#DigitaleKirche: Das Bedürfnis nach Vertrauen durch Verifikation

Stefan Hartelt
4 min readJun 5, 2017

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Warum versteht mich eigentlich niemand? Oder habe ich es nur bisher noch nicht deutlich genug ausgesprochen? Bereits nach der EKD-Synode 2014, bei der ich wirklich große Hoffnung auf einen konkreten Aufbruch hegte, hatte ich den Eindruck, nicht wirklich verstanden worden zu sein mit dem, was “wir” Onliner denn eigentlich brauchen. Als dann die offizielle Facebook-Seite evangelisch.de endlich meine ehrenamtlich betriebene Seite in der statistischen “Größe” überholte, weckte dies eine echte Hoffnung, dass dies der Aufbruch in eine neue Dimension sein könnte. Doch als ich dann meine Masterarbeit zum Thema “Religionspädagogische Arbeit in sozialen Medien” verfasste, stellte sich bei der Erhebung erneut eine gewisse Frustration ein. Weshalb interessieren sich so wenige bei der Institution Kirche eigentlich dafür, was “die Menschen da draußen” eigentlich brauchen? Gepaart mit einem veralteten Verständnis von einem Paralleluniversium der sozialen Medien und der damit verbundenen Umkehrung des Sender-Empfänger-Prinzips ist das Mißverständnis schon vorprogrammiert. Immer wieder, so auch heute, lese ich Artikel zur “Digitalen Kirche” und dieser “neuen Welt” der sozialen Medien, die alles auf den Kopf stellen:

“Dieser Raum gehorcht neuen Gesetzen: er ist dezentral organisiert, unabhängig und offen. Keine übergeordnete Institution hat ihn konzipiert […] Es war schnell klar, dass diese Organisationsform auch neue Machtverhältnisse hervorbringen würde. Etablierte Institutionen würden in diesem Raum viel weniger eine Rolle spielen, da sich neue Akteure finden würden, die den Diskurs im Digitalen bestimmen […], mit dem Web 2.0 dann die breite Masse über die sozialen Netzwerke”

Aber funktioniert das wirklich so? Ist es denn nicht eher so, dass diese breite Masse in den sozialen Netzwerken doch auch nur die stillen Zuschauer sind, die gemächlich mal ein “Like” absetzen oder bei Instagram oder Twitter auf das Herzchen klicken? Seit einigen Jahren kristallisiert sich immer stärker heraus, dass nur noch die echten Extremen konkrete Aktivitäten befördern können: Hate-Speech ist ein logisches Resultat aus immer heftigeren, provozierenden Clickbait-Meldungen und Unverschämtheiten, die gegeneinander um die Aufmerksamkeit in den News-Streams buhlen. Das Klima in den sozialen Netzwerken ist durch Konkurrenzkampf und Wachstumsdrang rauher geworden — auch für die kirchlich Engagierten, seien es die Social-Media-Manager oder Ehrenamtlichen.

Man kann sich dabei dann nicht darauf zurückziehen, dass es ja schon viele Aktivitäten gibt und das “von unten” kommen muss (wie oben erwähnt funktioniert das nicht). Auch die Argumentation, Kirche ist doch schon präsent durch die vielen Pfarrer und Pfarrerinnen, Ehrenamtlichen und das “Priestertum aller Gläubigen”, die sich im Netz über ihren Glauben austauschen, funktioniert nicht. Weshalb? Weil es nicht mehr darum geht, ob “die Menschen da draußen” sich online über ihre Religion austauschen oder informieren. Sondern es geht eben auch darum, ob wirklich vertrauensvolle Informationen vorliegen: “Ist das Posting echt?” — Wenn Facebook darüber nachdenkt, Satire zu markieren und Fake-News zu entlarven, muss die Institution Kirche es schaffen, “ihren Laden” zusammenzuhalten. Da geht es also wieder darum, Hierarchien zu schaffen, weil die Menschen das Bedürfnis danach verspüren — und Hannes Leitlein liegt falsch, wenn er schreibt:

