Stellungnahme von SudanUprising Germany bezüglich Wiederaufnahme und Ausbau der bilateralen politischen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Sudan

SudanUprising Germany
25 min readApr 27, 2020

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SudanUprising Germany

SudanUprising@protonmail.com

Berlin, den 25. April 2020

Einleitung und Zusammenfassung

SudanUprising Germany ist eine Aktivist*innenplattform, die von sudanesischen und sudanesisch-deutschen Aktivist*innen kurz nach Beginn der Revolution im Sudan im Dezember 2018 gegründet wurde. Wir nutzen diese Plattform, um die revolutionären Forderungen nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit im Sudan zu unterstützen, um die sudanesische Revolution solidarisch mit emanzipatorischen Kämpfen in Europa, Afrika und weltweit zu verbinden und eine Dekolonisierung der europäischen Außenpolitik in Afrika und im “Nahen Osten” zu fordern.

Am 11. Februar 2020 verabschiedete der Deutsche Bundestag in Berlin einen von den CDU/CSU und SPD-Fraktionen getragenen Antrag zur Wiederaufnahme und zum Ausbau der bilateralen politischen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit dem Sudan. Die politische Zusammenarbeit war vom Deutschen Bundestag am 15. Juni 1989 als Reaktion auf den Bürgerkrieg im Sudan ausgesetzt worden, zwei Wochen bevor Omar al-Baschir und das Militär mit Hilfe der Nationalen Islamischen Front durch einen Putsch die Macht übernahmen. Die Covid-19-Pandemie hat die Zukunft vieler politischer Entscheidungen, die Haushaltsmittel erfordern, vorerst in Frage gestellt, sowohl auf Ebene der Europäischen Union (EU) als auch im Sudan. Sicher ist jedoch, dass Deutschland beabsichtigt, ein wichtiger Akteur beim Übergang im Sudan zu sein. Während wir mit der Bundesregierung darin übereinstimmen, dass die jüngste sudanesische Revolution eine historische Chance bietet, die Menschenrechtslage im Sudan dramatisch zu verbessern, stellen wir ihre Darstellung und ihr Handeln in Bezug auf unser Land an mehreren Fronten in Frage.

Dies ist eine Stellungnahme von SudanUprising Germany zur Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe und zum Antrag der Regierungskoalition (CDU/CSU und SPD), auf dem sie beruht. Aus dem parlamentarischen Antrag der Regierungskoalition geht klar hervor, dass die Koalition die sudanesische Revolution und die vielen sich überschneidenden Missstände nur auf wirtschaftliche Verlangen reduziert. Eine derart vereinfachte Analyse verharmlost die Bedeutung der Forderung nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit, für die sich die sudanesischen Demonstrant*innen erhoben und so viel geopfert haben. Wir sehen diese Forderungen so wie sudanesische Revolutionär*innen — in all ihren sozialen, rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Dimensionen.

Wir stellen auch fest, dass die deutsche Regierung die Forces for Freedom and Change (FFC) gerne mit den Demonstrant*innen verwechselt, die die Revolution vorangetrieben haben. Bei diesen Demonstrant*innen handelt es sich um die Millionen Sudanes*innen, die sich an Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks und anderen Formen gewaltlosen zivilen Ungehorsams beteiligten. Die FFC hingegen sind eine Gruppe oppositioneller politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und einiger bewaffneter Bewegungen, die sich unter dem Banner der Erklärung für Freiheit und Wandel zusammengeschlossen haben. Es sind die Demonstrant*innen, die den FFC die Legitimität verleihen, die revolutionären Forderungen auf politischer Ebene zu vertreten. Das bedeutet, dass die Macht von den Demonstrant*innen auf den FFC ausgeht und nicht umgekehrt. Diesen Punkt zu verstehen, hat wichtige Auswirkungen für diejenigen, die behaupten, sich an die Seite der Sudanes*innen zu stellen. Nicht zuletzt bedeutet dies, dass jede Politik, die versucht, die Forderungen der Demonstrant*innen zu untergraben, letztlich scheitern wird, auch wenn sie durch zivile Vertreter*innen in der derzeitigen Übergangsregierung des Sudan umgesetzt wird.

Der Vorschlag von CDU/CSU und SPD legt zudem nahe, dass nur die Milizen an der gewaltsamen und tödlichen Auflösung des Sitzstreiks in Khartum am 3. Juni 2019 beteiligt waren und dass das Militär keine Rolle gespielt hat. Dies wird durch den folgenden Satz belegt: “Hierzu waren insbesondere die Milizen nicht sofort bereit. Sie eskalierten ihrerseits am 3. Juni 2019 mit der gewaltsamen Räumung des Hauptprotestlagers”. Woher weiß die Bundesregierung, dass nur die Milizen gewalttätig waren, obwohl es zahlreiche Augenzeugen gibt, die neben den Milizen auch das Militär und die nationalen Sicherheits- und Nachrichtendienste bei dem Massaker identifizierten? Wie können sich CDU/CSU und SPD so sicher sein, wenn das von der sudanesischen Übergangsregierung zur Untersuchung des Angriffs gebildete Komitee seine Arbeit noch nicht abgeschlossen und seine Ergebnisse noch nicht veröffentlicht hat?

Am meisten beunruhigt uns in der Erzählung der deutschen Regierung über das Massaker vom 3. Juni, dass sie die hauptverantwortliche Miliz, die Rapid Support Forces(RSF), nicht als die Gruppe nennt, die von vielen Demonstranten als Hauptverantwortlicher für die Gewalt gegen sie beschuldigt wird. Wie inzwischen auch außerhalb des Sudans bekannt ist, ist die RSF unter der Führung von Mohammad Hamdan Dagalo (“Hemedti”) ein Nachfolger der völkermörderischen Janjaweed-Milizen, denen vorgeworfen wird, in Darfur Völkermord begangen zu haben. Wir halten es für unehrlich, dass die Erzählung der deutschen Regierung es versäumt, das deutsche Volk über die Rolle zu informieren, die die von Deutschland geführte Europäische Union beim Wachstum und der Bereicherung der RSF-Janjaweed-Milizen gespielt hat. Die meisten Deutschen sind sich nicht bewusst, dass ihre Regierung jahrelang mit dem al-Bashir-Regime im Rahmen des “Khartum-Prozesses” kollaborierte, um dessen Agenda zur Migrationskontrolle am Horn von Afrika voranzubringen. Deutschland und die EU schlossen nach Beginn der Revolution immer noch Verträge ab, um ihre unethische Agenda voranzutreiben. Dabei verletzen sie nicht nur die Menschenrechte von Migranten und Flüchtlingen, sondern bedrohen damit den gesamten Übergang zur Demokratie im Sudan.

