Der wahre Aare Guru.

“S’isch mini Idee gsi” sagen zu müssen fühlt sich Scheisse an

Pieceoplastic
8 min readNov 26, 2015

Ich habe lange gezögert diese Geschichte aufzuschrieben, und dann noch länger sie zu publizieren. Nun habe ich mich doch dazu entscheiden und zwar weil ich einige Fragen und auch ein paar Schlussfolgerungen habe. Es geht mir dabei weniger um die konkrete Geschichte als um die Situation. Vielleicht entsteht eine Diskussion?! Naja, wohl kaum.

Vor zwei Jahren, es war der Sommer 2013, hatte ich eine Idee. Wir wohnten damals an der Fabrikstrasse, zufälligerweise bloss ein paar Türen entfernt von der Firma Meteotest, bei der mein Blog-Kollege Christian Studer arbeitet. Meteotest ist eine privatwirtschaftliche Firma, die Wetterdaten verarbeitet. Christian kenne ich seit vielen Jahren, aus den Anfangszeiten der Berner Bloggerszene. Und neuerdings auch aus dem Umfeld der Opendata-Bewegung, wo wir uns an ein paar Hackdays und anderen Anlässen getroffen haben.

Da es bei meiner Idee um Meteodaten ging, wollte ich die Idee mit Christian besprechen. Ich mailte ihm, ob er mal Zeit hätte für einen Lunch. Wir trafen uns dann beim Beck an der Fabrikstrasse. Es war ein ziemlich heisser Tag, weshalb ich vorschlug in den Bremgartenwald zu fahren. Mit unseren Velos machten wir uns auf den Weg zu einem kleinen Tümpel voller Algen im Wald. Dort redeten wir zuerst über dies und jenes, bis ich irgendwann sagte, ich hätte da so eine Idee…

Bekanntlich ist Bern in der privilegierten Situation, dass man im Sommer in der Aare, unserem geliebten Fluss, schwimmen kann. Das Aareschwimmen ist im Sommer sehr beliebt. Es gab bereits einige Apps, mit denen man die Aare-Temperatur abrufen konnte. Doch, sagte ich zu Christian, hätte ich Lust eine bessere App zu entwickeln. Es fehle bei allen bestehenden Apps an etwas, entweder hätten sie ein cooles Design aber keinen Temperaturverlauf, oder umgekehrt. Zudem sollte die App ein Prognosetool enthalten, die eine Tendenz der Wassertemperatur anzeigt. Man sollte abrufen können wie sich die Wassertemperatur bis morgen, oder bis in ein paar Stunden entwickeln wird. Auch gäbe es keinen Grund, wieso ein Aare App nicht gleichzeitig die Wetterdaten darstelle. Und er sitze doch quasi an der Quelle… Es war noch etwas vage, aber die Grundidee war klar. Prognose, Verlauf, Wetterdaten, cooles Design.

Ich merkte sofort, sie gefiel ihm. Es handelte sich dabei wohl um eine jener Ideen, bei denen man denkt, wieso bloss hatte ich die nicht selber. Er erzählte mir dann, er arbeite bei Meteotest neu mit einem Grafiker zusammen, der bereits eine der existierenden Apps publiziert habe, und dass sie auch bereits darüber gesprochen hätten eine neue Aare-App zu entwickeln, doch bisher sei nichts Konkretes entstanden.

Dann redeten wir eine Weile über das Prognosetool. Christian verwarf es schliesslich, weil es sich praktisch nicht umsetzen liesse, da zu viele unbekannte Faktoren den Temperaturverlauf beeinflussen würden. Auch an die Daten käme man nicht so leicht ran. Er habe zwar vor Jahren ein kleines API gebastelt, das würde aber nicht reichen. Sein Fazit bei unserem Gespräch, interessante Idee, lässt sich aber kaum umsetzen.

Wir verabschiedeten uns, und ich hörte dann lange nichts mehr von Christian. Ich liess die Idee fallen. Wenn der Experte mir davon abgeraten hat, ist es wohl nicht umsetzbar. Ich selber verfüge weder über die technischen Fähigkeiten noch den Zugang zu den Daten um es alleine umzusetzen. Egal. Eine weitere meiner Ideen landete auf dem Ideenfriedhof.

Umso grösser war dann meine Überraschung, als zwei Jahre später mit ziemlich grosser Medienfanfare die Aare.guru App veröffentlicht wurde. Die App verfügte über ein Prognosetool, was in der lokalen Presse sehr gut ankam, und zog auch die aktuellen Wetterdaten rein. Es fehlte bloss der Verlauf, sonst wäre es die perfekte App, wie von mir damals definiert. Dazu war die App sehr gut gestaltet, eigentlich war alles ideal.

Meine erste Reaktion, na gut, da hat wohl jemand anderes die genau gleiche Idee gehabt wie ich. Doch dann merkte ich, dass Christian ein Teil des Dreierteams war, und da hat es mir erst mal den Atem verschlagen.

