Danke Paco — Du hast uns gerettet…

Patrick Hummel
10 min readJan 2, 2019

--

Am 02. Januar 2019 verließ uns Paco. Möge er in Frieden ruhen.
Geboren am 15. Juli 2007, wurde er 11 Jahre alt.

Ich hatte Heute frei, als das Smartphone klingelte. Ich drückte schnell weg, denn es war Mama die anrief, wieder über die gewöhnliche Mobilfunkleitung. Hier in der Schweiz sind Telefonate ins Ausland und vom Ausland teuer, also entschloss ich Mama schnell eine WhatsApp zu schicken, ob es etwas wichtiges sei. Dazu kam ich aber nicht, denn es klingelte bald noch einmal.
Das Telefonat abgenommen, fragte ich bevor meine Mutter etwas sagen konnte, ob es etwas wichtiges gäbe, denn ich war gerade auf dem Weg nach Zürich, um den letzten Tag mit Emil und Judith zu geniessen.

Es war wichtig.

Ich spürte in Mamas Stimme ein Zittern und ich wusste, es ist die Familie, die betroffen war. Mein erster Gedanke ließ mich glauben, dass etwas mit meinen Großeltern geschehen war, denn sie sind schon alt und krank mittlerweile. Sie waren es aber nicht.

Meine Mutter sagte dann: Paco ist gestorben… Paco ist gestorben. Paco, unser Hund, ist gestorben. In meinem Kopf sind es zahlreiche Endlosschleifen und tausende Nadelstiche in mein Herz, die diese Erinnerung hervorruft. Paco. Mein und Wolf-Andrés Bruder. Mamas Kind. Unser Hund. Bis jetzt habe ich es nicht realisiert und ich glaube aus der Ferne, hier aus der Schweiz, wird das auch schwierig.

Ich fragte meine Mutter was passiert sei, ironischerweise fällt mir jetzt auf, dass es doch nichts geändert hätte wie er starb, da er nun tot sei, aber wir Menschen brauchen wohl Gründe und Fakten um die Situation zu verarbeiten, zu verstehen und ja, zu glauben. Im Schlaf sei er gestorben… und nicht mehr aufgewacht. Morgens brachten sie ihm die Decke neben das Körbchen und sagten keck wie immer, na schau, dass Deine Decken wieder in das Körbchen kommen. Keine Reaktion. Kein Glasaugenblick. Keine Drehung auf den Rücken um gekrault zu werden. Keine Bewegung. Kein Atemzug.

Ein Schock. Das Überkommen der Tränen und des Herzschmerzes. Und egal wo ich gewesen wäre, alles fühlte sich so falsch, so leer und so ungerecht an. Ich wäre in den Flur nach Leverkusen gestürmt, um mich zu überzeugen, aber im Zug nach Zürich ging das nicht. Währenddessen stand der Kontrolleur neben uns und fragte meine Freunde nach Ihren Tickets. Von ihnen erfuhr ich später, dass er sich nach mir erkundigte, nicht mein Ticket sehen wollte und überfordert war. Etwas wofür ich dankbar bin: für diese Ruhe und diesen Augenblick nur für mich, ich hätte sonst vielleicht falsch reagiert. Und genauso froh war ich, nicht allein zu sein, als ich Das erfuhr — danke Emil und Judith.

Paco, Du warst für uns seit Deinem Einzug in unsere Wohnung in Iserlohn ein Teil der Familie. So schwer und traurig war es, als meine Mutter, mein Bruder und ich von zuhause wegzogen und in diese karge und kleine Wohnung kamen. So trist und leblos war unser Leben die ersten Monate allein, denn es fehlte an fast allem. So klein wurde unsere Familie. Aber in einer spontanen Stimmung, gegen jeden Verstand und objektiven Gedanken, gingen Mama und ich zum Nußberg in Iserlohn und kauften Dich von einer Familie, die nun eine Tochter mit Hundeallergie hatten. Ich weiß noch, es waren diese symbolischen 250,– EUR, die wir eigentlich nicht mehr hatten, aber die Du uns in unbezahlbarer und liebender Weise zurückgeben würdest, mit jedem Deiner Tage bei uns.

Du kamst zu uns, als es so schwierig war. Als Mama zweifelte, das richtige getan zu haben, ich nicht mehr in die Schule gehen wollte und das Leben nicht mehr genoss und Wolf-André monatelang geschwiegen hatte und fast das Wort verlor. Und ohne es zu wissen, würdest Du uns retten.

