Psychedelische Bildsprache

Fritz Aigner zeigt “The Meadow” und “Valerie — eine Woche voller Wunder”

Heinz Wittenbrink
Am Glacis

--

Seit ich in der Grazer Innenstadt wohne, möchte ich die Kulturszene dieser Stadt besser kennenlernen und herausfinden, wo etwas Neues passiert. Wie überall ahmen auch in Graz Kulturfunktionäre großspurig Dinge nach, die international ähnlich laufen oder gelaufen sind. Zu den Versuchen, aus den besonderen, lokalen Bedingungen heraus etwas Unvorhergesehenes zu machen, gehört das Kino von Fritz Aigner, auf das ich bei einem Freilicht-Filmabend im Innenhof des Joanneum gest0ßen bin.

https://vimeo.com/88247204

Aigner präsentierte seinen eigenen Film The Meadow, zunächst als Musikvideo begonnen und Teil der geplanten Morgenstern & Boyd-Trilogie. Das Handlungsgerüst lässt sich nur erahnen. Es ist in ein archetypisches Barock verlegt. Die Antagonisten sind eine Frau, die Schlossherrin, Domina, Regisseurin sein könnte, und zwei Männer, die als barocke Soldaten und als Hörige der Dame dargestellt werden. Die männlichen Protagonisten beschaffen sich von einem maskiert auftretenden Schmied eine Hellebarde, mit der sie ihre Herrin schließlich in einer der vielen Naturszenen des Films ums Leben bringen. Eine blutige Hinrichtung, das Gegenstücke zu Begattung des Erdbodens durch eine der männlichen Figuren zu Anfang. Kommentiert wird diese Inszenierung mit Zitaten, etwa aus dem Wallenstein oder aus Gryphius’ Vanitasgedicht, von einer Erzählerfigur dramatisch vorgetragen.

Nicht diese Handlung macht den Film bemerkenswert. Suggestiv wird er durch die Tableau-artigen Kinobilder, oft Großaufnahmen, Natur- und Verfallsdarstellungen. Raja-Schwan-Reichmann, die die weibliche Hauptrolle spielt, hat auch Anteil an dieser Bildsprache. Suggestiv wird der Film auch durch die das Geschehen vorantreibende Musik von Spring and the Land, auf die Fritz Aigner am Anfang des Abends vor allem hinwies. Alle Elemente zusammen ergeben einen sehr österreichischen Cocktail, der barockes und surrealistisches Repertoire in Szene setzt und dabei ironisch und gelehrsam bricht. Dabei ist dieser Film für die große Leinwand und für die hohe Auflösung gemacht, die mit aktuellen Video- und Projektionstechnologien möglich ist. Mir kam er wie ein Brückenschlag zwischen der Zeit Kubins und Kokoschkas und der Gegenwart des digitalen Kinos vor. Ich schreibe das als Zaungast und Nicht-Cineast, ich kannte weder den Regisseur noch Spring and the Land.

https://www.youtube.com/watch?v=mMntrQRCkOQ

Die Erklärungen, die Aigner am Abend zu seinem Film gab, sind Bestandteile der Inszenierung und wohl auch Mystifikationen. Als Kommentar zu The Meadow erhellender war der Film, den Aigner als Gegenstück vorstellte: Valererie—eine Woche voller Wunder (Valerie a týden divů) von Jaromil Jireš nach einem Roman des tschechischen Surrealisten Vítězslav Nezval. Auch Jireš erzählt eine Geschichte zwischen Surrealismus und schwarzer Romantik. Sie spielt mit Bildern des expressionistischen Kinos. Der Film entstand kurz nach dem Ende des Prager Frühlings und ist eine radikale Antithese zu einer realistischen Ästhetik. Innerhalb des künstlerischen Universums dieses Films gilt keine Regel der sogenannten Realität unbedingt. Eine sehr simple Grundgeschichte — Junges Mädchen vs. Vampir und mit ihm liierte Stiefmutter — wird immer wieder variiert, das Überleben des eigenen Todes bildet dabei ebenso ein Leitmotiv wie die erotischen Attacken auf ein junges Mädchen. In der am Sonntag gezeigten Version wirkt das Geschehen wie getragen von der Neuvertonung durch The Valerie Project. Man kann den Film psychologistisch als erotisch motivierte Projektion deuten — aber man muss nur fragen, wessen Phantasien hier dargestellt werden, um festzustellen, dass die Phantasien Material des Films und nicht seine Erklärung sind.

Die beiden Filme hätten mehr Publikum verdient als die vielleicht dreißig Leute, die im Innenhof des Joanneum fast alle bis zum Ende des langen und kalten Abends durchhielten. Ich habe selten etwas Ähnliches im Kino gesehen — vielleicht Johannes Schaafs Traumstadt, das mich als Schüler beeindruckt hat. Mit größter Intensität sprechen The Meadow und Valerie im Zuschauer eine Schicht archaischer Phantasien an, die sie nicht durch eine realistische Rhetorik einebnen, sondern spielerisch frei setzen. Dabei demonstrieren sie die eigenen ästhetischen Mittel durch Steigerung und reflektieren sie durch historische Zitate.

--

--