Offener Brief an Clemens Tönnies zur Aufsichtsratswahl 2019

Jonathan Scholz
5 min readJun 22, 2019

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Lieber Clemens Tönnies,

leider ist es vor der Wahl zum Aufsichtsrat nicht mehr möglich, Fragen zu stellen. Dabei habe ich ein paar wichtige auf dem Herzen, denn derzeit habe ich arge Zweifel, ob Sie noch der richtige Mann für den AR-Vorsitz sind. Ich sage bewusst noch. Die wirtschaftliche Konsolidierung und die Erfolge als zweitstärkste Kraft in der Bundesliga in den Nuller-Jahren darf man Ihnen sicherlich auf die Fahne schreiben. Es heißt auch, Sie hätten in der Stunde der höchsten wirtschaftlichen Not in die eigene Tasche gegriffen, um den Konkurs abzuwenden. Das kann man nicht hoch genug anrechnen.

Nun ist die Wirtschaftlichkeit halbwegs stabilisiert und es gibt andere Fragen und Aufgaben, die uns dringender beschäftigen: Vor allem die sportliche Weiterentwicklung und Professionalisierung. Seit Jahren befindet sich der Schalker Profi-Fußball auf Sinnsuche. Und seit Jahren geht es dabei Stück für Stück bergab. Auch das muss man Ihnen leider ins Zeugnis schreiben. Sie haben sich in den vergangene Monaten auch schon zu dem Thema geäußert, und den Ball vor allem zur sportlichen Führung geschoben.

Ist Heidel also alleinschuldig?

Nein, auch Sie haben Fehler eingeräumt: Das heißt — eigentlich nur einen einzigen. Sie haben sich “zu sehr zurückgehalten”. Künftig wollen Sie “wieder mehr mitreden”. Ich muss zugeben: Als ich das gelesen habe, habe ich geschluckt. Ist das wirklich alles, was Sie uns zu Ihrer Verantwortung zu sagen haben? Das ist schockierend wenig. Okay, ich kann es nicht wissen. Ich bin nirgendwo dabei, habe keine Insider-Quellen, ich wohne nicht mal im Pott sondern in Berlin. Ich kann mich nur auf das berufen, was in der Presse steht. Aber diese Informationen reichen, um zumindest skeptisch zu werden. Deswegen hätte ich gerne eine Reihe von Fragen geklärt.

Konkret geht es mir ausdrücklich nicht um einzelne Transfers, Aufstellungen, Trainer-Entscheidungen und all diese Themen. Sie haben recht: Es ist richtig, dass sie sich da raus halten. Am Ende ist die sportliche Führung für die sportliche Entwicklung verantwortlich. Es geht mir viel mehr um die Kernaufgaben des Aufsichtsrats: Vorstände berufen, Strukturen aufbauen und insbesondere um das Vorleben als Führungsfigur von partnerschaftlicher Zusammenarbeit.

Hier sind meine Punkte:

1. Scouting

Seit Jahren hinkt Schalke beim Scouting hinterher. Leverkusen, Dortmund, Hoffenheim und neuerdings sogar auch Frankfurt machen vor, dass es besser geht. Mit Heidel sollte nun alles besser werden. Dabei hat er schon zu Mainzer Zeiten Interviews gegeben, in denen er sein hemdsärmeliges Scouting beschrieben hat: “DVDs von Beratern sichten und dann hinfliegen.”

Als er dann den Konoplyanka-Transfer begründete mit “der hat mir im Fernsehen immer so gut gefallen, wenn ich Sevilla in der Europa League gesehen habe”, wurde mir schon ein wenig mulmig. Und die neue und dringend notwendige Scouting-Abteilung entpuppte sich dann als ein Team von studentischen Honorar-Kräften. Einen Profi hat man für das Thema nicht engagiert.

  • Hat man Heidel nach seinen konkreten Plänen zum Aufbau eines Scoutings vor seiner Berufung befragt?
  • Hat man sich damals im AR mit den Scouting-Strukturen anderer, erfolgreicher Vereine (national und international) befasst? Wenn ja, wann?
  • Waren Sie sich über die Aussagen zum Thema Scouting von Heidel zu Mainzer Zeiten bei seiner Berufung im Klaren?
  • Welche Fragen hat man Heidel gestellt, als er sein Konzept mit Studenten installierte?
  • Wieso hat man erst zwei Jahre nach Heidels Anstellung im Sommer 2018 das Thema “Kaderplaner/Chef-Scout” mit ihm angesprochen?

2. Tedescos “Burn-Out”

Schon in der Vizemeister-Saison ging Tedesco für jeden offensichtlich auf dem Zahnfleisch. In der folgenden Saison kam die Champions League dazu. Man hat schon oft gesehen, wie unerfahrene Bundesliga-Teams durch die Dreifach-Belastung in der Hinrunde ins Schwanken gerieten. Der Rhythmus ist für alle Beteiligten eine enorme Umstellung. Man musste nur 1+1 rechnen, um zu erkennen, dass das ohne erhebliche Unterstützung viel zu viel für Tedesco sein wird.