Du warst im Wohnzimmer als Wolf-André aus der Schule zurückkam. Du lagst gerade auf diesem petrolfarbenen Sofa, dass Mama für 1,– EUR bei Möbel&Mehr gebraucht gefunden hatte, kautest an einem Knochen und zogst erst keine Aufmerksamkeit auf Dich. Wolf-André entdeckte Dich und rief in die Küche zu Mama zurück, was dieser Hund bei uns im Wohnzimmer machen würde, glaubend dass es der Hund von Freunden sei, auf den wir aufpassen würden. Als Mama ihm sagte, dass es unser eigener neuer Hund sei, war er so aus dem Häuschen, er lachte, er schrie vor Freude, er lebte!

Ich erinnere mich gut, dass Paco gar nicht Dein erster Name war. Für Deine erste Familie warst Du Rico. Für uns zuerst Grego. Irgendwie war das alles nicht so das wahre. Das fandest Du auch und reagiertest auf alle diese Namen kaum. Und dann kamen wir auf Paco und wir waren uns alle einig: Dein Name! Unser Labrador (von dem wir wussten, dass es nicht nur ein Labrador sein konnte…) hatte seinen Namen.

Deine Welpenzeit war unbezahlbar. Sie brachte uns so viel Freude und natürlich ab und zu auch Ärger. Aber nur Momente, an die wir uns gerne erinnern. Ich erinnere mich zum Beispiel an das Kissen mit dem Löwengesicht, welches Du so liebtest, an die vielen Kuscheltiere, die wir im Möbel&Mehr geschenkt bekamen und welche Du alle in Dein Körbchen holtest und ab dem Tag glaubtest, alle Kuscheltiere seien Deine. An die zahlreichen Abende in der Hundeschule, in der Du bewiesen hattest, dass man nicht durch ein Rohr laufen muss, um am anderen Ende die Belohnung zu erhalten. Wie Du auf dem Stuhl nachts saßt und Mama erschrakst, als sie auf die Toilette musste, die Tapete abgerissen hattest und sie aßt, und so viel, so viel mehr. Ich könnte ewig meine Erinnerungen aufzählen.

Das schönste Deiner Geschenke war Deine bedingungslose Liebe.
Egal was passierte, egal wie das Wetter war, egal mit welcher Stimmung wir nach Hause kam, Du hast immer auf uns gewartet und Dich immer über uns gefreut. Dabei warst Du mit so wenig glücklich. Wir hatten nicht viel, also kamen Deine ersten Geschenke von unserer Freundin Trudi. Der Kong, an dem Du so ewig kautest und ein Ball, der sich wiederum schnell verabschieden musste. Auch war die Wohnung klein und Dein erstes Bett ein selbstgebasteltes aus einer alten Schaumstoffmatratze. Kein Garten. Keine ständigen Leckerlis, aber das war Dir egal. Du fühltest Dich unter dem Tisch wohl, zwischen den Stühlen wo es so eng war und wo Du bei uns warst, wenn wir in der Küche saßen und Besuch kam.

Wir haben viel miteinander erlebt, viele schöne Dinge und einige traurige Dinge. Als es Dir so schlecht ging, weil sich Dein Magen so häufig umdrehte, Du draußen das Gras essen musstest und Dich übergeben hattest, haben wir alle mit Dir gelitten. Es tat wirklich weh das zu sehen. Und deshalb danke ich Gott, dass wir mit dem erhöhten Futternapf, der anderen Ernährung und viel Pflege dieses Problem irgendwann im Griff hatten.

Mit der Zeit änderte sich viel um Dich. Du musstest lernen damit umzugehen, das haben wir Dir leider zugemutet. Ich zog aus und lebte eine Zeit lang in Brasilien. Als ich wieder kam, zog es mich bald wieder in die Ferne und ich wählte Berlin für mein Studium. Und während ich neu anfing, ging es auch für Dich weiter, weg von Iserlohn, Deiner Heimat, nach Leverkusen, wo Mama, Peter und Wolf-André zusammenzogen. Deine Familie wurde größer — aber sie war nicht immer zusammen. Dafür hattest Du jetzt Deinen eigenen Garten und Platz, mehr Raum und Ruhe. Du reistest nach Holland und Dänemark, genosst das Meer, das Schwimmen, die Sonne und so viel mehr — es war ein richtig tolles Hundeleben.
Und egal wie lange ich fernblieb — was wirklich oft viel zu lange war — ich wurde von Dir begrüsst, als wenn ich Dich gestern erst gedrückt hätte. Du sprangst, Du schlecktest einen ab, Du warst so glücklich, wenn unser Rudel wieder zusammen war.

