Auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft wettbewerbsfähig sein

TechDistrict
5 min readSep 21, 2019

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Der demografische Wandel und die fortschreitende Digitalisierung und Auto- matisierung sind zwei der ganz grossen Herausforderungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Von Romeo Ruh und Andrea Gassner

Die wirtschaftlich fortgeschrittenen Länder sind von der demografischen Alterung ihrer Bevölkerung betroffen, was bedeutet, dass der Anteil der älteren Bevölkerung gegenüber der jüngeren Bevölkerung kontinuierlich zunimmt. In der Schweiz wird der demografische Wandel in den nächsten zehn Jahren mit dem Erreichen des Pensionsalters der geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1964 voll auf den Schweizer Arbeitsmarkt durchschlagen. Schätzungen sprechen von 400 000 Arbeitskräften, die bis ins Jahr 2030 in der Schweiz fehlen könnten. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Bedarf in diesem Zeit- raum durch Automatisierung und Einsatz neuer Technologien (Roboter, 3-D-Drucker, Drohnen, künstliche Intelligenz, Bilderkennung etc.) vollständig kompensiert werden kann. Ob die Mehr- bzw. Höherbeschäftigung von Frauen, die Einwanderung und die Verlängerung der individuellen Erwerbstätigkeit über das Pensionsalter hinaus ausreichen, um die Lücke zu schliessen, wird sich zeigen müssen.

Digitalisierung und mögliche Auswirkungen auf den Schweizer Arbeitsmarkt

Es gibt zahlreiche Studien zum Wandel der Arbeitswelt infolge der Digitalisierung. Je nach Fokus und Untersuchungsraum resultieren unterschiedliche Zahlen darüber, wie viele und welche Jobs gefährdet sind. Michael Osborne und Carl Benedikt Frey publizierten 2013 eine viel beachtete Studie, die bezogen auf die USA das Automatisierungsrisiko verschiedener Berufsbilder beschrieb. Die Autoren stellten die These auf, dass ca. 47 Prozent aller Jobs in Gefahr seien. Andere Studien kommen auf bedeutend tiefere Zahlen, da durch die Digitalisierung nicht nur Jobs wegfallen, sondern neue entstehen. Die OECD geht in ihren Prognosen von einem Verlust von netto 10 Prozent der Stellen aus. Die vor Kurzem veröffentlichte Studie Transformation der Schweizer Wirtschaft des Beratungsunternehmens Deloitte geht in ihren Prognosen ausgehend von der bisherigen Entwicklung sogar von einem Nettozuwachs von 270 000 Stellen bis 2025 aus.

Wenn die prognostizierte Beschäftigungslücke quantitativ und qualitativ nicht geschlossen werden kann, leidet die Wettbewerbsfähigkeit, und das Risiko steigt, dass Arbeitsplätze abwandern. Es wird also entscheidend sein, dass das Potenzial der aktiven Arbeitnehmer genutzt und deren Kompetenzen mit den sich wandelnden Erfordernissen der Arbeitswelt entwickelt werden. Es ist davon auszugehen, dass diese Transformation nicht ohne Brüche und Widersprüche verlaufen wird.

Welche Kompetenzen in Zukunft gefragt sein werden

Wir befinden uns mitten in der Transformation der Arbeitswelt. Wie genau die Jobs der Zukunft aussehen werden, wissen wir nicht. Generell ist davon auszugehen, dass einfache Routinetätigkeiten mit Schwerpunkt auf Mustererkennung und Reiz-Reaktions-Schemata am meisten gefährdet sind, da diese effizient automatisiert werden können; Tätigkeiten dagegen, die Empathie und soziale Interaktion erfordern, am wenigsten. Die meisten der heutigen Berufsbilder enthalten beide Elemente. Durch Wegfall der automatisierbaren Aufgabenteile wird die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine verschoben. Die Interaktion von Mensch und Maschine wird sich dabei in Richtung höhere Komplexität verändern.

Gemäss der erwähnten Deloitte-Studie gelten Kreativität und soziale Intelligenz als beson- ders zukunftssichere Fähigkeiten, da Menschen in diesen Bereichen gegenüber Maschinen (noch) klare Vorteile haben. Gefragt sind ebenfalls technische und analytische Kompeten-zen, vor allem im ICT-Bereich. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und der Schutz gegenüber der Automatisierung erhöhen sich zusätzlich, wenn Arbeitnehmer über eine Kombination dieser Fähigkeiten verfügen. Im Gegensatz zu früheren Automatisierungswellen sind Tätigkeiten, die höhere Ausbildungen erfordern, allerdings nicht per se geschützt vor Automatisierung. Mit dem Einsatz von lernenden Systemen, Bilderkennung etc. können Computer Aufgaben übernehmen, die bis anhin von hoch qualifizierten Fachleuten wahr- genommen wurden.

