Die Magie ist verschwunden.

Olivier Samter
5 min readApr 7, 2022

--

«Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore», der dritte Teil der «Harry Potter»-Spin-Off-Franchise aus J.K. Rowlings Feder bleibt uns einiges schuldig. Regisseur David Yates liefert einen Film, dessen Belanglosigkeit einen unweigerlich vor die Frage stellt: Sollten wir diese fantastischen Tierchen nicht langsam einschläfern?

Nach zwei Filmen hat die «Fantastic Beasts»-Reihe endgültig ihren Pokémon-Charme verloren. Statt um das Sammeln kurioser Tierli geht es nun um nicht weniger als die Rettung der Welt: Der düstere Magier Gellert Grindelwald (Mads Mikkelsen) greift irgendwo zwischen dem Berlin und dem Bhutan der 30er-Jahre nach der absoluten Macht in der Magier-Welt, mit nur einem Ziel: Die nicht-zaubernden Menschen, also die «Muggel» auszulöschen. Dem stellen sich sein früherer Weggefährte Albus Dumbledore (Jude Law) und eine Handvoll Magier*innen entgegen, unter ihnen auch der Magizoologe Newt Scamander (Eddie Redmayne).

David Yates fühlt sich offensichtlich wohl in der Zauberei-Welt von J.K. Rowling: Der Regisseur der finalen vier «Harry Potter»-Filme soll auch die Spin-Off-Pentalogie «Fantastic Beasts» über die Bühne bringen — so zumindest der Plan. Die ersten beiden Filme hat er bereits 2016 und 2018 hinter sich gebracht, mit «Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore» steht nun der dritte Teil der Reihe ins Haus. Doch nicht nur Yates ist ein Alteingesessener, auch Steve Kloves, der hier zusammen mit J.K. Rowling das Drehbuch verfasste, ist mit der Franchise vertraut: Mit Ausnahme von «Harry Potter and the Order of the Phoenix» (2007) schrieb Kloves die Drehbücher zu allen Filmen von Rowlings Zauberei-Kosmos.

Und vielleicht wäre es allmählich an der Zeit, diese Runde aufzufrischen, denn es scheint, als hätte es sich in dieser Konstellation allmählich ausgezaubert. «The Secrets of Dumbledore» wirkt müde und lustlos, wie ein Jahrmarktzauberer, der tagein tagaus denselben Trick vorführen muss. Wir erinnern uns: Als 2004 der spätere Oscar-Gewinner Alfonso Cuarón («Gravity») die Regie von «Harry Potter and the Prisoner of Azkaban» übernahm und nach zwei Filmen Chris Columbus ablöste, warf er zwar einiges über den Haufen, lieferte mit seinem düsteren Fantasyfilm aber auch den wohl besten Teil der Reihe. Wenn uns «Fantastic Beasts» überraschen und faszinieren will, braucht die Franchise dringend neue, frische Impulse.

Doch nicht alles ist schlecht an diesem Film. Es gibt zum Beispiel diese eine Szene in «The Secrets of Dumbledore», in der wir einen Eindruck davon bekommen, wie interessant dieser neue, mittlerweile elfte Ausflug in die magische Harry-Potter-Welt hätte sein können. Es ist die allererste Sequenz des Films: Zwei Männer sitzen beim Tee und verhandeln ihre stark unterschiedlichen Vorstellungen für die Welt, in der sie leben. Doch es sind nicht irgendwelche Typen, die beiden sind die wohl mächtigsten Magier ihrer Zeit und ihre Entscheidungen haben Gewicht: Albus Dumbledore und Gellert Grindelwald. Verkörpert werden sie von Jude Law und Mads Mikkelsen, respektive. Letzterer übernimmt von Johnny Depp, der aufgrund der Vorwürfe der häuslichen Gewalt für das Studio nach zwei Filmen untragbar wurde.

Es lässt sich nur erahnen, welche Bauchlandung diese Begegnung hätte sein können, hätte sie stattdessen zwischen dem nüchternen Law, der regelrecht mit der Figur des Dumbledore verschmilzt, und dem exzentrischen Depp, der nie wirklich in seinen Charakter hineinzufinden schien, stattgefunden. Doch dazu kommt es glücklicherweise nicht — und so treffen hier zwei schauspielerische Schwergewichte aufeinander, die nicht nur ihre Rollen perfekt ausfüllen, sondern auch miteinander bestens harmonieren.

Dass die Chemie zwischen Laws Dumbledore und Mikkelsens Grindelwald stimmt, ist angesichts der romantischen Vorgeschichte zwischen den beiden Figuren wichtig und richtig. Die Liebesbeziehung der beiden beschränkte sich bisher stets auf Nebenschauplätze: J.K. Rowling erzählte erstmals 2007 davon, erst nachdem alle Bücher erschienen waren — dass die Homosexualität von Albus Dumbledore im Werk der Autorin keinen Platz fand, stiess darum auf Unverständnis. In «The Secrets of Dumbledore» wird die Liebesbeziehung zwischen den beiden Magiern zum ersten Mal kanonisch.

