Bild: Sarah Schultz.

Die Schule der Zukunft

Obdachloser Kunstsüchtiger
14 min readJan 13, 2025

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Das institutionelle Leben Berlins ist voll von kulturellen Veranstaltungen, Ausstellungen, Projekten und Festivals. Zahlreiche Medien, Publikationen und Online-Plattformen berichten über das Geschehen. Künstler*Innen befinden sich in einem Wettlauf um Fördergelder, wetteifern um Preise und Stipendien, setzen sich für Gleichberechtigung, Demokratie und Partizipation ein, solidarisieren sich in sozialen Projekten, protestieren gegen Diskriminierung an den Universitäten und kommen in Heilungsworkshops zur Ruhe.

Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, und da er bereits sehr bekannt ist, möchte ich den Teil des künstlerischen Lebens ansprechen, über den die Presse nicht berichtet, obwohl wahrscheinlich gut die Hälfte der beteiligten Akteure, Künstler*Innen, Galerist*Innen, Kurator*Innen und Kulturmanager*Innen sind.

Es geht um den kulturellen Underground, die Basis, die Arbeiterklasse der Kunst, so nennen wir es mal. Das Zusammenspiel dieser Akteur*Innen erfährt man nicht im Studium der UdK Berlin Kunst im Kontext oder bei den Workshops des bbk mit dem Titel „Kunstszene Berlin“, sondern nur durch die Erfahrung, die einem schnell die rosarote Brille abnimmt und ein umfassendes Bild vom wahren Stand der Dinge im Kulturförderungssystem vermittelt.

Klassismus ist nicht leicht zu erkennen, und es ist noch schwieriger, eine intersektionale Sichtweise des Klassismus zu erarbeiten. Der Klassenansatz im Bereich der Kunst ist etwas, über das Institutionen nicht gerne sprechen und das in kritischen Analysen nicht wahrgenommen wird; es ist etwas, das außen vor gelassen wird. Die Kunst, die alles Fortschrittliche verkörpert und als Sprachrohr des Kampfes gegen die Ungleichheit dient, verschließt beschämend die Augen vor dem Klassismus in ihrem Inneren.

In der Hochschulbildung, die subtile Formen des Klassismus verschleiert, zeigt er sich zum Beispiel, wenn es darum geht, wer für eine Führungsposition oder eine Professur geeignet ist. Auch das in Deutschland heiß geliebte Vitamin B ist ein unzweifelhaftes Merkmal des Klassismus.

Zunächst werden Flüchtlinge und Migranten ohne Sprachkenntnisse marginalisiert. Sprachkenntnisse sind ein Klassenmerkmal, wenn in Europa das Erlernen von zwei oder sogar drei Sprachen auf einem guten Niveau bereits in der Schule beginnt, dann ist man, wenn man das Pech hat, nicht in Europa geboren zu sein, oder wenn man selbst, oder die Eltern nicht die finanziellen Mittel hatten, eine Sprache auf einem guten Niveau zu lernen, zum Scheitern verurteilt. Künstler*innen, die nicht aus Berlin stammen, werden in ähnlicher Weise wie Migranten an den Rand gedrängt, wenn sie nicht über eine stabile Infrastruktur von Galerien, Mäzenen und Publikum verfügen. Kleine Galerien sind voll mit Künstler*Innen und wimmeln von Gruppenausstellungen, in deren Ankündigungen diese Künstler*Innen, zumindest in der Liste erwähnt werden oder erwähnt werden wollen. Der Kapitalismus würde dies als Konkurrenz bezeichnen, aber es ist ehrlicher, es Klassenungleichheit zu nennen. Der Preisunterschied zwischen zwei identischen Werken eines bekannten und eines unbekannten Künstlers kann Hunderttausende von Euro betragen, und der Preis wird in dieser Situation nur vom Kapitalismus festgelegt, nicht von der Qualität des Werks.