Aus der Praxiserfahrung in der Outplacement- und Karriereberatung mit rund 750 Klientinnen und Klienten pro Jahr erleben wir den sich wandelnden Arbeitsmarkt unmittelbar. Bezüglich Karrieremodellen, Berufsbildern und Kompetenzen beobachten wir folgende Trends:

  • Die mittel- bis längerfristige Karriereplanung wird angesichts des sich rasch wandelnden Umfelds immer schwieriger, sodass das Denken in Optionen wichtiger wird.
  • Karrieremodelle werden vielschichtiger. Es steht nicht mehr nur die klassische Feststelle im Vordergrund, stattdessen wird heute mehr in Kombinationen gesucht (Job- Portfolio).
  • Branchen- und technologieübergreifende Schlüsselqualifikationen werden (wieder) stärker gewichtet. Dazu gehört unter anderem die Fähigkeit zum vernetzten und ganzheitlichen Denken — dies verstärkt auch in den mittleren Profilen von Fachspezialisten. Gerade für diese Gruppe ist es bedeutsam, diese Qualifikationen in der Selbstprä- sentation sichtbar zu machen.
  • Sehr wichtig werden auch soziale und emotionale Intelligenz sowie Führungskompetenz für das digitale Zeitalter. Die Fähigkeit, sich hybrid, also gleichzeitig, in der analogen und digitalen Welt zu bewegen, wird auschlaggebend sein für die Zukunft.
  • Projektleitende, welche über interdisziplinäre Kompetenzen verfügen wie beispielsweise in den Bereichen BWL, ICT und Recht, sind gefragter.
  • Die Anforderungenandiedigitale Kompetenzsteigenan(UmgangmitIT,Tabletsund Mobile Apps), auch in Berufen, in denen diese Kompetenzen weniger vermutet werden, wie in Pflegeberufen. Generell werden jene Fähigkeiten wichtiger, die uns zum Umgang mit Maschinen befähigen und gleichzeitig auch von ihnen unterscheiden.
  • Eigenschaften wie Flexibilität, Mobilität, Lern- und Veränderungsbereitschaft sowie eine hohe Selbstmanagement- sowie Selbstvermarktungskompetenz werden zunehmend wichtiger.
  • Nebst einer hohen Lernfähigkeit wird es immer wichtiger, das neue Wissen rasch durch Anwendung in Tätigkeiten und Projekten in entsprechende Verhaltensweisen zu überführen und es dann auch in unterschiedlichen Kontexten einsetzen zu können.

Employability als wechselseitigen Prozess verstehen

  • Employability wird mit Arbeitsmarktfähigkeit oder Beschäftigungsfähigkeit übersetzt. Prof. Dr. Jutta Rump und Silke Eilers, die seit Jahren in diesem Feld forschen, definie- ren Employability als «Fähigkeit, fachliche, soziale und methodische Kompetenzen unter sich wandelnden Rahmenbedingungen zielgerichtet und eigenverantwortlich anzupas- sen und einzusetzen, um eine Beschäftigung zu erlangen oder zu erhalten».
  • Employability geht also über die Aneignung zukunftsfähiger Skills-Sets hinaus und um- fasst auch das Mindset des lebenslangen Lernens. Die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Arbeitsmarktfähigkeit immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und Eigenver- antwortung zu übernehmen, wird in einer sich sehr rasch wandelnden Arbeitswelt zur zentralen Schlüsselkompetenz.

Massnahmen zur Stärkung der Employability für Arbeitnehmer

  • Basis für eine tragfähige Employability ist die nüchterne und realistische Standortbestim- mung bezüglich der eigenen Kompetenzen, Stärken, Schwächen, Werte und Ambitionen. Diese Auseinandersetzung kann allein im «stillen Kämmerlein» erfolgen, im Austausch mit dem vertrauten Umfeld oder mit professioneller Begleitung.
  • Aufgrund des sich rasch verändernden Arbeitsmarkts empfiehlt es sich, alle drei bis fünf Jahre eine solche berufliche Standortbestimmung vorzunehmen. Es geht darum, zu er- gründen, wo man heute beruflich steht und wie man sich im Einklang mit seiner Persön- lichkeit, seinen Zielen und Ambitionen am besten positioniert: Wer bin ich? Was kann

Fazit

Der demografische Wandel in Kombination mit der weiter fortschreitenden Digitalisierung ist eine Herausforderung für Arbeitgeber, Führungskräfte, HR-Verantwortliche und Mitarbeitende. Unternehmen tun gut daran, in die Employability ihrer Mitarbeitenden zu investieren: «Make the workforce able to go, but want to stay.» Denn Unternehmen, deren Mitarbeitende nicht «employable» sind, werden über kurz oder lang an Arbeitgeberattraktivität, Mitarbeiterbindung und damit an Wettbewerbsfähigkeit einbüssen.

Quelle: Das Buch für die Schweizer Personalpraxis

Autoren: Romeo Ruh und Andrea Gassner

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