Die beinahe zwanghafte Besessenheit der deutschen Regierung von “Stabilität” im Sudan und in der Region bedeutet im Wesentlichen, sich politisch darauf zu konzentrieren, dort Regierungsformen zu unterstützen und zu fördern, die den deutschen und europäischen Interessen am besten dienen können. Was die Sudanes*innen jedoch fordern, sind Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und die Fähigkeit, ihre Zukunft selbst zu bestimmen — nur die Erfüllung dieser Forderungen kann zu einer gerechten und dauerhaften Stabilität führen.

Seit der Machtübernahme der sudanesischen Übergangsregierung im August 2019 wiederholt die Bundesregierung gern, wie es die Regierungskoalition in ihrem Vorschlag auch tut, dass sie die Revolution im Sudan begrüßte. Doch keine ihrer Aktionen in den Momenten, in denen das sudanesische Volk am dringendsten Unterstützung benötigte, zeugt von einer solchen Begrüßung. Bis Anfang Juni 2019, als das Massaker beim Sit-in in Khartum stattfand, hatte die Bundesregierung ihre Zusammenarbeit mit dem diktatorischen al-Bashir-Regime nicht ausgesetzt. In den Monaten zuvor war es in Darfur, Kordofan, Khartum und anderswo zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Demonstrant*innen gekommen. Dies war offensichtlich kein ausreichender Grund für Deutschland, seine Zusammenarbeit mit dem Militär zu beenden.

Die Bundesregierung ist auch stolz auf ihre Initiative zu den “Friends of Sudan”, einer Gruppe von Ländern, die Deutschland im Juni 2019 eingeladen hat, um die Reaktionen auf die Ereignisse im Sudan zu koordinieren. Seit August 2019 hat sich diese Gruppe der “Friends of Sudan” erweitert, trifft sich regelmäßig und scheint sich zu einer wichtigen Plattform für Politk bezüglich des Sudans zu entwickeln. Ihr gehören Länder wie Saudi-Arabien und Ägypten an, die sich aktiv für die Untergrabung der sudanesischen Revolution und die Unterstützung des al-Bashir-Regimes eingesetzt haben. Dazu gehören auch imperialistische Länder wie die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Deutschland selbst, die versuchen, in der Region am Horn von Afrika verschiedene politische und wirtschaftliche Vorteile zu erzielen, von der Migrationskontrolle bis hin zu Ölgeschäften und dem Gebiet der Terrorbekämpfung. All diese Ziele haben sich als zerstörerisch für das Leben der armen und arbeitenden Menschen in diesen Ländern erwiesen.

Wir finden es auffällig, dass der Vorschlag von CDU/CSU und SPD die Bemühungen der Zivilgesellschaft um den Wiederaufbau der sudanesischen Gewerkschaften, Bauernverbände, Arbeiter*innenkollektive, Frauenrechtsorganisationen, gemeinnützigen Vereine und unabhängigen Medien nicht anerkennt. Diese Gremien sowie das noch zu gründende Parlament, das wahrscheinlich auch lokale Widerstandskomitees vertreten wird, sind entscheidend dafür, welche Entscheidungen die sudanesische Übergangsregierung treffen kann und welche nicht, und dass die Regierung für ihre politischen Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen wird. Solange diese Strukturen noch nicht vorhanden sind, fehlt der Rahmen für den Aufbau bilateraler oder multilateraler Beziehungen. In einem solchen Klima kann die deutsche Hilfe leicht zu einem Instrument der Politikgestaltung werden.

Die deutsche Koalition weist in dem Vorschlag auch darauf hin, dass sie unter den richtigen Bedingungen die Begleichung der Zahlungsrückstände des Sudans bei seinen Schulden gegenüber internationalen Gläubigern prüfen und damit dem Land helfen wird, seine Beziehungen zu den globalen Finanzinstitutionen — vermutlich der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds — zu “normalisieren”. Die hohen Schulden des Sudan stellen in der Tat eine große Hürde für die Erfüllung der Wünsche des sudanesischen Volkes dar. Dies gilt insbesondere zu einer Zeit, in der die Übergangsregierung versucht, als Reaktion auf die sozioökonomische Ungleichheit, den Militarismus und die Korruption, die den Aufstand ausgelöst haben, massiv in Bildung, Gesundheit und andere soziale Bereiche zu investieren. Das bloße Versprechen des Schuldenerlasses, dient jedoch nur deutschen Interessen, nicht denen des sudanesischen Volkes. Die Schulden des Sudans wurden zumeist von nicht gewählten, illegitimen und korrupten Regierungen übernommen und beruhen auf kolonialen Machtverhältnissen. Sie müssen daher vollständig gestrichen werden.

Darüber hinaus dürften deutsche Direktinvestitionen im Sudan, die der Vorschlag ebenfalls zu erkunden verspricht, vor allem in Form klassischer extraktiver Produktionsbeziehungen erfolgen, die auf den Import von Rohstoffen, insbesondere von Bergbauprodukten, und den Export von Industriegütern angewiesen sind, wie dies auch anderswo in Afrika der Fall ist. Dieses Wirtschaftsmodell, dessen Wurzeln tief in der Kolonialzeit liegen, hat nicht nur Afrikaner*innen, sondern Generationen von Arbeiter*innen, Bauern und Bäuerinnen im gesamten globalen Süden zum Scheitern gebracht. Sollte dieses Modell angenommen werden, wird es das sudanesische Volk erneut im Stich lassen, so wie in der Vergangenheit. Aus diesem Grund werden wir das und alle anderen Versuche, dem Land eine neoliberale Politik aufzuzwingen, ablehnen.

Angesichts dessen überrascht es nicht, dass der Vorschlag von CDU/CSU und SPD die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, mit der Abschiebung von Flüchtlingen in den Sudan zu beginnen, nicht erwähnt. Diese Entscheidung, beruht auf falschen Behauptungen, der Sudan sei ein sicherer Ort für die Rückkehr. Wir bekräftigen unser Bekenntnis zum Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und rufen die sudanesischen revolutionären Gremien auf, das Bewusstsein zu schärfen und den Versuchen Deutschlands zu widerstehen, dem Sudan im Tausch gegen Hilfe und wirtschaftliche Investitionen Programme zur Migrationskontrolle und zum Abbau von Bodenschätzen aufzuzwingen. Wir appellieren auch an fortschrittliche und radikale Gruppen und Bewegungen in Deutschland und Europa, sowie an Gruppen im globalen Süden, die für soziale Gerechtigkeit kämpfen, das sudanesische Volk in seinen anhaltenden Forderungen nach Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und einer von uns bestimmten Zukunft zu unterstützen. Wir bringen unsere tiefe Solidarität mit sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt, vom Irak und Iran bis Burkina Faso, Indien, Chile und Haiti, in ihrem gemeinsamen Kampf für dasselbe Ziel zum Ausdruck.