Ich schrieb Christian eine Mail. Diese erste Mail war recht vage, da ich nicht wusste wie ich mit meinen Emotionen umgehen sollte. Nur zwischen den Zeilen liess ich meine Enttäuschung durchblicken. Er antwortete auch darauf, ohne sich aber zu entschuldigen, er stritt dabei aber unser Gespräch, welches ich im Mail erwähnt hatte, nicht ab. Interessanterweise spielte er das Prognosetool runter, er schrieb dies sei zwar bei der Presse sehr gut angekommen, sei aber eigentlich kaum brauchbar.

Als ich ihm die Idee erzählt hatte, hätte ich mir natürlich gewünscht, da irgendwie einbezogen zu werden. Ich bin seit vielen arbeitslos, und ein solches Projekt hätte mir wirklich gut getan. Oder zumindest hätte ich mir gewünscht informiert zu werden und in irgend einer Form als Inspiration oder Ideengeber erwähnt zu werden. Aber was konnte ich jetzt noch tun? Schwer enttäuscht liess ich die Sache fallen.

Vor kurzem dann publizierte Christian auf seinem Blog einen recht ausführlichen Beitrag, Aare.guru — Was bisher geschah, in dem er erzählt, wie die App entstanden ist. Aare.guru hatte inzwischen einen Preis gewonnen den Best Of Swiss Apps 2015. Wieder gab es in seinem Bericht keine Erwähnung unseres Gespräches oder meiner Ideen.

Erneut schrieb ich eine Mail an Christian, diesmal etwas deutlicher. Auf diese Mail hat Christian bis heute nicht reagiert. Ich schrieb einen sehr allgemein formulierten Post auf Facebook und Tumblr, in dem ich ohne konkret zu werden frage, wie ich mich verhalten solle. Bloss eine Person hat mir darauf geantwortet. Egal. Also blieb mir bloss eine kleine Auswahl, entweder die Sache fallen lassen, oder diesen Bericht verfassen und publizieren.

I was a nice idea

Was ich mir gewünscht hätte. Ich bin ein Ideenmensch. Mein grosses Problem liegt in der Umsetzung. Da bräuchte ich Hilfe. Wie ich vorher erwähnt habe, hätte ich sehr gerne an diesem Projekt mitgearbeitet. Aber ich verstehe schon, dass Leute keine Lust haben zusammen mit einem Depressiven ein Projekt aufzuziehen. Zumindest aber hätte ich mir gewünscht, dass ich über das Projekt informiert werde, und auch attribuiert in der Dokumentation. Im Minimum ein “Danke geht an”, oder etwas ähnlich Banales.

So bleibt mir bloss die Enttäuschung. Ich habe keinerlei Beweise für unser Gespräch damals im Wald, es gibt keine Emails, nichts. Die Idee hatte ich vorher bereits mit meiner Partnerin besprochen, aber bekanntlicherweise würde so etwas als Beweis nicht hinhalten. Aufgeschrieben hatte ich die Idee leider auch nicht.

Warum schreibe ich diese Gedanken trotzdem auf? Weil sie ein Beispiel sind für ein Phänomen unserer Zeit. Der Umgang mit Ideen ist ein zunehmend heikles Thema. Ideen sind zu einer Art Währung geworden. Da sich mit Apps bekanntlich viel Geld verdienen lässt wird dieses Thema immer heikler.

So habe ich es auf Facebook formuliert:

I find this to be a very tricky question in our world, in these times. Ideas are a form of currency. But at the same time I believe ideas are part of a collective process, and often occur according to vague universal circumstances, something like Zeitgeist. Therefor ideas can never be owned, per se.

I believe in the Creative Commons principle. For everything I produce, ideas, creative output, I choose the CC-attribution-non-commercial license. Meaning, if someone wants to use my ideas, they are welcome to do it, in fact I am flattered, if it’s not commercial, plus they need to attribute me. Please.

Es gibt ethische Verhaltensregeln, wie mit den Ideen von anderen umzugehen ist. Die Open-source community kennt eine Art Attribution-Klausel in Bezug auf Ideen. Creative Commons erwähne ich in meinem Tumblr-Posting. Meine Ideen stehen unter einer CC-attr.-non-commercial Lizenz. So gesehen wurde hier sicher das CC-attr. verletzt, aber meine Frage ist, sobald jetzt auch ein Award in’s Spiel kommt, wird damit auch der CC-non-commercial Teil verletzt?

Egal, das ist Legalesisch. Darum geht es mit eigentlich gar nicht. Mit geht es um das verletzte Vertrauen.