So wie man nicht für 120.K$ eine Banane verkaufen kann, wenn man nicht Maurizio Cattelan ist, kann man nicht öffentlich protestieren, wenn man nicht Candice Breitz oder Tania Bruguera ist. Weil man eine andere Klasse ist.

Das Bild (meines) der Orange ist von sehr schlechter Qualität. Definitiv nicht zum Verkauf.

Unsere bescheidene Ausstellung hieß The school of the future. Oder besser gesagt, sie hieß zunächst Bloody Moon, und der Kurator wählte die Teilnehmer wie folgt aus: „Du, du, du, du und du, ihr habt in zwei Wochen eine Ausstellung“, sagte R (Künstler und Galerist, Besitzer des Raums Die Krise des Kapitalismus), „Also, zeigt eure Werke… Du wirst auch Musik machen!… Lasst uns einen Titel festlegen!“. Offenbar haben Künstlerinnen wie ich, erschöpft von der Suche nach Gelegenheiten und dem Schreiben von Bewerbungen, auf die Zähne gebissen wie abgestandene Pferde und sich flink einen Titel ausgedacht. Nur ich habe mich an Bloody Moon gewöhnt, denn innerhalb von 5 Minuten wurden wir in The School of the Future umbenannt. „A, schreibt den Text“, ordnete R an, „in zwei Wochen, 27. Eröffnung, 25. 26. Aufhängen, ihr könnt euch per Skype oder Zoom treffen und alles besprechen.“

Nach ewigem vergeblichen Warten auf mindestens eine Antwort auf zahllose Briefe an Galerien und Organisationen beschleunigte sich das Leben plötzlich rasant. Erst am Vortag hatte mir das Medienboard Berlin empfohlen, mich mit Empfehlungsschreiben von Pompidou und MoMA für die Beantragung von Fördermitteln einzudecken, und eine bevorstehende Aktivität im Projektraum Die Krise des Kapitalismus in Berlin-Neukölln versprach, der erste Schritt zum Erfolg zu sein.

Wir tauschten Kontakte mit A, der Galerieleiterin, aus. Tja, also, Schule der Zukunft, wieder Schule. Mit diesem Gedanken zogen wir los, um Arbeiten vorzubereiten.

Die temporäre Gemeinschaft der Zukunft organisiert sich rasch selbst. Wir haben ein paar Informationen verschickt, uns kennengelernt, besprochen, wer, was ungefähr, wo ungefähr, wie viel ungefähr, und innerhalb eines vorgegebenen Rahmens eine Entscheidung getroffen, ohne zu versuchen, uns gegenseitig zu übertrumpfen oder jemandem eine unmögliche Aufgabe zu stellen. Wir haben besprochen, wer was tun kann, und jeder hat getan, was er konnte. Das Konzept der utopischen Schule ergab sich leicht aus dem Kontext der Situation.

