NBA Draft 2022: Shaedon Sharpe

T Adelhardt
13 min readMay 25, 2022

--

Am 23. Juni 2022 steht das Barclays Center in Brooklyn ganz im Zeichen der alljährlichen NBA-Talentziehung. 58 ambitionierte Nachwuchsathleten (Re: Tampering Rules, CC: Miami Heat, Milwaukee Bucks) erfahren an diesem Abend, für welche Franchise sie zukünftig ihre Sneaker schnüren dürfen. Über die designierten Top-Picks Holmgren, Banchero und Co. wurde bereits genug gesprochen und geschrieben — ich nehme an dieser Stelle einige der sogenannten “Mystery Men” und “Sleeper-Picks” unter die Lupe. Den Anfang macht Shaedon Sharpe.

Background

Nicht alle Wege in die beste Basketballliga der Welt verlaufen geradelinig; es gibt kein Schema F, keinen Königsweg. Ewig vorbei sind die Zeiten, in denen die Teenager-Talente erst vier Jahre lang ihre Heimat-Highschool zu Glanz und Gloria führen, sich dann an ihrer Traum-Universität einschreiben und dort für sechs bis acht Semester gleichermaßen die Hörsäle und NCAA-Parkettböden ihr Domizil nennen — ehe es mit dem Abschluss in der Tasche als hochdekorierter Senior in Richtung NBA geht. So weit, so bekannt. Die Realität heute lautet: Prep School, AAU, NBL Next Stars Program, G-League, Overtime Elite…und ein wenig NCAA ist auch noch dabei. Im Zack-Zack-Kurs zur Endstation NBA. Das gilt auch für Shaedon Sharpe. Geboren und aufgewachsen in London, Ontario, lief der 18-Jährige in seinem ersten Highschool-Jahr für die lokale H.B. Beal Secondary School auf. Um in einem kompetitiveren Umfeld zu spielen, ging Sharpe 2019 über die Landesgrenze und wechselte zur Sunrise Christian Prep im US-Bundesstaat Kansas. Unzufrieden mit seiner Spielzeit, brach er dort seine Zelte nach nur einem Jahr wieder ab und stand in der Saison 2020/21 für die Dream City Christian Prep auf dem Parkett. Sharpe legte dort eine Leistungsexplosion hin und brachte sich im Rahmen der Grind Session 2020/21 auf die Notizblöcke der College-Scouts und -Trainer. Bei dem Nike EYBL Circuit im Sommer 2021 nahm er mit dem AAU-Team UPLAY Canada teil und fackelte dort wahre Scoring-Shows ab. Darunter: 34 Punkte (13/23) gegen Indy Heat um Seton Hall-Commit D’Ante Davis, 29 Punkte (11/23) gegen Pro Skills mit Top-Talent Cason Wallace (#8 HS-Ranking 2022, Kentucky-Commit). Der Kanadier kletterte innerhalb von wenigen Monaten bis an die Spitze der Prospect-Rankings. Das “Who-is-Who” der NCAA-Top-Riege stand Schlange, um Sharpe von einer Immatrikulation zu überzeugen — Kentucky-Coach Calipari bekam den Zuschlag. Sharpe verzichtete sogar auf sein letztes Jahr an der Highschool, um bereits zum Wintersemester 2021/22 in Lexington aufzuschlagen. Der Plan war, die durch das “Reclassifying” gewonnene Zeit zur Akklimatisierung zu nutzen und ab der NCAA-Saison 22/23 in das Geschehen einzugreifen…doch Sharpe schwenkte um und gab Ende April bekannt, dass er sich für die kommende NBA Draft anmelden wird.

Mittendrin, aber doch nicht dabei: Sharpe war seit Januar am Campus in Lexington, verzichtete in Absprache mit Kentucky-Headcoach John Calipari jedoch darauf, in der Saison 21/22 auf dem Spielfeld zu stehen.

Daten, Zahlen, Fakten

Das Scouting-Tape

Team Kanada (FIBA U16 Americas Championship 2019), Dream City Christian (Grind Session 2020/21), UPLAY Canada (Nike EYBL 2021) — 23 gescoutete Spiele.

