Kann es einen Grundkonsens zur deutschen Klimaschutzpolitik geben?

Ole Wintermann
4 min readFeb 16, 2020

Drei Meldungen im Verlaufe dieser Woche aus drei unterschiedlichen Ländern führen uns vor Augen, dass sich insbesondere konservative und liberale Politik fragen lassen muss, ob sie mit Blick auf das Zukunftsthema der Menschheit — dem menschengemachten Klimawandel — noch auf der Höhe der Zeit argumentieren kann und welche Rolle sie dabei als Parteien der Wissenschaft zuschreiben wollen.

Deutschland

Am Freitag hat der Deutsche Bundesrat die Einführung eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen (aka Einschränkung des Rechts, ungehemmt eine Waffe auf 4 Rädern zu fahren) mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP verhindert. Dabei konnte sich anscheinend die Auto-Lobby wie schon 1974 im Angesicht der Öl-Krise und der temporären Einführung eines Tempolimits insbesondere mal wieder auf die liberalen Vorkämpfer für die “Freiheit” verlassen. So schrieb der SPIEGEL schon 1974 über das Lobbyieren gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen:

“Diskret versuchten derweil BMW-Chef von Kuenheim und Daimler-Benz-Vorstand Heinz Schmidt in Bonn für die PS-Produzenten zu werben. Bevorzugte Gesprächspartner bei ihren Abstechern in die Bundeshauptstadt waren Liberale.”

Dabei gab es auch im Jahre 2020 tatsächlich kein einziges sachliches oder wissenschaftliches Argument gegen ein Tempolimit. Den Hinweis auf die “intelligente Verkehrsführung” als Alternative zum Tempolimit gibt es seit ca. 3 Jahrzehnten; diese wurde aber außerhalb der großen Städte nie eingeführt. Das Hauptargument vor allem der Liberalen aber auch der Konservativen ist der Hinweis auf “Freiheit”. Nichts anderes findet sich auch in der Argumentation der National Riffle Association in ihrer Argumentaion für das Recht auf das Recht, uneingeschränkt Waffen tragen zu können. So sagte der NRA-Boss LaPierre nach einem der letzten Amokläufe in den USA:

“They care more about control, and more of it. Their goal is to eliminate the second amendment and our firearms freedoms so they can eradicate all individual freedoms…”

In beiden Fällen handelt es sich um ein Verständnis von individuellen Freiheitsrechten, die vor 300 Jahren unter den Bedingungen eines noch nicht funktionierenden Staatswesens angebracht sein konnten, die aber heute unter den Bedingungen einer hochtechnisierten und komplexen Welt nur noch als Anachronismus erscheinen; ein Anachronismus, und das vergessen die Befürworter dieses altertümlichen Begriffs von “Freiheit” nur allzugern, der das Bedürfnis der Mehrheit der Menschen nach mehr Sicherheit im tödlichen Straßenverkehr mit Füßen tritt.

Teile der CDU und der FDP betonen in der Debatte gern, dass es ja gar keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Ausmaß der Sicherheit, die ein Tempolimit mit sich bringen könnte, gebe. Diese Aussage ist Ausdruck von Ignoranz oder Provinzialismus und ganz einfach Blödsinn. Gern können sich die Vertreter dieser Parteien ja mal bei den Nachbarn im Norden über die positive Wirkung von Tempolimits, getrennten Fahrbahnen auf Bundesstraßen und Distanzmessungen informieren.

Schweden

In der schwedischen Stadt Hörby sind vor einem Jahr die Sverigedemokraterna, das Pendant zur deutschen #AfD, mit Hilfe der Partei Moderaterna an die Macht gekommen. Die “Moderaten” sind politisch gesehen im rechten weltlichen CDU-Spektrum anzusiedeln. Nun, ein Jahr später, sind 26 Verwaltungschefs aus der Verwaltung dieser einen Stadt zurückgetreten. Die letzte verbliebene Führungskraft, die nunmehr aber auch zurückgetreten ist, ist die Leiterin der Sozialbehörde. Sie verwies auf einen der wichtigsten Beweggründe: Dass sie durch das Wirken der Sverigedemokraterna nicht mehr glaubhaft auf eine wissenschaftliche Basis ihrer Arbeit verweisen könne.

