Herr Ober, ein Audit bitte

Sebastian Häusler
5 min readMay 20, 2017

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Als Freiberufler habe ich das Vergnügen, für verschiedene Kunden arbeiten zu dürfen. Eine Online-Agentur kam vor kurzem auf mich zu und wir vereinbarten, dass ich sie bei einem größeren Audit-Projekt unterstütze. In der LV “Content Audits” von Lisa Moore haben wir im Studiengang Content Strategy Jahrgang 2017 schon theoretisch viel darüber gehört und praktisch erste Abläufe im Rahmen eines Studienprojektes durchexerziert. Mit grundlegendem Rüstzeug von der FH ausgetattet und einschlägigen Fachbüchern im Rucksack, machte ich mich also auf, das erste dicke Kundenprojekt anzugehen und wertvolle Praxiserfahrungen zu sammeln.

Ein Audit bringt Licht ins Dunkel

Was sind Audits und warum sind sie sinnvoll?

Komplett neue Webseiten von gibt es heutzutage eigentlich nicht mehr. Jedes bestehende Unternehmen hat eine eigene Webseite, die es mitunter seit vielen Jahren gibt, immer weiter befüllt wurde und dementsprechend voluminös ist. Marketingchefs, Abteilungsleiter und Mitarbeiter wechseln, die Website jedoch bleibt. Und hier liegt das Problem.

Content-Strategin Ann Rockley hat auf der Confab 2012 treffend eine Website mit einem Garten verglichen. Wie ein Garten, benötigt auch eine Website regelmäßige Pflege und Fürsorge. Um zu blühen, muss jede Seite regelmäßig gewässert und Unkraut beseitigt werden. Content Governance hilft hier herauszufinden, welche Bereiche Aufmerksamkeit und Pflege benötigen um eine Umgebung zu schaffen, wo Inhalte blühen und Früchte tragen können. Ein Audit gibt Verantwortlichen und Stakeholdern also einen Überblick darüber, welche Inhalte in voller Blüte stehen, wo gewässert und wo Unkraut entfernt werden muss.

Welche Ziele hat das Audit?

Damit ein Audit effektiv und aussagekräftig ist, müssen wie bei jedem Projekt zuerst Ziele definiert werden. Nur so können Fragestellungen und Bewertungskriterien zielführend entwickelt werden. Dazu kann ein Goal-Statement hilfreich sein, das ähnlich wie ein Mission Statement aufgebaut ist. Ein Goal-Statement könnte z.B. lauten:

Wir möchten redundante Inhalte entfernen, eine konsistente Ansprache gewährleisten, klare Calls-to-actions etablieren und den Kaufprozess vereinfachen.

oder

Wir möchten einen Überblick über unsere Content-Landschaft gewinnen, herausfinden, welche Inhalte in den oberen 50% des Data-Traffics liegen und den Registrierungsprozess auf drei Schritte vereinfachen.

1. Die Bestandsaufnahme: das Content-Inventory

Das Inventory ist eine quantitative, faktenbasierte Zusammenstellung und Bewertung aller verfügbaren Inhalte einer Webseite. (Oder eines Bereiches, abhängig vom jeweiligen Projektrahmen.)

Nehmen wir beispielsweise ein Handelsunternehmen: die Vertriebsmitarbeiter müssen wissen, was sich gut verkauft und was nicht, was nachbestellt werden muss, welche Produkte zu viel im Lager liegen und ob sich ein Produkt nicht verkauft, weil es nicht optimal angeboten wird.

Ein Inventory gibt also erst einmal einen Überblick darüber, wie viele Unterseiten eine Website hat, welche aktell bzw. veraltet sind, welche SEO-technisch mit Metatags gepflegt sind oder was für Seiten sehr wenige Zugriffszahlen aufweisen.

2. Die qualitative Bewertung: die Analyse

Nachdem im Inventory zutage gefördert wurde, was existiert, kann eben dieses nun anhand eines qualitativen Kriterienkatalogs bewertet werden. Der Kriterienkatalog muss in Einklang mit den gesetzten Zielen entwickelt werden, mögliche Kriterien sind z.B.:

  • Welche Zielgruppe spricht dieser Inhalt an?
  • Wie ist der Status des Inhalts? (Redundant/Outdated/Trivial)
  • Wie ist der Informationsgehalt des Inhalts? (Hoch, mittel, niedrig)
  • Wie ist die Qualität des Inhalts? (Ist der Inhalt klar und einfach zu lesen bzw. zu verstehen? Ist die Tonalität und Sprachqualität angemessen?)

Ein Audit sagt den Verantwortlichen, was mit den Inhalten konkret passieren muss, um sie in Einklang mit der Markenstandards, Textstandards oder anderen, spezifischen Standards zu bringen, die eine Organisation beschlossen hat. Ein Audit ebnet den Weg, dass Inhalte die Ziele einer Organisation erfüllen und gleichzeitig den Nutzer oder Kunden bestmöglich bedienen.

