Ein erinnerungswürdiger Tag: Hunderte Unternehmer:innen bilden Warteschlange vor dem Deutschen Bundestag
Kritik aus Wirtschaft an den Plänen des Justizministeriums für eine neue Rechtsform — Professoren veröffentlichen fertigen Gesetzentwurf für „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“
Mehr als 300 Unternehmer:innen und Mitarbeitende haben am 10. September 2024 vor dem Bundestag in Berlin eine mehrere hundert Meter lange Warteschlange gebildet, um ihren Bedarf an einer neuen Rechtsform für gebundenes Vermögen zu untermauern. Dafür verlegten sie teils ihren Arbeitsplatz auf die Straße, arbeiteten an Laptops, hielten Plakate mit zentralen Forderungen. Am Nachmittag stellte das Bundesjustizministerium bei einem Symposion im Bundestag erstmals öffentlich Eckpunkte eines möglichen Gesetzes vor. Die Pläne für eine „thesaurierende Kapitalgesellschaft“ stießen allerdings auf Kritik der anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmer, da sie dem Bedarf nicht gerecht werden. Ökonomen, Rechtswissenschaftlerinnen und Steuerexperten präferieren einen alternativen Vorschlag: den Gesetzentwurf für eine eigenständige „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“, der ebenfalls am Nachmittag veröffentlicht wurde und den zuständigen Ministerien schon seit April vorliegt.
Sie ließen sogar zwei Tage lang ihre Produktion ruhen: Der Sauerländer Mittelständler Sorpetaler Fensterbau reiste mit einem großen Teil der Belegschaft an und zimmerte auf der Straße passende „Rechts-Rahmen“. Inhaber Stefan Appelhans erklärte vor Ort dem Sender n-tv: „Ich bin jetzt aus der Familie, aber es ist eben nicht mehr selbstverständlich, dass automatisch jemand aus der Familie weitermacht — und im Mittelstand gibt es so viele Nachfolgefragen, dass wir dort eine einfachere Lösung brauchen“. Auch die ARD Tagesthemen berichteten — und Abgeordnete und Minister wie Cem Özdemir, Christian Dürr, Michael Kellner, Verena Hubertz, Katharina Beck, Stephan Seiter und Johannes Vogel besuchten die Warteschlange und bekundeten den Umsetzungswillen der Ampel-Koalition, noch in dieser Legislatur eine neue Rechtsform einzuführen (dazu mehr hier).
FDP-Vize Vogel: „Es sollte auch einen Wettbewerb von Rechtsformen geben“
Bei der Abschlusskundgebung betonte FDP-Vizechef Johannes Vogel gegenüber den anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmern, er verstehe, dass derzeitige Stiftungslösungen teuer und komplex seien und nicht für alle in Frage kämen: „Als Fan des Wettbewerbs bin ich der Meinung, es sollte auch einen Wettbewerb von Rechtsformen geben. Dagegen spricht nichts — im Gegenteil. Und wir wissen ja von großen Unternehmen, die Stiftungsformen wählen, weil sie die Möglichkeiten hatten in der Vergangenheit, und wir wissen von Beispielen aus dem europäischen Ausland, dass es geht.“
Die Vize-Fraktionschefin der SPD, Verena Hubertz, bekräftigte den klaren Willen ihrer Partei, die Rechtsform umzusetzen: „Seit 2021 bin ich in der SPD-Fraktion für die Wirtschaftspolitik zuständig, ich bin stellvertretende Fraktionsvorsitzende, und Lars Klingbeil, Kevin Kühnert, egal mit wem man in der SPD redet, Rolf Mützenich, alle wollen, dass wir diese neue Rechtsform auch in dieser Legislatur noch hinbekommen — und nicht in light!“
BMJ plant GmbH-Variation: „thesaurierende Kapitalgesellschaft“
Bei einem Symposion am Nachmittag, das die Stiftung Verantwortungseigentum gemeinsam mit dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags unter Führung von Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) veranstaltete, trafen sich Politik, Unternehmerschaft, Verbände sowie Rechts-, Wirtschafts- und Steuerexperten zur Debatte im Europasaal des Bundestags. Winkelmeier-Becker führte in die Thematik ein: Es gehe darum, mittels gebundenem Vermögen „Unternehmensnachfolgen zu ermöglichen, die ansonsten schwierig sind. Denn wir wissen, dass nur noch in einer Minderheit, etwa in einem Drittel der Fälle, Unternehmensnachfolgen innerhalb einer Familie stattfinden können. Deshalb gibt es eben die Überlegungen, wie kann man andere Wege finden, Nachfolger zu finden“.
