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5 min readJun 19, 2019

In den meisten Diskussionen zur Homöopathie wird immer wieder Homöopathiekritikern vorgeworfen “Lobbyisten der Pharmamafia” zu sein. Jedoch ist eins der Hauptargumente gegen Homöopathie selbst ein Meisterstück des Lobbyismus. Der Binnenkonsens… lasst uns mal darüber reden.

Die historischen Ursprünge

Contergan-Kinder… wenn ich diesen Begriff in den Raum werfe, werden vor allem die Älteren ein klares Bild vor Augen haben. Für die Jüngeren eine Erklärung:

Contergan war ein Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid welches als zunächst als rezeptfreies, ab Ende 1961 als rezeptpflichtiges Beruhigungs- und Schlafmittel für Schwangere vertrieben wurde. Es sollte die morgendliche Schwangerschaftsübelkeit bekämpfen und galt damals als sicher, da es in Tests mit Nagetieren keine Nebenwirkungen aufwies. Paradoxerweise war auch keine Wirkung feststellbar, erst als es an Menschen ausprobiert wurde, zeigte sich seine sedative Wirkung.

Später fiel allerdings auf, dass es eine erhöhte Anzahl von Missbildungsfällen bei Neugeborenen gab. Wurden zunächst verstärkte Nuklearwaffentests in der Atmosphäre verantwortlich gemacht, zeigte sich in zwei voneinander unabhängigen Veröffentlichungen eines deutschen und eines australischen Arztes eine starke Korrelation zwischen Contergan und den Fehlbildungen.

Heute wird von etwa 5.000–10.000 Kindern ausgegangen, die mit fehlenden oder schweren fehlgebildeten Gliedmaßen und Organen zur Welt kamen.

Um Fälle wie den Contergan-Skandal oder die Sulfanilamid-Katastrophe, bei der über 100 Menschen nach Einnahme eines Hustensafts starben, in Zukunft zu verhindern, musste das Arzneimittelrecht dringend überdacht werden.

Die Überarbeitung des Arzneimittelrechts

1961 wurde das erste Arzneimittelgesetz eingeführt. Dieses führte eine Herstellungserlaubnis und eine Registrierungspflicht von Arzneimitteln ein. Das Gesetz wurde vor dem Hintergrund der laufenden Skandale aber schnell als unzureichend abgestempelt. Somit wurde das Gesetz in einem langjährigen Gesetzgebungsprozess so überarbeitet, bis das Arzneimittelgesetz von 1976 entstand, welches auch heute noch ein Kernbestandteil des deutschen Arzneimittelrechts ist.

Hier wurde neben der verschärften Haftung für solche o.g. Fälle auch festgelegt, dass ein Arzneimittel, welches zugelassen werden möchte, einen Wirkungsnachweis benötigt.

Bis hierhin würde man jetzt denken: Gut gedacht. Doch leider folgt meistens auf “gut gedacht” auch ein “schlecht gemacht”. Denn hier muss man den Homöopathie-Lobbyisten durchaus Respekt zollen für ihre umfangreiche Lobbyarbeit, leisteten sie sich hier doch einen Geniestreich. Sämtliche Medikamente, die eine Zulassung haben wollten, mussten eine Nachzulassung durchführen. Da diese einen Wirksamkeitsnachweis voraussetzte, waren Homöopathie-Hersteller und Ärzte, die diese verschrieben, im Zugzwang, denn sie mussten erstmals auch wissenschaftlich belegen, dass ihre Medikamente eine wirkliche Wirkung entfalten.

Der Geniestreich der Lobbyisten

Vor dem Hintergrund, dass bereits die Nationalsozialisten im 1966 veröffentlichten Donner-Report feststellten, dass Homöopathie nur als eine “gewisse Form der Psychotherapie” wirke [1], gab es für die Homöopathiebefürgworter Handlungsbedarf. Also betrieben sie massive Lobbyarbeit um davon zu überzeugen, dass medizinische Erfahrungen und die Besonderheiten der “besonderen Therapierichtungen” zu berücksichtigen wären, der sogenannte Binnenkonsens. Zu den “besonderen Therapierichtungen” zählt neben der Homöopathie auch die anthroposophische Medizin und die Phytotherapie. Die Begründung hierfür liest sich fast schon albern. Es ginge um den “Wissenschaftspluralismus”. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber sich dazu bekennt, die „Monopolisierung einer herrschenden Lehre als verbindlichen ‘Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse’” zu vermeiden.

Kurz gesagt, laut Meinung der Homöopathiebefürworter, lässt sich Homöopathie nicht durch Wissenschaft erklären, bzw. durch den jetzigen Stand der Wissenschaft. Also fängt man an, eine Expertenkommission einzusetzen, die den “medizinischen Sachverstand der Therapierichtung” besitzt und damit darüber entscheidet, ob ein homöopathisches Medikament zugelassen wird oder nicht. Diese Expertenkommission setzt sich deshalb auch größtenteils zusammen aus Ärzten mit Zusatzbezeichnung Homöopath und Heilpraktikern. Also Leuten die ein berechtigtes Interesse daran haben, dass diese Behandlungsform, auch bei fehlenden Wirkungsnachweisen, weiter fortbesteht.

