Alles oder nichts.

Olivier Samter

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Foto: Daniel Oberhaus, 2019 (bearbeitet)

Jeff Bezos sichert sich die kreative Kontrolle über James Bond. Das sollte auch Leuten, die 007 nichts abgewinnen können, zu denken geben.

Sie zankten sich schon seit Monaten. Nun ging es offensichtlich einfach nicht mehr weiter.

EON Productions, die Produktionsfirma, die seit 1962 alle offiziellen James-Bond-Filme herausgebracht hat, hat den Abnützungskampf gegen den grossen Partner, Jeff Bezos’ Amazon MGM Studios verloren. Die Rechte bleiben bei EON Productions, doch bei allen kreativen Entscheidungen reden die beiden Produzent*innen Barbara Broccoli und Michael G. Wilson nicht mehr mit.

Die Halbgeschwister Broccoli und Wilson sind die Nachkommen des originalen Bond-Produzenten Albert R. «Cubby» Broccoli. Dieser hat EON Productions ein Jahr vor Veröffentlichung des ersten Films in der Reihe, «Dr. No», ins Leben gerufen. Der Behauptung, dass das Kürzel für «Everything or Nothing», also «Alles oder nichts» stehe, verwehrte sich Broccoli stets. Gepasst hätte es zum störrischen Einzelkämpfer allemal. 1996 starb «Cubby» Broccoli, bereits ein Jahr zuvor erschien mit «GoldenEye» der erste Bond-Film, bei dem seine Kinder das Sagen hatten — und daran hat sich bis heute nichts geändert. Also, bis heute.

Man kann über James Bond und die Bond-Filme denken, was man will — aber die 25 Filme umspannende Reihe war eine der letzten in dieser Dimension, die ihr Universum nicht mit TV-Serien, Spinoffs und derartigem Unfug künstlich aufblies und hatte damit einen besonderen Wert für das moderne Kino — und Filmschaffen. Das ist auch der Verdienst von Barbara Broccoli und Michael G. Wilson, die sich als Produzent*innen stets in den Dienst des Werks stellten und ihre Filme bewusst nicht als Content sehen wollten. Gelegenheit dazu hätten sie in ihrer über dreissigjährigen Ägide als Produzent*innen der Bond-Filme immer wieder gehabt. Insbesondere in den letzten Jahren soll der Druck, eine grosse Franchise zu schaffen, immer stärker geworden sein — doch Broccoli und Wilson entschieden sich stets dagegen.

Foto: Greg Williams / EON Productions

Dass man öfter auf Barbara Broccoli hören sollte, bewies die Produzentin — die abseits der Bond-Reihe zugegebenermassen nur selten erfolgreich war — immer wieder mit einem guten Riecher: Die Personalie Daniel Craig etwa soll sie gegen grossen Widerstand durchgeboxt haben. Was daraus wurde, wissen wir inzwischen alle. Broccoli hatte eine klare Vision, und ging immer wieder aufs Ganze. Everything or Nothing.

Diese Selbstbeherrschung dürfte das grosse Ärgernis für den Giganten Amazon gewesen sein, der seit dem Kauf von Metro-Goldwyn-Mayer 2022 (also ein Jahr nach dem bis dato letzten Bond-Film) noch nicht wirklich von der Bond-Lizenz profitieren konnte. Während Disney etwa mit den «Star Wars»-Rechten mächtig Kohle macht, blieb Jeff Bezos’ Streaming-Plattform nicht viel anderes übrig, als die bisherigen Bond-Filme exklusiv anzubieten. Ein 007-Spinoff? Nicht mit Broccoli und Wilson. Offenbar haben sich die Parteien bei genau diesem Punkt nicht gefunden — mit dem besseren Ende für Amazon MGM. Warum genau, ist unklar. Doch für EON Productions ist es eine Niederlage auf der ganzen Linie, die Pressemitteilung zum Machtwechsel — in der der Name «EON Productions» nicht einmal erwähnt wird — liest sich wie eine Kapitulation.

Bond-Fans dürfte nun das bevorstehen, was «Star Wars»-Fans seit 2012 und der Übernahme von Lucasfilm durch Disney bereits bestens kennen: Haufenweise mittelmässige Filme und Serien, die zuallererst die Profitabilität von Streaming-Plattformen steigern sollen – und erst in zweiter Linie Film oder Serie sein dürfen. Content, halt. Eine erste Kostprobe gab es bereits mit der Abenteuer-Reality-Game-Show «007: Road to a Million», die Amazon durchboxen konnte — eine Produktion, die der Guardian als «schäbig, langweilig und seelenlos» bezeichnete. Die zweite Staffel ist bereits in Planung.

Da passt es, dass sich Jeff Bezos direkt nach der Übernahme als Erstes auf Twitter danach erkundigt hat, wen die Fans denn als neuen James Bond sehen möchten. Der klare Favorit ist der Mann, der auch seit Jahren immer wieder genannt wird, wenn es um die Bond-Nachfolge geht: Henry Cavill, der sich unlängst mit dem Agentenklamauk «Argylle» inoffiziell um diese Rolle beworben hat. Wer also auf eine unerwartete, mutige Entscheidung hofft, dürfte bei Bezos an der falschen Adresse sein.

Klar, wer James Bond eh schon nicht mochte, wird sich daran kaum stören, dass James Bond jetzt noch weniger gut sein dürfte. Die grösseren Folgen für die Film- und Kinolandschaft, die durch den Kniefall einer der letzten Institutionen entstehen, die sich der Contentisierung verwehrte, dürften aber auch für diese Menschen spürbar sein — schliesslich war es 2021 niemand Geringeres als 007, der mit «No Time to Die» viele Kinos aus dem Pandemie-Sumpf zog. Ob das Publikum auch für einen James Bond-Film, für den man zunächst drei Staffeln einer Spinoff-Serie gesehen haben muss, aufkreuzen wird, muss sich erst zeigen.

Die einzige Hoffnung, die eine solche Ausweitung der Bond-Lizenz birgt, ist, dass dadurch auch andere, diversere Perspektiven sichtbar gemacht werden — Perspektiven, die der Reihe trotz grosser Bemühungen in den letzten Jahren noch immer schmerzlich fehlen. Hier könnten zusätzliche James-Bond-Ableger tatsächlich einen Mehrwert bieten. Doch ob die Sichtbarkeit von Frauen oder People of Color wirklich weit oben auf der Prioritätenliste von jenem Mann steht, der bei der Amtseinführung eines grenzfaschistischen Präsidenten in der vordersten Reihe sass, bleibt fraglich.

Diesmal scheint es, als hätte der glatzköpfige Bösewicht gewonnen.

Für ihren Erfolg und ihre Errungenschaft für die Kinolandschaft wurden Barbara Broccoli und Michael G. Wilson erst im vergangenen November mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnet — wie schon ihr Vater 1982.

Jeff Bezos hat — Stand heute — noch keinen Oscar.

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