzeit eigentlich lauten “Neue Dürreperiode droht”. Wenn die Sonne im Flachland mit einem UV Index von 11 (wie dies während der letzten Hitzewelle der Fall gewesen ist), der eigentlich nur in höheren Bergregionen zu finden ist, vom Himmel strahlt, darf dies keine “lustige” Begebenheit in der morgenlichen Radio-Gute-Laune-Wettervorhersage mehr sein sondern muss endlich als eine reale Bedrohung für die meisten Menschen angesehen werden. @terliwetter und @KSchwanke zeigen in ihrer täglichen Aktivität in den sozialen Medien, wie es stattdessen besser geht. Wir benötigen mehr solcher Role Models.

c) Wissenschaftsleugner und Teile der Medien sind gemeinsam eigentlich schon eine ausreichend große Baustelle, die politisches Agieren massiv erschwert. Hinzu kommt im deutschen Fall aber auch die politische Ökonomie einer stark alternden Gesellschaft, die systemisch gegen das schnelle Agieren gegen diese Menschheitsbedrohung spricht. Beim Aufbau einer digitalen Infrastruktur war es noch die gerade im deutschen Bildungsbürgertum (mit seiner überdurchschnittlich alten Baby Boomer Generation aka “Nichts kann ein echtes Buch und ein echtes Gespräch zwischen Menschen ersetzen”) verbreitete Skepsis gegen diese “neue Technik” und die “neuen Medien” aus dem fernen Silicon Valley, die immer wieder Stiff für neue Anekdoten bei Vorträgen über die Langsamkeit der deutschen Gesellschaft offerierte. Diese deutschen Kauzigkeit kann uns bei der Frage des Klimawandels aber Menschenleben kosten. Bereits nach der tödlichen Hitzewelle im Sommer 2003 mit seinen 70.000 Hitzetoten v.a. in Frankreich und Deutschland kam eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft im Auftrag des WWF 2007 zu dem Ergebnis, dass allein aufgrund der Alterung in Deutschland im Zusammenhang mit der Erderhitzung die Zahl der jährlichen Hitzetoten deutlich ansteigen werde. Als Lösung schlug man vor, öffentliche gekühlte Aufenthaltsräume für ältere Menschen bereit zu zustellen. Was hat deutsche Politik aus 2003 gelernt? Rein gar nichts. Diese Nicht-Handeln ist im wörtlichen Sinne tödlich.

d) Viele deutsche Politikerinnen sind international nicht mehr wettbewerbsfähig. “Wettbewerbsfähig” meint hier das Niveau der Qualifizierung in einem international bedeutenden Themenfeld sowie die Fähigkeit, in einer internationalen Community in den sozialen Medien sichtbar zu sein. Ein “Zerstörung der CDU”-Video war nur möglich, weil erstens die sachlichen Gründe so eindeutig (in diesem Fall) gegen die CDU und ihre nicht vorhandene Klimapolitik sprachen. Es war Rezo ein Leichtes, durch eine Recherche “in diesem Internet” relativ schnell bekannte Studien heranzuziehen, die sehr schnell offensichtlich werden ließen, dass die CDU bei der Klimapolitik “nackt” ist. Sie (aber auch die SPD!) hatte schlicht den Kontakt zum aktuellen Stand der Klimaforschung verloren und ist nicht mehr auf der (wissenschaftlichen) Zeit. Zweitens ist es nach wie vor erstaunlich, wie international irrelevant deutsche Politikerinnen in den sozialen Medien sowohl im internationalen Vergleich aber auch auf internationalem Parkett an sich sind. Bei erfolgreichen Unternehmen und selbst in autoritären Regimen wie dem Iran ist es inzwischen Allgemeingut, dass man in irgendeiner Form mit den Menschen in Kontakt treten muss, ums eine Ziele zu erreichen. Während Trump mit seiner immensen Followerschaft auf Twitter reale Weltpolitik macht, fremdeln selbst deutsche Politikerinnen, die sich mit internationalen Ämtern schmücken wollen, mit den sozialen Medien an sich.