Stellungnahme in voller Länge

SudanUprising Germany lehnt es ab, dass die Ursachen der Sudanesischen Revolution ausschließlich auf wirtschaftliche Missstände reduziert werden.

Es war nicht nur die Wirtschaftskrise, die zu Protesten führte, obwohl wirtschaftliche Verzweiflung — insbesondere die Preise für Brot und Grundnahrungsmittel — diese im Dezember 2018 auslöste. Was aus den frühen Protesten eine achtmonatige Massenbewegung für den Wandel machte, war die Anhäufung jahrzehntelanger politischer Repression, struktureller Rassismus, Korruption, sexuelle Gewalt, Missbrauch und Plünderung von Ressourcen, Krieg und massive Menschenrechtsverletzungen. Die Fähigkeit, die Revolution aufrechtzuerhalten, war wiederum das Ergebnis jahrelanger Organisations- und Klassenkämpfe für den Wandel, in denen viele Menschenrechtsverteidiger und Arbeiter*innen und Arbeiter, insbesondere Frauen und ethnische Minderheiten, einen hohen Preis zahlten. Die Reduzierung der Proteste auf die reine Wirtschaft verharmlost die Bedeutung der Forderung der Protestierenden nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in all ihren sozialen, rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Dimensionen.

Wir lehnen die Vermischung der Kräfte für Freiheit und Wandel mit den Demonstrant*innen, die die Revolution vorangetrieben haben, ab.

Die deutsche Regierung besteht darauf, eine Geschichte zu präsentieren, in der die zivile Komponente der sudanesischen Übergangsregierung und die sie unterstützende politische Koalition, die FFC, mit den Demonstranten ein und dasselbe sind. Diese Fiktion erlaubt es deutschen Politikern, die Tatsache zu ignorieren, dass die FFC und die Übergangsregierung nur informell vom Volk delegiert werden, um sicherzustellen, dass ihre revolutionären Forderungen erfüllt werden. Die Demonstrant*innen sind die Millionen von Sudanes*innen, die sich an Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks und anderen Formen gewaltlosen zivilen Ungehorsams beteiligen. Der FFC hingegen sind eine Gruppe von politischen Oppositionsparteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen und einigen bewaffneten Bewegungen, die sich unter dem Banner der Erklärung von Freiheit und Wandel zusammengeschlossen haben — ein Dokument, das am 01. Januar 2019 unterzeichnet wurde und in dem die Forderungen der Revolution dargelegt sind. Es sind die Demonstranten, die den FFC, dessen wichtigster Bestandteil die Sudanese Professionals Association (SPA) ist, die Legitimität verleihen, ihre Forderungen auf politischer Ebene zu vertreten. Das bedeutet, dass die Macht von den Demonstrant*innen auf die FFC übergeht und nicht umgekehrt. Diese Macht kann also entzogen werden, wenn das sudanesische Volk das Gefühl hat, dass die FFC und damit die Übergangsregierung es nicht mehr vertritt. Anstatt die Augen fest auf die Forderungen der Millionen Sudanes*innen zu richten, die sich erhoben, um “Es reicht!” zum Status quo und den vorherrschenden Regierungsformen zu sagen, verspricht Deutschland stattdessen zu helfen und nutzt die massive Haushalts- und Wirtschaftskrise, in der sich die Übergangsregierung befindet, aus, um sie zu einem Partner bei der Verletzung der Rechte von Sudanes*innen und anderen afrikanischen Migrant*innen zu machen, die ein Leben in Würde und Sicherheit suchen.

Wir fordern die deutsche Regierung auf, ihre eigene Rolle beim Wachstum und bei der Bereicherung der Rapid Support Forces (RSF), der Janjaweed-Milizen, transparent zu machen.

In dem Vorschlag von CDU/CSU und SPD heißt es in Bezug auf die Auflösung des Sit-Ins: “Hierzu [Übergang zu einer zivilen Regierung] waren insbesondere die Milizen nicht sofort bereit. Sie eskalierten ihrerseits am 3. Juni 2019 mit der gewaltsamen Räumung des Hauptprotestlagers vor dem Armeehauptquartier, bei der es Berichten zufolge mehr als 100 Todesopfer gab”. Wir sind sehr besorgt darüber, dass die deutsche Regierung anscheinend zu dem Schluss gekommen ist, dass nur die Milizen an der gewaltsamen und tödlichen Auflösung des Sitzstreiks in Khartum am 3. Juni beteiligt waren. Wie kommt die deutsche Regierung zu dieser Schlussfolgerung, obwohl es zahlreiche Berichte gibt, die auch die Militärs und Sicherheitsbeamten in das Massaker verwickeln? Worauf stützt sich ihre Einschätzung, wenn man bedenkt, dass das von der sudanesischen Übergangsregierung zur Untersuchung des Angriffs gebildete Komitee seine Arbeit noch nicht abgeschlossen und seine Ergebnisse noch nicht veröffentlicht hat?

Noch wichtiger ist, dass der deutsche Bericht die wichtigste Miliz, die RSF, nicht erwähnt, die von vielen Demonstranten als Haupttäter der Gewalt beschuldigt wird. Wie inzwischen auch außerhalb des Sudans bekannt ist, ist die RSF unter Führung von Mohammad Hamdan Dagalo (“Hemedti”) ein Nachfolger der völkermörderischen Dschandschawid-Milizen, denen in Darfur Völkermord vorgeworfen wird. Die Erzählung der deutschen Regierung versäumt es, die Rolle Deutschlands und der EU beim Wachstum und bei der Bereicherung der RSF-Janjaweed-Milizen zu erwähnen. Während die EU zwischen 2015 und 2018 ein Waffenembargo gegen den Sudan verhängte, leitete sie gleichzeitig im Rahmen des “Khartum-Prozesses”, eines 2014 zwischen der EU und Ländern am Horn von Afrika unterzeichneten Abkommens, das dem Regime direkt zugute kam, Hunderte von Millionen Euro in das Land. Als Kernstück der unethischen und unmoralischen EU-Politik der “externalisierten Grenzen” besteht das Hauptziel des “Khartum-Prozesses” darin, die Möglichkeiten von Migrant*innen und Geflüchteten, Europa zu erreichen, einzuschränken. Im Jahr 2015 richtete Brüssel einen speziellen Fonds ein — den Notfall-Treuhandfonds der Europäischen Union für Afrika — angeblich zur Unterstützung der Länder des Khartum-Prozesses bei der Bekämpfung der Fluchtursachen und der Bekämpfung von Menschenhandel und Schmuggel. Eine Analyse von Oxfam ergab jedoch, dass von den 400 Millionen Euro, die durch den Fonds bereitgestellt wurden, nur 3% für die Entwicklung sicherer und regulärer Migrationsrouten verwendet wurden. Der weitaus größte Teil wurde für die Migrationskontrolle ausgegeben.

