Geschichte wiederholt sich: VW-Müller 2017 wie Microsoft-Ballmer 2007

Peter Hogenkamp
8 min readOct 21, 2017

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Wenn ich Vorträge halte, in denen auch das Thema Innovation vorkommt, beginne ich, zumal im iPhone-Jubiläumsjahr 2017, gern mit einem kurzen Ausschnitt aus der legendären Präsentation von Steve Jobs im Januar 2007 (langes Video, ich beziehe mich nur auf die ersten 3:30 min.):

Aus heutiger Sicht klingt das alles sehr stringent: «a Widescreen iPod with touch controls (im Gegensatz zum Ur-iPod mit Scrollrad), a Revolutionary mobile phone, a Breakthrough Internet communicator».

Wobei man nicht vergessen sollte, dass damals vom AppStore noch nicht mal die Rede war. Heute würde man daher vermutlich die drei Komponenten anders nennen und gewichten, denn der iPod ist sozusagen verschwunden, ironischerweise ist die Telefonfunktion gar nicht mehr das wichtigste am iPhone, und der «Breakthrough Communicator» ist nicht der Safari-Browser, das Jobs damit meinte, sondern die Sammlung aller Apps.

Der entscheidende Satz klingt uns bis heute in den Ohren: «Today, Apple is going to reinvent the phone.»

Denn auch wenn Jobs bei vielen Gelegenheiten und Präsentationen die Latte hoch gehängt hat – hier hat es sicher gestimmt: Das iPhone, inklusive aller Android-Smartphones, die konzeptionell das gleiche sind, hat unser digitales Leben seit zehn Jahren entscheidend geprägt, und vermutlich wird es noch einige Jahre so weiter gehen, bevor dann irgendwann mal etwas anderes kommt.

Bei Vorträgen frage ich immer die Teilnehmenden, ob sie sich erinnern, was in den Tagen nach der Präsentation die Reaktion war, was also die meisten Journalisten, Blogger etc. über das neue iPhone geschrieben haben. Denn nur wenige erinnern sich daran, dass die ersten Kommentare sehr skeptisch waren. Hauptkritikpunkte: viel zu teuer, zu langsam (kein 3G), keine Tastatur, im Gegensatz zum damals in der Geschäftswelt stark verankerten Blackberry.

Ein weiteres Video ist ebenfalls berühmt geworden, in dem der damalige Microsoft-CEO Steve Ballmer diese Kritik in seiner bewährt offensiven Art formuliert:

Ballmer: «500 Dollars? Fully subsidized with a plan? I said: Man, that is the most expensive phone in the world, and it doesn’t appeal to business customers, because it doesn’t have a keyboard, which makes it not a very good email machine.»

Wir wissen nicht, welche Polemik er noch folgen liess, nach einem Schnitt wird er jedenfalls etwas sachlicher:

«Now, it may sell very well or not, we’ve got our strategy, we’ve got great Windows mobile devices in the market today, we’ve got a Motorola Q Phone for 99 Dollars, it’s a very capable machine, it will do music, it will do Internet, it will do email, it will will do Instant messaging. So I kinda look at that, and I say: Well, I like our strategy, I like it a lot.»

Rückfrage des Interviewers: «How do you compete with that though? (Jobs) sucked out a lot of the spotlight in the last few weeks (…) with the iPhone. How do you compete with the Zune?»

(Der Zune war Microsofts MP3-Player als Gegenentwurf zum iPod, er wurde nur in den USA verkauft und war nicht sehr erfolgreich.)

Ballmer: «Well, let’s take phones. Right now, we’re selling millions and millions and millions of phones a year, Apple is selling zero phones a year. In six months, they will have the most expensive phone by far ever in the marketplace, and… let’s see, let’s see how the competition goes.»

(Im Laufe der nächsten Antwort bekommt man das Gefühl, dies sind einige von der Microsoft-PR vordefinierte «Talking Points».)

«In the case of music and entertainment players, Apple absolutely has a preeminent position. We said we want to be in this market, there’s a lot of reasons why there’s synergies with a lot of other things that we’re doing, we’ve got some unique innovations, particularly what we’re doing with community, with wireless networking, and we came into the market — a market in which they are very strong — and (…) for devices about $250 and over, we took about 20%, 25% of the high end of the market. So I feel like: We’re in the game, we’re driving our innovation hard, and… okay, we’re not the incumbent*, he’s the incumbent in this game, but at the end of the day, he’s gonna have to keep up with an agenda that we’re gonna drive as well.»

(* Der «incumbent» ist der etablierte Player; hier also Apple mit dem iPod.)

Rückfrage des Interviewers: «And you still feel you can be very competitive in that space?»

Ballmer: «Sure. Absolutely. If we don’t think there was transformation going on, we wouldn’t be playing.»

