Bringst du deine Kamera mit?

Sven Giesen
5 min readMar 12, 2016

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Ein offener Brief zur Relativierung von Freundschaftsgefallen.

Bildquelle: https://instagram.com/vangeeson

Liebe Freunde, Bekannte (und Verwandte),

wir müssen reden.

Ihr schreibt vielleicht grade die Einladungen zu eurem Geburtstag, der Hochzeit, der Taufe oder dem Staatsbesuch der Queen auf eurer Gartenparty. Dann folgt einer dieser Sätze:

  • Bringst du deine Kamera mit?
  • Könntest du an dem Tag Fotos machen?
  • Kamera bringst du mit, ja? Kümmerst du dich um schöne Fotos?

Die Reihenfolge ist bewusst gewählt. Je nachdem, welchen Satz man nimmt, ergibt sich daraus ein Wunsch, der bei Fremden mit mindestens 500-1000€ zu Buche schlägt. Pro Arbeitstag (und das ist nicht nur der Tag eures Events), plus Steuer.

Leider ergeben sich daraus auch 3 Probleme:

  1. Ihr zahlt dieses Geld nicht
  2. Ich will dieses Geld nicht
  3. Ich bin dann nicht mehr euer Gast

Verstehen wir uns nicht falsch, der grundsätzliche Wunsch schmeichelt und man freut sich sehr, dass ihr meine Fotos mögt und die wichtigen Momente eurer Veranstaltung lieber von mir als vom über 3 Ecken bekannten Opa oder Onkel von der Tante eures ebenfalls eingeladenen alten Schulfreundes festhalten lassen wollt, der sowieso immer eine Kamera im Wert von mehreren 1000€ dabei hat, aber außer Goldfischen und Kastanien aus 17 Perspektiven beim Sonntagsspaziergang nicht besonders viel damit fotografiert.

Auch gönnen wir euch, dass ihr an diesem Tag viele gute Bilder als Erinnerung haben möchtet um diesen Tag in seiner ganzen Blüte festzuhalten.

Aber es gibt da ein paar Probleme:

  1. Wir sind nicht mehr entspannt, privat und als Gast dabei
  2. Wir sind auf keinem eurer Bilder
  3. Wir sind unzufrieden, und ihr am Ende auch

Das verletzt, unter der Annahme, dass ihr euch an die schönen Momente des Tages erinnern wollt, wir aber in der Konsequenz nicht mehr dazugehören. Das klingt erst mal egoistisch, aber ist leider so und vermutlich war euch das selbst im ersten Moment gar nicht klar.

Lassen wir uns darauf ein, geht das mit dem Kompromiss einher, nicht so an eurem Tag teilzuhaben, so wie ihr es wolltet, als ihr uns eingeladen habt, nämlich als Freunde, bzw. als reine Privatperson. Denn wir sind dann mit der Kamera da, weil ihr gute Bilder wolltet und haben ein Auge immer im Sucher und das andere auf der Jagd nach einem guten Bild, dass sich leider nicht von selbst ankündigt. Das erfordert nicht nur einfach, alle x Minuten ein Foto zu machen, sondern auch ständig alles im Blick zu haben und das Gespür und Fachwissen (Fotografie ist ein anerkanntes Handwerk mit viel gestalterischem und physikalischem Hintergrund) walten zu lassen, wegen dem man geschätzt wird. Das macht Spaß, aber man gehört dann nicht mehr zu den Anwesenden, ist ständig auf dem Sprung, unterbricht Gespräche (kann auch ein Segen sein) und nimmt meist auch emotional kaum am Geschehen teil. Je nachdem, was für eine Veranstaltung es ist, werden wir auch auf die lustigen Runden Schnaps mit euch verzichten oder im schlimmsten Fall wundert ihr euch, warum nach dem alkoholischen Teil des Abends plötzlich keine Bilder mehr existieren. In dem Moment arbeitet man und jeder Mensch und Moment ist ein flüchtiger Baustein für das Haus, das ihr in Auftrag gegeben habt.

