Immer auf die Fresse

Valentin Herleth
8 min readJul 4, 2020

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Eindrücke aus der Entstehung eines Kurzfilms über eine Frau in der Hooliganszene, damit verbundene Schwierigkeiten und warum Rückschläge leider dazu gehören

Vorbereitungen zu den Aufnahmen einer Kampfszene (Foto: Niklas Zink)

Filmemachen ist manchmal schmerzhaft. Bei der Realisierung meines Kurzfilms musste ich einige Rückschläge hinnehmen. Psychische und körperliche Anstrengungen waren nötig bis der Film das Licht der Leinwand erblicken konnte. Die Hindernisse schienen nicht aufzuhören. Anschließend blieb der erhoffte Erfolg auf Filmfestivals aber aus. Warum hat der Film es nicht geschafft? Kann die Idee trotzdem die richtigen Menschen erreichen? Ein kurzer Rückblick auf den Prozess von Face to Fist und seine Auswirkungen.

Konzept

Als Student im vorletzten Semester des Studiengangs Zeitbasierte Medien begann ich im Frühjahr 2018 darüber nachzudenken, was für ein Projekt meine Bachelorarbeit an der Hochschule Mainz werden könnte. Durch die zeitlichen und monetären Beschränkungen hatte ich mich schnell auf die Form eines Kurzfilms festgelegt. Zudem wollte ich gerne einen absurden Rahmen mit einer intensiven Geschichte und starker Message erzählen— eine Visitenkarte, um mit dem Film durchzustarten. Nach einigen Wochen kam mir recht beiläufig eine Idee dazu. Eine junge Frau, die unbedingt Hooligan werden will. Ein schwer erreichbarer und auf den ersten Blick schwer nachvollziehbarer Wunsch, eine Selbstermächtigung wider aller Umstände. Eine Geschichte nach meinem Geschmack. Ich legte mich auf diesen Kern der Story fest und begann mit der Recherche.

Durch mein Heranwachsen als Fussballfan waren mir neben eigenen Beobachtungen im Stadionumfeld ein, zwei Spielfilme in der Hooligan-Szene im Kopf geblieben. Durch Berichte in den Vorjahren von rechtsradikalen Hooligans war mir zudem ein anderes Medienbild bekannt. Als eine Geschichte zwischen diesen Beiden Wahrnehmungen blieb mir außerdem das Buch Hool im Gedächtnis. Durch seine Ablehnung gegenüber Nazis, die der Protagonist von Hool in vielen Passagen ausdrückt, wurde mir der Charakter merklich sympathischer. Als gegen Sexismus ankämpfende Person im Hooligankreis erhoffte ich eine ähnliche Reaktion des Publikums für die Protagonistin in Face to Fist.

Recherche

Um ausgiebigere Realitätsnähe in den Film zu bekommen, startete ich die Suche nach Frauen in der Fußball-Fanszene. Im Internet tauchten nur vereinzelt Frauen unter dem Begriff Hooligan auf. Jedoch half eine schnelle spezifischere Suchanfrage um herauszufinden, dass es zum Beispiel in Russland auch Hooligan-Kämpfe mit Frauenbeteiligung gibt. Ähnlich wie beim Kampfsport treten dort aber nur Frauen untereinander an.

Im Verlauf der weiteren Recherche stieß ich auf akademische Untersuchungen der Fanszene mit Blick auf Geschlechter. In der Arbeit von Elena Konstantinidis wurden die Frauen im Hooliganumfeld in verschiedene Rollen kategorisiert. Das für mich — oder für den Film interessanteste Rollenbild war das, in dem die Frau als Gruppenmitglied, die bei den Kämpfen anwesend ist, beschrieben wird. Meistens passiv vor Ort, also als spähende Person oder Zuständige für die Filmaufnahmen von Kämpfen.

Nennenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Film Green Street Hooligans unter Regie von Lexi Alexander. Laut eigenen Aussagen war sie ein solches Mitglied in einer Mannheimer Hooligangruppe. Allerdings kommt dieses Frauenbild im Film über Hooligans leider nicht zum Vorschein. Umso mehr wollte ich diese Lebensgeschichten ebenso in das Drehbuch einfließen lassen.