The school of the future

Das Thema Schule ist breit gefächert und findet seinen Widerhall sowohl im Small Talk als auch in kulturellen Debatten darüber, was moderne Bildung sein sollte und wie die Schule der Zukunft aussehen könnte. X, Y, Z und OK sammeln ein Bild von der Schule der Zukunft, in der Träume, Spiele, Zweifel, Ängste und Ordnung schaffende Strukturen einen Platz haben.
X, die Künstlerin, die Studentin der Schule Kunst im Kontext und selbst Lehrerin, arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Bildung und Gesellschaft. Ihre fast unspektakuläre Installation besteht aus einer Reihe von Gemälden, in denen sie versucht, eine Vision der zeitgenössischen Schule zu reflektieren, wie Klassismus den Zugang formt und Chancen verteilt. Zwei Gemälde in der Mitte zeigen eine leere Halle mit schmutzigen Tafeln und Schreibtischen sowie eine Pausensituation an einem großen Tisch, genannt “The Elephant in the room”. Die warmen, leuchtenden Farben und die malerischen Pinselstriche ziehen an, mildern die alltägliche Schulroutine ab und spiegeln die Ambivalenz des Schullebens wider. X verschlüsselt die beiden anderen Bilder, füllt sie mit Vogelhäuschen, mit Symbolen, die nur durch den Zugang zur Bildung dekodiert werden können, oder führt sie die herrschende Klasse hier an der Nase herum? Sie ergänzt die Szenerie mit zerstörten Elementen der antiken Architektur oder sich auflösenden Ornamenten. Eine nachgebildete Collage mit aus in der Schule gefundenen Papieren unterbricht die Malereireihe, doch der Schulplan ist (zur Erleichterung des Betrachters) eine Illusion und mit frivolem Band überklebt. Kleine, in die Wand eingelassene Figuren und verstreute bunte Papierschnipsel fügen ein spielerisches Element für die jüngeren Besucher*Innen hinzu, die gerne die geheimen Wege erkunden, auf denen sie sich befinden.
Y ist ein Künstler und Musiker, Absolvent der Stuttgarter Akademie. Seine Werke befinden sich an der Schnittstelle zwischen naiver Popart und Expressionismus, manchmal ergänzt durch Texte oder Titel mit einer konzeptionellen Erzählung und ausgeführt mit einem impressionistischen Pinselstrich. Dieser Stilkombomix spiegelt die transkonzeptionelle Periode der zeitgenössischen Kunstsprache wider. Die persönliche, berührende Haltung des Autors gegenüber den ausgewählten Objekten oder Figuren ist ansprechend. Die zeitgenössische Schul- und Bildungsarbeit ist für den Künstler ein Spiel mit Bedeutungen und Codes auf der alltäglichsten Ebene der Nachbarschaft, wo ein Glas Marmelade, eine Eistüte oder ein kleiner Geist eine Vielzahl von Interpretationen hervorrufen kann. Die Zukunft ist nur durch das Vereinigte Königreich begrenzt, ironisiert Y, aber man muss fairerweise sagen, dass es sich um ein altes Werk handelt, auch wenn sich die Situation vielleicht nicht geändert hat.
Z präsentiert Skulpturen und Gemälde, in denen sie versucht, die Kindheit und die ihr innewohnenden Träume, das Gefühl von Festlichkeit und aufregenden Erinnerungen festzuhalten, wenn man sich etwa in ein anderes Wesen verwandelt, nur weil man eine Maske aufsetzt, den Zauber eines neuen Spielzeugs beobachtet oder in eine Waldhütte klettert. Realistische Porträts mit weichem Licht und subtiler Farbgebung fangen das echte Interesse am Detail und den einzigartigen Blick der Kinder ein. Kleine Skulpturen erscheinen als Spielzeug, unveränderliche Attribute der Kindheit. Mehrfarbige, neblige Meerjungfrauen führen diese Exposition an.
Das Werk von OK steht im krassen Gegensatz zu den Kindheitsträumen und holt uns in die Realität zurück. Schwarz-weiße Tintezeichnungen mit roten Akzenten führen uns vom Thema der Kindheit zum mütterlichen Blick durch die feministische Linse. In seiner Serie Ich habe keine zusätzlichen Kinder reflektiert der Künstler über die Angst, die Frauen in dieser Zeit der modernen Welt voller Kriege haben. Die Angst, am Ende des zweiten Jahres der russischen Invasion in der Ukraine und im 4. Monate des israelisch-palästinensischen Krieges, neues Leben zu schenken. Sie berichtet von traumatischen Erfahrungen und kritisiert Staaten, die ihre Demografie planen, um die militärischen Reserven aufzufüllen und nicht nur Steuerzahler, sondern auch Kanonenfutter zu gewinnen. Die Figuren seiner Bilder zeigen die toten Körper von Soldaten auf dem Feld in den Schützengräben oder Ultraschallfotos von Föten oder Babys. Der Krieg erscheint als Metapher für eine Eileiterschwangerschaft, die dem Fötus keine Chance zum Leben gibt und die Mutter töten kann.

