Verkehrsnachrichten im Radio?

Stephan Ebmeyer
5 min readNov 10, 2017

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Jetzt mal unter uns: Wollt Ihr noch Verkehrsnachrichten im Radio hören?
Ich nicht. Meistens jedenfalls.

Das hat mehrere Gründe:

Quelle: https://www.pexels.com/photo/bmw-car-navigation-driving-13781/

In erster Linie halte ich das Durchsagen im linearen Radio für nicht mehr zeitgemäß. Denn diejenigen, die auf aktuellste, genaueste Verkehrsnachrichten angewiesen sind, nutzen höchstwahrscheinlich sowieso mindestens ein gutes Navi und/oder Smartphone, was deutlich besser ist (aber dazu später mehr).

Quelle: https://www.pexels.com/photo/smartphone-car-technology-phone-33488/

Außerdem nutzt mir als Nutzer die Durchsage nur dann etwas, wenn ich sie auch gesagt bekomme — sprich: Wenn ich zur richtigen Zeit Auto fahre oder vorher Radio gehört habe. Alle 30 Minuten. Oder sogar seltener. (Wenn ich hingegen zu Hause bin, bringt mir die Info höchstens etwas, sollte ich gerade auf dem Weg zur Arbeit oder sonstwo hin sein.)

Und schließlich sind mir die Informationen nicht personalisiert genug. Mich interessiert meine aktuelle Strecke — nicht mehr und nicht weniger. Doch genau das vermag der Verkehrsfunk oft nicht abzubilden.

Das hat mich zu einer wenig inspirierten, spontanen Twitter-Umfrage gebracht:

Eine Spontanumfrage auf Twitter (die natürlich null statistische Aussagekraft hat)

Obwohl die einfache Mehrheit klar bei den Verteidigern des Verkehrsfunks liegt (ich zähle die 12%, denen es egal ist, einfach mal dazu), sind doch 42 % dagegen. Ich kann also nicht völlig falsch liegen, mit meinem Anliegen.

Die Zukunft sieht aber eher anders aus, denke ich:

Noch haben sich Systeme wie Apples Car Play oder Android Auto kaum durchgesetzt. Mich persönlich haben sie auch noch nicht restlos überzeugt, denn zumindest bei den deutschen Premiumherstellern sind die integrierten Systeme sehr viel besser schneller und zuverlässiger.

Aber grundsätzlich halte ich das Integrieren des Smartphones ins Auto bzw. das Abbilden des Displays im Auto für die überlegene Technologie. Schließlich werden die meisten Menschen sich öfter ein neues Smartphone inklusive neuer Software zulegen — als ein neues Auto.

Quelle: https://www.pexels.com/photo/car-music-audio-controls-3102/

Ich kann mich noch gut erinnern, dass das Autoradio meines Vaters vor mehr als 20 Jahren Verkehrsnachrichten aufnehmen konnte. Super praktisch. Allerdings nicht während der Fahrt und nur, wenn man es vorher so eingestellt hatte. Das war innovativ. Aber leider alles andere als intuitiv. (Diese Funktion kannten vermutlich nur Nerds wie ich, die die Betriebsanleitung intensiv studiert hatten.) Ein paar simple Knöpfe für Play/Pause Vor- und Zurückspulen wären besser gewesen. Und wären es IMHO auch heute immer noch.

Momentan funktionieren die meisten Navigationssysteme noch immer mit dem so genannten TMC (Traffic Message Channel). Das sind Daten, die über das normale UKW-Signal nichthörbar übertragen werden. Das Autoradio bzw. das Navi können das Signal hören und aufbereiten — und zwar auch dann, wenn gerade keine Verkehrsnachrichten im Radio zu hören sind.

Das Problem bei dieser Technik ist in meinen Augen, dass die Daten hauptsächlich von Polizei, Feuerwehr, Automobilclubs und Anrufern der Radiosender stammen.

Zu oft stand ich persönlich schon in Staus (etwa auf der A8), die noch nicht oder nicht mehr im Verkehrsfunk durchgesagt, bzw. über TMC übertragen worden sind. Auch nicht besser: Wenn mein Navi mich vor einem Stau warnt, eine Umleitung vorschlägt und ich trotzdem mit 120 km/h an der entsprechenden Stelle auf der Autobahn fahren kann. Oder ich auf der zeitraubenden Umgehungsstrecke sehe: Der Stau ist aufgelöst.
Beides: extrem nervig.

Quelle: https://www.pexels.com/photo/abstract-art-blur-bright-373543/

Für viel besser, genauer und schneller halte ich die Daten der Nutzer. Der Menschen, die tatsächlich gerade Auto fahren. (Ja, ich weiß. Datenschutz ist ein Riesenthema. Zu Recht. Aber man kann auch Daten nutzen, statt sie immer nur zu schützen.)

Apple und Google bieten solche Echzeitinformationen längst an. Auch deutsche Premiumautohersteller haben so etwas in ihre Fahrzeuge integriert. Diese Systeme arbeiten längst noch nicht perfekt (was auch an der Anzahl der Nutzer liegen dürfte), sind aber für mich um Klassen besser als etwa TMC.

Schon allein deshalb, weil sie auch Bundes- und Landesstraßen berücksichtigen. Daher ein Beispiel aus meinem persönlichen Pendlerleben (natürlich nicht repräsentativ):

Ich fahre jeden Tag über Autobahnen und Bundesstraßen zur Arbeit und zurück. Auf den Autobahnen konnte ich mich meistens auf die Informationen über TMC verlassen. Bei den Bundesstraßen jedoch kaum. Denn dort wurden nur äußerst selten Staus angezeigt, obwohl es die dort fast täglich gibt. Schlimmer: Wenn mal ein Stau angezeigt wurde, war die Strecke entweder so hoffnungslos überlastet, dass es kein Entrinnen gab oder — was noch viel nerviger ist — der Stau hatte sich schon längst aufgelöst.
Beides: extrem nervig.

Sowohl mein Smartphone als auch mein neues Navi im Auto mit Internetanbindung sind da einen Schritt weiter: Das Navi erkennt die Verkehrslage anhand anderer Autos, die gerade dort unterwegs sind. Wie gesagt, nicht perfekt, aber gefühlt zu mindestens 95 % akkurat. Auf alle Fälle deutlich aussagekräftiger. Mein Handy weiß das genauso. Es kann mir sogar empfehlen, wann ich am besten fahren sollte. So muss das sein.

Diesen Grad an Personalisierung kann ein lineares Radio natürlich nicht erreichen. Das ist mir klar.

Aber gerade deshalb sollte man vielleicht mal darüber nachdenken, ob das alles noch zeitgemäß ist, obwohl die Medienforschung etwas anderes sagt.

Ich bin mir auch darüber im Klaren, dass ich mit meinen Ansichten manche Menschen verstören mag und sehr wahrscheinlich bin ich damit noch viel zu früh dran. Mir geht es auch nicht um die Macherperspektive. Mich treibt meine eigene Perspektive — als Nutzer. Als Radioliebhaber.

Aber ich mache mir lieber jetzt schon Gedanken um die Zukunft.

Und: Ich bin der Auffassung, dass es besser ist, nicht nichts in Frage zu stellen.

Wen das noch nicht überzeugt, dem sei Folgendes gesagt:

Funfact:

Früher standen Verkehrsnachrichten in der Zeitung. Verrückt, oder?

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Stephan Ebmeyer

Berufs-Nerd (ARD Inlandskorrespondent: @tagesschau, #kurzerklärt, @tagesthemen, @ardmoma, @mittagsmagazin, @LSaktuellRP) Snap: nudodger | Insta: dodgerator