Piepsi Penker
6 min readJun 22, 2020

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Brief an meine alte Bekannte — die Mohrenbrauerei Dornbirn

Liebe Mohrenbrauerei

Seit 20 Jahren ist Mohrenbräu mein Lieblingsbier. Seit dieser Zeit besteht Kritik an Eurem Logo, dem „Mohr“. Und Ihr antwortet immer mit dem gleichen Argument: „Uns ist klar, dass für manche Menschen unsere Marke im Widerspruch zu unseren gelebten Werten steht. Wir diskutieren dieses Thema auch im Betrieb immer wieder intensiv und haben uns dennoch entschlossen, die Marke in ihrer traditionellen Darstellung beizubehalten (am 18.6.2020 auf Instagram)“.

Die Zeit ist gekommen, den sich ewig selbst nährenden und immer selbst bestärkenden Feedback-Loop zum Logoerhalt zu prüfen, auf blinde Flecken in der eigenen Wahrnehmung aufmerksam zu werden und gemeinsam ein zeitgemäßes Bewusstsein für die Sensibilität des Markenauftritts von Mohrenbräu zu entwickeln, und dann auch danach zu handeln.

Der Prozess zur eingehenden Reflexion heutiger Standards und morgiger Visionen hat gesellschaftlich bereits begonnen: in sozialen Medien spielen GraphikdesignerInnen mit Mohrenbräu Logos und unterbreiten professionelle und diskriminierungsfreie Vorschläge. Mit Hashtags und Social Media-Ritualen fordern Mohren-KundInnen ein zeitgemässes Logo. Ebenso erscheinen Petitionen und plädieren für den Erhalt des Logos. Posts gehen viral mit tausenden Likes und hunderten Kommentaren; nationale Medien beginnen darüber zu berichten und wir stehen wieder vor der Frage: Wer liegt hier falsch, wer ist hier deppat?

Mei Bier is Ned Deppat!

Viele Menschen wollen das Logo beibehalten: aus Tradition, als Kulturgut, weil es schon immer so war, weil man sich persönlich nicht diskriminiert fühlt, man sei selbst kein Rassist, keine Minderheit fände es anstössig, als Weiße/r habe man kein Recht auf Mitsprache. Kommentare beider Seiten sind häufig, wenn auch oft leidenschaftlich aggressiv in Wort und Ausdruck. Ich kann das nachvollziehen, mir liegt mein Bier auch am Herzen. Mohrenbräu erklärt den Ursprung über Hr. Mohr ebenso nachvollziehbar wie die Herleitung des Logos über das lateinische „Maurus“ (schwarz, dunkel, afrikanisch, der heilige Mauritius) zum „Mohr“.

Trotz dieser Herleitung erschließt sich mir kein zwingender, kausaler Zusammenhang zwischen Logoerhalt und gelebter Tradition. Vielmehr ist das Logo, nach heutigen diskriminierungssensiblen Lebenstandards eine direkte Handlungsaufforderung zu sozialem Engagement, das bei Mohrenbräu als gelebte Tradition gilt: „ Unser Bier ist … ein Synonym für soziales Engagement“.

OK Cool, die Verantwortlichen meines Lieblingsbier bürgen dafür, uns KonsumentInnen fair und verantwortungsvoll durchs 21. Jahrhundert zu führen. Für ein Unternehmen mit uneindeutigem Logo bedeutet ein Bekenntnis zu sozialem Engagement in 2020 in überzeugender Deutlichkeit vornehmlich Folgendes:

  • Jene Meinungen kulturell zu sensibilisieren, die sich leidenschaftlich für den Erhalt des Markenlogos stark machen, und damit ungewollt für den Erhalt einer Karikatur mit rassistischen Zuschreibungen plädieren.
  • Deswegen trifft Mohrenbräu proaktiv eine Entscheidung, und zwar unabhängig von gesellschaftlichen Zusprüchen für den Erhalt des jetzigen Logos: nämlich ein zeitgemässes, diskriminierungsfreies Logo zu finden. Wenn Mohrenbräu den ersten Schritt macht, wird unsere Gesellschaft folgen. Wenn Mohrenbräu zeitgemäß vorgeht, werden KritikerInnen verstummen. Von solcher Vorbildwirkung und dazugehörigen intensiven Prozessen könnten wir alle gemeinsam lernen, wie Gesellschaft in Zukunft geht.

