PV: Zunehmende Kostenvorteile durch nanotechnische Dematerialisierung

R Schleicher-Tappeser
17 min readJan 31, 2023

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Folge 11 der Serie: Technikgeschichte — Die Entdeckung der Nanowelten ermöglicht eine erneuerbare Energieversorgung für Alle

Foto: Private

Wir stehen vor der Notwendigkeit, fossile Brennstoffe als Grundlage unserer industriellen Zivilisation in wenigen Jahren zu ersetzten. Das erfordert einem tiefgreifenden Umbau unserer Energiesysteme. Diese Serie zeigt, wie der Umbruch der Naturwissenschaften am Anfang des letzten Jahrhunderts entscheidend dazu beiträgt, dass das möglich wird. Atomenergie war ein früher Versuch, das Vordringen in die Nanowelten für die Energieversorgung zu nutzen. Wie wir gezeigt haben, ist er unwiderruflich gescheitert.

Thema der letzten Folge war der trotz vielfacher Widerstände unaufhaltsame Aufstieg der Photovoltaik, die eine andere Systemlogik mit sich bringt. In dieser Folge wollen wir zunächst drei Fragen nachgehen: Was sind die tieferen Gründe für die disruptive Senkung von Kosten, Energie- und Materialverbrauch der Photovoltaik? Kann die Entwicklung so weitergehen? Wie sehen andere Energiequellen im Vergleich damit aus? Dazu ist es notwendig, die zugrundeliegenden technischen Prinzipien ein wenig genauer anzusehen.

Die Kostensenkung war nicht nur ein Mengeneffekt — entscheidend waren nanotechnische Innovationen

Nach wie vor basieren über 95% der Produktion auf kristallinem Silizium, der Basistechnologie, auf der 1954 die erste Solarzelle mit einem nennenswerten Wirkungsgrad beruhte. Schritt für Schritt wurden auf jeder Stufe der Produktion Energie, Material und Arbeitsaufwand eingespart und durch immer raffiniertere Technologien die Umwandlungseffizienz von Sonneneinstrahlung in Elektrizität erhöht. Um die Kostensenkungen und das künftige Entwicklungspotential zu verstehen, ist es notwendig, die verschiedenen Stufen des Herstellungsprozesses zu unterscheiden:

Zunächst wird aus Quarzsand in einem energieintensiven Schmelzprozess metallurgisches Silizium mit einer Reinheit von ca. 98% gewonnen. Das wird nur zu einem kleineren Teil für die Photovoltaik produziert. Das Meiste geht in die Metallindustrie (Aluminium und Stahl), sowie in die Elektronikindustrie, die ähnliche Prozesse verwendet wie die Solarindustrie.

Dann wird das Silizium in eine gasförmige Verbindung umgewandelt und in einem wiederum sehr energieaufwändigen Prozess zu hochreinem Polysilizium verarbeitet — meistens im immer weiter verbesserten sogenannten Siemensprozess, der in den 1950er Jahren für die hohen Anforderungen der Halbleiterindustrie entwickelt wurde. Wegen der notwendigen hohen Temperaturen ist die Herstellung von Polysilizium sehr energieintensiv und erfolgt in großen Anlagen. Seit 2011 konnte der Energieverbrauch halbiert werden. Trotzdem verbraucht die Produktion von Polysilizium 44% der für die Herstellung eines Photovoltaikmoduls notwendigen Energie.

Thermische Verluste lassen sich am besten in großen Anlagen vermeiden. Deshalb ist die Polysilizium-Produktion weltweit auf wenige Anlagen konzentriert, die zudem längere Bauzeiten haben als die Fabriken der nachfolgenden Produktionsstufen. Gegenwärtig ist sie der Flaschenhals der gesamten Lieferkette, was 2022 zu erhöhten Modulpreisen führte. Wegen neuer Produktionskapazitäten sinken die Preise jedoch schon wieder.