Bundesjustizminister Marco Buschmann, der seine Teilnahme kurzfristig absagen musste und nur am Rande der Warteschlange eine lange Warteliste mit mittlerweile mehr als 1.000 wartenden Unternehmen entgegennahm, wurde vertreten von Benjamin Strasser, dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Strasser war es ein Anliegen zu betonen, dass „dieses Vorhaben dem Bundesjustizministerium und auch dem Minister persönlich sehr am Herzen liegt — nicht nur auf der Fachebene“. Das Justizministerium sei bereits dabei, seine Eckpunkte in einen Referentenentwurf zu gießen, um das Verfahren zu beschleunigen. Mit dem Ziel, die Wahlfreiheit für Unternehmen zu erweitern, laufe man „bei uns offene Türen ein“, so Strasser.
Während Unternehmerschaft, Verbände und auch mit der Materie befasste Rechtsprofessorinnen und Steuerexperten eine eigenständige Rechtsform bevorzugen, weil diese das Anliegen besonders klar und konsequent abbilden könne (siehe unten), arbeitet das BMJ an einer Lösung innerhalb des GmbH-Rechts: einer sogenannten „thesaurierenden Kapitalgesellschaft“. Im Sinne der Deregulierung gelte, so Strasser: „Weniger ist meist mehr.“
Justizministerium will keine umfassende Umwandlungsbeschränkung
Dass es als Kernelement eine sichere Vermögensbindung geben muss, darüber herrscht Einigkeit. „Dass die Erträge im Unternehmen verbleiben und nicht den Gesellschaftern zufließen, ist ja das Kernelement der neuen Rechtsgrundlage“, referierte Strasser. Man müsse es verlässlich ausgestalten, „sonst fehlt es letztlich am Mehrwert und damit an der Berechtigung der neuen Rechtsgrundlage.“
Damit beschreibt das Ministerium den Bedarf an an dieser Stelle sehr genau. An einem entscheidenden Punkt läuft die Planung des BMJ der formulierten Prämisse jedoch zuwider: Europarechtlich könne es „keine Begrenzung der grenzüberschreitenden Umwandlung“ geben, führten sowohl Strasser als auch der ebenfalls anwesende Referatsleiter für europäisches Gesellschaftsrecht aus, Prof. Dr. Eberhard Schollmeyer. Die Niederlassungfreiheit sei eine zentrale europäische Grundfreiheit, man müsse zudem „die Vorgaben der Gesellschaftsrechtsrichtlinie beachten, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, grenzüberschreitende Umwandlungen in andere Kapitalgesellschaften zuzulassen.“ Es gelte, „hier rechtlich sichere Wege“ zu gehen, so führte Strasser aus, und „vor dem Europäischen Gerichtshof zu bestehen.“
Kritik von Unternehmen und Verbänden: Vorschlag deckt nicht den Bedarf
Damit allerdings würde das Kernelement einer neuen Rechtsform an der alles entscheidenden Stelle ausgehöhlt werden, wie mehrfach im Saal von Unternehmern, Juristen und Verbänden betont wurde. Génica Schäfgen, Deutschland-Chefin von Ecosia, Europas größter Suchmaschine, erklärte, dass „die Rechtsform, wie sie hier gerade diskutiert wird, eigentlich dann nicht relevant für uns wäre.“ Man brauche „eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen in der vollen Konsequenz“. Gerhard Behles, Gründer der Ableton AG, der mangels Alternativen seit Jahren an einer Stiftungslösung arbeitet, fragte: „Wo ist der Punkt, wenn meine Nachfolger diese Vermögenswerte für sich privat realisieren können, auf die ich heute verzichte, was ist dann meine Motivation?“
Rechtsanwalt Dr. Christoph Bielak, der Unternehmen bei der Umsetzung von treuhändischen Strukturen unterstützt, betonte, dass man aktuell auf „Hilfskonstruktionen“ zurückgreifen müsse, „von denen wir aber über einen Zeitraum von 30 bis 50 Jahren überhaupt nicht wissen, wie die funktionieren werden.“ Es sei daher am Gesetzgeber, eine sichere Vermögensbindung zu ermöglichen. Es brauche hier „tatsächlich diese Ernsthaftigkeit“. Die Unternehmerin Jasmin Arbabian-Vogel, bis vor kurzem Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen, wurde deutlich: „Der Vorschlag von Herrn Strasser ist nicht das, was hier eigentlich gewollt ist. Es geht schlicht und ergreifend darum, und dafür ist die Politik ja auch da, den bestehenden Bedarf zu decken.“ Ähnlich äußerte sich der Jurist Dr. Frank-Grischa Feitsch vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft. Er sehe „keinen rechtlichen Grund, warum der Bedarf nicht gedeckt werden sollte“, sagte Feitsch, und genau dafür sei die Politik zuständig (zur breiten Unterstützung von fast 30 Verbänden hier mehr).