Das Ausstellungsprogramm im Projektraum Die Krise des Kapitalismus umfasst einen Vortrag und eine Diskussion von X mit dem Thema: kulturelle Aneignung. Die Bewältigung der kolonialen Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit den damit einhergehenden komplexen Themen sind für die zukünftige Entwicklung und Bildung von großer Bedeutung. Das Programm schließt mit einem Happening von OK “Arbeit unter allen Umständen”, das der Erinnerungskultur gewidmet ist.

Die Schule der Zukunft wird in der Ausstellung vorgestellt und verbindet die Werke nicht nur direkt durch die Aussagen der Künstler*Innen, sondern auch als Methode der Kommunikation und Selbstorganisation der temporären Gemeinschaft, als ein Arbeitsmodell, das sich in der transkulturellen, dynamisch entwickelnden Welt schnell verbreitet.

Obwohl diese Welt durch Ungleichheit und den Versuch, nationale Kriege zu beenden, gespalten ist, kann dieses Arbeitsmodell vielleicht Konflikte, wenn nicht beenden, so doch zumindest abmildern. Die horizontale Selbstorganisation von Menschen, die durch ein Ziel vereint sind, eine temporäre Gemeinschaft von Künstler*Innen, die eine kreative Aufgabe lösen, verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes die Schule der Zukunft: schnelle ortsspezifische Orientierung, Kommunikation, gemeinsame und individuelle Arbeit. Die Zeitlichkeit der Kommunikation, die Fluidität der Situation und der Umgebung entwickelt eine neue Denkweise, die als notwendige Fähigkeit im Umgang mit Technologien, Ideen und Konzepten auf die Schule der Zukunft übertragen wird.

Vielleicht sollte ein Workshop zum Thema Klassismus zusammen mit der Antidiskriminierung überall verpflichtend eingeführt werden, aber bisher ist er in keinem Bildungsprogramm zu finden, offenbar weil er das ganze System zerstören könnte. Und in diesem Workshop geht es überhaupt nicht darum, wie man einen Lebenslauf schreibt oder was in einem Arbeitsvertrag stehen sollte. Es ist unwahrscheinlich, dass die Entrechteten danach fragen, obwohl sie genau wissen, was darin stehen sollte, oder einfach den angebotenen Bedingungen zustimmen, weil es “besser” ist als arbeiten für die Schublade. Da es beschämend ist, nicht privilegiert zu sein, werden Biografien verzerrt und der reale Gewinn (monetäres oder symbolisches Kapital) aus der Ausstellung und den Kontakten mit Institutionen wird überbewertet, um den Status oder den Anschein des Erfolgs nicht zu verlieren. Diejenigen, die ein Privileg in Form einer Position oder eines Zugangs erhalten, werden Teil eines Systems, das zwar einerseits Unterstützung predigt und artikuliert, in Wirklichkeit aber unterdrückt und diskriminiert. Während sie sich nach außen hin als Freunde und Unterstützer präsentieren, schließen sie andere aus, um ihre Privilegien zu erhalten. Es kommt nicht zu offenen Konflikten, denn im System des Kyriarchats bezieht sich jeder auf seine eigene Diskriminierung.

Das System des Zugangs zu Kunstorganisationen und -strukturen ist so strukturiert, dass es das Wissen, die Kunst und die Erfahrung von Künstler*Innen mit Migrationshintergrund, von Künstler*innen aus Arbeiterfamilien und von solchen, die irgendeine Form von Diskriminierung erfahren, nivelliert und diejenigen ausschließt, die nicht zu einer privilegierten Klasse gehören.

Um über Klassenungleichheit sprechen zu können, muss man zumindest das Mindestprivileg einer guten Bildung und Sprachkenntnisse besitzen. Ich werde nicht angeben, wie viele Jahre ich gebraucht habe, um eine Ausbildung zu bekommen und die Sprache zu lernen, um in der Lage zu sein, einen Ausstellungstext wie den obigen mit Eingabedaten gleich Null in einer Extrasituation zu schreiben. Kunstliebhaber lesen solche Texte auf Ausstellungen regelmäßig, Nichtliebhaber gar nicht, aber keiner von ihnen weiß wirklich, was sich manchmal hinter der Fassade verbirgt.

