Ponzi-Schneeballsystem- das Pyramidensystem der Umverteilung.

Prof. Dr. Peter Linnert
4 min readMar 23, 2020

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Rentenklau oder Systemanpassung

Derzeit erarbeiten drei Vollzeit-Beschäftigte die Altersrente für eine Person. Um diese unbestrittene Tatsache ranken sich mehrere Grundsatzfragen:

1. Wie sicher sind die Rentenzahlungen der Zukunft?

2. Mit welchen Belastungen für die Rentensicherung muss künftig gerechnet werden?

3. Um wie viele Jahre muss die Lebensarbeitszeit bis zum Eintritt ins Rentenalter erhöht werden?

Um diese und andere Fragen, die in diesem Kontext aufgeworfen werden beantworten zu können, stellen wir uns das Rentensystem als einen großen Topf vor. In diesem Topf werden die vom Staat festgelegten Beiträge, die vom monatlichen bzw. jährlichen Einkommen abgezogen werden, eingezahlt. Derzeit beträgt die Zwangsabgabe ca. 20%. Auf der anderen Seite des großen Topfes stehen die Rentenempfänger, die Zahlungen aus diesem Topf erhalten und auch künftig in mindestens gleicher Höhe erwarten.

Aus diesem Topf kann aber nur so viel herausgenommen werden, wie drin ist. Soweit die Anleihe aus dem Banalfundus des gesunden Menschenverstandes.

Die demographische Entwicklung, gemeint ist in diesem Zusammenhange die ständig zunehmende Lebenserwartung (trotz Corona Virus) drängt die Vermutung auf, dass aus dem Rententopf bald mehr gezahlt werden muss, als sich darin befindet. Die zunehmend größere Differenz zwischen den Einnahmen und den erforderlichen Auszahlungen wird derzeit vom Staat abgedeckt und belastet das staatliche Budget mit nahezu einem Drittel des Bruttoinlandproduktes. Diese Ausgaben müssen durch Steuern finanziert werden, die aus wirtschaftlicher Sicht dringend gesenkt, statt erhöht werden sollten. Wenn die staatlichen Zuschüsse nicht erhöht werden können, müsste das Eintrittsalter für die Rente erheblich erhöht werden. Einige Wirtschaftsforscher, z.B. Hans-Werner Sinn, gehen von 73 Jahren aus. Zur Erläuterung: als die staatliche Rente von Kanzler Bismarck im Jahr 1883 eingeführt wurde, lag das Alter für den Beginn des Bezugs einer Rente bereits bei 70 Jahren.

Obwohl die Lebenserwartung in den letzten 130 Jahren um mehr als 30 Jahre gestiegen ist, wurde vor ca. 5 Jahren das Renteneintrittsalter für einige Empfängergruppen von 65 auf 63 Jahre gesenkt.

Die sich anbahnende Lücke im Rentensystem, sowie die sich daraus ergebenden Änderungen, sind Anlass für Dementis und Statements, wie z. B. die Rente ist sicher, aber auch für Modellrechnungen, die Verschwörungstheorien begünstigen. Häufig zu lesen sind diesbezüglich „wertlose Rente“ oder „Ponzi-Schneeballsystem“ oder gar „Pyramidensystem“.

Die Verfechter gehen möglicherweise davon aus, dass das Renteneintrittsalter konstant bleibt und der Staat seine Zuschüsse nicht erhöht.

Ferner wird argumentiert, dass auch die Zuwanderer, sofern diese Beiträge für die Rentenkasse leisten, die sich anbahnende Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht schließen können. Außerdem wird behauptet, dass das „wacklige“ Rentensystem gegen den Generationenvertrag verstößt, demzufolge die arbeitende Generation so hohe Beiträge in den Rententopf einzahlt, wie erforderlich sind, um eine ausreichende Alimentation für die Rentner sicher zu stellen.

Ein derartiger Generationenvertrag, wenn es denn einen solchen gibt, übersieht die demographische Entwicklung, die letztlich die sogenannte Alterspyramide auf den Kopf stellt. Diese graphische Darstellung wird von oben nach unten zunehmend breiter. Die jüngeren Generationen wären unverhältnismäßig hohen Belastungen ausgesetzt, die sich demotivierend auswirken wird.

Als mathematisch fundierte Lösung des Rentenproblems bieten sich entweder laufende Rentenkürzungen oder eine dynamisch Anpassung des Renteneintrittsalters an. Letztere Möglichkeit stößt auf mehrere, meist ideologische Schwierigkeiten. Als wichtigstes Argument gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters wird die soziale Unzumutbarkeit hervorgehoben. Oft benutzen die Gegner einer Erhöhung des Renteneintrittsalters als Argument das Beispiel vom Dachdecker, der mit 65 oder gar 70 Jahren, nicht mehr auf die Kirchturmspitze klettern kann, um den Wetterhahn zu richten oder zerbrochene Dachziegel zu erneuern. Es wird unterschwellig der Eindruck erweckt, als ob alle Erwerbstätigen den Beruf des Dachdeckers ausüben.

Große Widerstände gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sind auch von privilegierten Berufsgruppen zu erwarten, die mit allen verfügbaren Mitteln ihren Besitzstand verteidigen.

Rentenkürzungen bilden sowohl aus sozialen als auch wirtschaftspolitischen Gründen keinen akzeptablen Lösungsansatz. Viele Betroffene würden im Falle von Einkommenseinbußen ihren Lebensstandard nicht mehr aufrechterhalten können oder sogar unter die Armutsgrenze fallen. Ihre verminderte Kaufkraft würde sich auch negativ auf ein angestrebtes Wirtschaftswachstum auswirken.

In der politischen Auseinandersetzung werden geplante Rentenkürzungen vorsorglich auch als „Rentenklau“ bezeichnet. Gegen Rentenkürzungen ist auch oft das Argument zu hören: „Ich habe vierzig Jahre Rentenbeiträge gezahlt, deshalb habe ich Anspruch auf eine angemessene Altersversorgung erworben“.

Wie schwer es ist, dringend erforderliche Rentenanpassungen durchzuführen hat das aktuelle Beispiel in Frankreich gezeigt. Monatelang wurden der Protest betroffener Bevölkerungsgruppen und die daraus entstandene Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt auf der Straße ausgetragen.

Wenn Rentenkürzungen nicht erwünscht, und auch nicht empfehlenswert sind und die Rentenbeiträge nicht erhöht sowie das staatliche Budget nicht mit noch höheren Subventionen der Rentenkasse belastet werden soll, bleibt als ehrliche Lösung nur die Anpassung des Rentenalters an die veränderte Bevölkerungsstruktur. Wenngleich dieser Weg logisch erscheint, wird er in der politischen Landschaft als äußerst gefährlich erachtet. Der Anteil der Rentenbezieher an der Gesamtbevölkerung liegt aktuell bei über 20%, mit steigender Tendenz. Um die Gunst dieser Bevölkerungsgruppe sind alle politischen Parteien bemüht. Es wurden daher auch keine Vorschläge umgesetzt, die dieses Wählerpotential verärgern könnten.

Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit und des Drucks auf das Budget, bis eine Regierung den Mut haben wird, das zu tun was erforderlich ist: eine baldige, stufenweise Erhöhung des Renteneintrittsalters mit Sonderregelungen für Dachdecker und andere gefährliche Berufe.

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Prof. Dr. Peter Linnert

Prof. DDr. Dr. h.c. mult. Peter Linnert ist Direktor am SHW Wien, Hohe Warte — Ausbildungseinrichtung für Wirtschaft und Ethik.