Bundeswirtschaftsministerium: Vermögensbindung ohne Umwandlungsverbot „kann nicht die Lösung sein“
Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, neben Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium ebenso zuständig für die Rechtsform und vertreten durch Dr. Stefanie Neveling, der Leiterin des Rechtsreferats, äußerte Zweifel an den Plänen des Justizministeriums. „So eine einfache Umwandlung bei einer Sitzverlagerung ins Ausland ist aus unserer Sicht einfach hochproblematisch und führt zur Umgehung. Das, glaube ich, kann nicht die Lösung sein“, so Neveling. Der Professorenentwurf sei eine gute Grundlage, die europarechtlichen Fragen sehe man als lösbar an. Das BMWK wünsche sich, „dass wir da weiterkommen“ und das Justizministerium in seinem Eckpunktepapier „auch vielleicht viele Gedanken der hier anwesenden Unternehmen aufgreifen“ werde.
Katharina Beck, Berichterstatterin der GRÜNEN-Fraktion für die Rechtsform sowie finanzpolitische Sprecherin, wies aus politischer Perspektive — und explizit auch als Gründerin und Unternehmensberaterin — darauf hin, „dass wir als Volksvertreter:innen im Parlament auch schauen, was da draußen an Bedarf ist — und dann eine bedarfsgerechte Lösung anzubieten.“ Ihrem Verständnis nach sei „doch die bedarfsgerechteste Lösung womöglich in dem Professorenentwurf zu finden bisher“. Auch Esra Limbacher, Berichterstatter der SPD-Fraktion für die Rechtsform sowie Mittelstandsbeauftragter, erklärte: „Die Vermögensbindung ist der zentrale Teil dieser neuen Gesellschaftsform. Ohne den macht das aus unserer Sicht — oder aus meiner Sicht — ja gar keinen Sinn.“
Expertengruppe legt fertigen Gesetzentwurf vor — Prof. Sanders: ohne sichere Vermögensbindung könne man das „Projekt auch sein lassen“
Entsprechend gelobt wurde von Praxis und Politik der Gesetzentwurf für eine eigenständige Rechtsform, eine „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ (GmgV), den eine juristische Expertengruppe um Prof. Dr. Anne Sanders von der Universität Bielefeld ausgearbeitet hat: Prof. Dr. Christoph Teichmann, Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb, Prof. Dr. Simon Kempny, Prof. Dr. Florian Möslein sowie Dr. Noah Neitzel. Entstanden ist die Arbeit auf Bitten der drei für das Thema zuständigen Berichterstatter:innen der Ampel-Fraktionen: Esra Limbacher (SPD), Katharina Beck (GRÜNE), Otto Fricke (FDP), die durch die Debatte führten und gemeinsam mit Dr. Günter Krings, dem rechtspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, die Schirmherrschaft für das Symposiums übernommen hatten.