Schließlich wurdest auch Du alt. Wie das bei Haustieren so oft ist, für uns menschlich gesehen viel zu früh. Du sprangst nicht mehr so viel, Du nahmst zu und es viel Dir ab und zu schwer aktiv zu bleiben. Die Warzen taten Dir weh und Deine Krallen nutzten sich von Deiner eigenen Aktivität alleine nicht mehr genug ab. Alles normal. Jetzt galt es Dich zu pflegen und Dir etwas zurück zu geben für all die Jahre Hingebung.
Du wurdest schließlich wieder dünner, und für Dein Alter agil, aber irgendwie verließ uns nicht der Gedanke, dass es irgendwann in naher Zukunft bald zu Ende ist, dass Du bald von uns gehen würdest. In unseren Köpfen spukte eine Zahl von 2–3 Jahren, irgendwann um 2021 herum — so alt dürftest Du als großer Hund werden, wenn wir Dich weiter so pflegen. Wir wussten, dass es Dir sonst an nichts fehlte, Du hattest tolle Zähne, der Tierarzt hatte nichts zu beanstanden, also alles bestens. Und trotzdem hat uns dieser Gedanke ab und zu paralysiert.

Heute Nacht war es dann soweit. Für uns viel zu früh, viel zu unerwartet und viel zu unverständlich. Es ist so egoistisch von uns so zu denken, aber ich weiß auch nicht mehr rational etwas dazu zu sagen. Wäre ich gern bei Dir gewesen? Wäre es besser gewesen es vorher zu wissen? Es ist vergangen, es ist schon geschehen. Und so versuchen wir unseren Trost in Erklärungen zu finden, die wieder so menschlich und absurd sind, uns aber Halt geben. Du hattest vermutlich keine Schmerzen als Du von uns gingst. Du hast bis zu Deinem letzten Tag gerne gegessen, fühltest Dich fit und hattest ein so schönes Leben.

Als Christ dürfte ich nicht von Schicksal und Fügung sprechen — sei es auch egal wie wir es nennen. Aber es war ein Segen, dass wir das letzte Weihnachten so intensiv und lange miteinander verbringen konnten. Länger wie gewöhnlich, aktiver wie gewöhnlich, ohne jeden Streit und miteinander. Ich sehe jetzt noch Deinen Blick von Deiner neuen Matte zu uns rüber zum Sofa, ich spüre immer noch Dein warmes und flauschiges Fell, wie Du zwischen Couchtisch und Sofa zwischen uns lagst, und ich erinnere mich so sehr an Deine kalte Schnauze, wie Du uns morgens wecktest und mit uns Gassi gehen wolltest, nachdem Wolf-André, Du und ich in Mamas Zimmer geschlafen hatten. Egal wer diese Fügung zu verantworten hat, ich betrachte es als das größte Glück, dass wir gemeinsam diese schönen Erinnerungen knapp vor Deinem Tod genießen durften. Danke. Danke Gott. Danke Schicksal. Danke Paco.

Egal wie, ich kann Dir nur danken.
Für die Stunden Kummerspaziergang, die Du mich begleitet hattest, für jedes Schwanzwedeln und Abschlecken in diesem Leben, für den Wingman bei Dates, für den Schutz gegenüber Fremden, für das gemeinsame Reisen und Leben, für das Glück, welches Du uns wieder lehrtest, für die Sprache die Du Wolf-André wieder brachtest, für die Liebe die Du Mama gabst, für die Rettung unserer Familie und den ewigen Beistand, den wir durch Hartz IV, schwierigen Schulphasen, Mobbing, gefährlichen Nachbarn und so viel mehr Leid brauchten. Du warst da. Und Du wolltest nie etwas dafür, außer unsere Liebe.

Heute sagte mir jemand, dass es doch kein Mensch sei, der gestorben ist. Das stimmt — es ist nämlich ein so viel treueres und liebevolles Lebewesen das von uns geht. Ein Familienmitglied für die Ewigkeit. Und was Du in uns geweckt hast Paco, dass werden vermutlich viele Menschen nie in uns wecken.

Wir werden Dich nie vergessen.
Wir werden Dich für immer lieben.
Wir werden für Dich weiterkämpfen und glauben.
Wir werden für immer eine Familie sein.

Und eines Tages werden wir uns wieder sehen!

Danke. Thank you. Obrigado.

--

--

Patrick Hummel

Someone that moved from Europe to Brazil, works as a Product Designer at the home of brands at Frontify and that unites his love in caring and acting.