Der Spiegel der Wessis: Eine Geschichte in Titelbildern

Silvio Schwartz
einwende
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6 min readAug 24, 2019

Reden wir einmal über Bilder. Denn Bilder bilden Wahrnehmungen ab, und sie prägen ein öffentliches Bewusstsein. Gerade Titelbilder von Zeitungen und Zeitschriften sind dabei ein wichtiges Feld — sollen sie doch aufmerksam machen und damit zum Kauf anregen. Das Wochenmagazin „Spiegel“ schafft das immer wieder. Mal trifft es den Nerv der Zeit, mal provoziert es — manchmal beides.

Seit 24. August 2019 liegt der Spiegel mit einem Titelbild
in den Regalen, das endlich Erklärung verspricht: „So isser, der Ossi.“ Bebildert
ist es mit einem Anglerhut in schwarz-rot-gold.

Spiegel 35 / 2019

Vor ziemlich genau einem Jahr erlangte ein Pegida-Demonstrant mit einem solchen Kleidungsstück unfreiwillige Berühmtheit. Er kritisierte ein Kamerateam weil er nicht gefilmt werden wollte und ließ das Filmteam von der Polizei kontrollieren. Der — natürlich — gut dokumentierte Vorfall bestach durch die polterige Impertinenz des Betroffenen und wurde von klassischen Medien und in Social Media bereitwillig aufgenommen. Die taz hatte etwa am 24. August 2018 — also exakt ein Jahr vor dem aktuellen Spiegel-Titel — ein recht ähnliches Titelbild mit der Fokussierung auf den Anglerhut:

taz 24.08.2018

Der Anglerhut mit markanter Farbgebung ist also im wahrsten Sinne ein Symbol-Bild für Ostdeutschland geworden. Genauer gesagt: Für Ostdeutsche mit rechter Einstellung einerseits und mit wenig Intelligenz andererseits. Also genauso, wie man sich in Westdeutschland Ostdeutsche gerne vorstellt.

Gerade der „dumme Ostdeutsche“ hat in der bildlichen Darstellung Tradition. Die bekannteste Darstellung dürfte das Titelbild der Titanic vom November 1989 sein:

Titanic November 1989

„Meine erste Banane“ heißt es hier — eine geschälte Gurke lässt auch bei „Zonen-Gaby“ wenig Auffassungsgabe vermuten. Und auch dort spielte Kleidung eine Rolle in der öffentlichen Darstellung eines „Ossi“: Was heute der Anglerhut ist, war damals die Jeansjacke. Wie etwa das Neue Deutschland 2015 im Interview mit dem Covermodell feststellt:

Das Bild ging später um die ganze Welt. Auch weil mit ihm die Ostdeutschen als einfältige, konsumgeile Trottel in hässlichen Stonewashed-Jeansjacken abgestempelt werden konnten.

Neues Deutschland, 03.01.2015

Auch beim Spiegel landete Ende 1989 eine Kopfbedeckung auf
dem Titelbild. Es gibt aber zwei Unterschiede zum aktuellen Cover: Es handelt
sich um die klassische Zipfelmütze des „deutschen Michel“, also eine
Darstellung des Deutschen an sich. Und unter dieser Mütze stecken zwei
Deutsche, Ost und West.

Spiegel 51/1989

Unter diesem Hut blieben die Deutschen laut Spiegel nicht
lange: Mitte 1990 sind sie immerhin noch durch die verknoteten Krawatten
verbunden. Der Texttext verweist aber bereits darauf, dass man „vereint aber
fremd“ sei:

SPIEGEL 39/1990

Mitte 1992 spricht man aber bereits von einer „neuen Teilung“
— „Deutsche gegen Deutsche“. Entsprechend blicken Ost und West übel gelaunt in
unterschiedliche Richtungen, Zusammenhalt gibt nur ein Strick, der sie
aneinander kettet.

SPIEGEL 34/1992

Über die Jahre scheint sich der Abstand noch weiter
vergrößert zu haben: 1999 stehen Menschen aus Ost und West weit entfernt auf
einer durchbrochenen Brücke. Um die Lücke zu füllen, wird ein Handschlag
herangehoben — hier wird wieder der Strick verwendet, der aber bereits eine
bedenklich empfindliche Stelle besitzt

SPIEGEL 10/1999

Diese Entwicklung geschieht parallel zu einer weiteren
Titelbild-Erzählung des Spiegel: Der Osten kostet. Anfang 1990 etwa fragte man
aufgrund einer „Massenflucht“ aus der DDR: „Gefahr für den Wohlstand?“

SPIEGEL 4/1990

Und Mitte 1991 lautete die Frage aufgrund von „Steuer-Opfern
für den Osten“: „Wieviel noch?“ Hier wird ein Westdeutscher von riesigen Händen
ausgewrungen:

SPIEGEL 27/1991

Beide Titelbilder zeigen also einen klar westdeutschen Blick, der den Osten wahlweise als Belastung oder als Bedrohung wahrnimmt. Die Angst vor der „Gefahr aus dem Osten“ ist übrigens schon deutlich älter: Bereits im Alten Griechenland fürchtete man sich auf diese Weise vor dem Perserreich.

