Der Blick geht nach vorn

Olivia Kortas
6 min readFeb 25, 2017

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Passauer Neue Presse vom 12.03.2016

Glasbläser Walter Fuchs: “Es war ein Schock, als wir hörten, dass Nachtmann schließt” (Foto: Olivia Kortas).

Dreißig Nachtmann-Mitarbeiter haben neue Jobs gefunden, die übrigen brauchen bald eine Alternative.

Frauenau. Mit zusammengekniffenen Augen sticht Walter Fuchs die Glasmacherpfeife in den Ofen, fischt einen glühenden Glasklumpen heraus. Dann geht er quer über das Metallplateau, drückt das faustgroße Orange mit einer Holzform zurecht. Der Blick des 54-Jährigen weicht nicht vom Material. Und ab und an, da wird sein Ausdruck beinahe zärtlich. “Wir stellen hier hochwertigste Gläser her. Sachen, die der Riedel mit seinen Maschinen nicht produzieren kann”, sagt Fuchs. Bis vor wenigen Tagen hat er noch selbst in Riedels Nachtmann-Werk gearbeitet. Jetzt ist er einer der vier Glasmacher in der Frauenauer Glashütte Eisch.

Vor einem Jahr sah die Welt in der Au noch anders aus als heute. Am 29. Januar 2015 verkündete die Geschäftsführung des Nachtmann-Werks Investitionen. 15 Millionen Euro sollten in den Standort fließen, der seit 2004 dem österreichischen Konzern Riedel Glas gehört. Bürgermeister Herbert Schreiner kommt an diesem Tag erleichtert nach Hause. Zu seiner Frau sagt er: “Die Firma, die können wir halten.”

Voraussichtliches Ende am 10. April Doch wenige Monate später blinkt die Hiobs-SMS auf Schreiners Handy auf: Die Hütte soll geschlossen werden. Voraussichtlich am 10. April 2016 wird Nachtmann seine Schmelzwannen abschalten, die verbliebenen der einst über 200 Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren. Nach den Hütten in Spiegelau und Riedlhütte ist Frauenau das dritte Werk im Bayerischen Wald, das Riedel innerhalb von acht Jahren dicht macht. “Das ist natürlich scheiße. Richtig scheiße”, sagt Herbert Schreiner jetzt. Von seinem Fenster im rosaroten Rathaus kann er den Giebel sehen, auf dem das Firmenlogo langsam verbleicht.

Als sich Walter Fuchs vor Jahren bei Eisch ausbilden ließ, da loderte noch ein zweiter Ofen, da arbeiteten hier Dutzende Glasmacher. “Wir haben die Veränderungen in der Glasindustrie stark gespürt”, erinnert sich Fuchs. Mangelnde Aufträge, Kurzarbeit. Als Stellenkürzungen vor der Tür standen, kündigte er und wechselte 2009 zu Nachtmann. Und dann das: “Es war ein Schock, als wir hörten, dass Nachtmann schließt”, erzählt Walter Fuchs. Er selbst habe sich nicht aus der Bahn werfen lassen, manche Kollegen hätten aber Panik bekommen, sofort Bewerbungen geschrieben und den erstbesten Job angenommen. Nicht jeder sei damit glücklich geworden.

“Etwa 30 Arbeitnehmer haben seit Bekanntgabe der Schließung eigenständig gekündigt, weil sie eine neue Stelle gefunden haben”, sagt Christian Schlag, Sekretär der Industriegewerkschaft BCE. Einige von ihnen kamen bei Rodenstock und Schock in Regen oder bei der Zwiesel Kristallglas AG unter.

Doch nicht allen fällt der Sprung in ein neues Berufsleben leicht. Am Telefon überschlägt sich die Stimme einer Frau. Sie ist die Gattin eines Nachtmann-Mitarbeiters und möchte nicht genannt werden. Ihr Mann habe immer noch keine neue Arbeitsstelle. So, wie viele ihrer Bekannten. Die Jobsuche sei schwierig. Die Frau ist wütend. Und sie hat Angst.

Eine Transfergesellschaft soll nun die Arbeitnehmer auffangen, die das Werk verlassen müssen und keinen Job finden. Man hofft innerhalb von zwölf Monaten neue Jobs für die Glasleute zu finden. Dazu sucht die Transfergesellschaft initiativ nach Stellen bei Betrieben in der Region und führt die ehemaligen Nachtmann-Mitarbeiter durch Qualifizierungsmaßnahmen, seien es Bewerbungstrainings oder der Gabelstaplerführerschein. Die Firma zahlt den Betroffenen 80 Prozent ihres früheren Nettogehalts.

Aktuell noch 150 Mitarbeiter

Bereits bei der Werkschließung in Riedlhütte fand das Modell Anwendung. “Die Transfergesellschaft ist eine gute Sache. Sie gibt auch älteren Kollegen Zeit, sich zu orientieren”, sagt Gewerkschafter Christian Daiker, der damals für die Arbeitnehmer in Riedlhütte verhandelte. Laut Gewerkschaftssekretär Christian Schlag mussten schon im Februar 20 bis 30 Mitarbeiter den Betrieb in Frauenau verlassen und wechselten in die Transfergesellschaft. Noch sind rund 150 Leute im Nachtmann-Werk beschäftigt. “90 Prozent von ihnen werden in die Transfergesellschaft übertreten”, so Schlag.