Ein weiterer Bericht, der im November 2017 von der International Refugee Rights Initiative (IRRI), der Strategic Initiative for Women in the Horn of Africa (SIHA) und dem Centre for Human Rights Law an der SOAS, University of London, veröffentlicht wurde, kam zu dem Schluss, dass “das Partnerschaftsmodell des Khartum-Prozesses, bei dem die EU im Gegenzug für die Steuerung der Migration durch afrikanische Länder Finanzmittel, Dienstleistungen und andere Leistungen bereitstellt, asymmetrisch ist und weitgehend von europäischen Interessen und Forderungen bestimmt wird”. Sie kam auch zu dem Schluss, dass dieses Modell Teil eines umfassenderen Trends des “Offshoring” von Migrant*innen und Geflüchteten ist — wobei Staaten einen anderen Staat für die Aufnahme von Asylbewerber*innen oder Geflüchteten bezahlen. Ein am 22. Juli 2019 veröffentlichter Bericht der Deutschen Welle stellt fest, dass das von der EU finanzierte Aufklärungszentrum, das als Regionales Operationszentrum in Khartum (ROCK) bekannt ist, erst im Juni 2019, nach dem Massaker vom 3. Juni, suspendiert wurde. Dem Bericht zufolge brachte das Zentrum die Sicherheitskräfte von neun Ländern am Horn von Afrika zusammen, um “Informationen über Menschenhandel und Netzwerke des Menschenschmuggels auszutauschen”. Derselbe Bericht stellt fest, dass ein von der deutschen Entwicklungsagentur GIZ geleitetes Projekt, das sudanesische Grenzschützer und Polizisten ausbildet und ausrüstet, erst Mitte März 2019, drei Monate nach Beginn der Revolution, “gestoppt” wurde, als Hunderte bereits getötet, verletzt und vom Regime verhaftet worden waren. Zu dem Zeitpunkt gab die EU nicht bekannt, dass sie das Programm gestoppt habe. Unserer Einschätzung nach geschah dies wahrscheinlich, um die Aufmerksamkeit nicht auf die Tatsache zu lenken, dass das Programm überhaupt erst in Gang gekommen war.

Nach Angaben des Sudanesischen Medienzentrums umfasste die Zusammenarbeit zwischen dem al-Bashir-Regime und der deutschen Regierung mindestens einen Besuch einer Delegation des sudanesischen Innenministeriums im Jahr 2016 in Berlin, desselben Ministeriums, das eng mit dem berüchtigten Nachrichten- und Sicherheitsdienst National Intelligence and Security Service (NISS) zusammenarbeitete.

Die Auswirkungen dieser von Deutschland angeführten EU-Politik auf die Macht der RSF waren katastrophal. Wie der Menschenrechtsaktivist Suliman Baldo in seinem Bericht vom April 2017 für das Enough Project feststellte, “beinhaltet Sudans Strategie, die Migrantionsströme im Namen Europas zu stoppen, ein rücksichtsloses Vorgehen der RSF gegen Migranten innerhalb des Sudan”. Im weiteren Verlauf des Berichts fügt er hinzu, dass “das Regime ab 2015 und 2016, und überzeugt von der Wirksamkeit der RSF als Aufstandsbekämpfungstruppe, die RSF zur primären sudanesischen Einsatztruppen bestimmt hat, die an den sudanesischen Grenzen patrouillieren, um Migrantionsbewegungen zu unterbinden. Die sudanesische Regierung nahm diese Benennung im Rahmen ihrer Partnerschaft mit der EU für die Migrationskontrolle vor. Als solche sind die RSF in der Lage, EU-Gelder zur Reduzierung der Migrantenströme aus dem Sudan nach Europa zu erhalten. Die sudanesische Regierung erließ im Januar 2017 ein Gesetz, das die RSF in die sudanesischen Streitkräfte integrierte … Das Gesetz von 2017 machte die RSF (widersprüchlich) autonom, in die Armee integriert und unter das Kommando von Präsident Omar al-Bashir gestellt”.

Baldo wird außerdem in einem Bericht der New York Times vom April 2018 zu diesem Thema mit den Worten zitiert “Es gibt keinen direkten Geldwechsel. Aber die EU legitimiert grundsätzlich eine missbräuchliche Gewalt”. Derselbe Artikel erwähnt ROCK — das “gemeinsame Koordinierungszentrum”, das im Sudan eingerichtet und von der EU finanziert wurde, um Informationen über Migrationsströme und Menschenhandel auszutauschen. “Europäische Beamte haben nur mit der sudanesischen Einwanderungspolizei direkten Kontakt, nicht aber mit der R.S.F. oder den Sicherheitskräften … bekannt als N.I.S.S. Aber ihre Operationen sind nicht so weit voneinander entfernt.”

Darüber hinaus stellt ein Untersuchungsbericht, der am 30. Januar 2018, weniger als ein Jahr vor Beginn der Revolution im Sudan, in The New Humanitarian (ehemals IRIN NEWS) veröffentlicht wurde, fest, dass “das Muster der aufgedeckten Korruption und Rechtsverletzungen die allgemeine Besorgnis darüber nährt, ob die Migrationspolitik der EU eine schwierige Situation nicht sogar verschlimmert…. Das Überqueren der zuvor durchlässigen Nordgrenze des Sudan mit Libyen ist immer gefährlicher geworden, nachdem der sudanesische Präsident Omar al-Bashir 2015 die ehemaligen Janjaweed- eine paramilitärische Gruppe, die während des Darfur-Konflikts in Kriegsverbrechen verwickelt war — als Grenzschutzbeamte eingesetzt hatte. Diese Miliz, die in Rapid Support Forces (RSF) umbenannt und im Januar 2017 in die sudanesische Armee integriert wurde, verhaftet Asylsuchende und übergibt sie der Polizei, die sie wegen illegaler Einreise festnimmt, mit einer Geldstrafe belegt und abschiebt — unabhängig davon, ob ihre Rückführung in ihre Länder Folter oder Gefängnis zur Folge hat”.