Anschließend werden aus dem geschmolzenen Polysilizium bei gut 1400 Grad 20 cm dicke und mehrere Meter lange, makellose runde Kristallstangen gezogen (Czochralski-Verfahren) — sogenannte monokristalline Ingots. Damit dabei möglichst wenige Kristallfehler entstehen, muss das Silizium zuvor eine Reinheit von 99,999999% erreichen. Bis vor wenigen Jahren dominierten multikristalline Ingots, die aus weniger reinem Material gegossen werden. Diese Herstellungsmethode braucht wesentlich weniger Energie, aber die resultierenden sogenannten multikristallinen Solarzellen sind deutlich weniger effizient, so dass sie inzwischen weitgehend durch monokristalline Zellen abgelöst wurden. Um im nächsten Schritt Wafer herzustellen, werden die extrem harten Ingots mit diamantbestückten Drähten in dünne Scheiben gesägt, die weniger als 1/5 Millimeter dick sind. Seit 2010 konnte der Siliziumbedarf pro Watt PV-Leistung um 84% gesenkt werden. Die Senkung des Energie- und Materialverbrauchs bis zu diesem Punkt der Lieferkette beruht nur zum Teil auf der Optimierung und Skalierung von klassischen Technologien. Für die Erreichung hoher Reinheitsgrade und immer größerer, weitgehend fehlerfreier monokristalliner Silizium-Wafer, die zuerst in der Mikroelektronik eingesetzt wurden, waren umfangreiche und anhaltende nanowissenschaftliche Entwicklungen notwendig. Größere Wafer und geringerer Ausschuss haben erheblich zur Kostensenkung beigetragen. Zudem hat die Reduzierung der Waferdicke mit den nanowissenschaftlichen Fortschritten der nächsten Produktionsstufe zu tun. Die Arbeitsschritte bis zu diesem Punkt machen heute ca. 28% der Modulkosten aus.

PV cell testing, © Meyer Burger

Die anschließende Verarbeitung der Wafer zu Solarzellen ist der technologisch anspruchsvollste Schritt, der sich in den letzten Jahrzehnten am meisten entwickelt hat. Hier entsteht das eigentliche, 0,2 mm dünne Kraftwerk. Die nicht einfach zu verstehenden physikalischen Details der Stromerzeugung an Halbleiter-Grenzschichten erlauben vielfältige Varianten mit unterschiedlichen Schichten und Methoden der Kontaktierung. Durch schnell aufeinander folgende Generationen von Fabriken bzw. den Austausch einiger Maschinen in bestehenden Fertigungsstraßen konnte der Wirkungsgrad kommerziell erhältlicher Silizium-Zellen von ca. 16% im Jahr 2010 auf heute ca. 24% gesteigert werden. Das hat erheblich zur Kostenreduktion beigetragen, da für die gleiche Leistung weniger Modulfläche benötigt wird. Außerdem konnte die Lebensdauer erhöht werden, die für gute Module heute vierzig Jahre beträgt (aber in den Stromkostenberechnungen nicht vollständig berücksichtigt wird, weil man annimmt, dass sie in kommerziellen Anlagen schon vorher durch bessere Module ersetzt werden). Da die Herstellung der Solarzellen aus Wafern mit einer ganzen Reihe von aufeinanderfolgenden Bearbeitungsschritten komplex ist, entfallen auf diese Stufe etwa die Hälfte Maschinenkosten der gesamten Wertschöpfungskette. Parallele Fertigungsstraßen mit Querverbindungen und gemeinsamer Infrastruktur erlauben in großen Fabriken eine hohe Flexibilität und Maschinenauslastung. Insgesamt machen aber die Kosten des Schritts vom Wafer zur Zelle nur ca. 22% der Gesamtkosten des Moduls aus, weil nur wenig zusätzliches Material benötigt.

Das ist ganz anders beim letzten Schritt, bei dem die Zellen elektrisch verbunden und unter einer Glasabdeckung luft- und wasserdicht zu einem Modul verkapselt werden. Hier wird mit viel Material hantiert: Die Solarzellen aus der vorherigen Produktionsstufe machen weniger als 10% des Gewichts und etwa die Hälfte der Kosten der fertigen Module aus. Deshalb erfolgt die Modulproduktion häufig separat von der Zellproduktion in der Nähe der Endverbraucher. Trotz zunehmender Automatisierung fallen in dieser Stufe noch 46% der menschlichen Arbeit in der ganzen Lieferkette an. Damit ein PV-Panel 30 bis 40 Jahre hält und die Sonnenstrahlung bestmöglich ausnutzt, sind hochwertige Materialien und sorgfältige Arbeit notwendig. Dafür wurden spezielle Gläser, Kunststofffolien, Gießharze, Rahmenkonstruktionen und elektrische Anschlusstechniken entwickelt. Kommerzielle Module haben heute einen auf die Modulfläche bezogenen Wirkungsgrad von bis zu 22%.

Module factory, MeyerBurger Thalheim, © Meyer Burger

Im Gegensatz zu konventionellen Großkraftwerken können photovoltaische Zellen und Module in großen Stückzahlen in Massenproduktion hergestellt werden. Neue integrierte Fabriken haben Kapazitäten zwischen 10 und 20 GWp pro Jahr, das sind 25 bis 50 Millionen Module. Skaleneffekte ergeben sich insbesondere in der hochkomplexen Zellproduktion. Außerdem können die entsprechenden Produktionsanlagen — außer beim Polysilizium — innerhalb von weniger als zwei Jahren installiert werden. Die Planungs- und Bauzeit von photovoltaischen Kraftwerken liegt ebenfalls unter zwei Jahren. Daraus ergeben sich Innovationszyklen, die zehnmal kürzer sind als bei fossilen oder nuklearen Großkraftwerken und auch deutlich kürzer als bei der Windenergie.

