Nachhaltig unmachbar.
Mit dem Kulturhaus Kosmos geht eine Geschichte abrupt zu Ende, die nie wirklich eine Chance hatte. Was bleibt ist die grosse Enttäuschung.
Am Montag, 5. Dezember 2022 gibt es kein Zurück mehr, nach nur fünf Jahren schliesst das Kosmos in Zürich. Der Grund ist simpel: Konkurs. In seiner Erklärung spricht der Verwaltungsrat eine deutliche Sprache, so sei das Kosmos eine «Vision ohne nachhaltige Machbarkeit» gewesen.
Auch wenn sie enttäuscht — wirklich überraschend kommt diese Schliessung nicht. Das ambitionierte Kulturhaus mit Kino, Buchsalon, Lesebühne und Restaurant an der Europaallee war ein wildes Chaos, das nie richtig im Alltag ankommen wollte. Nicht nach seinem euphorischen Start im Herbst 2017, auch nicht, als der ganze Knatsch zwischen den Gründern Samir und Bruno Deckert 2019 begann und nie enden wollte – und erst recht nicht, als 2020 auch noch Corona die Kulturszene so richtig durchschüttelte.
Die zahlreichen Personal- und Richtungswechsel halfen kaum Ruhe in dieses Projekt zu bringen. Die letzte grosse Neubesetzung fand passenderweise an der Spitze des Kulturkomplexes statt und liegt nur gerade ein Vierteljahr zurück. Erst im September 2022 wurde ein neuer Verwaltungsrat eingesetzt, bestehend aus Valentin Diem und Robert Feusi. Ihre Aufgabe: Das Kosmos endlich auf Kurs zu bringen. Das ist ihnen nun, drei Monate später, gewissermassen gelungen. Das Kosmos ist auf Kurs. Auf Konkurs.
Wenn man den Schilderungen um den Kulturkomplex Glauben schenken möchte, passt es zum Klima, das im Kosmos geherrscht haben soll, wenn der neue Verwaltungsrat ausgerechnet kurz vor Weihnachten die Reissleine zieht und damit wohl vielen seiner Angestellten ungewisse Feiertage beschert. Es mag ein Detail sein. Aber es ist eines, das Menschlichkeit und Wärme vermissen lässt.
Und es ist irgendwie auch symptomatisch, dass der neue Verwaltungsrat in seiner Erklärung die Verantwortung für diese Situation in erster Linie auf die Vorgänger*innen und ihren mangelnden Businessplan schiebt — und damit weg von sich selbst. Einmal mehr rücken die Unstimmigkeiten in der Führungsriege des Kulturkomplexes ins Zentrum. Kurz: Es ist ein Finale, das leider zum Kosmos passt.
Ja, vieles lag im Argen in diesem in linken Kreisen gern als wüster «Gentrifizierungs-Tempel» verschrienen Kulturhaus bei der Langstrasse. Aber hier schlummerte auch viel Potential und die Hoffnung, dass, wenn man dem ganzen Projekt Zeit — und vorallem Ruhe — geben würde, etwas schönes und wertvolles heranwachsen kann.
Nun geht stattdessen viel verloren, das einzigartig war für Zürich. Der liebevoll kuratierte Buchsalon etwa, der mit einem eigenen Kafi zum Entdecken und Verweilen einlud. An kaum einem anderen Ort in der Stadt genoss man seinen Frieden und die Ruhe so sehr wie hier in diesem grossen, warmen Raum. Der Buchsalon war ein Ort des Austauschs und der Inspiration, aber auch ein Arbeitsplatz für alle, denen zuhause gerade die Decke auf den Kopf fiel. Womöglich war diese einladende, irgendwie unfreiwillig unkommerziell wirkende Atmosphäre Fluch und Segen zugleich. Vielleicht hätten dem Buchsalon ein Konsumationszwang oder ein aufdringlicheres Sortiment gut getan. Aber es hätte dem Ort auch etwas von seiner Unschuld geraubt.
Richtig hart trifft die Schliessung aber die Kinolandschaft in Zürich. Mit dem Kosmos verliert die Stadt zwar «nur» sechs Säle — aber es sind sechs Säle, die vorwiegend dem Independent-Kino und kleineren Filmen Raum und Sichtbarkeit gaben. Diese sechs Säle werden schmerzlich fehlen.
Dazu kommt die einzigartige Infrastruktur: Gemütliche Sitze und ein hochwertiges Soundsystem auf modernstem Standard sorgten dafür, dass hier viele Kinostunden verbracht wurden. Wie die NZZ schreibt, war der Kinobetrieb auch gar nicht die Problemzone des Kosmos — im Gegenteil: «Er laufe im landesweiten Vergleich inzwischen sogar überdurchschnittlich gut, auch dank der vor einem Jahr lancierten und in den letzten drei Monaten noch vertieften Kooperation mit der Neugass Kino AG.»
Die Zusammenarbeit mit dem quasi benachbarten Riffraff und dessen kleinem Bruder Houdini, die der Neugass Kino AG gehören, war ein Gewinn für beide Seiten: Statt sich gegenseitig das Publikum streitig zu machen, programmierten die beiden Kinos gemeinsam und ergänzten sich so bestens. Auch diese Kooperation wird Zürich fehlen. Dass Frank Braun, Kinobetreiber der Neugass Kino AG, erst am Montagmorgen von der Schliessung jenes Kinos erfahren haben soll, für das er noch am gleichen Tag das Kinoprogramm erstellen sollte, ist bezeichnend für den Niedergang dieses Kulturhauses.
Und dennoch: Die Aussage, dass das Kosmos eine «Vision ohne nachhaltige Machbarkeit» gewesen sein soll, irritiert. Denn sie suggeriert eine Ohnmacht, die man im Kosmos — zumindest ausserhalb des Verwaltungsrats — so nicht spürte. Die Menschen hinter den Kulissen haben das Kosmos vom ersten Tag an mitgeprägt und mitgestaltet — und diese Euphorie auch bis zum Schluss nie verloren. Sie haben eindrücklich bewiesen, wozu sie fähig sind und gezeigt, was eben alles «machbar» ist. Sie begegneten der allgemeinen Mutlosigkeit der Branche mit Leidenschaft — und einer gesunden Portion Naivität. Ob Poetry-Slam-Veranstaltung, «Tschugger»-Binge-Watch-Abend oder die Diskussionsreihe Kosmopolitics: Hier wurden Dinge gewagt und Neues ausprobiert.
Kein Zufall wurde das Kosmos rasch zu einem beliebten Austragungsort für zahlreiche Veranstaltungen — aktuell das Human Rights Film Festival, das nun wegen des Konkurses in Mitleidenschaft gezogen wird und zwei Tage früher als geplant endet.
Nicht wenige dieser Mitarbeitenden sind frustriert davongezogen — ausgebrannt und genervt über die ganzen Scherereien und Richtungswechsel, die eine nachhaltige Arbeit verunmöglicht habe. Die Unruhe im Kosmos ging auch an den Angestellten nicht spurlos vorüber.
Anstatt die erhoffte Entspannung zu bringen, hat der neue Verwaltungsrat nun also mit der Konkurserklärung für eine endgültige Eskalation gesorgt. Das ist sein gutes Recht. Fakt ist aber: Das Kosmos ist seit Montag zu, die «Vision» ist tot — und das, ohne wirklich je eine Chance gehabt zu haben.
Es bleibt die Frage: War das Kosmos wirklich eine «Vision ohne nachhaltige Machbarkeit»? Oder wurde sie von den Verantwortlichen über die Jahre einfach nachhaltig unmachbar gemacht?