Exakt zehn Jahre später fragt niemand mehr, ob damals am iPhone irgendwas falsch gewesen sein könnte, wie gesagt, es hat unser Leben revolutioniert und Apple zur wertvollsten Firma der Welt gemacht. Zwar sieht sich Apple inzwischen etwas unter Druck, weil ihnen nicht mehr viel einfällt, das sie am iPhone noch besser machen könnten. Doch das bezieht sich mehr auf die Zukunftsaussichten, die wachstumsfokussierte Börsianer im Kurs abbilden, als auf den aktuellen Status Quo, der immer noch sehr komfortabel ist, zumal man den damals angeblich absurd hohen Preis für das iPhone noch in deutlich absurdere Hören treiben konnte (mit dem iPhone X als neuem Highlight), und inzwischen auch mit dem Bereich «Services» wie Content, AppleCare, ApplePay etc. über 7 Milliarden Umsatz pro Quartal macht.

Auch wenn man nicht weiss, ob es ewig so bleiben wird: Das iPhone ist für Apple eine gigantische Geldmaschine.

Die heftigen Diskussionen über bahnbrechende technologische Umwälzungen findet daher derzeit woanders statt: in der Automobilbranche. Was im Beispiel Apple war, ist hier seit einigen Jahren Tesla: Der Newcomer, der viel Aufmerksamkeit bekommt und dafür von den Etablierten jeden Tag heftigst kritisiert wird.

Diese Woche von Volkswagen-Chef Matthias Müller bei einer Veranstaltung in Passau namens «Die Zukunft der Automobilindustrie». Wir wissen nicht, was den Ausbruch ausgelöst hat, aber man kann es sich vorstellen: Müller ist genervt, dass er überall auf Tesla angesprochen wird.

Müller: «Jetzt muss ich dann doch mal n’ Satz zu Tesla sagen, bei allem Respekt,» (lautes Lachen auf dem Podium, vor allem von Matthias Wissmann und Michael Stoschek), «es gibt auf dieser Welt Ankündigungsweltmeister, ich nenne keine Namen (hat er allerdings eine Sekunde vorher), es gibt Unternehmen, die verkaufen mit Mühe 80'000 Autos pro Jahr – Volkswagen 11 Millionen in dem Jahr – dann gibt’s Unternehmen wie Volkswagen, die erwirtschaften pro Jahr einen Gewinn von 13, 14 Milliarden Euro, und wenn ich richtig informiert bin, vernichtet Tesla pro Quartal einen dreistelligen Millionenbetrag, schmeisst die Mitarbeiter raus, wie sie lustig sind, also Sozialkompetenz, weiss ich nicht… wo das ist… also, da bitte ich jetzt wirklich mal, die Kirche im Dorf zu lassen, und nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen.»

Grosse Heiterkeit, lautes Lachen und Beifallklatschen auf dem Podium, vor allem von Matthias Wissmann, Ex-Verkehrsminister und seit 2007 Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie, also indirekt Gehaltsempfänger von Müllers Gnaden, sowie Michael Stoschek, Inhaber des Autozulieferers Brose und somit Lieferant von Müller. Nur Ex-Wirtschaftsminister Philipp Rösler verzieht keine Miene, man sieht ihm an, dass er anderer Meinung ist (wie auch schon andernorts dokumentiert).

Nicht im Video sagte Müller laut einem zugehörigen Artikel weiter, dass es «in den kommenden bis zu drei Jahrzehnten eine Koexistenz von Verbrenner und alternativen Antriebskonzepten wie der Elektromobilität geben werde».

Ich bin mir sicher, dass er vor allem diese «drei Jahrzehnte» selbst keine Sekunde mehr glaubt (andererseits weiss man natürlich nie, wie gut die Menschen im Verleugnen der Tatsachen sind, ich kenne auch solche in den Medien, die bis heute hoffen, dass das Internet irgendwann wieder weggeht und Print die Oberhand zurückgewinnt).

Vor allem aber ist es faszinierend, wie sich die Argumentationen von Müller und Ballmer fast aufs Wort gleichen: Was will dieser Winzling überhaupt, wir sind hier der Platzhirsch. Wir machen Gewinn, der andere Verlust. Wir sind alles, der ist nichts.

Insbesondere dass Tesla noch Verluste schreibt, wird seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholt, auch von den meisten Journalisten. Dabei ist natürlich eigentlich das der Punkt, an dem Äpfel mit Birnen verglichen werden. Denn Tesla ist ein typisches Silicon-Valley-Startup, das zuerst mal vor allem Marktanteile gewinnen will, wofür es sich über den Aktienmarkt finanziert, um dann später diese gute Position zu monetarisieren. Per se ist das überhaupt nichts Negatives, im Gegenteil, genau dafür ist die Börse da: um Firmen grosse Investitionen zu ermöglichen.