In der digitalisierten Welt gibt es keine Trennung zwischen Sendern und Empfängern, keine Hierarchien, keine Orthodoxie, alle sind gleich und gleichermaßen Kirche — ein sehr protestantischer Gedanke, der die Digitalisierung zu einer Revolution im protestantischen Geiste macht […]

Für “die Menschen da draußen” gibt es eben gerade ein Bedürfnis nach einer Hierarchie, bei der nicht alle gleich sind: Die Einen wissen etwas und die Anderen Vertrauen auf diesen Input. Die Einen geben, die Anderen nehmen. Und für diese Menschen sind die sozialen Medien Teil der einen Realität — und nicht die Online-Welt ein Gegensatz zur “echten” Welt. Und diese Menschen haben das Bedürfnis nach mehr Verlässlichkeit: Vertrauen in Informationen, Vertrauen in Institutionen. Das ist eine tolle Chance für die Kirchen, die ein solches Vertrauen verdient haben — aber auch ermöglichen müssen! Vertrauen durch Verifikation ist aber auch verbunden mit der Finanzierung von vertrauenswürdigen Angeboten wie evangelisch.de. Und dann wird die #DigitaleKirche nämlich wirklich “the next big thing”, eine Kanalisierung von verifizierter Vielfalt, betreutes Posten, ein Netzwerk der Kontrastgesellschaft Kirche.

Dann geht es nämlich nicht mehr darum, Erklärungen dafür zu suchen, weshalb die Onliner eigentlich immer wieder der Kirche vorwerfen, den digitalen Wandel verschlafen zu haben oder diesen nicht angemessen zu unterstützen. Und auch nicht mehr darum, sich zu fragen, wer jetzt Recht hat mit seiner Kritik oder der Verteidigung der Kirche im Netz und wer bei #DigitaleKirche denn überhaupt gemeint sei und ob das überhaupt die Aufgabe der Hauptamtlichen sei oder nicht. Christoph Breit von der ELKB hat zwar schon Recht damit, wenn er feststellt:

Bei den meisten spüre ich aber die Begeisterung für die Sache. Das Unbehagen, das alles doch so langsam geht. Digitale Kirche gibt es schon.

Doch damit die Bedürfnisse der Menschen “da draußen” auch wirklich befriedigt werden, muss man neue Grenzen ziehen, die man in der “alten Welt” noch mit Ordination und Vokation umsetzen konnte, um die Legitimation und damit das Vertrauen durch Verifikation zu gewährleisten. Dass es dadurch wieder eine Hierarchie gibt, liegt in der Natur der Sache — doch dass die Strukturen in den sozialen Medien die “Machtverhältnisse” gar nicht so sehr auf die “breite Masse” verschoben haben, haben wir Pioniere der ersten Jahre schon seit geraumer Zeit erkannt. Die Menschen habe das Bedürfnis, auch online Halt und Orientierung zu bekommen, aber nicht nur von privaten Einzelpersonen oder schlecht überprüfbaren Hauptamtlichen Ansprechpartnern, sondern von verfizierten Vertrauenspersonen, die für eine repräsentative Institution mit solidem Fundament sprechen. Stabilität, Zuverlässigkeit, Authentizität, Vertrauen — das sind die Stichworte, die durch die aktuelle Tendenz zu unüberschaubarer Vielfalt mit Tendenz zum Chaos immer wichtiger werden und von der Kirche geboten werden könn(t)en…

Immer wieder bekomme ich als Facebook-Seite “Evangelisch” Zuschriften von Menschen, die sich gerne an “die Evangelische Kirche” wenden möchten. Für die Institution Kirche wäre all das oben beschriebene gar kein so großer Aufwand, es bedarf lediglich der Strukturierung der bereits vorhandenen Angebote. Es braucht ein öffentlich sichtbares Netzwerk, die Finanzierung von relevanten Knotenpunkten dieses Netzwerks, eine klare Hierarchie und schnelle Entscheidungswege. Der Vorstoß der EKD-Jugenddeligierten geht da schon in die richtige Richtung. Hoffentlich werde ich in den nächsten Monaten nicht wieder frustriert feststellen, dass das alles mal wieder zu hohe Erwartungen waren. Aber vielleicht wird ja jetzt was draus, packen wir’s an!

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