Auf die Region warte nun eine schwierige Herausforderung. Das denkt Stephan Lang, Regionalmanager der Arberland Regio GmbH, die sich um die Regionalentwicklung und Wirtschaftsförderung im Landkreis Regen kümmert. Trotz der positiven Wirtschaftslage werde es nicht leicht werden, den Menschen neue Jobs zu vermitteln. “Der Verlust von 200 Arbeitsplätzen ist ein schwerer Schlag”, sagt Lang.

Eine Strukturkrise des Glassektors ist in den Augen von Stephan Lang nicht Schuld an den Hüttenschließungen. “Die Glasindustrie befindet sich in einer positiven Situation. Die Betriebe berichten über eine gute Auftragslage.” Zu den Gründen für das Hütten-Aus in Frauenau möchte der Regionalmanager nichts sagen. Nur so viel: “Der Riedel-Konzern hinterlässt den nächsten Scherbenhaufen im Bayerischen Wald.”

Nachtmann-Gesch.ftsführer Alois Kaufmann verteidigt die Entscheidung. “Die Hütten wurden geschlossen, weil wir den Konzern aufrecht erhalten müssen”, wiederholt er einen bekannten Satz. Der Wettbewerbsdruck und der Denkmalschutz der Frauenauer Hüttengebäude seien die Gründe für das Ende des Nachtmann-Werks.

Dazu reiht Kaufmann trockene Zahlen aneinander: ”Die Kosten für eine Arbeitskraft liegen bei 25 bis 28 Euro, eine Gruppe Glasarbeiter besteht aus drei bis fünf Leuten, die in der Stunde 80 bis 90 Artikel erstellen. Eine Maschine produziert am Tag 25 000 bis 30 000 Artikel.” Deshalb werde in Maschinen in Weiden investiert. Allerdings lief auch die Produktion in Frauenau maschinell.

Zahlen interessieren auch Bürgermeister Herbert Schreiner. Er blättert in einem Ordner mit säuberlich eingehefteten Dokumenten. Zwischendrin ein glänzender Fotoabzug. Er zeigt das Treffen im Wirtschaftsministerium im Mai 2015. “Brunner, Adam, Kaufmann, Aigner”, Schreiner tippt sanft auf die Gesichter.

Hoffen auf Hilfe vom Freistaat

“Der Freistaat hat uns finanzielle Hilfe zugesichert”, betont er. Und darauf vertraut Schreiner. “Die Glasindustrie war immer ein Schrittmacher für diese Region”, sagt dazu Staatsminister Helmut Brunner. Der Freistaat setze sich deshalb nach Kräften für die Betroffenen ein.

Seine Kabinettskollegin Ilse Aigner spricht dem Glas nach wie vor hohe Bedeutung zu: “Es gibt weiterhin hochinnovative Unternehmen, die den High-Tech-Werkstoff Glas zukunftsorientiert einsetzen”, so die Wirtschaftsministerin. Sie würden auch von ansässigen Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen unterstützt. Der Freistaat befürworte das vorhaben eines 3D-Digitalisierungszentrums in Frauenau.

Szenenwechsel: Ein Backsteinkamin pafft dünnen Rauch in den Himmel. “Unbefugten ist das Betreten des Betriebsgeländes streng verboten”, warnt ein Schild. Dahinter graue Hallen, die Fenster trüb, die Mauern grau gefleckt. Zwar haben sich auf dem ehemaligen Glashüttengelände in Riedlhütte kleinere Unternehmen angesiedelt. Ein Autovermieter, eine kleine Schreinerei. Doch die großen Hallen dienen nur Lagerzwecken.

“Es hieß damals, Riedel müsse hier weg und näher zur Autobahn, um die Logistikkosten zu senken”, erzählt Helmut Vogl, Bürgermeister von St. Oswald-Riedlhütte. Und fügt frustriert hinzu: “Und jetzt fahren sie das ganze Glas trotzdem zu uns und lagern es hier.” Für die Gemeinde sei es wichtig, die Hallen zu kaufen. So ließen sich neue Arbeitsplätze schaffen. Interessierte Unternehmen gebe es bereits. “Riedel will die Hallen aber nicht hergeben”, so Vogl. Und nicht nur in Riedlhütte, auch in Spiegelau ist nicht mehr viel los auf dem früheren Glashüttengelände.

Auf keinen Fall darf in Frauenau das Gleiche passieren, das steht für Herbert Schreiner fest: “Ich will nicht mitten im Ort 2400 Quadratmeter Brachfläche sehen”, sagt der Bürgermeister und zieht die Augenbrauen zusammen. Schreiner schraffiert drei Rechtecke auf einem Plan mit dem Frauenauer Nachtmann-Werk: “Diese Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Der muss weg.” Schreiner möchte das Gelände erwerben und Investoren locken. Ein Künstleratelier könnte er sich hier gut vorstellen, Platz für mittelständische Firmen, Raum für Gründer. “Die Region sollte positiv in die Zukunft blicken”, rät auch Ilse Aigner.

Walter Fuchs tut das bereits. Der Glasmacher schwankt, das Material am Ende seines Stabs verformt sich. Fuchs balanciert, sucht die Kontrolle über das Glas. Es scheint zu gelingen. Schnell bläst er einen filigranen Körper. Dann steigt er ruhig von der Bühne, geht auf den Container mit der Aufschrift “Sonderglas” zu, verpasst dem Gefäß einen tödlichen Schlag. “Mit den großen Flaschen habe ich noch Probleme”, sagt Fuchs, “aber das kriegen wir alles bald hin.”

Olivia Kortas

Quelle: Passauer Neue Presse vom 12.03.2016

Ressort: Lokales Zwiesel

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