Frame und Athletik

Man sagt: Der erste Eindruck zählt. Und der erste Eindruck, den Sharpe 2019 im Rahmen der FIBA U16 Americas Championship bei mir hinterlassen hat, war ziemlich überwältigend:

Sharpe entspricht ziemlich genau jenem Idealbild, das wir von einem “Sprungwunder” haben: Seine “Max Vertical” soll 49 Inches (1,24 Meter) betragen, was wiederum einen All-Time-NBA-Rekord bedeuten würde. Der aktuelle Rekordhalter Keon Johnson kam bei den Combine-Athletiktests 2021 auf 48 Inches. Dass Sharpe ein explosiver Vertikalathlet ist, erkennt man nach wenigen Minuten. Ob Alley-Oop-Finishes in BLOB/SLOB-Spielzügen oder krachende Tomahawk-Dunks in Fastbreak-Situationen: Wenn der Gegner Sharpe auch nur ansatzweise genügend Raum zum Absprung lässt, scheppert es wenige Sekunden später gewaltig:

Aufgrund eines Fouls verfehlte Sharpe in diesem BLOB-Play zwar den Dunk, seine eindrucksvolle Sprungkraft ist aber klar erkennbar.

Wenn es um Scouting-Reports und Draft-Artikel geht, gibt es wohl keinen anderen Begriff, der so inflationär und undifferenziert benutzt wird, wie der Terminus “Athletik”. Obwohl die meisten von uns ein ähnliches Bild vor Augen haben, wenn ein Basketballspieler als “Super-Athlet” bezeichnet wird (Stichwort: Highflyer), beschränkt sich die Basketball-spezifische Athletik nicht nur auf die vertikale Sprungkraft und Explosivität. Denn es geht vor allem um Funktionalität — was nutzt mir die krasseste Sprungkraft der Welt, wenn ich es nicht bis zum Korb schaffe? Das gilt auch für Sharpe, wo wir hinsichtlich seiner “Athletik” wichtige Differenzierungen vornehmen müssen. Denn in seinen horizontalen beziehungsweise lateralen Bewegungen zeigt er nicht die gleiche Dynamik und Agilität wie in seinen vertikalen Aktionen. Das wird vor allem in den Momenten offensichtlich, wo er aus dem “Standstill” seine Gegenspieler attackieren will. Hier fehlt es Sharpe an einem explosiven ersten Schritt (dazu im Segment “Self-Creation”später mehr…). Auch in der Defensive kommt der fehlende Top-Speed in den lateralen Bewegungen negativ zum Tragen, wenn Sharpe bei den Help-Rotationen als Low-Man konstant zu spät dran ist. Durch seine Leaper-Qualitäten kann er von Zeit zu Zeit mal einen Block einsammeln, aber als defensiver Playmaker hat er sich bis dato nicht aufgetan (auch dazu später mehr).

Hinsichtlich seines Frames ist Sharpe auf einem guten Weg, auch wenn er weit davon entfernt ist, eine solche Kraftwumme zu sein, wie es Anthony Edwards im vergleichbaren Alter bereits war. Der 18-Jährige hat breite Schultern, sodass man sich durchaus vorstellen kann, wie er im Oberkörperbereich noch an Muskelmasse zulegt. Doch bereits jetzt kann Sharpe, wenn er beim Zug zum Korb seine Schulter herunternimmt, gegnerischen Körperkontakt absorbieren und lässt sich nur selten aus dem Weg bumpen.

Offense: Shooting, Scoring und Self-Creation

Egal ob Stepback- oder Sidestep-Dreier, Midrange-Pullup-Würfe oder Catch-and-Shoot-3s: Sharpe gehört zu den vielversprechendsten Shootern, die es in dieser Draftclass gibt. Der Flügelspieler verfügt nicht nur über einen soften Touch, sondern ist in seiner ganzen Shooting-Motion sehr konstant: Seine saubere Fußarbeit sowie die flüßige “Aufwärtsbewegung” vom Dip bis zum Release zeichnen seinen Wurf aus. Stellvertretend dafür steht dieser Transition-Dreier, bei dem Sharpe via One-Two-Step und gutem Rhythmus in den Wurf übergeht:

…oder Curry-esque Logo-Dreier ansatzlos versenkt:

Bei der Evaluation des Offensivspiels von Sharpe nehmen seine Shooting-Skills eine zentrale Rolle ein. Sowohl bei der Grind Session als auch dem EYBL-Turnier überzeugte er als “Tough-Shotmaker”, der sich zu jeder Zeit seinen eigenen Wurf kreieren — und treffen — kann. Sharpe nahm knapp 25 Prozent seiner Abschlüsse aus Isolation-Plays und generierte dort sehr gute 1.3 Punkte pro Wurf. Er legt sich zumeist seine Gegenspieler im Eins-gegen-Eins durch Hesitation-Moves wie dem “Hang Dribble” zurecht und geht dann im richtigen Moment zum Wurf hoch:

