(Foto: torbakhopper / Flickr.com / CC BY 2.0)

#EheFuerAlle:

resonanzboden
8 min readJun 29, 2015

Was spricht dagegen? — Nichts!

Seit die irische Bevölkerung sich am 23. Mai 2015 eindeutig für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen hat und der US-amerikanische Supreme Court selbige mit einem historischen Urteil in allen Bundesstaaten legalisiert hat, tobt die Debatte auch in Deutschland. Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck kämpft seit Jahren für die Rechte Homosexueller und zeigt, dass die Argumente der Gleichberechtigungsgegner*innen haltlos sind.

von Volker Beck

Vor 25 Jahren haben wir Grünen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erstmals auf die Tagesordnung im Bundestag gebracht. 2001 ist es uns unter Rot-Grün gelungen, das Lebenspartnerschaftsgesetz zu verabschieden, trotz Widerstand aus allen politischen Parteien — übrigens auch aus der SPD. Rechtspolitisch eine Übergangstechnologie: Mit diesem Gesetz haben wir das erste Fundament für die Gleichstellung gelegt. Es war eine Etappe auf dem Weg von der Rechtlosigkeit gleichgeschlechtlicher Paare hin zum Ziel der vollständigen Gleichstellung durch die Öffnung der Ehe. Seitdem das erzkatholische Irland mit einer annähernden 2/3-Mehrheit der #EheFuerAlle das JA-Wort gegeben hat, wird der Ruf in Deutschland immer lauter, endlich den Anschluss an die Rechtsentwicklung in inzwischen 20 Ländern auf sechs Kontinenten zu finden. Obwohl es in Bevölkerung, Bundestag und Bundesrat seit vielen Jahren eine Mehrheit für die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren gibt: Merkels Union verhindert dies mit ihrer Blockademinderheit.

Die Gegner*innen der Ehe für alle haben keine Argumente, die in einer aufgeklärten Gesellschaft oder vor der Verfassung Bestand haben.

Frau Merkel ist die Mrs. No in dieser Debatte: Schon als CDU-Generalsekretärin verdiente sie sich ihre ersten Sporen mit einer Kampagne „Toleranz Ja — Ehe Nein“, um gegen das rot-grüne Projekt des Lebenspartnerschaftsgesetzes zu mobilisieren. Damit erwarb sie sich den notwendigen Stallgeruch in der gesamtdeutschen CDU, hatte sich doch die Ost-CDU schon 1990 in ihrem Programm zur einzig freien Volkskammerwahl für die rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften ausgesprochen. Eine Selbstverständlichkeit in der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Für Merkel war es damals persönliche Karrieretaktik, heute ist es Parteikalkül. Obwohl auch fast 2/3 der Unionsanhänger*innen die Ehe für alle befürworten, will die Parteivorsitzende vermeiden, dass die Union am rechten Rand ausfranst. Aus Angst vor AfD und Pegida hält sie eine unhaltbare Position.

Die Argumente der Gegner*innen der Gleichberechtigung

In der Wahlarena brachte sie 2013 ihre Haltung auf den Punkt: „Ich tue mich schwer mit der völligen Gleichstellung!”

Weniger Argument geht nicht. Das Bauchgefühl der mächtigsten Frau in Europa soll rechtfertigen, dass einer Minderheit Bürgerrechte vorenthalten werden? Der Regierungssprecher bemühte sich, dem Ganzen etwas bildungsbürgerlichen Tiefgang zu geben: Die Unterschiede zwischen Lebenspartnerschaft und Ehe seien „begründet in den Traditionen, kulturellen und religiösen Grundlagen unseres Landes“. Der familienpolitische Sprecher der CDU-Fraktion fragte im Deutschlandfunk, „was ist die Ehe dann noch wert?”, wenn Sie auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wird. Warum er selbst unverheiratet ist und ein Kind hat und das der Ehe zwischen Mann und Frau nicht schadet, verschweigt er. Kauder sekundiert: Grundgesetz, Adoption, einfach alles problematisch. Gestützt wird er von den sogenannten Bildungsplangegner*innen bzw. besorgniserregenden Eltern, die Respekt gegenüber Lesben, Schwulen und Transidenten in Lehrplänen verhindern wollen. Diese sind aber weniger von der Sorge um eine altersgerechte Aufklärung als von Ressentiments gegen LGBTTI getrieben.