Der Wirkungsnachweis von homöopathischen Medikamenten basiert dabei oft allein auf homöopathischer Literatur, klinische Studien sind nicht notwendig, wie es bei anderen Medikamenten, die nicht aus den besonderen Therapierichtungen stammen, der Fall ist.

Um darzustellen, wie dies nach außen wirkt, ein Gedankenexperiment: Ein Autohersteller, welcher berechtigtes Interesse daran hat seine Kosten möglichst gering zu halten, überzeugt den Gesetzgeber davon, dass es eine gute Idee ist, wenn nicht wissenschaftlich bewiesen wird, dass seine Autos schadstoffarm sind. Stattdessen soll eine Expertenkommission aus Ingenieuren aus Vertragswerkstätten und markenverbundenen Hobbyschraubern eine Bewertung vornehmen, ob die Fahrzeuge schadstoffarm sind. Die Erkenntnisse die hier für die Expertenmeinung zu Rate gezogen werden, sind aus den “So wird’s gemacht”-Büchern vergangener Modelle. Also… sehr früher Modelle… wie dem Ford Modell T oder dem Daimler Phönix. Klingt nach einer extrem neutralen und fundierten Bewertung, oder?

Einmal zugelassen, immer zugelassen?

Aber es kommt noch schlimmer. Selbst wenn die Homöopathie-Experten mal glauben, dass ein Medikament seine Zulassung nicht verlängert bekommen sollte, ist das nicht ganz so einfach durchzuführen[2] . So entschied das OVG Münster 2013 zum Beispiel, dass ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis für die Verweigerung einer Verlängerung bestehen muss und das dies nicht allein durch eine nicht (mehr) feststellbare Wirksamkeit entstünde.

Sehen wir uns jetzt das Argument an, dass Globuli ab einem bestimmten Verdünnungsgrad keinen Wirkstoff mehr enthalten (D24 bzw. C12) und sie damit lediglich ein Saccharose-Placebo sind, wie soll dann jemals ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis entstehen? Durch Diabetes mellitus Typ 2 aufgrund zu hohen Zuckerkonsums?

Forschung oder Binnenkonsens? Es kann nur eines geben

Auch zeigt sich wie durchaus durchdacht die Lobbyisten der Homöopathie-Firmen vorgehen. Es wird ja quasi von ihnen der wissenschaftlichen Forschung zur Wirkungsweise von Homöopathie eine Absage erteilt.

Aber stop… kurzer Realitycheck in der Gegenwart… was sagte Frau Cornelia Bajic, Vorsitzende des DZVhÄ (Deutscher Zentralverband homöopathischer Ärzte) 2018 zu Brandenburg TV?

Tatsächlich wissen wir bislang nicht, wie die Wirkung funktioniert. Und deswegen ist Forschung sicherlich auf diesem Gebiet ganz dringend geboten.

Und hier wird es richtig absurd. Wieso glauben Homöopathen derzeit einen Wirkungsnachweis erbringen zu können, wenn eine der führenden Figuren zugibt, dass selbst Homöopathen nach dem jetzigen Wissensstand nicht erklären können, wie die Wirkung funktioniert?

Und vor allem: Wo fließt das Geld hin, dass Pharmafirmen im Homöopathiesektor einsparen, da sie nicht, wie andere Pharmafirmen, wissenschaftliche Nachweise anhand von Studien benötigen? Teilweise sparen diese sich nämlich sogar das Geld der Zulassung, da für sie noch die Sonderregelung besteht, dass sie ihre Produkte auch einfach nur registrieren können. Das steigert die Gewinnmarge noch mehr, können sie doch drauf vertrauen, dass Homöopathen und Heilpraktiker mittels einer geschwurbelten, individuellen Auswahl von homöopathischen Präparaten den Patienten überzeugen, er würde ein Heilmittel erhalten.

Wenn man so gut nach außen repräsentiert wird, warum sollte man dann noch versuchen die Wirksamkeit wissenschaftlich nachzuweisen, nur um auf seine Präparate draufschreiben zu dürfen, wogegen sie angeblich helfen sollen? Warum sollte man dieses Geld dann überhaupt noch ausgeben?

Aber wäre dies nicht genau das Geld, welches in so einer von Frau Bajic geforderten Forschung verschwe… verwendet werden sollte? Natürlich nach vorhergehender ersatzloser Streichung des Binnenkonsens, da ja nun doch Forschung zur Wirksamkeit betrieben werden soll und die Sonderstellung damit nicht mehr notwendig wäre?

Und wäre es nicht konsequent, ein Medikament, für das kein wissenschaftlicher Wirkungsnachweis existiert, dass es über den Placebo-Effekt hinaus wirkt, dann auch nicht mehr von der gesetzlichen Krankenversicherung übernehmen zu lassen? #JustSaying

Quellenverzeichnis

[1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/fruehe-homoeopathie-studie-wir-koennen-doch-gar-nicht-was-wir-behaupten-a-706337.html

[2] https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/12/02/erneute-zulassung-auch-ohne-nutzen-nachweis

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#Egalitarist,#Agnostiker, #Impfbefürworter, #Globulisierungsgegner, gg. #EkelhAFDigkeit.Infa... Infoma...Infora...ich kann mit Computern umgehen. #LiebtSatire