Auch technisch anspruchsvolle Sidestep-Dreier hat Sharpe im Repertoire:

Die Kehrseite der Medaille ist, dass Sharpe auf diese schwierigen Würfen oftmals zurückgreifen muss, da er sich gegen seinen On-Ball-Defender keine Vorteile beim Zug zum Korb kreieren konnte. In dem folgenden Beispiel hat er sich gegen seinen Verteidiger durch ein Behind-the-Back-Dribble eigentlich einen Vorteil verschafft und könnte über seine linke Hand zum Korb ziehen. Sharpe verliert jedoch kurz die Kontrolle über den Ball und dribbelt wieder rückwärts, um erneut über seine rechte Hand zu attackieren — und nach einem zweiten Behind-the-Back-Move den Stepback-Dreier zu nehmen:

Szenen wie diese illustrieren gut, wieso Isolation-Playtype-Stats und Dreierquoten im Vakuum betrachtet keine Aussagekraft über die Qualität der selbst kreierten Abschlüsse besitzen. Denn manchmal sind sie auch nur Ausdruck dessen, dass ein Spieler Probleme dabei hat, bis zum Korb zu gelangen und dort erfolgreich abzuschließen oder Freiwürfe zu ziehen. Und so ist es auch bei Sharpe ein zweischneidiges Schwert. Hier seine Shooting-Zahlen sowie die entsprchende Grafik eines imposanten Fünf-Spiele-Runs während des EYBL-Turniers:

EYBL 2021, 14.-18.7.: 3PTr: 39.2%, 12.1 3PT/100 Poss. und 42.9 3FG%

Shotchart von Sharpe, EYBL 2021. Quelle: InStat

Einen Großteil seiner “Paint Touches” generierte Sharpe im Fastbreak beziehungsweise in der “Early Offense”, wenn er eine Defense, die noch nicht geordnet war, attackieren konnte. Gegen eine sortierte Halbfeld-Defensive, bei der er es nicht schaffte, seinen primären Gegenspieler durch Screens oder Dribble-Handoffs abzustreifen, hatte er wiederum Probleme sich gute “Looks” herauszuspielen:

Ich bin wahrlich kein Experte auf dem Gebiet des Highschool- respektive AAU-Scoutings, aber ich würde sagen, dass sich D’Ante Davis als langer, agiler Wing-Defender auf einem Talentlevel befindet, das in Richtung NBA geht. Und gegen diesen Spielertypus hat Sharpe immer wieder Probleme, einen passablen Angriffswinkel zu finden. Selbst nach einem effektiven Between-the-Legs-Crossover schafft er es nicht vor Davis zu kommen…und dribbelt zusätzlich direkt in den “Stunt” des Strongside-Helpdefenders rein. Szenen wie diese lassen mich daran zweifeln, dass Sharpe in der Offensive einen reibungslosen Übergang auf das NBA-Niveau schafft. Vieles von dem, was gegen kleinere Gegenspieler noch klappte, wird gegen die Wing-Defender in der Association nicht mehr funktionieren.

Hier ein weiteres Beispiel für die Probleme, die Sharpe hat, gegen Athleten auf NBA-Niveau zu finishen:

Disclaimer: Jalen Duren ist ein herausragender Shotblocker in Recovery- oder Help-Situationen.

Meine Hauptkritik an Sharpe und seiner On-Ball-Creation ist jedoch, dass er sich viel zu oft auf seinen Wurf verlässt. Selbst in Situationen, in denen er einen langsameren/behäbigeren Gegenspieler per Drive attackieren müsste, vertraut er lieber auf seinen Stepback-Dreier:

In dieser Szene hat Sharpe durch seine Scoring-Gravity eigentlich einen Vorteil kreiert, da der Weakside-Guard-Defender innerhalb der 2–3-Zone auf seine Seite herüber rotiert ist und somit einen Skip-Pass möglich macht. In solchen Momenten bekommt Sharpe einen leichten Tunnelblick — auch wenn ich ihm eine generelle Passfreudigkeit nicht absprechen würde.