Über die ganze Lieferkette betrachtet waren die entscheidenden Innovationen, die zu der in der Energietechnik beispiellosen Kostenreduktion der Photovoltaik führten, nicht klassischer, sondern nanotechnologischer Art. Eine herausragende Rolle spielt dabei die Erhöhung des Wirkungsgrades der Umwandlung von Solarstrahlung in Elektrizität. Die Steigerung des Modulwirkungsgrads von 14 auf 22 Prozent zwischen 2010 und 2021 erlaubte es, die Modulfläche, die für eine bestimmte Leistung nötig ist, und damit auch die entsprechenden Kosten, um 36% zu senken. Da die Kraftwerkskosten zu rund drei Vierteln direkt von der Modulfläche abhängen hat dies großen Einfluss auf die resultierenden Stromerzeugungskosten, obwohl die Module selber inzwischen nur noch weniger als die Hälfte der Kosten ausmachen.

­­­­­­Weitere nanotechnisch bedingte Kosteneffekte sind geringerer Ausschuss bei der Waferproduktion, Materialeinsparungen durch dünnere Zellen, besseres Schwachlichtverhalten, geringere Temperaturempfindlichkeit und längere Lebensdauer. Insgesamt lässt sich abschätzen, dass von der Kostenreduktion der PV-Module seit 2010 gut die Hälfte auf nanotechnische Innovationen zurückzuführen sind. und nicht — wie vielfach behauptet — vor allem auf die Lerneffekte bei der Massenproduktion großer Stückzahlen.

Seit den 1970er Jahren schienen andere Halbleiter als Silizium, die keine aufwändigen großen Kristalle erfordern, sondern mit verschiedenen Verfahren in dünnen Schichten aufgebracht werden können, immer wieder große Vorteile zu versprechen. 2009 erreichten sie einen Marktanteil von 17 Prozent. Dabei stachen vor allem CdTe (Cadmium-Tellurid) und CIGS (Kupfer-Indium-Gallium-Selenid) hervor. CdTe hält heute noch einen Marktanteil von vier Prozent. Vor allem die verschiedenen CIGS- oder CIS-Varianten konnte die hohen Erwartungen bisher nicht erfüllen, weil Wirkungsgrad und Lebensdauer immer ein wenig hinter der Entwicklung bei den Siliziumzellen herhinkten.

Die Kostensenkung der Photovoltaik geht weiter — anhaltend sinkender Materialaufwand

Vor zehn Jahren hätten nur Insider der Photovoltaik und insbesondere der Siliziumtechnik eine derartig anhaltende Kostenentwicklung zugetraut. Da stellt sich die Frage: kann das denn so weitergehen? Klassische Verfahren der Kostensenkung materieller Güter durch Massenproduktion und verbesserte Verfahren stoßen nach einer Weile an ihre Grenzen, weil der Material- und Energieaufwand irgendwann nur durch anders konzipierte Produkte wesentlich gesenkt werden kann.

Die beispiellose Kostensenkung in der Mikroelektronik wurde deshalb möglich, weil das Produkt die Rechenleistung ist, die mit immer weniger materiellem Aufwand hergestellt werden konnte: Die eigentlich aktive Einheit, der Transistor, konnte durch nanowissenschaftliche Erkenntnisse immer kleiner gemacht werden — sein Volumen schrumpfte in drei Dimensionen. Gleichzeitig konnte die Schaltfrequenz auf mehr als das Tausendfache erhöht werden. Das Ergebnis ist eine beispiellos schnelle und noch anhaltende Reduktion des Material- und Energieaufwandes der Informationsverarbeitung

Die Solarzelle hingegen verarbeitet nicht Information, die dank Mikroelektronik extrem verdichtet werden kann, sondern die auf eine Fläche einfallende natürliche Solarstrahlung, also endliche Mengen von Energie. Versuche, die einfallende Strahlung mit Spiegeln und Linsen zu verdichten, haben sich ihrerseits als materialaufwändig und kostspielig erwiesen. Die Leistung von Solarzellen ist daher durch ihre materielle Fläche begrenzt. Die Kostensenkungen kamen einerseits durch geringere Kosten pro Fläche zustande und andererseits durch einen immer höheren Wirkungsgrad bei der Umsetzung von Solarstrahlung in elektrische Energie. Langsam wird es jedoch immer schwieriger, die Flächenkosten der heute üblichen Solarmodule zu senken und mit der Siliziumtechnologie den in elektrische Energie umsetzbaren Anteil der Solarstrahlung zu steigern.