Schon seit Jahren beschäftigt sich die Expertengruppe mit dem Thema. Auch ein Entwurf im GmbH-Recht wurde schon 2020 und 2021 in weiterentwickelter Version vorgestellt, den man mittlerweile aus guten Gründen verworfen habe. „Wir haben schon damals immer wieder gemerkt, dass es schon ganz schön knirscht, weil die GmbH doch ganz anders ist als das, was sich die Unternehmer wünschen“, so Sanders. Ihr Kollege und Mitautor Prof. Dr. Christoph Teichmann erklärte, auch er selbst habe anfangs für eine GmbH-Lösung plädiert — „bis ich das Konzept verstanden hatte und gemerkt habe: Das ist ja gar keine Kapitalgesellschaft, es gibt ja keine Anteile, jedenfalls nicht wirklich.“
Um die beiden Kernelemente — die Vermögensbindung und die treuhändische Weitergabe — bestmöglich umzusetzen, brauche es „eine eigene, passgenaue Rechtsform“, sagte Sanders. „Ohne eine rechtssichere und unumkehrbare Vermögensbindung können wir dieses Projekt auch sein lassen.“
Gesellschaft mit gebundenem Vermögen: Mitgliedschaft statt Anteile –Umwandlungsverbot wäre europarechtskonform
Der GmgV-Entwurf sieht dementsprechend eine Mitglieds- statt Anteilslogik vor. Denn eine Anteilslogik, bei der man einen Anteil am Unternehmen und dessen Vermögen halte und diesen Anteil vererben könne, „passt eigentlich nicht zu den Wünschen der Unternehmer, die hier im Raum sitzen“, führte Prof. Sanders aus. Das bedeutet: Gesellschafter einer GmgV halten keine Kapitalanteile, sondern treten als Mitglieder ein und wieder aus — verbunden mit einer Mindesthaftsumme von 5.000 Euro. Sie seien „Mitglieder wie in einer Genossenschaft oder in einem Verein. Mitglieder treten ein und aus, aber können ihre Position nicht vererben oder verkaufen“, so Sanders. Damit sei die GmgV keine Kapital-, sondern eine personalistische Gesellschaft (hier mehr zu den Kernelementen der Rechtsform).
Und das mache, erklärte sodann Prof. Teichmann an die Adresse des BMJ, auch europarechtlich „einen Unterschied“. Die GmgV sei damit gar nicht Gegenstand der Richtlinie, die nur die mögliche Umwandlung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU regelt. Auch Genossenschaften folgten der Mitgliedschaftslogik und seien daher von den grenzüberschreitenden Umwandlungen explizit ausgenommen. Die europarechtliche Problematik, die das BMJ hier sieht, ist damit im Grunde hausgemacht — und wird durch die Namenswahl für die GmbH-Ergänzung noch verstärkt. „Wenn man sich das Leben schwer machen will, dann nennt man das Ding Kapitalgesellschaft. Dann wird es natürlich ein bisschen schwierig, dem Europäischen Gerichtshof zu erklären, dass es eigentlich keine Kapitalgesellschaft ist. Deswegen sind wir ja der Meinung, es ist eine eigene Rechtsform“, sagte Teichmann.
Zudem würde nach Meinung der Autor:innen des Entwurfs sowie weiterer namhafter Europarechtsexperten auch die Niederlassungsfreiheit nicht verletzt, u.a. da die GmgV bei Grenzübertritt nicht schlechter gestellt würde als bei einer angestrebten Umwandlung im Inland, wo ebenfalls ein Umwandlungsverbot gelten würde (zur Europarechtsthematik siehe auch hier). Damit wäre die GmgV mitsamt ihres Umwandlungsverbots in Rechtsformen ohne Vermögensbindung insgesamt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit europarechtskonform.
Debatte um steuerrechtliche Regelungen: Erbschaft- und Körperschaftsteuer
Ähnlich verhält es sich mit Regelungen zur neuen Rechtsform im Steuerrecht. Das Bundesjustizministerium zeigte sich nach wie vor besorgt, dass die neue Rechtsform zu einem Steuersparmodell werden könne. „Um dem Einwand der Steuerspardose zu begegnen, sind Fragen hinsichtlich der Körperschafts-, Erb- und Schenkungssteuer zu beantworten“, sagte BMJ-Staatssekretär Strasser. Dr. Christian Meyer-Seitz, Abteilungsleiter für Handel- und Wirtschaftsrecht im BMJ, ergänzte, dass insbesondere auch auf Länderebene ein Problem entstehen könnte, da Einnahmen aus Erbschaft- und Schenkungsteuer den Ländern zustünden, die „hier aber überhaupt nicht mit am Tisch sitzen.“ Da Erbschaft- und Schenkungsteuer bei der treuhänderischen Weitergabe nicht anfallen, sei dies aus staatlicher Sicht als Steuersparkonstruktion einzustufen, die es zu vermeiden gelte.