SudanUprising Germany kann daraus nur den Schluss ziehen, dass die deutsche Regierung und die EU ihr Interesse am Sudan zwar als rein altruistisch darstellt, eine der größten Bedrohungen für den Übergang im Sudan aber in Wirklichkeit die deutsche und europäische Politik selbst ist. Die von Hemedti geführte RSF wurden durch die Politik der EU und Deutschlands dabei unterstützt, die gewaltsamen und repressiven Sicherheitsmaßnahmen fortzusetzen, unter denen die Sudanes*innen jahrzehntelang gelitten haben. Als Anführer der RSF wuchs Hemedtis Macht nur unter der von Deutschland geführten “externalisierten Grenz”-Politik der EU; so sehr, dass bei der Revolution 2018/2019 eine politische Einigung ohne ihn nicht möglich war. Die im August 2019 unterzeichnete Verfassungserklärung legitimiert die RSF als Parallelstreitkraft zur Armee, und Hemedti ist nun stellvertretender Leiter des Souveränen Übergangsrates. Er und seine Milizen sind nicht nur eines der größten Hindernisse auf dem Weg des Übergangs des Sudan zu einem vollständig zivilen und demokratischen Staat, sondern auch bei der Verwirklichung von Gerechtigkeit — einer Kernforderung der Revolution — für die Menschen in den vom Krieg betroffenen Gebieten und für die ermordeten, vergewaltigten und verletzten Demonstrant*innen dort und anderswo.

Die Unterdrückung von Migrant*innen und Geflüchteten als eine Angelegenheit der deutschen und der EU-Politik beschränkt sich nicht nur auf den Sudan, sondern betrifft auch die Menschen auf europäischem Boden. Am 3. Februar 2020 hat das niedersächsische Innenministerium die Entscheidung getroffen, sudanesische Geflüchtete abzuschieben. Die Entscheidung basierte auf einem Bericht des Auswärtigen Amtes, welcher im Rahmen der Innenministerkonferenz (IMK), die vom 12. bis 14. Juni 2019 stattfand, angefragt wurde. Seit Februar ist dieser Beschluss in verschiedenen Städten in Deutschland in Kraft getreten, darunter Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrücke und Stade.

Wir stellen die von der Bundesregierung angestrebte Betonung der “Stabilität” in Frage.

Die Terminologie der “Stabilität” ist Deutschland eigennützig. Was die Sudanes*innen fordern, sind Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit; nur die Erfüllung dieser Forderungen kann zu einer Stabilität führen, die im Interesse der Sudanes*innen und anderer Afrikaner*innen in der Region liegt, und nicht nur im Interesse der herrschenden Eliten Europas. Die deutsche Regierung hat zwar bewiesen, dass sie um der “Stabilität” im Sudan willen weit gehen wird, aber diese Stabilität dient nur ihren eigenen unethischen Interessen. Beispielsweise unterstützte das Auswärtige Amt mit Steuergeldern den höchst fragwürdigen “Nationalen Dialog” des al-Bashir-Regimes, mit dem das al-Bashir-Regime seinen Machterhalt stabilisieren und verlängern wollte. Die meisten Sudanes*innen verstanden diesen “Dialog”, der im Januar 2014 begann und fast drei Jahre lang dauerte, zu Recht als einen einfachen Versuch al-Baschirs und seiner Partei, die Macht zu erhalten. Er wurde von den meisten politischen Parteien und Kräften der Opposition im Land boykottiert.

Während Deutschland diesen Prozess unterstützte, begingen das Regime und seine Milizen in Teilen des Landes gleichzeitig massenhaft Gräueltaten, Frauen wurden durch die Gesetze des Regimes über die öffentliche Ordnung schikaniert und missbraucht und in den vom Krieg betroffenen Gebieten Vergewaltigungen und Vertreibungen ausgesetzt, Migrant*innen wurden mit höllischen Bedingungen an Land und auf See konfrontiert, und politische Dissident*innen wurden routinemäßig inhaftiert, gefoltert und ihnen wurden grundlegende Rechte verweigert. Millionen von Sudanes*innen wurden zudem in einen Kreislauf von Armut und Enteignung getrieben und mussten um ihre Grundbedürfnisse kämpfen, um zu überleben. Viele taten es nicht. Doch das Auswärtige Amt hat über die Berghof-Stiftung und in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Geld in die “Vermittlung” von al-Bashirs Dialog gesteckt. Von Seiten der deutschen Regierung gab es keine Transparenz darüber, ob dieselben “Berater”, die ihre Politik im Sudan während der al-Bashir-Ära steuerten, auch heute noch die aktuelle Politik mitbestimmen. Wenn ja, welche Rechtfertigung hat die deutsche Regierung dafür?

Im Oktober 2019, nur zwei Monate nach der Unterzeichnung der verfassungsrechtlichen Übergangserklärung zwischen der Zivilbevölkerung und dem Militärischen Übergangsrat, berichtete der Khartum Star über eine Erklärung des sudanesischen Außenministeriums, dass es ein Abkommen über die Eröffnung eines Hauptquartiers des Zentrums der Afrikanischen Union für [die Bekämpfung] illegale[r] Einwanderung festhält. “Die Erklärung wies darauf hin, dass das Zentrum das erste seiner Art auf dem afrikanischen Kontinent ist, wo es Dienstleistungen für alle afrikanischen Länder erbringen wird, und wies darauf hin, dass die Europäische Union das Zentrum technisch und finanziell unterstützt.” Mit anderen Worten: Der Zynismus und der eigennützige Charakter der deutschen und EU-Politik gegenüber dem Sudan — getarnt als Sorge und Selbstlosigkeit- hält an.

Wir widersprechen der Behauptung der deutschen Regierung, dass sie die Revolution begrüßte, da keine ihrer Aktionen in den Momenten, in denen das sudanesische Volk sie brauchte, eine solche Begrüßung zeigte.