3. Was herauskommt: die Findings

Während ich bei diesem Projekt den Kriterienkatalog entwickelt habe und die Koordination übernahm, waren 4 Auditoren für die eigentliche Bewertung der rund insgesamt 800 HTML-Seiten zuständig. Nach Abschluss landeten bei mir also große Excel-Listen, die ich nun zu verständlichen Ergebnissen zusammenzufassen hatte. Glücklicherweise konnte mir Lisa Moore’s Vorlesung über “Presenting your audits” wertvolle Informationen zu Inhalten, Aufbau und Struktur eines Findings-Dokumentes geben. Die Herausforderung besteht hierbei darin, die Findings so aufzubereiten, dass die jeweiligen Stakeholder den maximalen Nutzen daraus ziehen können. Der Detailgrad und die Ausarbeitung ist abhängig von der Rolle der Stakeholder. Ich präsentierte meine Findings vor der gesammelten Marketing-Mannschaft und entschied mich daher, einen generellen Überblick über die gesamte Webseite mit Pie-Charts zu realisieren, folgend im einzelnen jeden Webseiten-Bereich näher zu beleuchten und stark mit Beispielen zu arbeiten. So konnten sich die Zuhörer ein konkretes Bild machen und hatten echte Anhaltspunkte, wo sie ansetzen können, um die Webseite zu verbessern. Für eine beispielsweise eher technisch orientierte Zuhörerschaft könnte eine Ausarbeitung mit mehr Schwerpunkten auf Code, Programmiersprachen und SEO-Insights mehr Sinn machen.

Fazit: meine persönlichen Findings

Während für den Kunden die Ergebnisse des Audits an erster Stelle stehen, habe ich für mich persönlich viele Erkenntnisse über den Audit-Prozess und die Ausarbeitung gewonnen. Hier meine Top-Tipps für andere Auditoren:

  1. Die Kriterien-Listen genau ausarbeiten
    Am besten konsequent vordefinierte Werte angeben, wie Felder in Listen auszufüllen sind (z.B. hoch, mittel, niedrig), u.U. auch mit Dropdowns in Excel arbeiten. Werden Felder leer gelassen, tragen die Auditoren unterschiedliche Werte ein, was die Auswertung und Filterung im Nachhinein ungemein erschwert.
  2. Personas zu Hilfe nehmen
    Um zu prüfen, ob ein Inhalt für eine bestimmte Zielgruppe relevant ist, braucht ein Auditor tatsächliches Wissen über die Zielgruppe. Eine Persona hilft dem Auditor, sich in eine Zielgruppe hineindenken und Entscheidungen nachvollziehen zu können.
  3. Muster erkennen
    Bei der Analyse der großen Excel-Listen werden bestimmte Dinge immer wieder genannt. Relativ schnell werden Muster erkennbar. Hier ist es ratsam, sofort eine neue Spalte einzufügen und dieses Muster festzuhalten.
  4. Beispiele tracken
    Konkrete Beispiele sind für den Findings-Report Gold wert. Deshalb Beispiele sofort mit Link bzw. mit Screenshot tracken und in die Liste mit einpflegen.
  5. Empfehlungen formulieren und Lösungen andenken
    Für den Kunden ist es wichtig zu wissen, was nicht optimal ist. Aber ebenso wichtig zu wissen, wie das Problem behoben werden kann. Daher sollten konkrete Empfehlungen zur Problemlösung auf jeden Fall Bestandteil des Audits sein. So hat der Kunde echte Hilfestellung, und nebenbei hat der Content-Stratege seine Problemlösungsfähigkeit und innovative, mitunter abstrakte Denke unter Beweis gestellt und sich so gut positioniert.

Das Unglaubliche an so einem Audit ist, dass ich als Audit-Verantwortlicher nun tatsächlich derjenige bin, der sich am allerbesten mit der Webseite und den Inhalten darauf auskennt. Besser als der Kunde selbst. Das bringt große Verantwortung mit sich. Aber mit diesem Wissen kann ich als Content-Stratege diesem Kunden eben auch die beste Lösung anbieten. Eine Lösung, auf die man ohne die Durchführung eines Audits niemals gekommen wäre. Wenn man sich so intensiv mit den Daten, Strukturen und Inhalten eines Unternehmens beschäftigt, kommen Lösungansätze von ganz allein, sie werden ein Stück weit offensichtlich und klar. Aber eben nur für diejenigen, wo alle Daten zusammenlaufen: den Content-Strategen.

Also auf zum Wässern, Unkraut jäten und Umgraben!

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Sebastian Häusler

Web-guy, currently working on a Master’s degree in Content Strategy. Food lover and connaisseur of pathetic 80s Hair Metal.