Gott sei Dank kam dann im Sommer die Meldung: Es wird Entlastung geben. Nur: Es ging lediglich um Video-Analysten! Einen Analysten setzt die Nachwuchs-Mannschaft von RB Salzburg im regulären Spielbetrieb ein. Dass Schalke ihn vorher noch nicht hatte ist unglaublich. Dass man gedacht hat, mit dieser Maßnahme sei das Belastungsproblem für Tedesco gelöst, kann ich kaum glauben. Im Winter steuerte man mit Seppo Eichkorn nach. Zu spät.

  • War man sich nach der ersten Saison von Tedesco im Klaren, dass die Überbelastung zu einem ernsten Problem werden könnte?
  • Fanden Sie Heidels Maßnahmen “Handy-Verbot” im Urlaub und Engagement von Video-Analysten ausreichend?
  • War man sich im Klaren darüber, dass man einen jungen, hochmotivierten und talentierten Trainer auch ein Stück weit vor sich selbst schützen muss?
  • Hatte man die zusätzliche Belastung durch Champions League als Problem vorab erkannt? Wie wollte man darauf reagieren?
  • Wieso wurde erst im Winter Seppo Eichkorn dazugeholt?

3. Team-Player

Moderne Fußball-”Vereine” in England oder die deutschen Retorten-Clubs Hoffenheim, Leipzig, Leverkusen setzen schon lange auf verteilte Aufgaben von Experten in der sportlichen Führung. Als ich las, dass Heidel mit Schuster jemanden mitbringt, habe ich mich gefreut. Endlich moderne Teamarbeit. Ich war davon ausgegangen, dass Schuster ein Kaderplaner ist. Später musste ich dann lesen, dass er eigentlich eher der Chef-Organisator ist und inhaltlich nichts beiträgt.

Nun ist Jochen Schneider da, und nach allem was man so hört, geht er die Sache nun endlich auch strukturell professioneller an. “Wir brauchen Team-Player auf allen Ebenen”, hat er gesagt. Dem möchte ich gerne absolut zustimmen. Und auf allen Ebenen bedeutet für mich: Natürlich auch im Aufsichtsrat. Wenn ich mir allerdings Ihre Äußerungen aus den letzten 6–7 Monaten anschaue, kommen mir erhebliche Zweifel, dass Sie das “Einstellungs-Kriterium” Teamfähigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender erfüllen:

Sie haben nach eigener Aussage im vergangenen Sommer dann endlich das Gespräch mit Heidel gesucht: Ob er sich nicht Unterstützung holen möchte? Vergeblich. Dann sind sie im Dezember mit dem Thema in der Zeitung aufgetaucht, und haben damit Heidel in aller Öffentlichkeit bloßgestellt. Die Jagd der Boulevard-Presse war eröffnet. Und ein paar Monate später, so erzählen Sie, war die Motivation von Heidel im Eimer. Ehrlich gesagt: Wenn mein Chef und Freund mich derartig öffentlich bloßstellen würde, hätte ich auch Motivationsprobleme. Bei aller berechtigten Kritik an der Arbeit von Christian Heidel, dieser Umgang ist unkollegial und unwürdig.

Bei der Vorstellung von Jochen Schneider erklärten Sie dann sehr ausführlich und detailliert, wie die Trennung von Heidel und das Engagement von Schneider abgelaufen sind. Wenn ich polemisierend zitieren darf: “Ich […]. Ich […]. Ich […]. Ich […]. Ich […]. Ich […]. Ich […].” Vielleicht tut mir noch jemand den Gefallen und zählt, wie viel Mal Sie “Ich” in der PK sagen. Aber eines ist mir direkt aufgefallen: Ein Team-Player redet so nicht.

Fragen:

  • Mit welchem Ziel sind sie mit dem “Kaderplaner”-Thema an die Presse gegangen?
  • Finden Sie nicht, dass man so etwas besser intern klärt?
  • Finden Sie, dass es zusammenpasst, wenn Sie sagen, es ginge ihnen nur um Schalke — aber dann immer wieder betonen, wie groß und toll ihre persönliche Leistung in entscheidenden Momenten ist?
  • Wie wäre es, wenn ein Spieler sich so in der Öffentlichkeit äußern würde? Was würde z.B. Huub Stevens mit dem Spieler machen, wenn er der verantwortliche Trainer wäre?
  • Welche Kultur/welchen Umgang wünschen Sie sich auf Schalke? Glauben Sie, dass Ihr Verhalten eine Vorbildfunktion hat?
  • Welche Führungskultur wollen Sie vorleben? Finden Sie, dass sie in den angesprochenen Fällen den Anforderungen als “Team-Player” gerecht geworden sind?
  • Wieso sollte ich auf Basis dieser Kommunikation annehmen, dass Sie ein Team-Player sind?

Bei all dieser Punkten sei angemerkt: Zurecht haben Sie auf SchalkeTV darauf hingewiesen, dass Sie kritikfähig sind. Die Beispiele, die sie genannt haben, waren mir allesamt positiv aufgefallen. Vielleicht kann ich auch in diesen Punkten auf eine Einsicht und Verbesserung hoffen. Dafür bräuchte ich allerdings noch vor der Wahl klare Signale. Ansonsten bleibt mir nur eine Frage:

  • Wieso sollte ich denken, dass sie der richtige Mann im Aufsichtsrat sind?

Mit freundlichen Grüßen

Jonathan Scholz

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