Betrachten wir nun unsere ideale temporäre Gemeinschaft im Die Krise des Kapitalismus aus einer anderen Perspektive. Wir tappen in die Falle einer schnellen Entscheidung und werden in die Selbstorganisation und zusätzliche freie Arbeit hineingezogen. Eine Woche später reist R, Inhaber des Die Krise des Kapitalismus, plötzlich nach Amerika ab, und die Leiterin hat etwas anderes zu tun. Damit schien auch unser zumindest symbolisches Kapital aus diesem Ereignis zu verpuffen. Wir sind auf uns allein gestellt. Wir haben Ankündigungen gemacht, wo immer wir konnten, die Ausstellung, das Display, die Beaufsichtigung des Raumes während der Öffnungszeiten lag auch an uns.

Der Feminismus (aber nicht der Kapitalismus) hat mich gelehrt zu zählen, ich fange automatisch an, die Arbeit zu zählen, ausgehend von der Tatsache, dass jede Arbeit bezahlt werden muss.

Das Lowbudget bei einer gemeinnützigen Galerie sieht ungefähr so aus:

Kurator*in: Mitarbeiter*in der Galerie ab 450€ pro Minijob, Praktikant*in frei, Gastkurator*in auf Honorarbasis kann jeden Betrag verlangen (700€ bbk).

Künstlerhonorar 800 € x4 (bbk)

Beschilderung 350€ (bbk)

Vortrag 300 € (bbk)

Beaufsichtigung 400€ (bbk)

Die Werbung ist kostenlos, aber selbst die Platzierung auf freien Trägern erfordert 5 Stunden Zeitaufwand der Mitarbeiter der Galerie Mitwirkung an Katalog- und Begleittexten 5x 350€ (bbk)

Es fehlen noch Transportkosten, Versicherung der Arbeiten, Materialien für Dekoration und Aufhängung.

Musikalische performance 100€

Getränke Vernissage 50€

Miete…

Miete, das ist der Vorteil, werden Sie sagen, Sie müssen keine Miete zahlen. Wenn wir die Ausstellung zu Hause machen würden, bräuchten wir auch keine zusätzliche Miete zu zahlen, also ist dieser Punkt hinfällig.

….

Als Nächstes sagt der Eigentümer der Räumlichkeiten, dass er 50 % des Umsatzes haben möchte. Die Künstler*Innen werden zur Geisel dieser Vereinbarung und rechnen in den Preis der Werke einen 50-prozentigen Aufschlag für eine nicht erbrachte Leistung ein, was die Chancen auf einen Verkauf des Werks erheblich verringert. Es gibt auch einen Austausch von Begriffen: Wenn die Galerie nicht kommerziell ist, ist sie nicht im Verkauf tätig und erhält keinen Prozentsatz des Umsatzes, und wenn sie kommerziell ist, investiert sie in Werbung und Verkaufsförderung. Die Künstler*Innen erhalten zwar keine Tantiemen, aber sie erhalten Umsätze oder zumindest symbolisches Kapital in Form von Anerkennung. Was haben die Künstler*Innen davon, wenn sie weder einen finanziellen Gewinn noch symbolisches Kapital erhalten? Die manipulative Behauptung, dass man am Anfang seiner Karriere investiert, wird zunichte gemacht, wenn man sich die Liste der Aussteller ansieht, von denen viele seit Jahren auf diese Weise arbeiten, ungeachtet (ich wiederhole mich hier) ihrer Professionalität, ihrer Ausbildung und der Qualität ihrer Arbeit (oh, wie viele Künstler*Innen ich getroffen habe, die nicht nur einen, sondern zwei, drei abgeschlossene MAs und einen Haufen Weiterbildungen haben). Nur, weil man eine andere Klasse ist.

