Warum ich kein Early Adopter mehr bin

Falk Hedemann
4 min readJul 13, 2016

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Sie sind die Entdecker. Sie sind schon da, wenn die Masse erst noch kommt. Mehr noch, sie sind verantwortlich dafür, dass die Masse überhaupt kommt. Und sie sind dann die Experten für das Neue. Gemeint sind die Early Adopter. Ich gehörte auch lange zu ihnen, doch jetzt bin ich raus!

Für Early Adopter, die frühen Entdecker neuer digitaler Angebote, gibt es jeden Tag Arbeit. Irgendwo auf dieser großen Welt, deren digitale Subkultur keine Entfernungen mehr kennt, erblickt garantiert in diesem Augenblick etwas Neues das Licht aus Einsen und Nullen und wer weiß denn schon, ob es nicht diesmal das nächste Facebook ist? Oder zumindest das nächste Snapchat? Aber was heißt hier eigentlich „zumindest“? Ist Snapchat nicht schon mindestens genauso wichtig wie Facebook? Aber das ist eine andere Frage, die hier nicht beantwortet wird.

Dieser kleine Schwenk verdeutlicht aus meiner Sicht allerdings sehr schön, was den Early Adoptern das Leben so schwer macht: Sie wissen nie, ob sie auf einem Gewinner-Pferd sitzen. Sie wissen ja noch nicht einmal, ob das von ihnen gewählte Pferd überhaupt in die richtige Richtung läuft. Und was ist überhaupt die richtige Richtung? Man weiß es nicht, zumindest nicht in dem Moment, in dem es wichtig wäre. Es ändert sich einfach zu viel und zu schnell. Und wenn man es dann weiß, sitzt man mitunter auf einem toten Pferd.

Früher gab es Trends und Entdeckungen, heute nur noch Hypes

Gestern waren YouTube und Instagram noch angesagt, heute sind es Snapchat, Prisma und vor allem Pokémon Go. Auch Ello, Vine, Periscope, Peach, Tsu gab es mal bzw. gibt es noch und ganz viele Dinge mehr. Wer als Early Adopter all diesen Plattformen, Diensten und Apps nachgelaufen ist, sollte sich mal fragen, wie viel Zeit er damit verbracht/verschenkt hat. Da kommt im Laufe der Jahre ganz ordentlich was zusammen. Und der Benefit? Im besten Fall bleibt nichts übrig, im schlimmsten Fall ist man der Verrückte, der xyz für die größte Revolution seit der Erfindung des 56k-Modems angepriesen hat.

Auf Trends zu setzen, die sich dann nicht durchsetzen, ist langfristig jedenfalls kein Gewinn. Und irgendwann ist man dann auch unglaubwürdig, wenn man jedes Jahr ein neues Netzwerk in den Himmel lobt, um sich als Experte zu positionieren, E-Books zu verkaufen sowie Vorträge und Workshops an das Unternehmen zu bringen.

Nun könnte man denken: Lass sie doch machen, ist doch ihre Zeit und Reputation! Auf der einen Seite stimmt das natürlich, doch auf der anderen Seite eben auch nicht. Early Adopter sind Beschleuniger von Hypes oder wie man heute sagt: Sie sind Influencer. Was sie nutzen wird oftmals fast vollständig unreflektiert übernommen. Wenn plötzlich ein Dutzend dieser Trendsetter eine App wie Prisma nutzen, schaut doch keiner mehr auf die AGB. Blöd, wenn sich dann später herausstellt, dass die Bilder zur Bearbeitung auf einen Server der Internet-Holding Mail.ru Group geladen werden, die auch gleich weitgehende Rechte an den Bildern bekommt. Was später mit den Bildern und Daten geschieht, ist derzeit noch nicht bekannt.

Und auch bei Pokémon Go, dem zweiten aktuellen Mega-Hype sieht es nicht viel besser aus. Angeblich war der komplette Zugriff auf das Google-Konto der Nutzer ein Fehler, aber wer weiß das schon genau. Und da es das Augmented-Reality-Spiel in Deutschland offiziell bis heute noch gar nicht gab, kursieren durch den Hype begünstigt gefährliche Installationsdateien für Android, die den Google Play Store einfach umgehen. Leider waren wohl einige dieser Pakete mit einem Trojaner verseucht.

Früher waren die Early Adopter so etwas wie ein Filtersystem. Nur was sie für gut und nützlich erachteten, gaben sie als Empfehlung weiter, alles andere wurde aussortiert. Heute stürzt sich gleich eine Masse auf alles Neue und verbreitet es durch Superlative mit Weltveränderungsanspruch immer weiter.

Vom Early zum Late Adopter

Mir persönlich ist das alles viel zu viel geworden. Quasi jede Woche müsste man einem neuen Hype nachrennen, wenn man hipp bleiben will. Das frisst mir einerseits zu viel meiner Zeit und andererseits sehe ich in vielen aktuellen Hypes für mich persönlich auch keinen Nutzen. Ja, es ist lustig, unterhaltsam und vielleicht sogar aufregend. Aber verändert Pokémon Go tatsächlich die Art und Weise wie wir die Welt sehen? Und sehen wir die Welt wirklich noch, wenn wir sie nur noch durch das Smartphone betrachten? Und erzählt mir doch bitte nicht, dass ich die Kontrolle über mein Leben verloren habe, wenn ich Snapchat nicht verstehe! Das Gegenteil ist der Fall: Wer jedem Hype hinterherläuft hat die Kontrolle über sein Leben verloren!

Für mich bedeutet diese Entwicklung jedenfalls, dass ich nicht mehr überall sofort mitmache. Ich schaue mir immer noch Neues an, aber entscheide selbst, wann ich etwas aktiv nutze und wann ich etwas für mich als unnütz empfinde. Ich bin ab sofort Late Adopter. Pokémon Go, Snapchat und Prisma sind nur drei Beispiele — ich bin mir sicher, da kommen bald neue. Ich will niemanden von der Nutzung abhalten, aber schaut einfach mal etwas genauer hin und rennt nicht blind der Masse hinterher. Das wäre mein Wunsch.

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Falk Hedemann

Social Media | Blogger | Journalist | Consultant für digitale Kommunikation & Content Distribution | UPLOAD Magazin | LEAD digital.