Australien

In einem Interview des Journalisten David Speers vom Sender ABC TV mit dem stellvertretenden australischen Premierminister McCormack fragt ersterer, ob die australische Regierung mit der Aussage des IPCC konform gehe, dass zur Garantie des 1,5 Grad Ziels die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 auf Null zurückgefahren werden müssten. Es geht also um die Frage, ob man sich als Regierungsmitglied grundsätzlich dem wissenschaftlichen globalen Konsens anschließe; es geht bei dieser Frage nicht um die Wahl der Methoden. Die Antwort von McCormack verwundert daher aus vielerlei Perspektive. Er antwortet, dass nicht der IPCC sondern die Liberalen und Nationalen Australien regieren würden; die Frage zielte aber einfach auf einen wissenschaftlichen Grundkonsens — ähnlich der Evolutionstheorie — ab und nicht auf die Frage der Durchführung von Maßnahmen. Gerade im australischen Fall wären natürlich noch viele weitere Beispiele aus den letzten 2 Monaten denkbar, in denen Politik ein Problem damit hatte, den Stand der Klimawissenschaft anzuerkennen.

Rechter Populismus darf nicht Grundlage von Klimapolitik werden

Was genau also soll die Grundlage deutscher Klimapolitik sein? Wir sollten die Frage extrem schnell beantworten können, zeigt doch das Einbrechen des Ausbaus von Wind- und Solarenergie, dass Handlungsbedarf besteht. Geht es um Werte, um Wissenschaft, um Glauben, um Meinung, um Interessen? Wir alle sollten hier angesichts der Größe des Themas mit offenen Karten spielen.

Aussagen eines Teils der FDP und der Werteunion in der CDU zum Klimawandel erinnern in ihrer Methodik des schnellen Erreichens einer großen Zahl von Menschen ganz offensichtlich an die Art von Äußerungen, die in der Entstehungszeit der Tea-Party in den USA getätigt wurden (ausführlich hier) und die die Erkenntnisse der globalen Klimawissenschaft mit politischem Populismus und “Manifesten” vom Tisch fegen wollen (hier: Werteunion, hier: FDP):

“Die Sonnenaktivität und die Umlaufbahn der Erde um die Sonne sind die Hauptsteuerungsfaktoren des Klimawandels.” (Quelle)

Gerade erst hat Frontal 21 gemeinsam mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland das Wirken der rechten US-Populisten in Europa im Zuge der Klimadebatte offengelegt. Es wäre bedenklich, wenn sich dadurch neue bisher unbekannte Meinungs-Koalitionen ergeben würden.

Um es hier ganz klar zu formulieren: Wir benötigen alle demokratischen Parteien, um einen gesellschaftlichen Grundkonsens über den Klimaschutz herzustellen. Eine solche Herausforderung für die gesamte Menschheit kann nicht allein in parteipolitischen Debatten bewältigt werden. Liebe Linke, es gibt neben der Umverteilungsfrage noch andere wichtige Menschheitsthemen, liebe Grüne, auch außerhalb der großen Zentren wohnen Menschen, die bisher noch auf das Auto angewiesen sind, liebe SPD, Braunkohle ist nicht alles, liebe FDP, entwickelt euren Freiheitsbegriff bitte weiter, liebe CDU, Klimaschutz ist ein zutiefst konservatives Anliegen, liebe CSU, Klima wird auch durch ein Tempolimit geschützt.

Ich hoffe, dass sich über Parteigrenzen hinweg ein Konsens einstellt und unwissenschaftlicher Populismus nicht langsam in alle demokratischen Parteien einsickert.

--

--