Warum ich keine Apple Watch kaufe

Thomas Pleil
6 min readFeb 27, 2015

Ich brauche keine Smart-Watch. Jahrelang habe ich ganz selten überhaupt nur eine Uhr getragen. Trotzdem: Ich kaufe mir so eine digitale Armfessel. Aber nicht von Apple.

Es ist das übliche Ritual: Irgendwo sickert durch, dass Apple zu einem Event einlädt. Genauer, zu einem Event, von dem jeder, der sich für Tech-Kram interessiert, eigentlich schon lange wusste. Aber jetzt weiß man halt ein bisschen mehr. Nach und nach sickern Datum und Uhrzeit durch, dann sogar die bewegende Information, dass das Ganze live gestreamt wird. Wow. Es waren gefühlt ein Dutzend News und Blogsposts, die ich hierzu im RSS-Reader, bei Facebook und Twitter zu überlesen versucht habe. Klar: Es geht um diese Apple Watch. Von der wiederum wissen wir an sich schon seit ein paar Monaten, und sie bringt die einen zum Gähnen, doch andere werden kurzatmig. Ein paar Journalisten schreiben wichtig von der großen Spannung, mit der das Ding erwartet werde. Erstaunlich immerhin: Noch nie hatte ich den Eindruck, dass Apple lange vor einer Produkteinführung einen solchen Marketingdruck aufbaut —von der offiziellen Ankündigung letztes Jahr schon über großflächige Anzeigen in Modeblättern bis hin zu einer Werbetour des CEO des weltweit wertvollsten Konzerns, sogar bis nach Germany — welche Ehre für den in vielerlei Hinsicht kampagnengestählten Kai Diekmann, der sich bei solcher Gelegenheit mal kurz vom eigenen Agitieren ausruhen kann.

Wieder mal möchte der Apple-Konzern einen neuen Markt erschließen.

So wie er mit dem iPhone den Smartphone-Markt erschlossen hat oder mit dem iPad den der Tablets. Beide Produkte habe ich mir erst ein Weilchen angeschaut, beide sind längst tägliche Begleiter geworden, nun für mich jeweils in Nachfolgeversionen. Nach wie vor finde ich beide Produkte richtig gut. Teuer zwar, aber wenn ich die vielen Stunden zusammenrechne, die ich sie im Lauf einer Woche nutze, sind sie’s mir wert, wie auch der MacMini auf dem Schreibtisch. Man merkt schon: Ich bewege mich ganz in der Apfelwelt.

Das war nicht immer so. Bis Mitte der Nuller-Jahre habe ich diese Apple-Freaks eher belächelt und die Windows-Fahne hochgehalten. Dumm nur, dass die Microsoft-Produkte immer schlechter und der Gates-Konzern immer mächtiger wurden. Heute früh habe ich bei Dan Gillmor gelesen, dass es zur selben Zeit wohl vielen ganz ähnlich ging. Irgendwie muss der zweite Aufstieg von Apple ja passiert sein.

Und so traurig es war, dass ein Kollege und Freund an eine andere Hochschule wechselte: Ich konnte sein altes MacBook übernehmen, just zu der Zeit, in der ich mich nicht nur über Microsoft ärgerte, sondern auch zugeben musste, dass Netbooks zwar günstig und schön handlich, aber nicht zum ernsthaften Arbeiten geeignet sind und ich als DAU noch immer keinen echten Zugang zu Linux gefunden hatte. Ein paar Tasten des Macs waren schon ziemlich abgegriffen, etwas, das ich von meinen früheren Rechnern nun gar nicht kannte. Das Metallgehäuse jedoch wirkte sehr stabil und ganz schön cool im Vergleich zu dem Plastik, das andere damals verbauten. Und nach all dem Gefuddel mit Windows und Office gewöhnte ich mich schnell an MacOS, Keynote und Co — und gewann es lieb. Zumal später dann im Zusammenspiel mit den mobilen Geräten.

Es nur logisch, auf die Apple Watch zu warten.

Mal mit blauem, mal mit grünem Armband: Meine uralte, aber sonnenbefeuerte Uhr.

Sicher würde sie ganz prima mit den vorhandenen Gadgets zusammenspielen. Dass ich noch nicht sehe, wofür ich überhaupt eine Smartwatch benötige, hatte ich eingangs schon festgestellt. Es mag schizophren klingen, dennoch eine zu bestellen. Ich geb’s zu: Der Spieltrieb hat gesiegt, sanft verstärkt durch das fadenscheinige Argument, dass es ja von Berufs wegen ganz gut zu wissen ist, wohin sich die Technologie entwickelt. Und obwohl ich in den letzten Jahren nur selten eine Uhr am Arm hatte, waren Uhren für mich doch immer ein nettes Accessoire. Am liebsten mochte ich übrigens eine gar nicht teure Kienzle, mit einem je nach Lichtverhältnissen mal blau, mal grün schimmerenden Zifferblatt — einer Solarzelle. Gerade ist das vermutlich sechste Armband dieser batterielosen Uhr kaputt gegangen, die ich — wenn die Erinnerung nicht trügt — bereits Ende der achtziger Jahre gekauft hatte. Auf ganz andere Art mag ich meine quietschgrüne Retro-Digitaluhr mit blauem Gehäuserand, die nur Datum und Uhrzeit anzeigen kann.