Dr. Christian Gebhardt, Steuerberater und Präsident der IHK Fulda, verwies darauf, dass der Staat sehr viel mehr zu verlieren habe aufgrund der großen Nachfragelücke im Mittelstand, die in den kommenden Jahren zu zahlreichen Schließungen führe, sollte die Regierung nicht mit einer neuen Rechtsform Abhilfe verschaffen: „Das fällt zu Steuerausfällen, das führt zu Sozialversicherungsausfällen, das führt zu Ausfall von Lohnsteuer, Verlust von Arbeitsplätzen und zu allem Überfluss auch noch zur Zahlung von Subventionen oder von Transfereinkommen für die Arbeitslosen. Und dagegen ist ein bisschen Erbschaftssteuer oder Schenkungssteuer, die Länder möglicherweise verlieren, Makulatur bei den Größenordnungen.“
Bei drohender Erbschaftsteuer: Nur eine von 50 Unternehmer:innen im Saal würde erwägen, die BMJ-Rechtsform zu nutzen
Darüber hinaus entsteht technisch gesehen, ähnlich wie beim Europarecht, auch in Sachen Erbschaftsteuer eine Problematik gerade bei einer Lösung im GmbH-Recht, wie sie das Ministerium vorschlägt. Denn das GmbH-Recht sieht bei der Weitergabe von Anteilen eine Besteuerung mindestens zum Substanzwert vor. Dieser dürfe „als Mindestwert nicht unterschritten werden“, berichtete Strasser. Damit würden Anteile, die mit keinerlei Gewinnbezugsrechten einhergehen, potentiell zu mehreren Millionen Euro oder höher bewertet und müssten bei einer Übergabe entsprechend versteuert werden. Armin Steuernagel, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Verantwortungseigentum, fragte daraufhin im Saal, wer von den anwesenden Unternehmer:innen — insgesamt mehr als 50 — eine solche Rechtsform wählen würde. Daraufhin gab es nur ein Handzeichen.
Auch eine vom BMJ ins Spiel gebrachte Sondersteuer auf die neue Rechtsform wurde mehrheitlich im Saal abgelehnt. Ursächlich dafür ist die Feststellung, dass die sogenannte „zweite Besteuerungsebene“, die bei einer GmbH beispielsweise anfällt, wenn die Ausschüttung von Gewinnen oder Vermögen besteuert wird, im Falle des gebundenen Vermögens entfällt. „Bei normalen GmbHs, die langfristig thesaurieren, greift heute diese zweite Besteuerungsebene spätestens bei der Liquidation“, erklärte Strasser. Bei der neuen Rechtsform gelte aber auch dann eine Ausschüttungssperre, so dass dem Staat auch hier Mindereinnahmen drohten. Es müsse daher über einen Sondersteuersatz nachgedacht werden, sagte Strasser, „weil es keine Ausschüttungsbesteuerung mehr geben kann.“
Sondersteuer auf neue Rechtsform wäre Diskriminierung und „Sargnagel“
Seitens der Autorenschaft des GmgV-Gesetzentwurfs widersprach Prof. Dr. Simon Kempny, Steuerexperte der Universität Bielefeld: In der Tat falle auch bei die GmgV eine „Schlussbesteuerung“ im Zuge einer Liquidation an, nämlich in Form einer Erbschaftsteuer, die der Anfallberechtigte zu zahlen habe — in der Regel wäre das eine andere Gesellschaft mit Vermögensbindung. Das sei, so Kempny, „sogar eine schärfere Besteuerung“ als bei der Liquidierung einer GmbH. Allein deshalb schon greift der Vorwurf des Steuersparkonstruktion ins Leere.
Zudem machte Kempny auch grundsätzlich auf die systemische Widersprüchlichkeit einer Sondersteuer aufmerksam, die die Rechtsform faktisch benachteiligen würde gegenüber anderen Rechtsformen. Es sei „völlig grotesk, wenn diese Rechtsform zum Beispiel durch einen erhöhten Körperschaftsteuersatz auf thesaurierte Gewinne diskriminiert würde. Das wäre der Sargnagel“. Niemand würde eine Rechtsform nutzen, die steuerlich schlechter gestellt würde, zudem widerspräche dies den Bedingungen eines fairen Wettbewerbs.
Hartnäckiger Vorwurf eines Steuersparmodells führt insgesamt in die Irre
Kempny erläuterte weiter, das Steuerrecht interessiere sich einzig für wirtschaftliche Fakten: „Ganz genau wirtschaftlich identische Vorgänge werden wirtschaftlich identisch besteuert. Anders können Sie Diskriminierungsfreiheit einerseits und Steuersparanreize andererseits nicht ausschließen“, erklärte Kempny.