Dass wir in einem Blockbuster von diesem Format mit solcher Selbstverständlichkeit zwei queere Figuren präsentiert bekommen, tut gut und muss sicherlich erwähnt werden. Gleichzeitig hinterlässt es in Anbetracht der Tatsache, dass sich Rowling in letzter Zeit mit transfeindlichen Äusserungen den verständlichen Zorn der Queer-Community zugezogen hat, einen bitteren Nachgeschmack. Es scheint, als sei Rowling bei queerer Repräsentation nicht nur sehr zögerlich, sondern auch selektiv.

Auch sonst stellen sich Rowling und Kloves beim Versuch, ihre Geschichte mit Relevanz anzureichern, ungeschickt an. Warum zum Teufel braucht es eine Metapher für den Aufstieg des Faschismus in den 30ern, wenn es zu dieser Zeit realen Faschismus gab? Wäre es nicht wirkungsvoller zu zeigen — und zu benennen — , dass der Nationalsozialismus auch an der magischen Welt nicht spurlos vorbeiging? Stattdessen bekommen wir im Parallel-Berlin des Films einen Parallel-Faschismus präsentiert, in dem nun statt Juden eben gegen «Muggel» gehetzt wird und in dem ein Quasi-Hindenburg (passenderweise vom «Er ist wieder da»-Hitler Oliver Masucci verkörpert) den Weg für Grindelwalds Weg an die Macht ebnen darf. So plump das klingt, so plump fühlt sich das auch an.

Dabei setzt «The Secrets of Dumbledore» ironischerweise genau darauf, dass wir den realen Faschismus und seine Mechanismen kennen und verstehen. Wenn Grindelwald also frenetisch jubelnde Massen um sich schart und allmählich überall sein Symbol auftaucht, so ist das nur deshalb so eindrucksvoll, weil wir darin den Bezug zum Aufstieg der Nazis erkennen. Eine Erklärung, warum genau sich Grindelwalds Gefolgschaft in seinen politischen Überzeugungen wiederfindet und ihm die Treue schwört — ja bisweilen völlig ergeben ist — , bleibt uns der Film jedoch schuldig.

Vielleicht hätte uns diese Reihe wirklich mehr Freude bereitet, hätten sich Rowling und Co. darauf beschränkt, uns — wie der Titel suggeriert — vom Sammeln lustiger Tierchen zu erzählen, anstatt uns den Zauberei-Nationalsozialismus zu erklären. Wenn man sieht, wie holprig «The Secrets of Dumbledore» nur schon den Aufstieg der Nazis zum Zauberei-Drama umdeutet, dann graut einem vor den kommenden Teilen: Ein Blick auf die nationalsozialistische Schreckensherrschaft, den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg im Allgemeinen à la Rowling ist wirklich das Letzte, was die Erinnerungskultur braucht. Und vielleicht ist hier auch der Punkt erreicht, an dem man diese Franchise beenden kann, bevor es wirklich peinlich wird.

Eine andere grosse Schwäche des Films ist sein Platz im Kontext dieser fünfteiligen Franchise: Als Mittelstück kann «The Secrets of Dumbledore» nichts erzählen, was von allzu grosser Bedeutung sein könnte. Und so plätschert das Geschehen regelrecht auf ein Finale hin, das, wie wir alle wissen, offensichtlich gar keines ist. Kommt Grindelwald an die Macht? Oder siegt doch das Gute? In jedem Fall ist die Antwort: Wen juckt’s?

Leider dauert der Spass auch schlicht zu lange: Mit 142 Minuten schlägt der Film kräftig zu Buche und langweilt dabei leider über weite Strecken. Hin und wieder schmeissen sich Magier*innen Todesflüche entgegen und erschreckend billig animierte Computertierchen machen irgendwelche herzigen Sachen. Wollte man jemandem zeigen, woran das aktuelle Blockbusterkino krankt, man müsste der Person lediglich diesen Film zeigen.

Das Schlimmste daran: Nichts, was «The Secrets of Dumbledore» macht, ist wirklich schlecht — der Film hat durchaus seine unterhaltsamen Momente. Etwa, wenn Peter Simonischek («Toni Erdmann») einen fiesen Gefängniswärter mimen darf, oder wir mit einer dieser berühmten Kamerafahrten über Hogwarts innert Sekunden wieder in die magische «Harry Potter»-Welt entführt werden. Oder eben, wenn sich Mads Mikkelsen und Jude Law tief in die Augen blicken.

Und trotzdem: es ist einfach unfassbar ermüdend, David Yates zweieinhalb Stunden lang dabei zuzusehen, wie er völlig überfordert ist. Vom Drehbuch, von der fehlenden Vision und von der Mittelmässigkeit eines individuell stark besetzten Casts. Die Magie fehlt hier an allen Enden.

Wenn man zynisch sein wollte, könnte man sagen, dass man David Yates fast dankbar sein müsste, macht er es einem doch einfach, J.K. Rowling nach ihren transfeindlichen Äusserungen nicht noch weiter zu unterstützen.

--

--

Olivier Samter

Schreibt über Filme und andere kulturelle und gesellschaftliche Themen.