10 Thesen vom Digitalwerkstatt Museum. Rückblick eines ITlers.

Vsevolod(aka Seva) Dolgopolov
4 min readOct 21, 2019

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Ein Rückblick auf eine sehr austauschreiche Werkstatt, organisiert von dem Projekt museum4punkt0, mit Thesen und entsprechenden ganz eigenen Kommentaren dazu.

Symposium Digitalwerkstatt Museum, Grafik: Nina Reisinger

Trends

1. Der Museumsbesuch (“Visitor Journey”) beginnt und endet digital. Man informiert sich über das Museum initial im Internet und hinterlässt danach eine Bewertung oder ein Foto auf den Internetplattformen. Auch der Besuch selbst kann sich komplett im digitalen Raum vollziehen.

Die konsequente Folge davon wird sein, dass schon in E-Commerce etablierten Ansätze auch bei Museen massiv zunehmen werden: SEM, SMM, eigene Ticket/Merchandising Onlineshops, flexible Preisgestaltung, personalisierte Angebote usw.

Außerdem macht der digitale Raum neue Formen des Museumserlebnisses möglich, auch über aktuelle AR und VR Lösungen hinaus. Durch die Fortschritte in IoT und smarten Materialien wird die Interaktion mit schon bestehenden räumlichen Strukturen immer neue Formen annehmen.

2. Das Entwickeln der Ausstellung soll im iterativen Prozess geschehen. Nach jeder Iteration wird ausgewertet, was gut gelaufen ist und was nicht.

Es geht also ums agil sein. Diese Vorgehensweise kam ursprünglich aus der Softwareindustrie bei der die zusätzlichen initialen Kosten für das Experiment gleich null sind, zumindest theoretisch. Im Fall von Museen ist so ein iterativer Schritt meistens gleich mit erheblichen Material- und Personalkosten verbunden.

Die wahre Agilität wird weiterhin höchstwahrscheinlich nur in Bereichen möglich sein, die nah am Internet sind. In der Ausstellungskonzeption wird man weiterhin langfristig planen müssen, auch wenn man das definitiv in mehreren Schritten umzusetzen versuchen soll.

3. KI kommt und siegt.

Spass bei Seite. Mein Eindruck: Auch die Museums Community tastet sich erst mal im Dunkeln ab. Die Richtungen, die da einzuschlagen wären: Sprachassistenten und Objekterkennung. Die Empfehlungsassistenten werden es da erst mal schwer haben und ein Nischendasein führen.

Technik

4. VR macht es möglich die Ausstellung auch an anderen Orten zu zeigen, vor Ort erweist sich das als Engpass und bindet zusätzliche Fachkräfte.

VR kann Inhalte vermitteln, die mit keinem anderen Medium aktuell möglich sind. Dabei ist dort ein eindeutiges Skalierungsproblem vorhanden und damit wahrscheinlich nur für thematische Nischen tauglich, die mit viel Details arbeiten — nichts für die breite Masse.

5. AR setzt die direkt vorhandenen Ausstellungsstücke in einen zusätzlichen Kontext und steigert so den Erfahrungswert von dem ausgestellten Objekt.

AR bindet zwar nicht das zusätzliche Fachpersonal wie VR, ist allerdings auch bedingt skalierbar und somit auch eher in Einzelfällen tauglich.

Hausaufgaben

6. Die Digitalisierung in den Museen bringt auch viel Technik ins Haus, und das von verschiedenen Agenturen und Dienstleistern. Das heterogene System macht die Wartung schwierig. Ausfälle bemerkt man in den meisten Fällen erst wenn die Besucher oder Mitarbeiter vor Ort sind und dies gemeldet haben. Das benötigt zusätzliche personelle Ressourcen und gerät zunehmend außer Kontrolle.

Der Erste Schritt hier wäre ein einheitliches automatisches Monitoring einzuführen. Jedes Produkt von dem externen Dienstleister muss die für dieses Produkt relevanten Lebenszyklusmetriken melden. Basierend auf diese Metriken kann man ein Alerting System aufsetzen, das Probleme meldet bevor es zu spät ist.

Bei kritischen Systemen kann man auch über redundante Instanzen nachdenken, die automatisch anspringen sollten, sobald die laufende Instanz ausfällt. Die Softwareindustrie hat da einen langen Weg hinter sich und das Know-How ist eigentlich ausreichend verfügbar.

7. Die aktuelle Besucherforschung setzt weiterhin auf analoge Mittel: Fragebögen und die Zählung vor Ort. Die ersten Versuche werden demnächst starten, um das auch digital zu unterstützen. Der Fokus liegt auf den Like/Dislike Pattern.

Fragebögen bringen nur in Einzelfällen die relevanten Erkenntnisse heraus, weil nur weniger dafür Zeit und Lust haben. Besucherverhalten auszuwerten kann dagegen viel auf­schluss­reicher sein. Die Smart Office Industrie ist der Museumsbranche schon ein Stück voraus. Die Verweildauer, Point of Interest, Heat Maps usw. werden dort schon ziemlich zuverlässig ausgewertet.

Minenfelder

8. Die digitale Anwendungen vor Ort führen unter Umständen zur “Dekontextierung”. Die Besucher vergessen die eigentliche Ausstellung.

Um diese Gefahr in den Griff zu bekommen, wäre es sinnvoll genau das zu messen. Zum Beispiel das Messen von dem Verhältnis zwischen digital vermittelten und unvermittelten Kontakt mit demselben Artefakt. Um das automatisiert hinzubekommen, wäre das über die Auswertung von Posen und Gesten möglich.

9. DSVGO ist kein Hindernis, sondern eine Forderung transparent zu sein.

Außerdem ist die DSVGO auch des öfteren total irrelevant. Solange man durch den erhobenen Datensatz nicht auf die konkrete Person zurückverweisen kann, ist man auch aus der DSVGO raus. Die Anzahl von Anwendungen, die für das Speichern von solchen Daten im musealem Kontext erforderlich sind, kann sehr überschaubar sein.

10. Bevor man sich an die digitale Anwendungen macht muss man der Stand der Datenstrukturen klären und diese ggf. sorgsam aufbereiten.

Es ist nichts gegen nötigen Sorgfalt einzuwenden. Der These, dass es eine einheitliche Grundstruktur der Daten für alle Anwendungen geben kann, würde ich von der Anwendungsperspektive her widersprechen. Am Anfang jeder digitalen Anwendung steht ein Nutzer mit seinen ganz eigenen Vorlieben und Interessen. Deswegen ist das wichtig flexibel zu bleiben, um iterativ rausfinden zu können, welche Daten bedienen seine Interesse am besten. Außerdem erzeugt jede Anwendung ganz eigene Daten oben drauf, die nur innerhalb jeweiliger Anwendung Sinn machen.

Museum an sich braucht aber definitiv einen “Single Source of Truth”, wo die Artefakte und ihre Eigenschaften eindeutig identifizierbar sind. Das soll man auf jedem Fall sorgsam und kontinuierlich aufbereiten.

Jede Reaktion auf die Kommentare zu den vorgeführten Thesen ist absolut willkommen.

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