#EheBleibtEhe hashtaggen sie der #Ehefueralle entgegen. Da die Gegner*innen der #Ehefueralle keine Argumente gegen gleiche Rechte haben, versteigen sie sich gern ins Abseitige: Bestes Negativbeispiel ist der Vergleich von #Ehefueralle mit Inzest, wie von der Saarländischen Ministerpräsidentin vorgebracht. Von Verwandtenaffären habe ich aber bislang nur in der CSU gehört und dass Legehennen vom flächendeckenden Mindestlohn profitieren, wäre mir auch neu.

Solch unsachliche Debatten helfen nicht weiter und sind immer verletzend für die Minderheit, deren Liebe mit Inzest verglichen wird oder gar mit Sodomie. Das gleiche gilt für die Frage, ob man sich dann auch selbst heiraten dürfe, wenn man sich selbst genug liebt oder die Ehe mit einem Auto oder Computer legal würde.

Angesichts der Diskussionslage ist es bedauerlich, dass wir auf solche Debatten nicht verzichten können.

Gefühle, Traditionen und Kultur: Ehe bleibt Ehe?

Wäre die Ehe traditionell nicht überwiegend verschiedengeschlechtlich, müsste man über die Ehe für alle ja gar nicht reden. So weit, so selbstverständlich. Aber nix bliev, wie et es — wie der Kölner sagt. #EhebleibtEhe suggeriert eine rechtspolitische Statik der eherechtlichen Verhältnisse: Man muss nicht zurückgehen bis zu König Salomo mit seinen 1000 Frauen. Es reicht ein Blick auf den Wandel des Eherechts nach 1945: auf die Aufhebung der religiös und rassistisch begründeten Eheverbote sogenannter „Mischehen” und die schrittweise Entwicklung von der patriarchalen Unterdrückung der Frau hin zur Ehe zwischen gleichberechtigten Partner*innen ohne die Bevormundung der Ehefrau in finanziellen und arbeitsrechtlichen Fragen. Den Wandel des Eherechts zeigt auch die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe oder — als Symbol — die Gleichberechtigung im Namensrecht. Welche Ehe bleibt denn da Ehe? Die polygame, die patriarchale oder die geschlechtsverschiedene? Auch eine Institution wie die Ehe muss sich in ihrer Organisation an den menschenrechtlichen Prinzipien orientieren.

Im Netz, aber auch von Christdemokraten, hört man immer wieder: Nur Gleiches müsse man gleichstellen, Ungleiches dürfe man ungleich behandeln. Nein, Gleiches muss man nicht gleichstellen. Es ist schon gleich. Der ganze Sinn der Gleichheitsartikel in Verfassung und Menschenrechtskonventionen ist es, den Menschen trotz ihrer Unterschiedlichkeit die Gleichheit vor dem Gesetz zu garantieren. Vom Prinzip der Gleichbehandlung darf im Rechtsstaat nur abgewichen werden, wenn die Ungleichbehandlung einem legitimen Ziel dient, sie zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist und als Mittel für diesen Zweck angemessen ist. An diesem Maßstab gemessen gibt es keine Begründung für das Eheschließungsverbot für gleichgeschlechtliche Paare. Auch ein diffuses Unwohlsein trägt keines der drei Kriterien. Was wäre in Deutschland los, wenn ein muslimischer Politiker forderte, im Namen von Kultur, Tradition oder Religion Grundrechte einzuschränken? Christdemokrat*innen und Christsoziale maßen sich dennoch an, Homosexuellen mit dieser Begründung die Eheschließung und das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz zu verweigern.

Das Grundgesetz

Kauder sagt: „Für mich ist die Ehe im Sinne des Grundgesetzes die Verbindung von Mann und Frau.“ Das Grundgesetz stellt in Artikel 6 Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates. Was darunter zu verstehen ist, lässt der Verfassungstext selbst offen. Von Mann und Frau ist bei der Ehe jedenfalls nicht die Rede.

