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Der FC Basel und die Homophobie

6 min readDec 29, 2023

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Spielerfoto: FC Basel 1893

Dieser Artikel wurde am 12. Januar 2024 in überarbeiteter Version und ergänzt um die Stellungnahme des FC Basel auf www.mannschaft.com veröffentlicht.

Am 4. Dezember 2023 veröffentlicht der FC Basel auf den sozialen Medien ein Statement. «Aktuell werden auf unseren Kanälen vermehrt einzelne Spieler angefeindet.»

Spielernamen nennt der Verein keine, aber konkret dürfte es dabei wohl um Thierno Barry gehen, den glücklosen neuen Stürmer des Superligisten, in dem viele Fans den Schuldigen für die aktuelle Misere des Clubs sehen. Der frühere Serienmeister steht zur Winterpause auf dem zweitletzten Platz der Liga und kämpft nun statt um den Titel gegen den Abstieg. Dabei macht auch Thierno Barry, der in der laufenden Saison ebensoviele rote Karten holte wie er Pflichtspieltore schoss, keine gute Figur.

Barry bekommt viel Kritik, und wohl nicht selten auch rassistische Anfeindungen. Das ruft den FC Basel auf den Plan, der mit der Mitteilung vom 4. Dezember sehr schnell und sehr deutlich Stellung bezieht und rassistisches Verhalten verurteilt. Und der Verein spricht etwas aus, das in Zeiten, in denen die Rückverfolgung von Hassrede auf sozialen Medien schier unmöglich ist, durchaus als Höchststrafe bezeichnet werden darf: «User, die derartige Botschaften absenden, sehen wir nicht als unsere Fans an».

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der FC Basel bei rassistischen Vorfällen vor seine Spieler — und wichtiger noch, seine Werte — stellt. Und doch hat diese Stellungnahme Gewicht. «Hass-Kommentare, Rassismus, Drohungen und dergleichen hingegen können wir nicht akzeptieren», schreibt der Verein. Der kommunikationstechnisch zuletzt nicht immer glücklich agierende FC Basel zeigt Haltung — und erntet dafür zu recht schweizweit Lob und Anerkennung.

Nur drei Wochen vergehen, ehe der FC Basel wieder sein altes Gesicht — oder zumindest die Grenzen seiner Solidarität und angeblichen Kompromisslosigkeit — zeigt.

«Isch das no unsere FCB?»

Foto: FC Basel 1893

Alles beginnt damit, dass der Club am 26. Dezember 2023 die Verpflichtung von Benjamin Kololli verkündet, einem kosovarisch-schweizerischen Mittelfeldspieler, der zuletzt in Japan sein Glück suchte — es dort aber offensichtlich nicht fand. Beim Zweitligisten Shimizu S-Pulse lief er in dieser Saison in lediglich 11 Liga-Partien auf und erzielte dabei ein Tor. Verständlich, dass es den Romand wieder zurück in die Schweiz zieht.

Doch Kritik am Transfer lässt nicht lange auf sich warten, und was auffällt: Sie prasselt aus zwei unterschiedlichen Richtungen auf den FC Basel ein.

Die erste Richtung klingt so: «Isch das no unsere FCB?» Oder: «Tiefer kann man nicht mehr sinken [wenn] man schon beim FCZ einkaufen muss». Es sind Fans, die sich vorallem auf den sozialen Medien daran stören, dass der Verein ausgerechnet einen Spieler verpflichtet, der von 2018 bis 2021 für den grossen Rivalen FC Zürich auflief.

Diese Art von Kritik ist nicht wirklich neu, und es ist eine, mit der der FC Basel klarkommen dürfte. In der überschaubaren Schweizer Liga ist es für einen Verein mit den Ambitionen des FC Basel nun einmal kaum möglich, einen Spieler mit Super-League-Erfahrung zu verpflichten, der nicht irgendwann beim FC Zürich — oder überhaupt bei einem der beiden Stadtzürcher Vereine — engagiert war.

Das verhängnisvolle Interview

Zu denken geben sollte dem FC Basel vielmehr der zweite Kritikpunkt, der an der Verpflichtung von Kololli geäussert wird. Er bezieht sich auf Aussagen des Spielers, die dieser 2017 tätigte, als er noch für Lausanne-Sport auflief. In einem Blick-Interview nach dem Spiel gegen Lugano wird der Mittelfeldspieler zum frischen Coming Out von Schiedsrichter Pascal Erlachner gefragt.

Dazu findet Kololli klare Worte: «Das ist seine Meinung, seine Wahl. Wir leben in einer Welt, in der alles passieren kann.»

So weit, so unproblematisch.

Doch dann wird Kololli gefragt, ob es auch bei ihm im Team schwule Spieler gäbe. Er lacht nervös und sagt: «Ich hoffe nicht. Aber möglich ist es», und fügt dann an: «Wenn es so wäre, sollte der Betreffende es lieber für sich behalten.»

Wer sich je gefragt hat, warum es so wenige aktive schwule Spieler gibt: Es ist nicht so, dass es sie nicht gibt. Sondern, dass sie in einem Team spielen, in denen es ihnen Menschen wie Benjamin Kololli schwermachen, zu ihrer Sexualität zu stehen.