Die Bundesregierung hat den Aufstand im Sudan erst viel zu spät konkret unterstützt, als zahlreiche Menschen bereits ihr Leben verloren hatten. Deutschland bot seine Unterstützung erst an, nachdem sich die Lage beruhigt hatte, eine Einigung zwischen dem FFC und der TMC erzielt worden war und die Übergangsregierung im August 2019 ernannt wurde. Zwischen dem Beginn der Revolution Ende 2018 und der Absetzung von al-Bashir im April 2019 hatte es nur zwei Erklärungen (am 11. Januar 2019 und am 14. März 2019) der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe gegeben. Dies waren die einzigen öffentlichen Statements des Auswärtigen Amtes. In der darauf folgenden Erklärung vom 22. Mai 2019 wurde der Militärische Übergangsrat aufgefordert, “nicht auf halbem Wege umzukehren, sondern seiner Verantwortung gerecht zu werden und die Macht an eine zivil geführte Regierung zu übergeben”. Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, dass die deutsche Regierung ihre Macht nutzte, um Druck in Richtung Demokratie auszuüben. Bei genauerem Hinsehen kann dies jedoch leicht als ein Akt der Legitimation gelesen werden, da sie den Anstoß zum Handeln in die Hände des Militärs legte — das die Macht illegal an sich gerissen hatte -, anstatt den Demonstranten Unterstützung zu versprechen und sie zu drängen, ihren Kampf fortzusetzen. Die EU hatte den Milizen und dem Militär bereits kurz nach dem Sturz von al-Baschir Legitimität verliehen. Der damalige EU-Botschafter im Sudan, Jean-Michel Dumond, sowie der US-Botschafter und mehrere andere europäische Botschafter trafen sich mit dem damaligen Stellvertreter des Militärischen Übergangsrates, keinem Geringeren als dem völkermörderischen Befehlshaber der RSF, Hemedti.

Deutschland hat sich nicht zu Gunsten des zivilen Aufstand positioniert. Wir sind der festen Überzeugung, dass das anhaltende Engagement mit dem Militär bis weit in den Aufstand hinein den Anspruch des Militärs auf Machtteilung stärkte und mit dazu beitrug, dass der Druck auf die FFC zunahm, eine politische Einigung mit dem unrechtmäßigen Militärischen Übergangsrat zu erzielen. Dieses Abkommen hat sich seither als mit kritischen Mängeln behaftet erwiesen, darunter die Institutionalisierung der RSF-Milizen als Parallelgruppe zu den sudanesischen Streitkräften und das Fehlen eines klaren Mechanismus, durch den die Milizen demontiert werden und sich das Militär am Ende des Übergangs in die Kasernen zurückziehen kann.

Wir weisen die Behauptung der Bundesregierung zurück, dass ihre Initiierung der “Friends of Sudan” Gruppe dem sudanesischen Volk und seinem Kampf für Demokratie, Gleichheit, Frieden und Gerechtigkeit zu Gute kommt.

Die Bundesregierung erklärt mit Stolz, dass sie die Gruppe “Friends of Sudan” (FoS) initiiert hat. Die meisten dieser Länder, darunter auch Deutschland, haben das sudanesische Volk während seiner Revolution jedoch nicht unterstützt. Andere Mitglieder der FoS, wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten, arbeiteten aktiv daran, die Revolution zu vereiteln, was von Journalisten gut dokumentiert wurde. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudia-Arabien sicherten dem Übergangs-Militärrat nur wenige Stunden nach seiner Machtübernahme schnell Unterstützung in Milliardenhöhe zu. Diese beiden Länder überwiesen auch insgesamt 500 Millionen Dollar an die sudanesische Zentralbank sowie 2,5 Milliarden Dollar in Form von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Erdölprodukten als wirtschaftliche Unterstützung für den TMC, da sie glaubten, dass dies den Aufstand beruhigen würde. Als die deutsche Regierung am 21. Juni 2019, fast drei Wochen nach dem Massaker beim Sitzstreik in Khartum, eine Krisensitzung der “Freunde” in Berlin einberief, geschah dies still und heimlich. Zu diesem Treffen hatte das Auswärtige Amt keine sudanesischen Vertreter*innen aus Regierung, Zivilgesellschaft, der sudanesischen Diaspora in Europa oder der Opposition eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt der Revolution — kurz nach dem Massaker vom 3. Juni — und zu jedem anderen Zeitpunkt war und ist es für westliche Länder inakzeptabel, über den Sudan zu diskutieren, ohne die Stimme der sudanesischen Zivilgesellschaft zu zentrieren. Indem wir parallel zu diesem Treffen im Juni 2019 ein zweitägiges Sit-in vor dem Gebäude des Auswärtigen Amtes organisierten, machten Wir als SudanUprising Germany deutlich, dass die “Freunde des Sudan”, angeführt von Deutschland, eine intransparente, neokoloniale Institution ist, die keine Legitimität hat, Entscheidungen über die Zukunft des Sudan zu treffen. Diese zwielichtige Gruppe hat sich seitdem nur in der Mitgliederzahl vergrößert, ist aber nach wie vor intransparent und schließt Länder ein, deren Agenden denen, für die das sudanesische Volk kämpfte und starb, entgegengesetzt sind. Wer braucht mit solchen Freunden schon Feinde?

Deutschland, das mächtigste Land in der EU, ist in der Weltordnung in letzter Zeit besonders gut positioniert. Seit Januar 2019 ist es ein nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, dessen zweijährige Amtszeit voraussichtlich im Dezember 2020 endet. In seinem ersten Jahr im Rat unterstützte Deutschland die Resolution 2467, die nach Angaben des Auswärtigen Amtes “eine Grundlage für die Bekämpfung sexueller Gewalt in Konflikten und die Rechenschaftspflicht der Verantwortlichen” schuf und “erstmals die Opfer und Überlebenden sexueller Gewalt in den Mittelpunkt” stellte. Während Deutschland auf diese Resolution drängte, wurde ironischerweise die Zusammenarbeit mit dem Regime im Sudan, das dort für seine Massenvergewaltigungskampagnen gegen Demonstranten und in den Regionen, in denen es Krieg geführt hat, berüchtigt war, fortgesetzt. Am 4. Juni 2019, einen Tag nach dem Massaker beim Sitzstreik in Khartum, wurde der deutsche Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller, von der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz im Bundestag befragt. Auf ihre Frage “Wann wird die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit dem im Sudan regierenden Militärrat, der gerade ein Blutbad unter den friedlichen Demonstranten angerichtet hat, einstellen” gab der Minister keine eindeutige Antwort. Auf die zweite Frage der Bundestagsabgeordneten Buchholz, wie die Bundesregierung sicherstellen kann, dass die EU-Mittel nicht zu den Attentätern der RSF gelangen, die nicht nur die Demokratiebewegung zerschlagen, sondern auch mit der “Verteidigung” der sudanesischen Außengrenzen vor Flüchtlingen betraut sind, hatte der Minister erneut keine Antwort. Stattdessen sagte er, er müsse den Informationen nachgehen, da er sie nicht rekonstruieren könne. Dies deutet darauf hin, dass die deutsche Regierung zum Zeitpunkt der Befragung, im Juni 2019 und fast sechs Monate nach der Revolution, ihre Zusammenarbeit mit der sudanesischen Diktatur noch immer fortsetzte.