Lia von Blarer bei Dreharbeiten im Büro (Foto: Niklas Zink)

Vorproduktion

Nach erster Arbeit am Drehbuch im Frühjahr 2018 schloss ich die Fassung bis September ab. Vorest war ich zufrieden. Doch schon das erste eher verhaltene Feedback zeigte mir, dass ich noch weiter daran arbeiten musste. Einen Monat und weitere drei Fassungen später schickte ich das Drehbuch an meine Bachelor-Betreuung, Kommilitonen und Freunde. Die Resonanz war insgesamt positiv, wobei das Ende bei einigen weiterhin als unbefriedigend und verwirrend angesehen wurde. Also wurde die letzte Fassung erst zwei Wochen vor Drehbeginn festgelegt, nachdem weitere Rückmeldungen von Schauspielern und Teammitgliedern umgesetzt wurden. Über den Versuch Jugendinstitute an der Produktion zu beteiligen, meldete sich von dort außerdem jemand zum Gespräch bereit. Annemarie Schmoll publizierte über verschiedene Gewaltpräventionen und kannte sich dadurch auch in der Beziehung von Frauen und Hooligangruppen aus. Sie erklärte sich bereit, das Drehbuch auf Realitätsnähe zu prüfen und fand vieles glaubhaft. Ich sah mich bestätigt und trotz der vielen verschiedenen Einflüsse, die in das Drehbuch flossen, war ich zuversichtlich meine Vision im Film umsetzen zu können.

Neben der Drehbuchentwicklung begann ich ebenfalls im September mit der Suche nach Teammitgliedern und Finanzierungsmöglichkeiten. Als Hochschulprojekt konnte ich die Film+Medien Nachwuchsförderung Rheinland-Pfalz beantragen und bekam glücklicherweise die Unterstützung von 3000€ zugesagt. Zum Zeitpunkt der Zusage war allerdings die restliche Vorproduktion schon in vollem Gange und ich war erleichtert nicht die vollständigen Kosten tragen zu müssen. Denn nachdem das Kern-Team stand legten wir zuvor schon einen Drehzeitraum fest. Schauspieler, Crew, Drehorte und Equipment wurden gesucht und brachten mich um einige ruhige Nächte. Als Schwierigkeit dieses Projekts erwies sich öfters vor allem das Thema. Kein (Fußball-)Verein und wenige Leute wollten in irgendeiner Weise mit Hooligans assoziiert werden. Auch die Suche nach Darstellern für Hooligans gestaltete sich schwierig. Sowohl bei einem Treffpunkt der lokalen Fanszene als auch im Internet war das Interesse an einer Hooliganrolle in einem Kurzfilm nicht sehr groß.

Eine Überraschung in der ganzen Planungshektik war deshalb ein Anruf einer Person, die sich selbst als Hooligan ausgab und sich auf eine Online-Rollenauschschreibung meldete. Nach kurzem Intro zu sich selbst lies er aber lediglich seine Meinung zu dem Projekt heraus — “eine Schnapsidee”. Über die Rolle einer Frau als Hooligan hätten sich im Umfeld alle witzig gemacht. Dann sagte er: „das Einzige was ich mir vorstellen könnte wäre, wenn die Alte da hinkommt, dass sie von Allen mal vergewaltigt wird und dann wieder Heim geschickt wird“. Die Unverfrorenheit und die Selbstverständlichkeit mit der diese Aussage getätigt wurde schockierte mich. Gleichzeitig ließ es mich umso mehr an die Wichtigkeit des Projekts glauben. Manche Leute sollten zumindest im fiktiven Film mal eins auf die Fresse kriegen.

Lichtaufbau und Stellprobe im Nebel der Maaraue (Foto: Niklas Zink)

Dreh

Die Intensität des Projekts nahm weiter zu. In den letzten Tagen vor Drehbeginn konnte ich im November kaum noch einen ruhigen Gedanken fassen, zu sehr war ich unter Anspannung und mit Produktionsaufgaben beschäftigt. Die Genehmigungen und Erlaubnisse für Drehorte einholen, nach kurzfristiger Absage eines Schauspielers nach Ersatz suchen, genügend Leute als Darsteller in den Kämpfen finden und nicht zuletzt die Logistik und das Catering planen. Als am Vortag des Drehstarts der Außenspiegel des gemieteten Busses der Hooligans angefahren wurde, war ich mir sicher: es würde sowieso alles schief laufen. Doch Klebeband hielt den Spiegel und es kam in den sieben Drehtagen anders. Die Planung zahlte sich aus und sowohl Darstellende als auch das Team machten während des Filmdrehs eine tolle Arbeit. Keine großen Zeitverzögerungen, kaum unvorhergesehene Abweichungen am Drehort und auch die Kampfszenen liefen dank Stuntcoach gut ab. Mit jedem Drehtag wurde ich erleichterter und war froh Abends ein paar bestätigende Einblicke in das Material zu bekommen.

Postproduktion

Am letzten Drehtag wurde lediglich nochmal der Hooliganbus gefilmt. Das Klebeband des Außenspiegels hielt. Mir blieben noch drei Tage, um meine Bachelor-Thesis zu schreiben und danach konnte ich mich endlich ausruhen.