Damit zählt sowohl bei der Erbschaft- wie auch hinsichtlich der Ausschüttungsbesteuerung das, was wirtschaftlich eintritt — ganz unabhängig von einer Vermögensbindung: Wird Kapital zu persönlichen Zwecken ausgeschüttet — widerrechtlich oder nicht –, greift die Steuer. Bleibt es im Unternehmen, greift sie nicht. Das Argument eines potentiellen Steuersparmodells führt also in die Irre: Denn mittels der GmgV lassen sich gar keine Erbschaft- oder Ertragsteuern vermeiden, da Gewinne und Vermögen ja nicht zu privaten Zwecken genutzt werden können. Kempny sagte dazu: „Diese Überführung der im Unternehmen erwirtschafteten Gewinne in den privatkonsumtiven Bereich, die steuersystematisch in der Tat zu einer Heraufschleusung der Belastung führen muss, die gibt es hier eben nicht. Wirtschaftlich gibt es diese Vorgänge nicht. Das ist ja gerade das, was die Unternehmen wollen. Deswegen ist das ökonomisch nachgerade absurd, dann hier eine Kapitalertragssteuer … zu fordern. Das wäre dann wieder eine Diskriminierung des auf diese Weise investierten Kapitals.“
Zudem würden hier dann in der Tat europarechtliche Schwierigkeiten entstehen, so Kempny. Just an diesem Tag, an dem man hier zusammenkomme, sei ein EuGH-Urteil gegen Apple publik geworden: Apple muss wegen rechtswidriger staatlicher Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen im EU-Staat Irland 13 Milliarden Euro an Steuern nachzahlen. Kempny führte aus, ein Sondersteuersatz auf die GmgV sei europarechtlich als Beihilfe für die GmbH zu werten: „Das landet unter Garantie beim EuGH.“
BMJ signalisiert vorsichtig Bereitschaft nachzubessern
Auch wenn die Fronten insgesamt streckenweise verhärtet erschienen, signalisierte das Bundesjustizministerium durchaus hier und da Bereitschaft, seine Eckpunkte — die demnächst in die Ressortabstimmung zwischen Justiz-, Finanz- und Wirtschaftsministerium gehen sollen — noch nachzubessern. Prof. Schollmeyer ließ die Möglichkeit durchblicken, man könne darauf hinwirken, dass die neue Rechtsform — wie auch Genossenschaften — von der EU-Richtlinie ausgenommen würde, damit man bei der Vermögensbindung „sozusagen die erforderliche Rechtssicherheit tatsächlich gewinnt“, die das BMJ derzeit noch anzweifelt.
„Am flexibelsten“ sei man beim Thema Aufsichtsverband, wie Dr. Meyer-Seitz hervorhob. In seinen Eckpunkten plädiert das BMJ für einen unternehmensinternen Aufsichtsrat. Der Experten-Entwurf für die GmgV hingegen sieht einen gemeinsamen Aufsichtsverband — sozusagen einen geteilten Aufsichtsrat für alle Gesellschaften mit gebundenem Vermögen — vor, was weitaus kostengünstiger und unbürokratischer wäre.