In den der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien zugeordneten Kapiteln sind im kommenden (2024) Jahr Ausgaben in Höhe von insgesamt 2,15 Milliarden Euro vorgesehen.

Ich denke über diese Zahl nach, wo ist mein Anteil?
Meine erste und einzige Ausstellung mit einem Produktionsbudget wurde plötzlich abgesagt, weil der Veranstalter keine Fördergelder erhalten hat. Das Projekt hieß Selbstwert & Mündigkeit in Demokratien und war auf osteuropäische Vertreter*innen von FLINTA* in der Migration ausgerichtet, und ich hatte mich wie immer zu 100 Prozent dafür eingesetzt. Korrektur: nicht die Ausstellung wurde abgesagt, sondern die Finanzierung. Mir wurde angeboten, die Ausstellung dennoch zu machen, aber ohne Honorar. Angesichts der Tatsache, dass das bescheidene Schloss, ein Ort für Demokratie und marginalisierte Künstler*innen, zweieinhalb Stunden von Berlin entfernt liegt (kenne deinen Platz!) und ohne Transport die Arbeiten dorthin einfach nicht geliefert werden können, drohte die Veranstaltung, sich in eine masochistische Aktion zu verwandeln. Aber hier wurde ich zumindest rechtzeitig informiert, und ein Honorar war zumindest vorgesehen.
Mit meinem Bekannten, einem Künstler mit Behinderung, geschieht eine Geschichte, bei der ich vor Ohnmacht die Fäuste balle. Er nimmt immer wieder an Ausstellungen teil und bekommt keinen Cent. Seit 20 Jahren. Kommerzielle Galerien sehen solche Künstler einfach nicht, egal wie gut sie sind (mein Freund war vor seiner Krankheit ein Schüler von Beuys), und alle kommunalen, Kiez- oder diasporalen Projekte nutzen sie einfach aus und zahlen mit der Sichtbarkeit von Sichtbarkeit. Das letzte Projekt, an dem er teilnimmt, hat eine bedeutende institutionelle Unterstützung — nicht mehr und nicht weniger als die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Die Ausstellung findet zufälligerweise ebenfalls in einem bescheidenen Schloss statt und heißt nicht gerade frisch Erinnerungen an die Zukunft. Erinnerungen an die Zukunft positioniert sich selbst als „eine Untersuchung künstlerischer Reflexionen, Vorahnungen und Offenbarungen mit dem Ziel, die moderne Geschichte der Massenmigration zu vermitteln und die Frage zu stellen: ‚Welche gemeinsame Zukunft erwartet uns?‘“

Bei Musikern ist es noch schlimmer: Das Grausamste, was ich je gesehen habe, sind 100 Euro für einen dreistündigen Auftritt einer fünfköpfigen Behindertenband.

Wie viele Milliarden, haben sie uns gesagt, wurden für die Kultur bereitgestellt?

Etwa 400 private Galerien gibt es in Berlin. 2019 wurden mit 350 Millionen Euro etwa 40 Prozent des deutschlandweiten Umsatzes mit Kunst in Berlin erwirtschaftet. Den größten Anteil daran hatten internationale Verkäufe.