Warum er das tut, erklärt der Romand im Blick-Interview gleich selbst: «Es könnte Konflikte erzeugen. Denn wir duschen ja alle zusammen. Es wäre für einen Spieler keine gute Idee, mit seiner Homosexualität an die Öffentlichkeit zu gehen.»

Zur Tragweite solcher «Ratschläge» an ungeoutete Mitspieler findet FC Basel-Fan «Ivanna Es*rgić» in diesen Tagen auf Twitter deutliche Worte: «Das ist mit ein Grund, wieso sich so viele meiner Geschwister das Leben nehmen. Weil wir nicht gesehen werden. Weil wir nicht akzeptiert werden. Weil wir nicht als das leben dürfen was wir sind.»

«Unglückliche Aussagen» statt «Homophobie»

Ein wirkliches Nachspiel gibt es damals nicht für Kololli, der sich auch nicht mehr dazu äussert — oder gar um Entschuldigung bittet. Ein Jahr später wechselt er zum FC Zürich, den er nach drei Saisons für sein Japan-Abenteuer verlässt.

Dass die Fussballschweiz Kolollis Aussagen nicht vergessen hat, ist dem FC Basel bei der Verpflichtung am 26. Dezember 2023 durchaus bewusst. Darum veröffentlicht der Club zusätzlich zur Transfermeldung auf den sozialen Medien zeitgleich auch ein Communiqué, das Kololli als geläutert darstellen und damit die Verpflichtung schönreden soll.

Auffallend dabei: Die klaren Worte, mit denen der FC Basel drei Wochen zuvor die rassistischen Anfeindungen verurteilte, fehlen hier. Stattdessen ist gleich zweimal lediglich von «unglücklichen Aussagen» die Rede und auch der Begriff «Homophobie» wird nur verwendet um ihn «in aller Deutlichkeit» zurückzuweisen.

Er würde die Aussagen heute so nicht mehr machen, lässt sich Kololli weiter zitieren.

Aber ob er noch immer so denkt, lassen Spieler und Club offen.

Homophobie ist längst Teil des Schweizer Super League-Alltags

Der Kontrast zwischen dem Umgang mit dem Fall Barry Anfang Dezember und dem Umgang mit dem Fall Kololli nur drei Wochen später offenbart das Wechselbad der Gefühle, in dem sich der FC Basel augenscheinlich auch kommunikationstechnisch befindet. Es ist aber auch Teil eines grösseren Problems im Männer-Profi-Fussball, in dem «schwul» eher als Schimpfwort verwendet wird als dass es auf die Worte «ich bin» folgt.

Das zeigt etwa das Beispiel des FC Luzern: Im August 2022 regte sich dessen Torhüter Marius Müller in einem Interview über «schwules Weggedrehe» seiner Vorderleute auf. Der Aufschrei war gross und der FC Luzern entschuldigte sich in einer Stellungnahme und benannte die Aussage deutlich als das, was sie war: Homophob. Kein «unglücklich», nichts wurde «zurückgewiesen». Die Liga verdonnerte Müller zudem zu einer Busse über 2000 Franken.

Wie wichtig es ist, dass Vereine klare Haltung zeigen — beziehungsweise, wie hässlich es sein kann, wenn sie das eben gerade nicht tun, beweist ein anderes Beispiel aus der Super League: Im Juni 2023 ernteten die Berner Young Boys auf Instagram einen Shitstorm, als sie ihre Fans über die neue Eckfahne abstimmen liessen. Der Aufreger dabei: Alle vier vorgeschlagenen Designs enthielten die Regenbogenfahne. «LGBTQ het nüd verlore im Fuessball», schimpften einige Fans und andere fragten: «What does homosexuality [have] to do with the sport?!».

Grafik: BSC Young Boys

Sicher, es ist erfreulich, dass sich YB davon nicht beirren liess und nun tatsächlich eine neue Eckfahne im Wankdorf steht — auch wenn es am Ende das Sujet unten rechts mit dem diskretesten Regenbogen wurde.

Enttäuschend ist dabei aber, dass der Verein sich bei diesem Beitrag mit den Werten, für die er seit Jahren einsteht, brüstete — und gleichzeitig all die hasserfüllten Kommentare gegen queere Menschen unkommentiert liess. Regelrecht schockierend hingegen ist, dass ein halbes Jahr später viele dieser Kommentare — darunter diverse justiziable Beschimpfungen und Gewaltandrohungen — noch immer unter dem Beitrag zu sehen sind.

Wenn es dem FC Basel also vor diesem Hintergrund nicht gelingt, eine sechs Jahre zurückliegende Aussage seines neuen Spielers klar als homophob zu benennen und in aller Deutlichkeit zu verurteilen, dann bereitet einem das zu Recht Sorge. Insbesondere, wenn derselbe Verein nur drei Wochen zuvor zeigt, wozu er eigentlich fähig sein könnte.

Wenn er denn möchte.

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Olivier Samter
Olivier Samter

Written by Olivier Samter

Schreibt über Filme und andere kulturelle und gesellschaftliche Themen.

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