Handreichung aus der Union: GmgV sei „passendste, sinnvollste Umsetzung“
Abschließend kam eine Handreichung auch aus der Opposition: Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Dr. Günter Krings, sagte, er wolle sich zwar nicht zum „Schiedsrichter“ zwischen BMJ und den von den Ampel-Fraktionen erbetenen Gesetzentwurf ernennen. Aber er sei „der Auffassung, dass es sich doch eher um ein Hybrid aus Kapital- und Personengesellschaft handelt“. Krings erinnerte daran, dass CDU-Chef Friedrich Merz diese Frage schon 2021 bei einer Veranstaltung zur neuen Rechtsform aufgeworfen habe. Krings erklärte, die eigene Rechtsform scheine ihm nun die „passendste, sinnvollste Umsetzung“ des unternehmerischen Bedarfs. „Die Absicherung der für die Rechtsform wesentlichen Vermögensbindung, nicht-übertragbarer Anteile“ seien „alles Dinge, die mir jedenfalls im GmbH-Recht dann doch als Fremdkörper erscheinen“. Die Bedenken hätten ihn bislang nicht überzeugt, er sei daher auf der Seite des Entwurfs. „Dieser vorliegende Entwurf eröffnet Freiheiten, er gibt Möglichkeiten — und er schränkt keine Möglichkeiten ein.“
Ähnlich äußerte sich seine Parteikollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker, Vorsitzende des Rechtsausschusses, die gemeinsam mit der Stiftung Verantwortungseigentum und den vier Berichterstatter:innen von SPD, GRÜNEN, FDP und Union zum Symposion geladen hatte. Es gehe hier nicht darum, „irgendwelche Sonderregelungen, Privilegien zu bekommen, sondern eine Form zu finden, die sich im Rahmen der ansonsten für alle geltenden Gesetze bewegt.“ Otto Fricke, Berichterstatter für die FDP-Fraktion und haushaltspolitischer Sprecher, begrüßte, dass auch die Union beim Symposion in dieser Form mit an Bord sei, denn „wir werden den Gesetzentwurf heute hier nicht beschließen, das wird am Ende der Bundestag machen unter Mitwirkung des Bundesrates.“
Ökonom Haucap: Rechtsform stärkt den Wettbewerb
Dass von einer neuen Rechtsform letztlich nicht nur die Unternehmen selbst, sondern insgesamt auch die Soziale Marktwirtschaft und der Wettbewerb profitieren würden, erklärte zu Beginn des Symposions der Wettbewerbsökonom Prof. Dr. Justus Haucap von der Universität Düsseldorf. Bedingung für einen funktionierenden Wettbewerb sei, dass gleiche Voraussetzungen für Wettbewerber herrschten — es dürfe keine Bevorteilung, aber auch keine Benachteiligung eines bestimmten Modells geben. Faktisch sei dies aktuell nicht gegeben, denn kleineren und mittleren Unternehmen sei der Zugang zur diskutierten Eigentumsform erschwert, was einen Vorteil für größere Unternehmen bedeute. „Das heißt, wir haben eigentlich heute eine Situation der Wettbewerbsverzerrung“, so Haucap. Insofern führe die Rechtsform zu einer „Wettbewerbsstärkung“.
Zudem könne so ein Beitrag gegen allzu große Marktkonzentration geleistet werden. Die Rechtsform würde letztlich die Eigenständigkeit von Unternehmens schützen und somit „einen positiven Beitrag auch zur strukturellen Sicherung des Wettbewerbs liefern.“
Ein im Grunde traditionelles Erfolgsmodell — neue Rechtsform würde Nachfolge außerhalb der Familie ermöglichen
Der geschäftsführende Vorstand der Stiftung Verantwortungseigentum, Dr. Till Wagner, wies darauf hin, dass das Prinzip, das Unternehmen von Generation zu Generation geschenkt zu bekommen, mindestens seit Jahrzehnten ein Erfolgsmodell der deutschen Volkswirtschaft sei: „Wir nennen das ‚die Familienunternehmen‘.“ Nun sei ein Punkt erreicht, an dem „die Familie als geschlossener Kreis, der aus einer genetischen Abstammung hervorgeht, diese Nachfolgen so nicht mehr klären kann. Und wir übertragen jetzt dieses traditionelle Modell in eine demografische Situation, in der das eben auch familienextern möglich ist.“
Die neue Rechtsform wäre damit eine wichtige Option zur Nachfolge-Gestaltung. Laut DIHK gelingen nur noch ein Drittel der Nachfolgen in der Familie, dabei sind 560.000 Unternehmen laut KfW auf Nachfolgesuche. Hier droht ein Ausverkauf im großen Stil. Nicht zuletzt deshalb befürworten 72 Prozent der Familienunternehmen eine neue Rechtsform für Verantwortungseigentum, um ihr Unternehmen langfristig zukunftssicher zu machen.
Dies würde zudem die bisherige Diskriminierung treuhändischen Eigentums im Kanon der Rechtsformen beheben — und wäre ein wichtiger Beitrag, die hiesige Soziale Marktwirtschaft zu stärken. Armin Steuernagel, ebenfalls geschäftsführende Vorstand der Stiftung Verantwortungseigentum, appellierte im ARD-Interview (ab Minute 12) an die Bundesregierung: „Hier wäre wirklich mal ein Thema, wo die Ampel Einigkeit zeigen könnte und sagen könnte: Wir schaffen was für den Mittelstand, was wirklich unseren Wirtschaftsstandort stärken kann — ein Wirtschaftsförderprogramm, was kein Geld kostet.“
(Hier lässt sich das gesamte Symposion in der Aufzeichnung ansehen)