S’isch mini Idee gsi sagen zu müssen fühlt sich Scheisse an. Ich fühle mich kleinlich, tüpflischeisserisch, in die Ecke gedrängt. Doch kann man die Sache nicht auch umdrehen? Sollte es nicht eher so sein, dass man dies nie sagen müsste? Sollte man den Menschen nicht vertrauen können, wenn man ihnen Ideen präsentiert? Sollte man nicht darauf vertrauen können, dass sie korrekt damit umgehen werden? Die Möglichkeit besteht, dass es ein Lapsus war, zum Beispiel weil sich jemand mit der Thematik nicht auskennt, oder aus anderen Gründen. In diesem Fall war dies sicher nicht der Fall. Christian weiss, dass ich weiss. Und ich weiss, dass Christian sich mit dem Thema auskennt, da er sowohl die Open Source Ethik kennt, auch mit Creative Commons vertraut ist.

Das schlimmste daran ist für mich die Nicht-kommunikation. Dadurch wurde ich in eine ziemlich perfide Position gedrängt. Einerseits fühlt es sich wie ein Betrug an, wie ein Vertrauensbruch, andererseits fühlt es sich lächerlich an meine Idee zu beanspruchen. Meist beschwichtige und verhöhne ich mich selber, ich solle diese Sache doch nicht so ernst nehmen.

Man kann nicht nicht kommunizeren, heisst es bekanntlich bei Paul Watzlawick. Manipuliert Christian die Situation nicht in dem er die Nicht-Kommunikation wählt, die auch Kommunikation ist? Mir bleibt dadurch eigentlich nur die Wahl es entweder enttäuscht fallen zu lassen oder mich zu exponieren. Konnte er sich diese Kommunikationsstrategie bloss erlauben, weil er unsere Freundschaft/Bekanntschaft nicht wertschätzt? Und weil er genau weiss, dass er mich in eine unmögliche Position versetzt? Rechnet er nicht genau damit, dass ich kaum eine Chance habe irgendetwas zu erreichen? Oder anders gefragt, wie berechnend ist seine Nicht-kommunikations-kommunikation?

Falls ich diesen Text publiziere wird er ja bloss alles abstreiten müssen, denn Beweise gibt es keine. So wird Aussage gegen Aussage stehen. Und ich werde wie ein Idiot dastehen, ein neidischer Spielverderber, der anderen ihre Erfolge nicht gönnt, und sich ein weiteres Mal öffentlich lächerlich macht, weil er an die Ehrlichkeit glaubt und an das Vertrauen, und immer noch an Verbindlichkeit und Rechtschaffenheit appeliert. In der heutigen Zeit… LOL.

Für mich ist es eine lose-lose Situation, während Christian für sich die win-win Position reserviert hat. Wenn ich nichts sage, gewinnt er. Wenn ich etwas sage, kann er die Situation so manipulieren, dass ich wie der kleinliche oder lügende oder peinliche Verlierer dastehe. Doch, Watzlawick zufolge ist auch die Nicht-Kommunikation eine Form von Kommunikation, die sehr leicht in passiv-aggressive Gefielde abrutschen kann. Darum kommunizere ich lieber offen, direkt, ungeschminkt, yup, mache mich dadurch zwar verletzlich, aber es ist mir lieber so. Voila. Draussen ist es, auf dass irgend etwas daraus entstehe.

Vor einigen Jahren hat sich Giacobbo gerne über Roger Schawinski lustig gemacht, dabei zitierte er ihn oft mit, “Sch’mini Idee gsi”. Damals habe auch ich herzhaft mitgelacht, Schawinski wirkte dadurch besserwisserisch, doof, unsympathisch. Nun bin ich in der selben Lage. Es ist auch nicht das erste Mal, bloss die bisher bitterste Enttäuschung. Ich spüre, wie lächerlich man sich dabei vorkommt. Man schämt sich solche Gedanken auszudrücken. Es braucht eine Art Mut dazu. Trotzdem ist es schlicht unfair und gehört sich nicht. Darum.

Ich bin überzeugt, dass einigen Menschen diese Situation bekannt vorkommen wird oder sie sich vorstellen können, warum es in der heutigen Zeit ein wichtiges Thema geworden ist. Und vielleicht entsteht ja eine Diskussion daraus. Vielleicht hat jemand ein paar Vorschläge dazu.

Meine abschliessenden Gedanken sind nämlich relativ ernüchternd, denn ich möchte eigentlich nicht zu einem misstrauischen Menschen werden.

Dies sind meine Schlussfolgerungen:

  • Ideen online dokumentieren. Eine der Lehren, die ich aus dieser Erfahrung ziehe, ich muss meine Ideen online festhalten, unter einer CC-Lizenz, datiert, und mit einem Hinweis auf meine Motivation an der Beteiligung bei einer allfälligen Umsetzung.
  • Gesprächsprotokolle nachlieferen. Nachdem ich mit Leuten über Ideen gesprochen habe, muss ich ein Gesprächsprotokoll schreiben und mir bestätigen lassen.
  • Klarer kommunzieren, in welcher Form ich involviert sein möchte. Es liegt in meiner Verantwortung, den Leuten klar zu machen, wie ich mich beteiligen möchte.

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Pieceoplastic

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