Komischerweise geht das immer wieder vergessen. Wer schon ein paar Jahre in diesem Internet unterwegs ist, kann sich zum Beispiel an die immer wiederkehrende Frage erinnern: «Wird Amazon jemals Gewinn machen?» (ab Gründung 1994 satte 20 Jahre lang ein Thema), das gleiche rund um den Börsengang von Facebook im Jahr 2012. Einige Jahre später reiben sich dann alle die Augen, wenn die ewig belächelten und runtergeschriebenen Firmen plötzlich riesige Gewinnsprünge machen.

Bei Tesla ist zusätzlich zu beachten, dass Müllers Aussage «vernichtet pro Quartal einen dreistelligen Millionenbetrag» eine in jeder Hinsicht vereinfachte Sichtweise ist, nicht nur weil natürlich viel Geld in die Produktion des neuen Model 3 fliesst, aber andererseits auch in das Tesla-eigene Supercharger-Netzwerk investiert wird, bei dem man diesen Monat den 1000. Standort (mit etwa 7000 Ladestationen) eröffnet hat. Einige Kommentatoren sehen darin einen der grössten Wettbewerbsvorteile von Tesla und halten diese Investitionen keineswegs für «vernichtet».

Natürlich könnte Volkswagen, zumal als Gruppe, locker ein Lade-Netzwerk finanzieren, nur wäre das wenig sinnvoll, solange man noch kaum Elektroautos auf der Strasse hat. Also rollt man lieber zuerst eine «Roadmap E» mit sage und schreibe 80 neuen Elektromodellen bis 2025 aus, und Müller schafft es tatsächlich, in der zugehörigen Medienmitteilung zu sagen: «Die Transformation in unserer Industrie ist durch nichts aufzuhalten. Wir werden diese Transformation anführen.»

Womit wir wieder bei Steve Ballmer wären, der 2007 wie gesagt fast wörtlich das gleiche behauptete: «He’s gonna have to keep up with an agenda that we’re gonna drive as well.»

Sieben Jahre später konnte er in einem anderen Interview dann Klartext reden, weil er seinen Posten als Microsoft-CEO ein halbes Jahr vorher hatte abgeben müssen: Seine Fehleinschätzung, zu spät auch ins Hardware-Geschäft einzusteigen, sei sein «Biggest Regret», seine grösste Reue. Im Gespräch hebt der deutlich gealterte Ballmer bei 0:41 min. etwas resigniert die Hände, als er auf die Frage antwortet, wieso sie es nicht einfach früher gemacht haben:

Ballmer: «When the name of your company is Microsoft, and your formula works… our formula was working! We were Software guys. Bill Gates told Paul Allen when Paul first wanted to do hardware back in the Seventies: We are Software guys. So for us, it was always like a religious transformation.»

Das ist wohl der entscheidende Satz: Von Software zu Hardware wäre ein religiöser Wandel. So wie vom Verbrennungs- zum Elektromotor. Und seine Religion wechselt man nicht so leicht.

Als Microsoft dann auf den Hardwarezug aufsprang, war es zu spät. Und vor zwei Wochen wurde die vergebliche Aufholjagd endgültig abgeblasen: Windows Phone, das im Jahr 2010 lancierte und eigentlich gar nicht mal so schlechte Betriebssystem, wird definitiv eingestellt.

Schon lange war klar: Microsoft, das die PC-Ära fast nach Belieben dominiert hatte, hat im Telefonmarkt eben keineswegs etwas «getrieben». Steve Ballmer ist einer der erfolgreichsten Manager aller Zeiten – obwohl nicht Mitgründer von Microsoft, hat er es zu einem fantastischen Vermögen von 35 Milliarden Dollar gebracht hat. Er hat wohl den entscheidenden Anteil daran, dass Microsoft mehr als ein Dutzend Sparten mit einem Umsatz von über einer Milliarde Dollar hervorgebracht hat. Es ist tragisch für ihn, dass das Ende seiner Karriere für immer von seiner Fehleinschätzung von 2007 überschattet bleibt.

Ob VW sich unter Matthias Müller wie ein Phönix aus der Asche des Dieselskandals erhebt und tatsächlich die Transformation der Branche anführen wird, oder ob Tesla seinen Vorsprung aus der heutigen Frühzeit der Elektromobilität halten und in die Massenproduktion überführen kann, ist dagegen noch unklar. Die Autobranche ist so viel komplexer als die Mobilfunkbranche, dass ich mir heute kein Urteil anmasse, wer am Ende gewinnen wird. Sicher bin ich dagegen, dass in wenigen Jahren die meisten Neuwagen elektrisch fahren werden, und dass Tesla daran entscheidenden Anteil hatte.

Das dumme für Matthias Müller: YouTube wird es ziemlich sicher auch in zehn Jahren noch geben, wenn alle wissen, wie das Spiel ausgegangen ist. Jeder kann dann das Video vom Oktober 2017 anschauen und womöglich sagen: «Peinlicher Typ – habe ich damals schon gewusst.»

PS. Hat überhaupt nichts damit zu tun: Wir suchen in Zürich eine Praktikantin oder einen Praktikanten, die/der gern und gut schreibt.

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