Das Grundgesetz überlässt es dem Gesetzgeber und der gesellschaftlichen Entwicklung, was unter Ehe und Familie zu verstehen ist. So hat das Bundesverfassungsgericht den Familienbegriff mehrmals an gewandelte gesellschaftliche Realitäten angepasst: Es gibt eheliche, nichteheliche und lebenspartnerschaftliche Familien, die von Artikel 6 geschützt werden.

Schon 1993 wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die Öffnung der Ehe sogar verfassungsrechtlich geboten sein könne, wenn ein diesbezüglicher gesellschaftlicher Wandel von den Beschwerdeführern dargetan würde. Dann steht es dem Gesetzgeber aber erst recht frei, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.

Der gesellschaftliche Wandel ist inzwischen eingetreten: Die internationale Rechtsentwicklung macht mit inzwischen 20 Staaten, die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet haben, deutlich, dass ein rechtlicher Konsens über ein eheliches Strukturmerkmal der Geschlechtsverschiedenheit nicht mehr besteht. Dass dies von den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft ebenso gesehen wird, erkennt man an der klaren Mehrheit, die die Eheöffnung befürworten. Oder am Volksmund, der Schwule oder Lesben längst heiraten lässt oder dem das Lebenspartnerschaftsgesetz schlicht die „Homo-Ehe“ ist. Und nicht zuletzt in seiner Entscheidung zum Transsexuellengesetz hat das Bundesverfassungsgericht die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen geschaffen, ohne übrigens, dass der Gesetzgeber seine Möglichkeit zum Eingreifen genutzt hätte.

Artikel 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention postuliert: „Recht auf Eheschließung: Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.“

Die Ehe mit einem selbstgewählten Partner ohne Einschränkung auf die Religion, die ethnische Herkunft oder einem sonstigen Grund eingehen zu können, war nach der Barbarei der Nürnberger Rassegesetze eine wichtige Errungenschaft. Das Eheschließungsrecht muss, wie alle Rechte der Konvention, diskriminierungsfrei allen Bürger*innen (Artikel 14 EMRK) offen stehen.

Adoption

Beim Adoptionsrecht versuchen die Gleichberechtigungsgegner*innen durch gezielte Falschinformation zu emotionalisieren und diffuse Ängste zu mobilisieren. Dabei geht es bei der einzig noch offenen Frage, der gemeinschaftlichen Adoption, gar nicht darum, ob Lesben und Schwule Kinder adoptieren dürfen. Es geht nur darum, ob das Adoptivkind, das in eine lebenspartnerschaftliche Familie zur Adoption gegeben wird, von Anfang an zu beiden Elternteilen eine vollwertige familienrechtliche Beziehung hat.

Als Einzelpersonen war Homosexuellen die Adoption rechtlich nie verboten. Auch die gemeinschaftliche Adoptivelternschaft in Lebenspartnerschaften gibt es seit längerem:

2004 hat der Gesetzgeber die Stiefkindadoption für die Lebenspartnerschaft beschlossen, 2013 hat das Bundesverfassungsgericht die Sukzessivadoption eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht stellt grundsätzlich fest: „Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht.“

Aber das Kindeswohl?

Das Kindeswohl ist bei jeder Adoptionsvermittlungsentscheidung das einzige ausschlaggebende Kriterium. Es gibt kein Recht für Erwachsene, sich einen Kinderwunsch zu erfüllen. Das gilt für kinderlose Ehepaare wie für gleichgeschlechtliche Lebenspartner*innen.

Hier muss das Jugendamt immer individuell prüfen und begutachten, welche Familie für das Kind die beste Umgebung ist. Allerdings gibt es keinen Grund, hier nach der geschlechtlichen Zusammensetzung der Eltern zu unterscheiden. Das ergab 2009 eine Studie der Universität Bamberg. Die Studie erfolgte im Auftrag des Bundesjustizministeriums und wurde vom Bayerischen Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) und vom Bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik in München (ifp) durchgeführt.