Insbesondere zwei Entwicklungen haben jedoch das Potential, die Kosten von photovoltaisch erzeugtem Strom noch einmal deutlich zu senken und die Struktur der Elektrizitätsversorgung weiter zu verändern. Der erste Weg sind weitere deutliche Effizienzsteigerungen mit anderen Zellkonzepten und Halbleitermaterialien — also nanotechnische Innovationen. Der zweite Weg ist die Reduktion der erheblichen Kosten für die sichere Verkapselung der empfindlichen Siliziumzellen in starre Gehäuse aus Glas — sie macht inzwischen die Hälfte der Modulkosten aus.

Für den Einsatz im Weltraum werden schon lange Spezial-Zellen entwickelt und produziert, die wesentlich höhere Effizienzen bieten, aber für die terrestrische Massenanwendung zu teuer sind. Inzwischen kann man im Labor Zellen herstellen, die bis zu 47% des Sonnenlichts in Strom verwandeln können — und damit ist das theoretische Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Dafür ordnet man mehrere lichtempfindliche Halbleiter-Grenzschichten übereinander an, die unterschiedliche Bereiche des solaren Strahlungsspektrums nutzen können — Silizium kann nämlich nur einen Ausschnitt dieses Spektrums aufnehmen. Für derartige Multijunction-Zellen werden bis zu zwanzig verschiedene Schichten aufgebracht.

­­­­­­­­Seit einigen Jahren experimentiert man aber intensiv mit einer vielversprechenden neuen Stoffklasse, den Perovskiten, die deutlich geringere Kosten versprechen. Das sind flächige Kristalle aus Kombinationen häufig vorkommender Elemente, deren photovoltaische Eigenschaften so variiert werden können, dass sie verschiedene Teile des Sonnenspektrums abdecken. Inzwischen hat man gelernt, dünnste Perovskite-Schichten mit einfachen Methoden kostengünstig zu produzieren, und gleichzeitig ihren Wirkungsgrad und ihre Lebensdauer erheblich zu verbessern. Als zusätzliche Schicht auf Siliziumzellen oder als Kombination mehrerer unterschiedlicher Perovskite-Schichten versprechen sie kostengünstigere, effizientere und — je nach Bauart — sogar weniger empfindliche Solarzellen. Die ersten kommerziellen Produktionsanlagen sind im Bau. Im Labor wurden für Silizium-Perovskite-Tandemzellen Wirkungsgrade von 32,5 Prozent erreicht, für Perovskite-Perovskite-Tandemzellen 27,4 Prozent. Inzwischen sollen auch Lebensdauern von 30 Jahrenmöglich sein. (Um die erforderliche Modulfläche noch einmal so stark zu senken, wie zwischen 2010 und 2021, wäre es notwendig, den Modulwirkungsgrad auf 34,5% zu steigern). Die Produktionsanlagen werden weniger kompliziert sein als für Siliziumzellen: eine Fabrik mit einer Kapazität von nur 100 MWp soll Module herstellen können, die in Spanien Stromgestehungskosten von 3 bis 4 ct/kWh ermöglichen und die für die Herstellung erforderliche Energie bereits in einem halben Jahr wieder einbringen.

Der zweite Ansatz für eine deutliche weitere Kostensenkung besteht darin, den erheblichen Aufwand für die mechanischen Strukturen außerhalb der eigentlichen Solarzellen (Glasflächen, Folien und Rahmen der Module, Befestigungssysteme, Gestelle), die mehr als 90% des Gesamtgewichts ausmachen, dadurch zu senken, dass die Solarzellen in ohnehin notwendige Strukturelemente von Bauten aller Art integriert werden. Da spricht man von Building Integrated Photovoltaics (BIPV) oder auch Vehicle Integrated Photovoltaics (VIPV). Das kann man von zwei Seiten angehen. Einerseits kann man angepasste Glasmodule direkt als Außenhaut von Bauwerken aller Art einsetzten — als Elemente von Fassaden und Dächern, Schallschutzwänden, Fahrzeugoberflächen, Straßenbelägen. Dann fallen die Strukturkosten nur einmal an. Andersherum ist die direkte Beschichtung bewährter Bauelemente — wie Fenstergläser, Fassadenelemente aus Glas oder Blech — oder auch Kunststofffolien mit kostengünstigem Dünnschicht-Zellenmaterial ein möglicher Weg, der auch neuartige Strukturen wie leichte Überdachungen aus photovoltaischen Textilien denkbar macht. All dem standen trotz langjähriger Bemühungen komplizierte Zulassungsbedingungen für Baumaterialien, Widerstände der betroffenen Industrien, die Erhitzung fest eingebauter Solarmodule, Schwierigkeiten mit der elektrischen Integration von Modulen unterschiedlicher Größe, Ausrichtung und Verschattung, sowie das Desinteresse der ohnehin schnell wachsenden Modulhersteller entgegen.