Eine dominante Minderheit hat etwas Wertvolles zu Verlieren

Um den oben beschriebenen gesellschaftlichen Wandel zu erwirken, muss sich die Mohrenbrauerei aus freien Stücken dafür entscheiden; und Mohrenbräu darf frei entscheiden. Selbst eine hohe Akzeptanz bei KonsumentInnen zum Logowechsel hat keine Entscheidungsmacht und wird es auch nicht geben; viele halten an Ihrem Recht auf Interpretation von Tradition fest.

Nichtsdestotrotz formt sich gleichzeitig eine gesellschaftliche Minderheit, welche die Diskussion um das Logo dominiert, und versucht, so ein Umdenken zu erwirken — die dominante Minderheit in dieser Causa. Eine sogenannte „dominante Minderheit“ (Nassim Taleb, Skin in the Game, 2018) besteht aus ca. 3–5% einer Gesamtgesellschaft, fordert stetig Ihr Recht ein und agiert dermassen aktiv und vehement, damit früher oder später Ihr Anliegen durchgesetzt werden kann. Für die Gegenseite macht der Ausgang dabei keinen großen Unterschied, denn Sie hat dabei nichts Wertvolles zu verlieren. Die dominante Minderheit beim Thema Mohrenlogo agiert aber deswegen so proaktiv und vehement, eben weil gefühlt Wertvolles auf dem Spiel steht: der kommunale gute Ruf. Das ist ein ausgesprochen starkes Handlungsmotiv, weil erspürt wird, dass Dornbirns lokales Bier nicht mehr zeitgemäß positioniert ist. Konträr dazu scheint mir der Verlust eines uneindeutigen und angestaubten Logos für deren UnterstützerInnen nicht allzu schmerzvoll zu sein. Was genau hat Mohrenbräu mit der Einführung eines diskriminierungsfreien Logos zu verlieren?

Auf der einen Seite empfindet ein kleiner Teil der Vorarlberger Bevölkerung das Logo der Mohrenbrauerei als unsensibel und diskriminierend und fordert deswegen Abänderung, um den gefühlt guten Ruf Ihrer Region und Ihres lokalen Biers zu bewahren. Kulturell sensibilisierte Personen stossen sich so stark an dieser Visualisierung Ihres Biers, dass Sie immer wieder zum Handeln drängen.

Auf der anderen Seite verspüren Personen, denen eine Abänderung nicht wichtig scheint, wahrscheinlich keine Fremdscham beim Konsum eines visuell diskriminierungsfrei gestalteten Biers. Das gesellschaftliche incentive bei einem neuen Logo ist stark, Logo-Supporter hingegen spüren kaum einen Unterschied und haben nichts Wertvolles zu verlieren. Zur Veranschaulichung drei Beispiele dafür, daß dominante Minderheiten gesellschaftlichen Wertewandel vorantreiben und prägen können:

  • Wenn bei einem Geschäftstreffen auch nur eine einzige Person kein Deutsch spricht, wird in Englisch kommuniziert. Es bedarf keiner Sprachmehrheit, um dies zu erreichen, sondern common sense.
  • In Flugzeugen werden grundsätzlich keine erdnusshaltigen Speisen serviert, weil 0,5–1% der Menschen an Nussallergien leiden. Menschen mit Nussallergien dürfen keine nusshaltige Nahrung zu sich nehmen, sonst sterben sie; Menschen ohne Nussallergie sehr wohl nussfreie Speisen. Es macht hier Sinn, nur nussfreie Speisen anzubieten, weil es für eine kleine Minderheit von großer Bedeutung ist.
  • ca. 3 % der amerikanischen Bevölkerung ernähren sich kosher oder halal. (Fast) alle Getränke, die in in den USA verkauft werden sind mittlerweile kosher und halal produziert (gekennzeichnet mit einem eingekreisten U). Dasselbe gilt für Fleisch. Warum? Weil so möglichst viele KundInnensparten mit demselben Produkt bedient werden können. Wer nur halal oder kosher isst, wird kein nicht-halal/koscheres Fleisch essen; das ist ein starkes Handlungsmotiv; umgekehrt macht es keinen markanten Unterschied.