Die Bundesregierung spricht gerne von der “besonderen Verantwortung Deutschlands für Frieden und Sicherheit in der Welt”, aber diese Verantwortung scheint sich nicht auf das Leben von Afrikaner*innen wie das der Sudanes*innen auszudehnen. Der Vorschlag von CDU/CSU und SPD zum Sudan erinnert an das Engagement der Bundesregierung als Co-Leiter (zusammen mit Großbritannien) der Hybridmission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union in Darfur (UNAMID). Mitten in der Revolution und auf dem Höhepunkt der von der RSF angeführten Gewalt gegen Demonstrant*innen hat UNAMID unter dieser Co-Führung, auf die Deutschland so stolz ist, massive strategische Fehler begangen. Am 11. Juni 2019 kritisierte Human Rights Watch scharf den Abzug der UNAMID-Mission inmitten der politischen Instabilität, die durch die Reaktion des Regimes auf die Revolution entstanden war, und stellte fest, dass der Abzug dazu geführt hat, dass die Janjaweed-Milizen der RSF 9 von 10 Standorten besetzt haben, die von den Friedenstruppen in den vergangenen acht Monaten geräumt worden waren. HRW fügte hinzu, dass die Behörden in Darfur gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen seien und dass “das ganze Jahr über Angriffe auf Zivilisten, auch durch die RSF, fortgesetzt wurden, insbesondere in der Jebel-Mara-Region in Darfur, wodurch Zivilisten zur Flucht gezwungen wurden”. Darüber hinaus fügte HRW hinzu, dass “der Stellenabbau eine falsche Erzählung über das Kriegsende in Darfur widerspiegelte”.

Deutschlands Position auf der Weltbühne und sein Einfluss dürften in diesem Jahr wachsen. Im Juli 2020 wird Deutschland voraussichtlich den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übernehmen, während es gleichzeitig die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Zunehmend verstehen Afrikaner*innen — Sudanes*innen eingeschlossen — diese Weltordnung als eine Fortsetzung der kolonialen Hinterlassenschaften der Unterwerfung des afrikanischen Kontinents, Asiens und Teilen des Pazifiks sowie Lateinamerikas und der Karibik. Sie kämpfen weiterhin für ihre Freiheit und Selbstbestimmung trotz einer Weltordnung, die versucht, sie weiterhin ihrer konditionellen Hilfe und ihren freien Märkten zu unterwerfen.

Wir befürchten, dass die Wirtschaftspläne der deutschen Regierung für den Sudan Gefahr laufen, zu einem politischen Instrument zur Wahrung deutscher Interessen in der Region zu werden.

Wie in der Einleitung erwähnt, hat Deutschland 1989 die Zusammenarbeit mit dem Sudan eingefroren. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Sudan und Deutschland hörten in den folgenden Jahrzehnten jedoch nie auf. Sie wandelten sich lediglich, und schließlich entwickelte sich der Khartum-Prozess, um Deutschlands Interessen bei der Grenzkontrolle und der Unterbrechung der Migrationsrouten zu wahren. Anders ausgedrückt: Während Deutschland nicht mehr in den öffentlichen Sektor des Sudans investierte, der vom Regime rasch abgebaut wurde, wandte es sich stattdessen der Unterstützung des repressiven Sicherheitsapparats zu.

Heute, acht Monate nach dem Übergang nach der Revolution, ist die sudanesische Übergangsregierung unvollständig. Das Übergangsparlament, das verschiedene Kräfte, darunter auch revolutionäre Gruppen, vertreten soll, ist immer noch nicht gebildet worden. Die Gouverneure der 18 sudanesischen Bundesstaaten sind nach wie vor diejenigen, die während der Revolution vom Militär ernannt worden; sie sind noch nicht durch Zivilisten ersetzt worden. Dem Land mangelt es an einer klaren Wirtschaftspolitik und klaren Rahmenbedingungen, und viele seiner Botschaften sind nach wie vor unterbesetzt oder nur vorübergehend besetzt. Der Friedensprozess ist noch nicht abgeschlossen. Seine erfolgreiche Bewältigung erfordert massive wirtschaftliche Investitionen, vom Wiederaufbau der Kriegsgebiete über die Entschädigung der Opfer bis hin zur Beendigung der ausbeuterischen Beziehungen zwischen dem Zentrum des Landes und seinen rohstoffreichen, aber verarmten Regionen. Wirtschaftlich gesehen befindet sich das Land in einer tiefen Krise und trägt eine enorme Schuldenlast. Auf der Grundlage der Verfassungserklärung muss die Übergangsregierung eine Wirtschaftskonferenz unter breiter Beteiligung der verschiedenen Sektoren und zivilgesellschaftlichen Einheiten einberufen, um dazu beizutragen, die Wirtschaftspolitik des Sudan so zu gestalten, dass sie den Anforderungen der Revolution gerecht wird. Diese Konferenz sollte im März 2019 stattfinden, wurde aber wegen der ernsten Bedrohung durch die Covid-19-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben.

Wir finden es erstaunlich, dass der Vorschlag von CDU/CSU und SPD die Bemühungen der Zivilgesellschaft um den Wiederaufbau der sudanesischen Gewerkschaften, Bauernverbände, Arbeiter*innenkollektive, Frauenrechtsorganisationen, gemeinnützigen Vereine und unabhängigen Medienorgane nicht anerkennt. Diese Organisationen sowie das noch zu gründende Parlament, das wahrscheinlich auch lokale Widerstandsausschüsse vertreten wird, sind entscheidend dafür, welche Entscheidungen die sudanesische Übergangsregierung treffen darf und welche nicht, und dass die Regierung für ihre politischen Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen wird. Solange diese Strukturen nicht vorhanden sind, fehlt nach wie vor der Rahmen für die Aufnahme bilateraler oder multilateraler Beziehungen zu internationalen Wirtschaftsinstitutionen. Der Eintritt einer dritten Partei (in diesem Fall der deutschen Regierung) unter diesen Bedingungen, die mit ihren Millionen von Euro winkt und immer noch ihre Agenden zur Migrationskontrolle durchsetzt, wird diese Partei wahrscheinlich eher zu einem politischen Entscheidungsträger als zu einem Unterstützer machen. Das ist vielleicht das, was die deutsche Regierung will, aber es ist nicht das, wofür das sudanesische Volk sein Aufbegehren begonnen hat.