Mehrere Entwicklungen lassen hier auf deutliche Fortschritte in den nächsten Jahren hoffen: Niedrigere PV-Kosten und klimapolitische Anforderungen erhöhen den Druck, weniger auffällige PV-Module für Gebäude zu entwickeln. Größere Märkte lassen auch bisherige Nischen so anwachsen, dass kosteneffiziente Massenproduktion möglich wird. Die Temperaturempfindlichkeit der PV-Module wird immer weiter gesenkt, so dass die mechanische Integration einfacher wird. Vor allem aber sind es wieder nanotechnische Innovationen, die neue Produktkonzepte ermöglichen: Kleinteilige Leistungselektronik erlaubt die differenzierte Einbindung ganz unterschiedlicher PV-Flächen. CIGS-Varianten und organische Dünnschichtmaterialien, die sich mit Aufsprayen oder Druckverfahren aufbringen lassen, werden immer effizienter und stabiler. Nicht zuletzt die Perovskite lassen hier hoffen, für die das Aufbringen auf verschiedenartige Flächen, unter anderem auf Textilien, untersucht wird.

Die Doppelnutzung mechanischer Strukturen wird die dezentrale Stromerzeugung an Gebäuden günstiger machen. Damit könnte sich das Verhältnis von „Dachanlagen“ („rooftop“) zu zentralen Kraftwerken zugunsten der dezentralen Erzeugung auf Gebäuden verschieben. Zur Nutzung von Dächern gesellt sich zunehmend die Nutzung von Fassaden, Parkplatzüberdachungen, Schallschutzwänden etc. Auf Dächern montierte PV-Anlagen erfordern schon heute deutlich weniger Stahl und Zement als Freiflächen-Anlagen („ground-mounted PV“), und außerdem keine zusätzlichen Flächen. Wegen des höheren Aufwandes für Montage und Wechselrichter sind sie pro installiertes Kilowatt jedoch teurer. Dass ein erheblicher Teil des auf Gebäuden produzierten Stroms in unmittelbarer Umgebung genutzt werden kann, trägt andererseits zu einem deutlichen Vorteil bei den Leitungskosten des Gesamtsystems bei — was allerdings in einem auf zentrale Produktion ausgerichteten Marktdesign ungenügend berücksichtigt wird. Weltweit machten 2021 Dachanlagen 46% des Zubaus aus, ihr Markt wuchs deutlich schneller als der der Freiflächenanlagen. In China machten die Dachanlagen zum ersten Mal mehr als die Hälfte des Zubaus aus. Kommerzielle Prognosen gehen für die nächsten Jahre jedoch von einem in etwa konstanten Verhältnis aus.

Sowohl die weitere Steigerung des Wirkungsgrades, als auch die Reduktion des Aufwands für mechanische Hilfsstrukturen laufen auf eine weitere Einsparung von Material und Energie pro Leistungseinheit hinaus. Zu einem beträchtlichen Anteil werden sie durch nanotechnische Innovationen ermöglicht.

Photovoltaik eilt der Windenergie davon

Mit diesen Einsparungspotentialen ist die Photovoltaik anderen erneuerbaren Energien deutlich überlegen.

Source: Bloomberg NEF

Bei der Windenergie an Land und auf See ist der Kostenanteil konventioneller materialintensiver Technologien wesentlich höher. Damit eine Windturbine effizienter wird, muss sie vor allem höher werden, um den in größeren Höhen schnelleren Wind zu nutzen. Das aber braucht schwerere Türme. Es sei denn, das Konzept wird grundlegend geändert — mit Drachentechniken hatte man gehofft, die aufwändigen Türme zu vermeiden, aber bisher ist die Rechnung nicht aufgegangen. Die nanotechnischen Innovationspotentiale bei der Windenergie sind recht begrenzt: durch verbesserte Leistungselektronik (siehe nächste Folge dieser Serie) lässt sich nur noch wenig einsparen.