Aber zurück in die 1990er Jahre aus Sicht des Spiegel. Der
war sich nämlich offenbar nicht einig, ob Ostdeutschland denn nun eine Erfolgsgeschichte
ist oder nicht. So hieß es 1994: „Der Osten is‘ stark“,

SPIEGEL 33/1994

Anfang 1995 aber hieß es „Milliardengrab ‚Aufschwung Ost‘“. Wobei auch der westdeutsche Blick zählt: Ahnen die Spiegel-Lesenden im Westen jetzt wohl, dass ihr Solidarbeitrag wohl doch nicht gut angelegt sein dürfte.

SPIEGEL 7/1995

„Der neue Osten“ heißt es wiederum 1996 — bei der bunten
Comicgrafik muss man vermuten: Neu gleich gut.

SPIEGEL 41/1996

Das ist recht interessant, hat der Spiegel bei Titelseiten 1995
und 1996 den Erfolg der „Blühenden Landschaften“ in Frage gestellt. In beiden
Fällen liegt das DDR-Staatswappen halb verrottet in einer Wiese.

SPIEGEL 36/1995
SPIEGEL 25/1996

Was auffällt: Diese Titelbilder besitzen bislang recht wenig “typische” Ost-Symbolik. Das sollte sich ändern. Denn ebenfalls 1995 findet der Spiegel erste Symbol-Bilder für die Ostdeutschen. Da man in einer Umfrage ein „Heimweh nach der alten Ordnung“ gefunden habe, trägt eine Frau stolz eine DDR-Flagge und erotisch eine FDJ-Bluse.

SPIEGEL 27/1995

Die Hemden von FDJ und Pionieren hatten es dann eine Zeitlang tatsächlich ins öffentliche Bewusstsein als DDR-Symbole geschafft. In der „DDR-Show“ von RTL trug etwa Kati Witt ein Pionierhemd, was ihr auch Kritik einbrachte.

Kati Witt in der “DDR-Show” 2003

Ach, die Symbole, endlich, mag man beim Spiegel frohlockt haben! 2004 hatte das Magazin mit dem Ampelmännchen ein anderes ostdeutsches Symbol gefunden und eine griffige Zeile gleich dazu: „Jammertal“ hieß es zu 15 Jahren Deutsche Einheit.

SPIEGEL 39/2004

Damit war der Spiegel nah am „Jammerossi“ — und bereits
recht nah am aktuellen Spiegelbild: Ein klares bildliches Symbol gepaart mit
einem klaren Urteil über den Osten. Der jammernde Ossi halt, entweder über die
wirtschaftliche Situation oder weil er bei einer Demonstration gefilmt wird.

Was im Jahr 2004 aber noch fehlt, das ist der Verweis auf den rechten Osten. Das lieferte der Spiegel dann im Jahr 2018:

SPIEGEL 36/2018

Ein ganzes Bundesland wird rechts, sagt uns die Illustration ganz zugespitzt. Bei einer anderen Titelseite aus dem gleichen Jahr ist der Spiegel etwas ausführlicher: „Revolution“ heißt es da und „Warum die Deutschen so oft scheitern“. 1989 steht in der Auflistung, auch wenn das entsprechende Foto hinter dem westdeutschen Symbol Rudi Dutschke recht versteckt abgebildet ist.

SPIEGEL 42/2018

Aber: Ist 1989 denn tatsächlich gescheitert? Aus Sicht des Spiegel und der Geschichte seiner Titelseiten ist die Antwort wahrscheinlich klar: Ja. Denn die Ostdeutschen sind dumm, sie kosten und rechts sind sie jetzt auch noch geworden.

Die Titelseiten des Spiegel dürften aber auch eine Antwort darauf geben, warum das Magazin im Osten Deutschlands vergleichsweise wenig gelesen wird, weniger als die „SuperIllu“ etwa. Aber wer möchte denn auch eine Zeitschrift kaufen, auf der man als jammernd, als dumm oder als rechts dargestellt wird? Und versteht der Spiegel seine potenziellen Käuferinnen und Käufer tatsächlich so?

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