Wenn politische Akteurinnen aber ein international relevantes Problem angehen wollen, müssen sie den Stand der internationalen Forschung und die öffentlichen Debattenlinien kennen.

e) Zudem gibt es keine eineindeutige Kausalitäten zwischen den denkbaren Maßnahmen und ihren realen Auswirkungen. Wir erleben zur Zeit ein ständiges Für-und-wider in der Debatte über Maßnahmen, die ergriffen werden könnten. Flugverkehr mache ja “nur” 2% der weltweiten Emissionen aus. Dann können er ja nicht so schlimm sein. Zementproduktino sei deutlich schlimmer. Deutschland sei nur für 4% der weltweiten Emissionen verantwortlich. Ersteinmal sollten China und USA aktiv werden, bevor man in Deutschland eine Diskussion über eine CO2-Steuer eröffne. Aus der technologischen Mottenkiste wird auch gern mal wieder der Wasserstoff-Motor für Autos geholt, um den Druck, der durch ausländische eAuto-Hersteller entsteht, abzuwehren. Ein kurzer Blick in das SPIEGEL-Archiv offenbart, dass Volkswagen bereits 1968 (!) durch den Hinweis auf den bald anstehenden Wasserstoffantrieb der kritischen Debatte um Verbrennungsabgase entkommen ist. Auch aktuell scheint diese Strategie der Auto-Lobby zu unserer aller Lasten erneut zu funktionieren. Erdgas wird plötzlich als Brückentechnologie gefeiert (wofür gibt es entsprechende Lobbyisten?). Selbst Fracking-Gas, das mit Schiffen aus den USA nach Deutschland angeliefert werden wird, wird plötzlich als Rettung gefeiert. Absurder geht´s nicht. In gewissen Teilen der sozialen Medien wird solch ein Abwiegeln “WhatAboutism” genannt. Meint: Maßnahmen werden abgelehnt, weil irgendetwas anderes noch sehr viel wichtiger oder schlimmer sei. Bei der Erderhitzung gilt aber, dass es nicht die eine (!) Universallösung geben wird und sei wie wie im Fall der Aufforstungs-Studie noch so romantisch einfach (aber methodisch leider unsauber). Wir benötigen einen ganzen Strauß von Maßnahmen.

f) Und schließlich: Das Problem wird sich nicht innerhalb eines Menschenlebens lösen lassen. Damit scheint aber die Motivation, dieses riesige Problem lösen zu wollen, sowohl für Politik als auch Wählerinnen sehr gering zu werden, es sei denn, man ist Vater oder Mutter und fragt sich, wie die eigenen Kinder in einer solchen Zukunft leben werden. In der Vergangenheit waren selbst Kriege, in die Demokratien involviert waren und die massiv Einfluss auf die demokratische Gesellschaft und deren Willensbildung hatten, zeitlich limitiert. Wie aber geht eine (demokratische) Zivilgesellschaft mit einem Problem um, dass von nun ab von Jahrzehnt zu Jahrzehnt deutlicher und gefährlicher für die eigene Existenz werden wird? Wie geht eine Gesellschaft mit der wissenschaftlichen Erkenntnis um, dass bisherige Berechnungen zur Dynamik des Klimawandels viel zu optimistisch angelegt waren und wir gegenwärtig eine nahezu beängstigende Beschleunigung der Erhitzung wahrnehmen müssen (dies gilt nicht für deutsche Papiermedien, in denen dieser Punkt vielleicht erst nächstes Jahr ankommen wird). Wie gehen wir damit um, wenn investigativer Journalismus feststellt, dass der Kampf gegen den Klimawandel bereits vor Jahrzehnte aufgenommen werden hätte können, wenn Öl-Lobbyisten nicht Politiker “beeinflusst” hätten? Wie geht eine Gesellschaft damit um, wenn ihr vor Augen geführt wird, dass wir allein mit den Kohlekraftwerken, die heute schon am Netz sind, viel zu viel CO2-Emissionen in den nächsten 40–50 Jahren produzieren werden, wir also bereits über einen Rückbau nachdenken müssten? (Der sich ja Dank v.a. des Wirkens der SPD in Deutschland noch bis 2038 verzögern wird). Wie ziehen wir die unternehmerischen Entscheiderinnen zur Verantwortung, die mit ihren allmächtigen Befugnissen Schaden für die gesamte Menschheit herbeigeführt haben und dies immer noch tun, ohne jemals juristisch belangt werden zu können? Ist deren Handeln gegen die Interessen der Menschheit nicht teilweise ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof? Diese Debatte wird durchaus zunehmend geführt und zeigt, dass wir darauf eine rechtsstattliche Antwort finden müssen.