Materials in Wind Energy. European Commission 2020, CC-BY 4.0

Die Angaben in den Lebenszyklusanalysen der verschiedenen Energiequellen unterscheiden sich stark, weil viele verschiedene Parameter eingehen und die Technologien sich insbesondere bei der Photovoltaik schnell entwickeln. Doch aus der Kombination von drei umfangreicheren Analysen der letzten Jahre lassen sich einige sehr aufschlussreiche Aussagen folgern. Vergleicht man Wind an Land mit PV-Freiflächen-Kraftwerken, dann brauchten bei gleicher Stromproduktion schon vor einigen Jahren Windkraftwerke an Land rund fünfmal mehr Zement und anderthalbmal mehr Stahl als PV-Freiflächen-Kraftwerke. Insgesamt — wobei bei den PV-Kraftwerken noch das Glas ins Gewicht fällt — waren Windkraftwerke rund zweieinhalbmal schwerer als PV-Kraftwerke bei gleicher Jahresleistung. Und das ist noch der für die Winkraft vorteilhafteste Vergleich: Offshore-Windkraftwerke brauchen wesentlich mehr Stahl als die hier betrachteten Onshore-Kraftwerke. Und bei PV-Anlagen auf Dächern fallen Stahl und Zement für eine eigene Aufständerung fast ganz weg. Schon vor einigen Jahren (einige der Zahlen stammen von vor 2018) war also die Photovoltaik vom Materialaufwand her gesehen deutlich im Vorteil. Und das verstärkt sich mit der Zeit: die Steigerung der Windturbinen-Leistung von 2 auf 4 MW führte wegen der höheren Türme zu einem Mehrverbrauch von Stahl pro erzeugte Kilowattstunde von 13%. Der Kostenvorteil der Photovoltaik wird sich mit den Jahren also noch verstärken. Umso mehr als die Dekarbonisierung der energieintensiven Polysilizium-Produktion durch die Umstellung von Kohlestrom auf Solarstrom deutlich weniger kostenrelevant sein wird als die Dekarbonisierung von Stahl und Zement. Der in den meisten Studien ermittelte leichte Vorteil der Windkraft bei den CO2-Emissionen dürfte dank der starken Einsparungen beim Silizium und beim Energieverbrauch in der Polysilizium-Produktion inzwischen der Vergangenheit angehören.

Offshore wind farm foundations, Nigg Energy Park 2020, Wikimedia Commons

Damit wird die Windenergie — die als Komplement zur Photovoltaik sehr hilfreich ist, weil der Wind häufig gerade dann bläst, wenn die Sonne nicht scheint — gegenüber der PV weiter an Bedeutung verlieren.

Insgesamt zeigt sich, dass die geringe und weiter abnehmende Materialintensität der Photovoltaik sie gegenüber allen anderen bisher bekannten Energiequellen immer kostengünstiger macht. Sie braucht keinen Brennstoff, keine Wärmeisolation, keine Strahlenabschirmung, keine aufwändigen Sicherheitssysteme — nur Fläche. Interessant ist, dass die Lebenszyklusanalysen zeigen, dass der Flächenbedarf von Solarstrom kleiner ist als der von Kohlestrom. Dabei hinterlässt die Photovoltaik im Vergleich nur sehr geringe Landschaftsschäden durch Bergbau und kaum nennenswerte Abgase und Abfälle. Die Materialien lassen sich weitestgehend recyclen.

Mit dem relativ geringen Aufwand außerhalb des eigentlichen Energie-Wandlungsprozesses in dünnen Halbleiterschichten auf Nanoebene lässt sich auch die erstaunliche Skalierbarkeit der Photovoltaik nach oben und unten erklären. Wenn Wärme (alle Wärmekraftwerke), Radioaktivität oder explosive Prozesse (Atomenergie), schädliche Materialien (Wasserstoff, Ammoniak, Methan), oder schwer erreichbare Orte (Geothermie, Höhenwinde) im Spiel sind, dann machen notwendige Isolationen, Abschirmungen, Sicherheitssysteme, Abdichtungen, Türme oder Bohrungen große Einheiten billiger als kleine. Skalierung bedeutet hier immer größere Einheiten. Bei der Photovoltaik kann Verkleinerung sogar die Einsparung von Strukturelementen mit sich bringen (Gebäudeintegration). Kleine modulare Einheiten ermöglichen standardisierte Verfahren, Automatisierung und Massenproduktion bei hoher Flexibilität und Vielfalt im Einsatz. Inwieweit kleinere, dezentrale Erzeugungseinheiten günstiger sind, hängt von der Funktion im gesamten Versorgungssystem ab. Auf die Bedeutung von verringertem Materialaufwand bzw. einer zunehmenden Entkopplung von Material-, Energie- und Informationsintensität werden wir im Zusammenhang mit den anderen durch die Nanowissenschaften ermöglichten Energietechniken näher eingehen.