Zumindest bis ich die erste Schnittfassung sah. Kein wirklich gutes Gefühl stieg dann in mir auf. Stattdessen kam die Versagensangst wieder. Die Anspielungen auf eine Backstory der Protagonistin blieben ebenso oberflächlich wie einige gut gemeinte aber klischeehafte Dialoge. Die einzige Möglichkeit blieb das Schneide-Tool. Den ganzen Dezember über überlegte ich mir allerlei Möglichkeiten den Film noch abzuwandeln. Doch die Probleme eines letztendlich zu wenig ausgearbeiteten Drehbuchs konnten nicht vollständig geändert werden. Als ein Grundkonflikt stellte sich dabei immer wieder die Wahrnehmung von ‘Realitätsnähe’ vs. ‘bewusste Überzeichnung’ heraus. Ich entschied mich im Schnitt für mehr Realitätsnähe. Dadurch fehlte dem Film aber etwas. Im Team entschieden wir eine Montagesequenz einzubauen, was allerdings einen Nachdreh bedeutete. Nur dank der Flexibilität von zwei Darstellenden und einem kleinen Team schafften wir diesen zeitnah umzusetzen. Zusammen mit der neuen Musik zum Film fügten wir die neue Sequenz ein und tatsächlich fühlte sich der Film nun runder an. Nach Tonmischung und Color Grading war der Film Anfang September 2019 fertig.

Editing-Timeline in Premiere (Foto: Valentin Herleth)

Auswertung

Nun fehlte nur noch das Publikum. Ich reichte den Film bei den ersten Festivals mit Kurzfilmsegment ein und wartete hoffnungsvoll auf Antworten. Wie so oft an diesem Projekt kam aber wieder eine Enttäuschung. Absagen trudelten in mein Email-Postfach ein. Ich zog für mich selbst die Schlüsse. Weiterhin zu oberflächlich, zu wenige Hintergründe über das Leben der Protagonistin. Was sollte mit dem Film jetzt noch werden?

Ich erinnerte mich an einen Gedanken zu Beginn des Projekts. Die Geschichte sollte irgendwie die richten Leute erreichen, die mit dem Umfeld auch direkt etwas zu tun haben und dadurch vielleicht anspornen. Möglicherweise auch nur ein paar Menschen anregen, über ihr Geschlechterbild nachzudenken. Der Film sollte Fussballfans erreichen.

Durch ein anderes Projekt entstand zuvor der Kontakt zum Fußball Youtube-Channel Copa90. Ich bot ihnen den Film an und die Reaktion war sehr positiv. “A girl who just kicks their asses, brilliant!”. Doch wieder kam es anders. Aufgrund von Bedenken, dass die Hooligans im Film zu eindimensional gezeigt werden und die eigene Zielgruppe (von geschätzt 90 % Männern) sich damit angegriffen fühlen könnte, verzichteten der Kanal auf eine Zusammenarbeit. Eine weitere Enttäuschung. Doch aufgeben bringt nichts. Es gibt andere Möglichkeiten. Ausbaufähige filmische Umsetzung und stereotype Nebencharaktere hin oder her, das Thema des Films hatte eine größere Öffentlichkeit verdient.

Also fasste ich den Entschluss, nochmal etwas mehr Zeit zu investieren und die kritisierten Merkmale über zusätzliches Material zu kommentieren. Online wäre Selfpublishing kein Problem und tiefere Auseinandersetzung möglich. Ich nahm Kontakt zu Elena Konstantinidis auf und bat sie um Einschätzung des Films und vor allem um ihre Erfahrungen mit Frauen in der Hooliganszene. Sie sagte zu und in Zeiten von Corona führten wir anschließend das Telefoninterview.

Fazit

Das Projekt hat mich zu vielen unterschiedlichen Aktivitäten veranlasst und mir dadurch einige wichtige Erfahrung eingebracht. Doch die erhoffte filmische Visitenkarte wurde es nicht. Am Ende teile ich die genannte Kritik zu sehr. Der Film war mein Bachelor-Abschluss. Der Lernprozess zählt, Fehler zu machen gehört dabei dazu. Auch in Zukunft heißt es weiterhin: fail better. Das Projekt hat mir vor allem aber das Verständnis, warum ich Filme machen will, wieder näher gebracht — um Menschen mit Geschichten zu erreichen. In dieser Hinsicht habe ich mit Face to Fist einiges erreicht. Ich hoffe nicht nur für mich. Das liegt nun auch daran, was für Resonanz der Film, aber auch der Text und das Interview, von euch bekommen. Letztendlich bin ich einfach froh um jede Person, die damit in Betracht zieht, gegen Ungerechtigkeit zurückzuschlagen. Immer auf die Fresse.

👊 👧👊

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