Je nachdem, wie ihr uns gefragt habt, hat sich auch gezeigt, wie sehr ihr euch dessen bewusst seid. Das ist entweder geringschätzend oder beruhigenderweise nur unwissend, hat aber auch starke Auswirkungen auf die Resultate.

Nehmen wir an, es ist offenkundig geringschätzend. Dann sagen wir aus Prinzip nein, soweit eigentlich klar. Vielleicht sagen wir sogar komplett als Gast ab, je nach Buffet und Tagesplan. Oder wir antworten “Rechnung kommt.” aber “vergessen” das Lachen dahinter.

Ist es unwissend, dann seid ihr wiederum genervt wegen all unserer Fragen, da so ein Tag auch Planung bedarf. Ein guter Fotograf erwischt zwar aus Instinkt gute Schnappschüsse, aber ein besserer Fotograf weiss, wann er wo zu sein hat und wann was wo passiert.

Ist es unwissend geringschätzend und wir lassen uns trotzdem darauf ein, aus einem schwachen Moment oder Gefälligkeit, leidet die Qualität der Bilder, weil wir keine Lust haben auf 110% zu laufen oder ihr auch gar nicht wisst, was ihr am Ende wollt. “Mach einfach mal” ist unter Zusammennahme aller Punkte des Artikels bisher dann fast schon beleidigend. Am Ende ist niemand zufrieden, nicht an diesem Tag und auch nicht mit den Bildern.

Mit dem Fotografieren allein ist es dann leider auch nicht getan. Neben dem Sichten und Aussortieren der Bilder braucht es auch Bearbeitung. Dabei geht es nicht um rote Augen, Pickel und zu gelbe Zähne, sondern simple Dinge wie einheitliche Belichtung, Begradigung und hier und da eine Farbanpassung. Dass wir die Bilder sonst nicht rausgeben, ist nicht eitel oder eingebildet, sondern die Konsequenz daraus, dass ihr jemanden an der Kamera wolltet, der weiß was er macht. Und dieser Teil der Fotografie dauert oft mindestens so lange wie eure Veranstaltung selbst. Überspringen wir auf expliziten Wunsch den Punkt der Nachlese und geben wider Willen einen Packen Rohmaterial heraus, habt ihr den zwar in Besitz, aber seid zu Recht verwundert, warum die Bilder nicht aussehen wie bei allen anderen, die einen guten Fotografen vor Ort hatten. Man weiß nicht genau was, aber irgendwas fehlt den Bildern. Und sei es nur, dass die Auswahl nicht auf die besten gefiltert wurde. Plötzlich verwahrlosen hunderte Bilder eines schönen Tages auf eurer Festplatte.

Deswegen entscheidet euch bitte vorher, ob wir lieber euer Gast sind und auch an allen Gesprächen, Zeremonien und schönen Momenten teilhaben sollen, oder ob wir als Fotograf erscheinen sollen. Denn schlussendlich ist es ein Vollzeitjob und nicht nur der Besitz von viel teurem Spielzeug.

Ohne emotional zu erpressen: Je nach dem wie ihr fragt, definiert ihr insgeheim, wie ihr zu uns steht.

Die Aussage “Du musst dir nicht so viel Mühe geben.” können wir schon aus Prinzip nicht befolgen. Dann nehmt lieber die Bilder von denen, die an diesem Tag sowieso aus Spaß die ganze Zeit ihre Digitalkamera oder Handys im Halfter haben.

Mögliche Alternativen: wir beraten euch im Vorfeld, wie ihr den Tag trotzdem mit geringen Mitteln und ohne uns an der Kamera verschwinden zu lassen unvergesslich festhalten könnt, wie ihr alle Anwesenden einbindet, mitzuwirken oder worauf ihr achten solltet, wenn ihr jemanden dafür beauftragen wollt.

Denn wir lieben euch und wollen euch helfen, aber nicht für euch arbeiten.

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Sven Giesen

Freischaffendes Lausbubentum, Design, Code und Produktentwicklung. Problemlöser für alles. Popkultur, Motorräder, Videospiele und auch Fotos. www.svengiesen.de