Concentrated Solar Power — ein vorhersehbarer Flop

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde daran gearbeitet, Sonnenlicht mit Spiegeln zu konzentrieren, damit eine Flüssigkeit zu erhitzen und diese in einer Dampfmaschine oder Turbine zur Stromerzeugung zu verwenden. Seit den 1990er Jahren wurden die Forschungsaktivitäten zu der inzwischen CSP (Concentrated Solar Power) genannten Technologie in den USA, Spanien und Deutschland verstärkt. Zu den alten Anlagen, die mit großen runden Parabolspiegeln die Strahlung auf einen Punkt konzentrierten, kamen trogförmige Parabolspiegel, die auf ein waagrecht verlaufendes Rohr konzentrierten und dann Turmkonzepte, wo mit Hunderten von elektronisch gesteuerten „Heliostaten“ die Sonneneinstrahlung einer großen Fläche auf einen Receiver in der Turmspitze konzentriert wurde, was höhere Temperaturen erlaubt.

A solar-powered steam engine to pump water on an ostrich farm in Los Angeles, California, around 1901. Wikimedia Commons.

2009, als die Photovoltaik begann konkurrenzfähig zu werden, gründeten auf Initiative der auf den Klimawandel aufmerksam gewordenen Münchner Rück (heute MunichRe) vor allem deutsche Großfirmen die Desertec Industrial Initiative DII. Sie setzte sich zum Ziel, in Nordafrika Strom mit CSP zu produzieren und mit großen Leitungen nach Europa zu transportieren. Als besonderer Vorteil wurde genannt, dass die gewonnene Wärme mit flüssigem Salz mehrere Stunden gespeichert werden kann, was es erlaubt, die Stromproduktion über die Sonnenstunden hinaus auszudehnen.

Siemens schwärmte von der Technologie mit dem Argument, dass der größte Teil der benötigten Technik, nämlich die Gewinnung von Strom aus Wärme, bereits ausgereift und erprobt sei. Aber genau das wurde zum Problem: während um 2010 Strom aus CSP-Kraftwerken und PV-Kraftwerken noch etwa gleichviel kostete, gelang es nicht, die Kosten der CSP-Kraftwerke wesentlich zu senken. Dazu kamen anhaltende Probleme mit empfindlichen Spiegeln und der Nachführmechanik im harten Wüstenklima, sowie mit der Bereitstellung von Kühlwasser. Die CSP hatte kein nanotechnisches Innovationspotential — außer in Turmanlagen bei den Receivern und der elektronischen Steuerung. Das hätte man im Voraus wissen können, aber die beteiligten Firmen waren nicht daran interessiert, die auch dezentral einsetzbare Photovoltaik voranzubringen und hielten an der materialintensiven Wärme-Kraft-Technik fest. Da half auch die massive politische Unterstützung vor allem durch die deutsche Regierung nichts. Jahre später hat die DII umgesteuert und als Erzeugungstechnologien PV-Großkraftwerke und Windenergie propagiert. Heute setzt sie vor allem auf Wasserstoffproduktion und nennt als „strategische Partner“ die saudiarabische ACWA Power, CEPRI/State Grid of China und ThyssenKrupp.

Das Scheitern der CSP gilt für die Erzeugung von Strom aus Sonnenstrahlung. Für die Erzeugung von Nutzwärme für industrielle Prozesse können Parabolspiegel durchaus sinnvoll sein. Die Anlagen müssen aber genügend groß sein, damit sich der Einsatz von Wärmespeichern lohnt. Generell gilt für Wärmeprozesse, dass wegen des günstigeren Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen größere Einheiten günstiger sind, weil relativ weniger Wärme verloren geht.

Solarstrom-Kosten hängen vom Standort ab

Die Kosten des Stroms aus Photovoltaik-Anlagen hängen in ganz anderer Weise vom Standort ab als bisherige Energiequellen. Am wichtigsten sind die folgenden Faktoren:

· Sonneneinstrahlung

· Kapitalkosten

· Bürokratie

· Arbeitskosten

Die Unterschiede in der Sonneneinstrahlung sind gar nicht so groß, wie viele Menschen annehmen: In Abu Dhabi erbringt eine installierte Leistung von einem Kilowatt-Peak in einem Jahr 1.966 Kilowattstunden. In Catania sind es 1.525, in Berlin 1.076, in Edinburgh mit 960 etwa halb so viel wie in Abu Dhabi. Ebenfalls erstaunt viele, wie stark sich die Kosten der Solarkraftwerke in verschiedenen Ländern unterscheiden: in Japan sind sie 2,9-mal so hoch wie in Indien und 2,4-mal so hoch wie in Deutschland. Das ist eindeutig nicht nur auf unterschiedliche Stundenlöhne, sondern vor allem auf das regulatorische Umfeld zurückzuführen.

Breakdown of utility-scale solar PV total installed costs, 2021. IRENA 2022

Kombiniert man die Ertragsdaten mit den Kosten der Kraftwerke, dann ergibt sich für die Investitionskosten (CAPEX) pro erzeugte Kilowattstunde die folgende Reihenfolge. Europäische Standorte stehen in dieser Rangfolge gar nicht so schlecht da, wie viele annehmen.