Kleine Galerien und Kunsträume wie Die Krise des Kapitalismus machen wahrscheinlich gut die Hälfte der Gesamtzahl der Galerien aus, und alle arbeiten mit ungefähr den gleichen Bedingungen für Künstler*Innen, indem sie diejenigen ausbeuten, die unter ihrer Klasse sind. Vereinigungen, die sich entlang ethnischer Grenzen zur Unterstützung ihrer Landsleute zusammengeschlossen haben, sind besonders klassenbewusst und arbeiten unter dem Deckmantel der Solidarität. Vereine, die sich entlang ethnischer Grenzen zur Unterstützung ihrer Völker/ Landsleute zusammengeschlossen haben, sind besonders klassenbewusst unter dem Deckmantel der Solidarität. Sie veranstalten Lesungen, Workshops, Ausstellungen, Bildungsprogramme für die Mitglieder der Gemeinschaft, nehmen ehrenamtliche Arbeit auf und verstecken Budgets. Je weniger man die Sprache beherrscht, desto wahrscheinlicher ist es, dass man geradezu gejagt wird, zu “großen”, vereinigenden, edlen Projekten eingeladen wird, gebeten wird, etwas zu erzählen, etwas vorzulesen, ein Bild für eine Ausstellung zur Verfügung zu stellen, für ein kleines schwarzes Honorar zu helfen. Nicht einmal das versprochene Kleingeld unter irgendeinem Vorwand zu zahlen, ist eine gängige Praxis. Allerdings erhalten sie selbst nur selten mehr als Mietzuschüsse oder kleine Zuschüsse aus staatlichen Fördermitteln. Unter den sogenannten kommerziellen Galerien ist das Modell sehr verbreitet, bei dem die Galerie von den Künstlern Geld für open-calls nimmt und für die Lieferung verlangt, ohne die Sicherheit der Werke zu versprechen. Der Prozentsatz der Verkäufe wird bereits 70% erreichen, das Pathos der Veranstaltung und der “erhöhte” Preis der Werke werden das Selbstwertgefühl des Künstlers beruhigen, aber der Verkauf (der besondere Arbeit der Galerie erfordert) kann “scheitern”. Es ist schon gut, wenn die Galerie die Werke unversehrt und sicher zurückgibt.

Warum verlangt eine gemeinnützige Galerie überhaupt diese 50 Prozent, die einen solchen Wert für das Werk ergeben, dass die Chancen, es unter diesen Bedingungen zu verkaufen, gleich Null sind? Warum fragen die gemeinnützige Galerien überhaupt die Künstler nach Preisen und drucken Preislisten?

Wenn man in der Hierarchie weiter nach oben klettert und die Sprache lernt, kann man in kommunale Galerien und mittelgroße kommerzielle Galerien “hineinwachsen”, aber hier nehmen deutsche Künstler*Innen viel aktiver am Klassenkampf teil. Hier ist die Chance geringer, dass ihre Arbeit in vollem Umfang aneignen wird. Man kann in die Kategorie der Lieblinge fallen, dadurch den Unmut der Kolleg*Innen auf sich ziehen, aber höchstwahrscheinlich werden Sie Ihre Briefe einfach nicht beantworten. bbk Berlin kann es leugnen, wie sie wollen, aber ich weiß genau, wie wichtig es ist, die Jury in Atelierbüros zu kennen. Natürlich werde ich Ihnen keine Namen nennen, aber können wir wenigstens anfangen, darüber zu reden?
Wenn man schon so unabhängig ist, dass man ein unabhängiges Projekt organisieren will und eine Förderung sucht, wird die Abstufung der Klasse stärker, es kommt nicht nur darauf an, wie lange man schon in Berlin oder Deutschland lebt, sondern wie ich oben erwähnt habe, wurden in meinem Fall Empfehlungsschreiben vom Pompidou und MoMa angefordert und kleinere Institutionen passten nicht zu ihnen. Warum sind Pompidou und Moma für die Produktion auf dem deutschen Kunstmarkt überhaupt wichtig?

Ich möchte mich vom Thema Klassismus im künstlerischen Umfeld schon lösen und dieses Thema auf die gesamte Gesellschaft ausweiten, denn nicht nur Künstler*Innen und Musiker*Innen, sondern die gesamte Gesellschaft leidet darunter. Der Klassismus in der Bildung ist zum Beispieerfordert eine gesonderte Betrachtung. Dennoch werde ich mich jedoch vorerst auf die Kunstszene beschränken, die an dieser seltsam unangenehmen Krankheit leidet.

Lektorat und Komplizenschaft: Sarah Schultz

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