Pebble statt Apple

Doch um endlich auf den Punkt zu kommen: Ich habe vor drei Tagen eine Pebble Time bestellt. Wobei: Bestellt ist ja nicht ganz der richtige Ausdruck, denn wie schon das erste Modell wird die neue Pebble über Kickstarter, also Crowdfunding finanziert. Das heißt, das junge Unternehmen hat nicht nur einmalig versucht, von der Community eine Anschubfinanzierung für das erste Produkt zu erhalten, sondern es macht Crowdfunding zum Geschäftsprinzip. Die Pebble Watch wird weniger Funktionen haben als das in Cupertino designte Produkt. Und während Apple in kurzer Zeit sechs Millionen Uhren verkaufen will, sprechen wir bei Pebble von einigen zigtausend Exemplaren.

Aber immerhin: Das Startup hatte zum Ziel, 500.000 Dollar einzusammeln. Dieses wurde in ein paar Stunden erreicht. Aktuell liegt der Pegelstand bei 11,15 Millionen, und die 30.000 Exemplare der ersten Lieferung im kommenden Mai sind vergriffen. Enrique Dans ordnet das so ein:

“Pebble’s decision to use Kickstarter is clearly an appeal to its loyal fan base to protect it from Apple. One thing is a client who goes into a shop to by a watch, while somebody prepared to shell out in advance, perhaps even seeing their purchase as a contribution toward keeping a project afloat is something else entirely.”

Aber letztlich geht das noch weiter, denke ich. Ein Unternehmen, das Crowdfunding zum Prinzip macht und dieses auch noch verfolgt, wenn dies wirtschaftlich gar nicht mehr zwingend ist, ist zumindest etwas näher dran an seinen Kunden. Denn diese zeigen durch ihr finanzielles Commitment klar, ob sie ein Produkt wollen oder nicht — und das für das Unternehmen netterweise verbindlich und bevor die Produktion anläuft. Firmen, die sich auf Kickstarter und anderen Plattformen bewegen, müssen von vornherein eine andere Haltung zeigen als wir sie von Apple und Co. gewohnt sind. Funktioniert doch die Crowdfunding-Ökonomie nicht ohne einen gewissen Beziehungsaspekt zu den Unterstützern (wer mag, kann zum Beispiel auf Reddit Fragen an das Team loswerden). Dagegen agieren Konzerne wie Apple hinter verschlossenen Türen, werden zu Kontrollfreaks gegenüber Kunden, Entwicklern und Medien, um dann alle paar Monate mit neuen Heilsversprechen vom Berg hinabzusteigen — auch wenn diese gelegentlich peinlich in die Hose gehen, wie wir es gerade bei der Apple Watch gesehen haben.

Natürlich: Auch Pebble ist nur begrenzt kundenorientiert. Vorgestellt wurde schließlich ein bereits fertig entwickeltes Produkt — nur, es war noch nicht produziert. Open Innovation wäre also nochmal was ganz anderes als die Kickstarter-Aktion, die ja hauptsächlich dazu diente, Geld einzusammeln. Immerhin spiegelt dies ein anderes als die üblichen Finanzierungskonzepte, das nicht nur klassische Finanziers erstaunt beäugen dürften, sondern die Kickstarter-Story ist auch als Vertriebsform spannend. Mir ist das jedenfalls sympathischer als die zunehmend arrogante Vermarktungsmaschine aus Cupertino. Und auch wenn es Geschmacksache ist: Ich finde die Tonalität der Pebble-Kommunikation angenehm, viel angenehmer als die Cook-Shows der Konkurrenz. Und ganz ehrlich: Auf gewisse Weise ist die Kickstarter-Aktion ein perfektes Low Budget-Marketing - ich kann gar nicht zählen, in wie vielen Artikeln in den letzten Tagen Apple und Pebble in einem Atemzug genannt wurden.

Ein bisschen Politik im Überflüssigen?

Die Hauptsache aber ist, dass Pebble von Anfang an auf Open Source gesetzt hat, die Uhr auf das Zusammenspiel mit verschiedenen mobilen Betriebssystemen ausgerichtet ist und ihre Besonderheiten durch die Ideen vieler, vieler App-Entwickler erhält. Noch bin ich nicht so weit wie Dan Gillmor, der gerade ausführlich erläutert hat, warum er Apple, Google und Microsoft systematisch den Rücken kehrt — so gut es geht. In der täglichen Arbeit, so ist mein Gefühl, komme ich mit den Alternativen noch nicht vollständig klar.

Seine Diagnose jedoch teile ich:

“Our economic system is adapting to community-based solutions, slowly but surely. But let’s face it: we collectively seem to prefer convenience to control, at least for the moment. I’m convinced more and more people are learning about the drawbacks of the bargain we’ve made, wittingly or not, and someday we may collectively call it Faustian.”

Insofern ist die Pebble Watch nur ein winziger Baustein alternativen Konsums, so wie wir auch beim täglichen Einkauf entscheiden können, in welches Geschäft wir gehen. Ob ich mich beim nächsten Rechner wieder für Apple entscheide? Schaun wir mal.

Die erste Pebble war schon auf Kickstarter ein Riesen-Erfolg. Foto: Steve Petrucelli, flickr, CC BY-NC-ND 2.0

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Thomas Pleil

Teaching Public Relations in the B.Sc. programme Online Communications (onkomm.de) at Darmstadt University of Appl. Scs. https://thomaspleil.de