Das Kindeswohl muss bei der Adoptionsentscheidung immer geprüft werden, egal ob einzeln, ehelich oder lebenspartnerschaftlich oder sukzessiv adoptiert wird. Daran ändert die Zulassung der gemeinsamen Adoption von Lebenspartnern oder künftig gleichgeschlechtlichen Ehegatten rein gar nichts.

Die jetzige Argumentation der Großen Koalition ist allerdings absurd. Was die Koalition bei der Sukzessivadoption beschlossen hat, ist in doppeltem Sinne verfassungswidrig. Zum einen benachteiligt es gleichgeschlechtliche Paare, weil man erst in zwei Schritten die gemeinschaftliche Elternschaft erreichen kann. Zum anderen schafft es kurioserweise eine neue Ungleichbehandlung zum Nachteil von heterosexuellen Ehepartnern, denn schwule und lesbische Lebenspartner*innen haben jetzt die Möglichkeit entweder einzeln oder über die Sukzessivadoption gemeinsam zu adoptieren. Diese Wahlfreiheit haben heterosexuelle Ehepartner nicht, die können es nur gemeinschaftlich. Das zeigt, dass hier aus ideologischen Gründen neue Ungleichbehandlungen geschaffen werden, die in der Sache keinen Sinn ergeben und am Ende Kinder und womöglich auch Ehepartner benachteiligen. Das will die Verfassung auf keinen Fall. Hier geht es nur um Diskriminierungssymbolik, aber nicht um das Kindeswohl.

Die Sprache der Gegner*innen der Gleichberechtigung

Die frühere Familienministerin Christine Bergmann sagte einmal treffend: „Alles andere als Gleichbehandlung ist Diskriminierung.“ Damit ist eigentlich alles gesagt. Wer dem nicht zustimmen mag oder kann, muss sprachlich den Begriff der Gleichberechtigung umdeuten oder relativieren.

Mit „Mehr Gleichstellung für Lebenspartnerschaften preist das Bundesjustizministerium sein Rechtsbereinigungsgesetz für Lebenspartnerschaften an. Als ob es bei der Gleichstellung halbe Sachen geben könne. Die Gleichheit vor dem Gesetz kann es nur ganz oder gar nicht geben.

Schnell wird von Populisten dann die Forderung nach gleichen Rechten in Sonderrechte umgedeutet, um sie so zu diskreditieren. „Voll-Adoption“ (Seehofer), „völlige Gleichstellung“ (Merkel) oder „komplette Gleichstellung“ (Merkel): Der Orwell‘sche Neusprech prasselt in der Debatte hernieder. Der Unionsfraktionschef Kauder wendet sich gar gegen „die totale Gleichstellung“. Was maßen sich die Schwulen und Lesben da an: total, das geht doch nun wirklich zu weit.

Nur wenn man Begriffe wie Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichberechtigung und Gleichstellung derart jedes Sinnes entleert hat, geht einem das paradoxe Bekenntnis über die Lippen: „Nicht zu diskriminieren“ sei das Ziel der Bundesregierung, aber Gleichstellung lehne man ab.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte konstatiert: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

Erst wenn Recht und Gesetz an keiner Stelle aufgrund der sexuellen Identität unterscheidet, ist für Schwule und Lesben die Verheißung der Menschenrechtserklärung erfüllt. Das Eheschließungsverbot bei Gleichgeschlechtlichkeit macht sie zu Menschen und Bürger*innen zweiter Klasse. Auf die Entkriminalisierung der Homosexualität muss die zivilrechtliche Gleichstellung folgen. Homo- und Heterosexualität wurden als Kategorien im Strafrecht überwunden. Auch im bürgerlichen Recht kann diese Kategorisierung keinen Bestand haben.

→ mehr über den Autor

Volker Beck ist innenpolitischer Sprecher und Sprecher für Religionspolitik in der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er streitet im Bundestag für die Stärkung der Bürgerrechte, die Verteidigung des Rechtsstaates, die rechtliche Gleichstellung und gegen die Diskriminierung gesellschaftlicher Minderheiten. Eine rechtsstaatlich orientierte Politik der Inneren Sicherheit ist ein wichtiger politischer Schwerpunkt seiner Arbeit.

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