The Trend is Your Friend

Keine Angst, Mohrenbräu ist in diesem Wirbelsturm der Emotionen nicht allein, ein globaler Trend zeichnet sich deutlich ab: weitere Unternehmen stehen an Mohrenbräus Seite und machen erste Schritte in Richtung Epochenwechsel. Uncle Ben’s oder Aunt Jemima bsw. führen ebenso seit über 100 Jahren diskriminierende Logos in ihrem Marketingauftritt. Zu Gründerzeiten dieser Unternehmen gab es, wie im Fall von Dornbirns Lokalbier, wenig Sensibilisierung zu Rassismus, kein globales Verständnis für Inklusion, keine Gleichberechtigung und keine aufgeklärten, kritischen KonsumentInnen.

Dem ist 2020 nicht mehr so. Diese auszugsweise genannten Unternehmen blicken heute mit sensibleren Augen auf Ihr Produkt als früher und haben deswegen bereits oder ändern in naher Zukunft Ihre Logos und dazugehörige Verkaufsstrategien. Selbst wenn die treibende Motivation dahinter lediglich sei, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, geht das für mich so in Ordnung. Ich möchte, dass Dornbirns Lieblingsbier ebenso Teil dieser Bewegung wird. Ich will mit meinem Durst auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.

Role Model oder Old Dog

Der angestrebte Epochenwechsel hat bereits begonnen; früher oder später wird es wohl zu einer Abänderung des Logos kommen, denn:

  • die dominante Minderheit ist aktiver und größer als je zuvor; sie hat Wertvolles zu verlieren, konsumiert aber noch loyal. Das kollektive gesellschaftliche Bewusstsein für Diskriminierung wird stetig mehr global sensibilisiert und lokal verankert. Mohrenbräu setzt sich bereits jetzt schon ständig intern mit dem Thema auseinander.
  • ein unabdingbarer Duft von Veränderung liegt in der Luft; es steht ein umwälzender Epochenwechsel vieler Lebensbereiche an; manche davon schmerzhaft, andere schön. Ich möchte mit Mohrenbräu das Schöne erleben. Nur das Beste für Dornbirns lokales Bier.

Beginnt der Rebranding-Prozess bald, erleben wir, wie Mohrenbräu als role model, als Vorbild, ein zeitgemäßes Bewusstsein für die Sensibilität Ihres Markenauftritt entwickelt und soziales Engagement lebt. Mohrenbräu kann zeigen, wie betriebliches diskriminierungsfreies Umdenken geht und wir können alle mitlernen. Das Unternehmen kann von einer zeitnahen Anpassung nur profitieren.

Wenn diese Strategieänderung erst in zukünftigen Jahren geschehen soll, kann die Möglichkeit der Wertschätzung für pro-aktives, eines dem Zeitgeist entsprechenden Umdenken verloren gegangen sein. Denn die Welle der Solidarität zu diesem Thema wächst Tag um Tag und dieser gesellschaftliche Trend wird klar erkennbar immer dominanter, und eben nicht schwächer. Mohrenbräu könnte dann, sprichwörtlich wie ein old dog, ein alter Hund ohne neue Tricks erscheinen — unflexibel und träge, und von KonsumentInnen vernachlässigt werden. Irgendwann kann dem steten Druck (dann vielleicht auch politisch) nicht mehr standgehalten werden. Dieser Wechsel wäre dann ein Erzwungener.

Blickt man auf bestehende gesellschaftliche Makrotrends, wird klar und zweifelsfrei ersichtlich, dass ein gesellschaftliches Umdenken in dieser Causa schlussendlich unabwendbar ist. Offen scheint hingegen, auf welcher Seite der Geschichte dabei Mohrenbräu stehen wird.

Liebe Mohrenbrauerei, der beste Moment zu handeln war vor 20 Jahren; der zweitbeste Moment ist genau jetzt.

Let’s push things forward.

Danke für Ihre Zeit. In geselliger Verbundenheit, mit Bitte um Ihre Gedanken,

sendet freundliche Grüße,

fr

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