Die UN warnt vor dem Zusammenbruch jeder gesellschaftlicher Ordnung

In einem aktuellen UN-Report wird vor dem kompletten Zusammenbruch der Funktionen von Gesellschaften und gesellschaftlicher Ordnung in Folge des Klimawandels gewarnt. In einem weiteren Bericht eines australischen Think Tanks, der von ehemaligen australischen Militärs mitveröffentlicht wurde, wird davon gesprochen, dass es eine große Wahrscheinlichkeit gebe, dass bis 2050 die menschliche Gesellschaft zusammenbrechen werde. Inzwischen gibt es eine immer größer werdende Zahl von Klimaforschern, die auf der persönlichen Ebene mit den psychologischen Folgen ihrer Erkenntnisse zur Dramatik des Klimawandels zu kämpfen haben:

“They (the climate researchers) are on the front lines of contending with the fear, anger, and perhaps even panic the rest of us will have to deal with.”

Wie reagiert die deutsche Politik? Man müsse jetzt einen “Klimakonsens” finden. Ich frage: Konsens worüber?

Als ob es noch eine Debatte über das Faktum der Erhitzung gebe, als ob wir noch die Wahl hätten, eine von mehrere Maßnahmen auszuwählen und die anderen nicht zu beachten, als ob wir noch Zeit hätten, darüber zu diskutieren, dass SUVs ja gar nicht so schädlich seien, dass ein Tempolimit mitnichten “Freiheit” beschränke, dass die 20.000 wegfallenden Arbeitsplätze im Braunkohletagebau eben nicht wichtiger seien als das Überleben der Gesellschaft, dass Wirtschaft und Umwelt eben keine zwei getrennte Sphären wären. Und wie auch beim Thema Digitalisierung zeigt sich, dass deutsche Politik inzwischen der internationalen Debatte hinterherhinkt. Wieso gab es noch keine Befassung mit dem Gedanken des Green New Deal, der v.a. durch die Hoffnungsträgerin der US-Demokraten, Alexandria Ocasio-Cortez, vorangetrieben wird? Müssten wir angesichts der Zeitknappheit inzwischen nicht über radikalere Instrumente des Umsteuerns unter der Überschrift #DeepAdaption nachdenken?

Hält eine Demokratie ein solch drängendes Problem wie die Erderhitzung bzw. deren Lösung durch schnelle und ungewöhnliche Maßnahmen aus oder zerbricht sie schon zu Beginn des Prozesses an der hochemotionalen Debatte, ob Fleisch ein “Stück Lebenskraft” und “Genuss” sei oder eben nur die industrielle, tierverachtende und extrem klimaschädliche Produktion tierischen Einweißes und ob das “Freie Fahrt für Raser”-Paradigma der wenigen Macker-Typen mehr zählt als die Vernunftsorientierung der breiten Masse der Autofahrerinnen?

Ich befürchte, mit der endlosen Suche nach einem wie auch immer gestalteten Konsens werden wir den Bewohnern der Osterinseln nachfolgen, weil wir, wie Diamond schon für die menschliche Vergangenheit festgestellt hatte, uns als nicht fähig erweisen, auf diese Herausforderungen reagieren.

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