Für sein Highschool-Team operierte Sharpe wesentlich öfters in Sets, die sein Potenzial als Slasher akzentuierten. Hier ein erfolgreicher Drive, der aus dem Setplay “Horns Elbow Clear Take” entstanden ist:

Ich werde im Segment “NBA-Fit” noch etwas ausführlicher das Potenzial von Sharpe im richtigen NBA-Offensivsystem skizzieren. Aber eine Sache wird hier bereits sehr deutlich: Wenn der Flügelspieler nicht aus dem eigenen Dribbling seinen Drive vorbereiten muss, sondern quasi einen “Vorsprung” gegenüber die Defense durch ein Dribble-Handoff oder “Pitch Back Pass” erhält, ist er als Scorer in der Zone wesentlich gefährlicher.

Und so sieht es aus, wenn er aus einem “Horns Iverson”-Setup eine Defense attackieren kann, die in “Drop-Coverage” verteidigt:

Dass Sharpe mit viel Selbstvertrauen und ohne Zögern gegen diese Art der Pick-and-Roll-Defense seinen Mitteldistanzwurf als Gegenmittel einsetzt, ist tatsächlich ein guter Indikator für sein Potenzial als On-Ball-Playmaker in der NBA. Da ihm noch die explosive Dynamik im Antritt und Ballhandling-Skills auf Top-Niveau abgehen, kann er seinen Pullup-Wurf als Waffe einsetzen, um jegliche “Under-Coverage” konsequent zu bestrafen.

(P&R-)Playmaking

Im Bereich des Pick’n’Roll-Playmakings steht uns bis dato nur wenig Anschauungsmaterial zur Verfügung. Bei der kanadischen Nationalmannschaft hatte er mit Ryan Nembhard einen verlässlichen Aufbauspieler an seiner Seite, der den Großteil des On-Ball-Playmakings übernahm. Und auch für Dream City und UPLAY übernahm Sharpe selten die Aufgaben des Pick’n’Roll-Playmakers. Dass ihm dadurch das Spielverständnis in diesen Situationen noch abgeht, konnte man bei einzelnen Side-Pick’n’Rolls sehen. In der folgenden Szene erhält Sharpe einen Step-up-Screen und es entsteht ein “Empty-Side-PnR”. Nun verpasst der Kanadier sowohl die Chance, die Defense zu splitten und zum Korb zu ziehen, als auch seinen abrollenden Mitspieler per Bodenpass zu bedienen. Stattdessen nimmt Sharpe den schweren Pullup-Zweier aus der Ecke:

Hier noch einmal das gleiche Setup, wieder stellt ihm sein Big Man einen Step-up-Screen. Team Final verzichtet auf eine klassische Ice-Coverage und tritt mit dem Big-Defender zum “Hard Hedge” heraus. Der Blocksteller rollt daraufhin in die freie Zone ab und Sharpe könnte ihn mit einem einfachen Lob-Anspiel bedienen — doch er nimmt den Pullup-Dreier aus großer Entfernung. Wer trifft hat recht? Processing versus Decision…

Die wohl vielversprechendste Szene im Bereich des Pick’n’Roll-Playmakings ist folgende Aktion:

Sharpe rejected hier den Screen im High-Pick’n’Roll, zieht aggressiv zum Korb und bedient mit einem Kickout den cuttenden Mitspieler. Ein Paradebeispiel dafür, wie sich durch die eigene “Rim-Pressure” Playmaking-Möglichkeiten für die Mitspieler ergeben.

Im vorangegangenen Clip zeigt Sharpe gutes Timing bei dem Bouncepass zum abrollenden Teamkollegen. Simpel, aber effektiv.

On-Ball-Defense

Obwohl Sharpe von den meisten Draft-Analysten für seinen Impact als On-Ball-Defender gelobt wird, lassen seine Darbietungen am defensiven Ende des Courts in Sachen Aufmerksamkeit/Awareness und Konstanz noch arg zu wünschen übrig. Fairerweise muss man ihm zugutehalten, dass er besonders im AAU-Team eine immense Offensivlast schultern musste und dadurch in der Defense Körner ließ. Aber bei einem Wing-Athleten, der als klarer Plus-Verteidiger bezeichnet wird, fallen solche “Blow-bys” besonders negativ ins Auge:

Das Highschool-Tape von Sharpe sieht wesentlich positiver aus, auf diesem Niveau verzichteten fast alle Teams in das direkte Eins-gegen-Eins gegen ihn zu gehen. Meiner Meinung nach bringt Sharpe definitiv gute Anlagen mit, um ein brauchbarer NBA-Wing-Defender zu werden. Lediglich seine “Hip flexibility” (Entschuldigt bitte dieses Modewort aus der Draft-Scouting-Sprache…) und Fußarbeit benötigen noch etwas athletischen beziehungsweise technischen Feinschliff. Mit dem richtigen Coaching und entsprechender “Urgency”/Mentalität kann Sharpe zum veritablen Wing-Stopper heranreifen — die körperlichen Voraussetzungen bringt er auf jeden Fall mit.

Team-/Help-Defense

Zwei Aspekte, auf die ich bei dem Scouting von Team- und Help-Defense besonders achte, sind die “Screen-Navigation” (Mit welcher Agilität und Fußarbeit kämpft sich der Spieler um die Blöcke? Erkennt er die Screens frühzeitig?) und “Help-Awareness” (Hilft der Spieler in den richtigen Momenten aus? Stimmen die Weakside-Rotationen?). Leider hat mich Sharpe in beiden Bereichen nicht wirklich überzeugt. Bei der PnR-Defense zeigte er regelmäßig eine falsche Körperhaltung beziehungsweise Fußarbeit und ließ sich von der Offense düpieren:

Problematischer als seine Pick’n’Roll-Defense finde ich jedoch seine “Awareness” in Help-Situationen. Hier zeigt Sharpe zu wenig Einsatz und verpasst es, im richtigen Moment den abrollenden Spieler zu taggen.

Der NBA-Fit

In der NBA erlebt ein Setplay aktuell Hochkonjunktur: Die Zoom-Action, oder auch “Chicago” genannt. Bei dieser Aktion, die häufig aus einer Five-Out-Aufstellung (“Delay”) gelaufen wird, curlt ein Spieler erst über einen Pindown-Screen und erhält im direkten Anschluss ein Dribble-Handoff. Im Grunde genommen laufen alle NBA-Teams immer wieder Variationen dieses Plays. Vor allem Suns-Headcoach Monty Williams hat die Zoom-Action zu einer Art “Go-to-Play” im Taktikbuch seiner Mannschaft verankert, um Devin Booker bestmögliche Scoring-Optionen zu ermöglichen.

Der große Vorteil dieses Plays liegt darin, dass dem Flügelspieler durch die vorangegangene Screening-Aktion mehr Freiraum für das Dribble-Handoff zur Verfügung steht und dadurch sowohl Pullup-Würfe als auch Downhill-Drives einfacher möglich sind. Booker ist ein Midrange-Maestro, er seziert in diesen Aktionen jegliche “Under-Coverages” und kann sie mit seinem Mitteldistanzwurf bestrafen. Ein ähnliches Play, das ebenfalls zum Standardrepertoire in jedem NBA-Playbook gehört, lautet “Miami”. Hierbei erhält der Flügelspieler erst einen Dribble-Handoff und bekommt danach einen On-Ball-Screen gestellt. Diese Drei-Mann-Aktion kennt man auch unter dem Begriff “Pistol” oder “21”:

Was dieser Xs&Os-Ausflug mit Sharpe zu tun hat? Das will ich euch im folgenden Video zeigen:

In diesem Clip sehen wir vier verschiedene Angriffe, in denen Sharpe aus einer Miami- bzw. Pistol-Action heraus zu seinen Punkten kam. Bei der ersten Aktion läuft Dream City das Play mit hohem Tempo in der “Early Offense”. Die Pick’n’Roll-Verteidiger wollen das “Two-Man-Game” zwischen Sharpe und seinem Big Man hedgen, doch der Kanadier rejected den Screen mit einem Crossover und attackiert den Korb per Dribble Drive. Und wenn man Sharpe einen solchen roten Teppich auf dem Weg zum Ring ausrollt, dann scheppert es gewaltig. Unter’m Strich gehört diese Szene wohl zu den Top-3-Aktionen, die ich von Sharpe bis dato gesehen habe. Er liest die PnR-Defense, reagiert entsprechend und zieht aggressiv zum Korb. Dieses schnelle On-Ball-Decisionmaking lässt darauf hoffen, dass er mit entsprechenden Wiederholungen auch auf höchstem NBA-Niveau Creation-Aufgaben übernehmen kann — wenn auch in spezifischen Settings bzw. Plays, die ihm entsprechenden Raum verschaffen. Bei der zweiten Szene wird der On-Ball-Screen von der Defense in einer Drop-Coverage verteidigt. Sharpe attackiert den Big Man nach einem kurzen “Hang Dribble” und Tempowechsel direkt am Zonenrand, wo er mit einer beeindruckenden Hangtime auf akrobatische Weise punktet und das “And-One” zieht. In der dritten Szene kontert er die “Under-Coverage” mit einem smoothen Pullup-Wurf aus der Mitteldistanz. Und zum Abschluss dann noch der ansatzlose Pullup-Dreier, als sein Verteidiger sich unter dem Block durchkämpfen wollte. Vier erfolgreiche Abschlüsse aus einer Pistol-Action, die auch von NBA-Teams gerne gelaufen wird. Worauf ich hinaus will: Sharpe verfügt mit seinem sicheren Pullup-Shooting (Mitteldistanz und Downtown) und den Tempo-Dribble-Drives genau über jene zwei Skills, die von Off-Ball-Wings in der modernen NBA benötigt werden. Wäre es schön, wenn er mehr reaktives Passing gezeigt hätte? Mit Sicherheit. Um ihm eine klare NBA-Rolle als primärer Playmaker zuzuschreiben, haben wir bis dato zu wenig Pick’n’Roll-Playmaking gesehen. Aber sein NBA-Fit scheint mir doch etwas klarer zu sein, als von vielen Draft-Analysten momentan skizziert.

Fazit/Draft-Ausblick

An Shaedon Sharpe scheiden sich die Geister. Dass er weder für Kentucky in der NCAA noch bei der Draft Combine auf dem Feld stand, legten ihm (beziehungsweise seinem Camp) so manche NBA-Scouts und -Manager negativ aus:

“He barely practiced at Kentucky. Didn’t want to play in games and he didn’t want to play at combine. Who’s advising him? He can’t hide forever. Does he want to play in summer league?” [Source: @Barlowe500, Twitter]

Ein Versteckspiel ist es gewiss nicht, aber Sharpe hat zu diesem Zeit einfach mehr zu verlieren als zu gewinnen. Sein Highschool- und AAU-Tape brachte ihm genügend Hype ein, um in der Top-Ten gezogen zu werden. Warum jetzt noch die spielerischen Dezifite offensiv zur Schau stellen, wenn diese ohnhin bekannt sind (On-Ball-Playmaking, Rim Pressure in 1-gegen-1-Situationen, Team-Defense)? So oft wir uns auch über die Kings lustig machen, halte ich einen etwaige Sharpe-Pick an #4 noch für vertretbar. Ähnliches gilt für die Pistons an #5, Pacers an #6 oder Blazers an #7. All diese Teams haben einen primären Playmaker in ihren Reihen, sodass sich Sharpe zu Beginn seiner Karriere auf seine Off-Ball-Rolle als “Floor Spacer” konzentrieren kann und vornehmlich “Second-Side-Creation”-Aufgaben im Kontext der angesprochenen “DHO/Screen”-Sets wie “Miami” oder “Chicago” übernehmen. Im Draft-Fachjargon wird oft über “Tools” gesprochen und bei Sharpe ist die Werkzeugkiste so gut gefüllt, wie bei kaum einen anderen Prospect in der Draftclass. Dank seiner Länge, der vertikalen Athletik und seinem Frame, der in Zukunft noch kräftiger daherkommen wird, halte ich auch sein “Low-End-Outcome” für klares NBA-Material. Ob es bei ihm in Devin Booker/Paul George-Sphären oder doch eher in Richtung KCP/Monk-Territorium geht, hängt im besonderen Maße vom richtigen Entwicklungskontext ab. Sharpe benötigt Spielzeit, in der er mit dem Ball in der Hand kreieren kann. Er muss lernen, wie er seine Gegenspieler durch die richtigen Dribble-Moves schlagen kann und an seine “Paint Touches” gelangt. Ansonsten ist er “nur” ein Two-Level-Scorer mit beschränkten Playmaking-Skills. Nichtsdestotrotz: Auf blutjunge Shooting-Wings mit spannenden Ansätzen bei der On-Ball-Creation sollte man als NBA-Team, das knöcheltief im Rebuild steckt, durchaus wetten.

--

--