PV plant investment costs per kWh. Data: IRENA 2022, PV-GIS, ©Schleicher-Tappeser

Außer dem Jahresertrag spielt jedoch noch ein anderer Aspekt der Solareinstrahlung eine wichtige Rolle. Die Abhängigkeit der Stromproduktion von der Sonneneinstrahlung ist das größte Problem der Photovoltaik: mit Speichern, Flexibilität beim Verbrauch, Kompensation durch Windstrom und ggf. Transport über größere Strecken müssen die fluktuierende Stromproduktion und der Stromverbrauch in Einklang gebracht werden. Wir werden in den Schlusskapiteln dieser Serie sehen, welchen Aufwand es dafür braucht. Schwankt die Solarstrahlung wie nahe am Äquator im Wesentlichen nur zwischen Tag und Nacht, dann reicht ein 24-Stunden-Speicher aus, um die schwankende Solareinstrahlung auszugleichen. Gibt es jedoch große saisonale Unterschiede, wie in Nordeuropa, dann muss die Energie zum Ausgleich über wesentlich längere Zeiträume gespeichert werden. Zudem haben starke jahreszeitliche Schwankungen der Sonneneinstrahlung größere Verbrauchsschwankungen für Heizen und Kühlen zur Folge. Die „Saisonalität“ der Sonneneinstrahlung, die als Verhältnis der PV-Erträge zwischen dem wärmsten und dem kältesten Monat angegeben wird, hat also zusätzlich zum Gesamt-Jahres-Ertrag erheblichen Einfluss auf die Kosten einer bedarfsdeckenden Stromversorgung.

Seasonality and intensity of solar radiation will play a key role in the future location of energy intensive industries. ©WorldBank

Diese natürlichen Einflussfaktoren führen zu einer erheblichen Verschiebung der komparativen Kostenvorteile in der internationalen Wirtschaft. Waren die Kohlevorkommen am Anfang der Industrialisierung mit entscheidend für die Herausbildung industrieller Zentren, so werden in Zukunft günstige Bedingungen für die zunehmend wichtigste primäre Energiequelle, die Sonnenenergie, wichtige Kostenvorteile für energieintensive Industrien darstellen. Welche Bedeutung das hat, werden wir erst am Ende dieser Serie im Zusammenhang mit der Entwicklung anderer energie-relevanter Technologien abschätzen können.

Photovoltaik wird die künftige Stromversorgung dominieren

Die großen und sich immer stärker auswirkenden Vorteile der Photovoltaik werden dazu führen, dass Solarstrom die zukünftige Energieversorgung immer mehr dominieren wird. Als Vorteile lassen sich festhalten:

1. PV Ist extrem zuverlässig: Keine beweglichen Teile, kein Kraftstoff, sehr geringe Risiken, im Wesentlichen keine Wartung während 30 Jahren

2. PV kann in Massenproduktion hergestellt werden: Klassische Serienvorteile und Lernkurven

3. Innovation auf der Nanoebene ist schnell und hält an: Kernprozess mit hohem Potenzial, einfache Hilfsstrukturen, Miniaturisierung, sinkender Materialverbrauch

4. PV ist extrem skalierbar, nach oben und unten: Energieumwandlung auf Nanoebene, keine Wärmeprozesse, wenig zusätzlicher Aufwand

5. PV kann schnell eingesetzt werden: Innovationszyklen sind zehnmal kürzer als bei konventioneller Energie

Die Stromerzeugungskosten werden unschlagbar günstig. Dem steht aber ein gewichtiger Nachteil entgegen: Strom kann nur dann erzeugt werden, wenn Sonnenlicht vorhanden ist. Deshalb sind zusätzliche Technologien notwendig, um Solarstrom zur wichtigsten Quelle für unsere Energieversorgung zu machen. Das ist das Thema der nächsten Folgen dieser Serie.

Die Technologien sind vorhanden. Aber die Umstellung erfordert einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel sowie einen Umbau von Institutionen und Entscheidungsmechanismen, die mit der alten fossilen Energieversorgung gewachsen sind. Angesichts der Klimakrise muss das schneller gehen als alle bisherigen technischen Umwälzungen. Deshalb ist es dringend notwendig, dass sich alle, die als Verbraucher, Staatsbürger, Investoren oder sonstige Entscheidungsträger mit der Energieversorgung zu tun haben, mit den Grundzügen der neuen Möglichkeiten vertraut machen.

First published on substack.com on 28 January 2023

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R Schleicher-Tappeser

SUSTAINABLE STRATEGIES. Writes about Technology and Society: Based in Berlin. Five decades of experience in energy, transport, climate, innovation policies.