In dem Vorschlag von CDU/CSU und SPD verspricht die Bundesregierung, “im Rahmen der HIPC-Initiative zu gegebener Zeit und unter angemessenen Bedingungen eine Regelung der Zahlungsrückstände des Sudan gegenüber internationalen Gläubigern konstruktiv zu prüfen, so dass die Beziehungen zu den internationalen Finanzinstitutionen normalisiert werden können”. HIPC ist die Initiative für hochverschuldete arme Länder, die in den 1990er Jahren von der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen bilateralen, multilateralen kommerziellen Gläubigern ins Leben gerufen wurde. Es ist erwähnenswert, dass Deutschland der drittgrößte Anteilseigner der Weltbank ist, und dass Deutschlands Macht in dieser Institution bedeutend ist. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, vertritt Deutschland im Verwaltungsrat der Bank, der die Befugnis hat, “Mitglieder der Weltbankgruppe aufzunehmen und zu suspendieren, das genehmigte Aktienkapital zu erhöhen oder herabzusetzen, die Verteilung der Nettoeinnahmen der Bank zu bestimmen und über die strategische Gesamtausrichtung der Weltbankgruppe zu entscheiden”. HIPC sieht einen bilateralen Schuldenerlass vor, aber auch einen multilateralen Schuldenerlass durch internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank und den IWF, und hier liegt der Haken, “nur in dem Maße, wie es zur Wiederherstellung eines ‘nachhaltigen’ Schuldenniveaus erforderlich ist”.

Um es klarzustellen: Es gibt kein nachhaltiges Schuldenniveau für ein Land wie den Sudan, das auf den Listen der Armuts- und sozioökonomischen Indikatoren der Welt ganz am Ende rangiert und das seine Sozialausgaben um ein Vielfaches erhöhen muss, um Jahre der Vernachlässigung und Politikgestaltung zu überwinden, die zu wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit und Krieg geführt hat. Noch wichtiger ist, dass die Schulden, die der Sudan und viele postkoloniale Länder ebenso schultern, unrechtmäßig sind, erworben durch eine neokoloniale Allianz zwischen reichen Ländern und diktatorischen und korrupten Regimes, die in vielen Fällen wie der Sudan nicht von ihrem Volk gewählt wurden. Diese Schulden müssen sofort getilgt und alle Mittel, die in die Rückzahlung von Krediten und Rückständen fließen, in Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheitsnetze, die Schaffung von Ernährungssouveränität, Umweltschutz, den Wiederaufbau von Justiz und anderen Institutionen sowie die Entschädigung von Vertriebenen und von Krieg und Gewalt Betroffenen umgelenkt werden.

Die deutsche Regierungskoalition verspricht in ihrem Vorschlag, “auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit zwischen der Privatwirtschaft beider Länder hinzuwirken sowie eine Stärkung der Rahmenbedingungen für private Investitionen der deutschen Wirtschaft im Sudan zu unterstützen”. Die Entwicklungshilfe, bei der Deutschland eine führende Rolle spielt, zeigt in den letzten Jahren eine große Verschiebung hin zur Förderung von Investitionen des privaten Sektors anstelle von Beihilfen. Koloniale Produktionsverhältnisse. Dieses Wirtschaftsmodell, dessen Wurzeln tief im Kolonialismus liegen, hat nicht nur Afrikaner*innen, sondern Generationen von Arbeiter*innen, Bauern und Bäuerinnen im gesamten globalen Süden im Stich gelassen. Sie werden die Sudanes*innen erneut im Stich lassen, und wir werden jeden Versuch, dem Land eine neoliberale Politik aufzuzwingen, ablehnen und entgegentreten.

Gegenwärtig braucht der sudanesische Gesundheitssektor Solidarität und Unterstützung, um der Bedrohung durch die Covid-19-Pandemie zu begegnen, die unter den gegenwärtigen Umständen, einschließlich der Schulden- und Wirtschaftskrise, Gefahr läuft, Massenschäden zu verursachen, sollte sie sich in der ohnehin schon gefährdeten Bevölkerung ausbreiten. Als ein ehemals kolonialisiertes Land, das noch immer Rohstoffquelle für ehemalige Kolonialländer ist, muss der Sudan eine Wirtschaftspolitik aufbauen, die diese extraktive Beziehung zwischen ihm und den Ländern des globalen Nordens in Frage stellt. Jede Wirtschaftspolitik, die dies nicht tut und die auf Ausbeutung und Rassismus statt auf Gegenseitigkeit und Fairness baut, wird das sudanesische Volk im Stich lassen.

Schlussfolgerung

Als Aktivist*innen und Mitglieder der sudanesischen Diaspora, die sich sowohl in Deutschland als auch im Sudan für soziale Gerechtigkeit einsetzt, werden wir uns auch weiterhin den Versuchen Deutschlands und anderer Länder widersetzen, das sudanesische Volk und andere Nationen im globalen Süden ihrer Revolutionen und ihres Strebens nach Gleichheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung zu berauben. Die neokoloniale Politik, die von Deutschland als Rahmen für Geschäfte mit Ländern der “Dritten Welt” favorisiert wird, muss beendet werden. Sudanesische Revolutionär*innen und Millionen wie sie auf der ganzen Welt, von Chile bis Haiti, vom Iran bis Burkina Faso und von Algerien bis Südafrika, kämpfen und sterben für eine neue Realität. Es ist eine, in der sie ihr eigenes Schicksal bestimmen, ihre eigenen Ressourcen kontrollieren und die Rassen-, Geschlechts-, ethnischen, Klassen- und religiösen Hierarchien innerhalb ihrer eigenen Gesellschaften abbauen. SudanUprising Germany steht entschlossen mit diesen Kämpfen und wird sich allen Versuchen widersetzen, die sie zu kooptieren oder einzudämmen versuchen, sei es durch die deutsche oder eine andere Regierung.

Wir rufen alle fortschrittlichen und radikalen Gruppen und Bewegungen in Deutschland und Europa, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, und Gruppen auf der ganzen Welt, auf, das sudanesische Volk in seinen anhaltenden Forderungen nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zu unterstützen.

[Link zur PDF: https://www.docdroid.net/pMkxwLD/stellungnahme-von-sudanuprising-germany-25apr20-final-deu-pdf ]

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SudanUprising Germany

SudanUprising Germany is an activist platform founded by Sudanese activists in Germany during the Dec. 2018 revoluton. www.facebook.com/SudanUprisingGermany