Die Dinge sind komplex und wollen besprochen werden.

Eva-Maria Blank
Aperto Stories
Published in
5 min readMay 10, 2019

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Rückblick auf die re:publica 2019

Wie wollen wir leben und arbeiten? Welchen Wandel bringt die Digitalisierung mit sich, wie verändert sie das gesellschaftliche und soziale Gefüge? An welchen Stellschrauben können und sollten wir drehen, angesichts all der drängenden Fragen und Herausforderungen? In etwa diesem Rahmen diskutierten tausende Speaker*innen mit Teilnehmer*innen bei der diesjährigen re:publica in Berlin.

Ein Hoch auf die Langform

Unter dem Motto „tl;dr“ (too long;didn‘t read) wandte sich die re:publica gegen die Vereinfachung komplexer Themen. Es ging darum, sich Zeit zu nehmen, Fragestellungen von verschiedenen Seiten zu beleuchten, auch tiefer gehende Recherche und Debatten zuzulassen. Weil die großen Fragen unserer Zeit nicht in Tweet-Länge zu beantworten sind.

In seiner Eröffnungsrede sprach sich Bundespräsident Steinmeier aus für „das lange Argument, das Bekenntnis zu Recherche, Differenzierung und Abwägung“ und gegen „Unwissen, Grobschlächtigkeit und falsche Vereinfachung“. Zeitgleich wurde auf dem Eröffnungspanel der Begriff „Heimat“ diskutiert: Mit welchem neuen Selbstverständnis können wir in Deutschland als Gesellschaft aus Migranten, Ost- und Westdeutschen zusammen leben und arbeiten?

Verknüpfen der Themen zum großen Ganzen

Angesichts der inhaltlichen Bandbreite der Panels, Vorträge und Workshops auf 27 Bühnen erschloss sich der Zusammenhang nicht immer auf den ersten Blick. Aber die Kernthemen unserer Zeit verschmelzen zunehmend: Digitalisierung, Arbeit der Zukunft, Klima- und Umweltschutz, Migration, politischer Rechtsruck — all das lässt sich kaum noch voneinander trennen. Wenn wir das Eine diskutieren, müssen wir auch das Andere betrachten.

Auf die Arbeit von Morgen warfen die Diskussionen Schlaglichter wie diese:

1. New Work mit Künstlicher Intelligenz

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) eröffnet einerseits einzigartige Chancen, nimmt uns Arbeit ab, schafft neue Betätigungsfelder. Er wirft aber auch Fragen auf nach der Redundanz von humanen Skills, dem Verlust von Arbeitsplätzen und der künftigen Qualität der Arbeit: Welche Aufgaben bleiben für uns Menschen übrig, wie werden wir mit KI zusammenarbeiten, welche Chancen und Risiken birgt das?

Ein Journalistinnen-Duo stellte Untersuchungen vor zur Kommunikation zwischen Mensch und Maschine, die zu Frust, Enttäuschung und unbefriedigenden Ergebnissen geführt hat. Für manche Fahrradkuriere ist inzwischen „der Algorithmus der Boss” — dass das auf Dauer zu Überforderung, Fehleinschätzung und falscher Leistungsbeurteilung führen kann, scheint offensichtlich. Tenor: Es gilt, den Einsatz von KI sehr genau zu justieren und zu entscheiden, wo wir auf humane Steuerung, Beurteilungen und Entscheidungen nicht verzichten können.

2. New Leadership bringt Bewegung

Was heißt Führen in flachen Hierarchien, interdisziplinären Teams, im digitalen Kontext? Dieser Frage stellten sich Panelteilnehmende aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung. Auf die ein oder andere Weise kamen sie zu dem Schluss, dass Transformationsprozesse hin zu kollaborativen und agilen Methoden nur gelingen, wenn alle bereit sind, Traditionen zu hinterfragen, Neues zu lernen und ein verändertes Führungsleitbild zu entwickeln, zu leben und anzunehmen. Die Zeiten von „höher, schneller, weiter“, die Hierarchien und das Gegeneinander haben sich überlebt. Stattdessen ist ein Miteinander gefragt, in dem sich Skills und Erfahrungen ergänzen.

Elke Eller, Personalvorstand & HR Director/Member of the Board der TUI Group, brachte in einer Session auf den Punkt: „Die Menschen ändern sich. Die, die schon im Unternehmen sind und die, die neu hinzukommen. Die Karriere heute passt nicht mehr in alte Muster. Die klassische Schornsteinkarriere ist tot. Neue Werte bestimmen die Arbeitswelt.“ Weiterentwicklung aufzeigen und ermöglichen, Talente erkennen, gewinnen und fördern — das sind die Management Skills der Stunde. Und wie gewinnt man Talente? „Man muss die Menschen sehen. Und das kann KI nicht ersetzen.“

3. (Big) Data und wir

Konsens herrschte weitestgehend über folgende Findings: Daten helfen uns, Punkt. Sie machen unsere Arbeit empirischer, objektiver, effektiver. „Ein Stück weit wegkommen vom Bauchgefühl“, „messbarer werden“ waren Schlagwörter. Die Datenanalyse wird zudem immer dann als besonders wertvoll empfunden, wenn sie uns konkret Arbeit abnimmt, zum Beispiel bei der Identifikation von Themen oder bei strategischen Überlegungen. Aber: Datenanalyse, so detailliert und exakt sie auch sein mag, ersetzt nicht das menschliche Know-how.

Um Daten wirklich verstehen und interpretieren zu können, brauchen wir eben doch wieder eine Art Bauchgefühl, Menschenverstand, eine hollistische Sichtweise, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Ein Beispiel: Weil die Views bei Videos auf Facebook viel höher sind als bei YouTube, muss man nicht gleich den YouTube-Kanal dicht machen. Denn die Tatsache, dass die Videos bei YouTube eine viel längere View-Dauer einfahren, sagt etwas über die Qualität der Views aus. Und die kann, je nach Thema und Komplexität der Aussage, sehr viel mehr wert sein, als das flüchtige Hinschauen bei Facebook.

4. Was müssen wir wissen, wie sollten wir lernen?

Tom Buhrow, Intendant des WDR, äußerte, dass wir Wissen und Skills nur aufbauen können, wenn wir eine Grundbildung haben — und die können (Such)Maschinen (noch) nicht ersetzen. Denn wir ordnen neue Informationen in erworbene Grundstrukturen ein, z.B. Schulwissen, Basisbildung, Common Knowledge. Und nur so können wir wirklich Bildung erwerben und aufbauen: „Einzelwissen ist nicht Bildung. Das ist eher die Atomatisierung von Einzelfakten. Wenn wir die aber in gelernte Strukturen einordnen, wird Bildung draus.“ Was man also ohne Hilfsmittel noch wissen sollte? Dinge, die für uns diese Grundstruktur stellen, die uns als „Archetypen des Menschseins“ dienen.

Verschiedene Speakerinnen und Speaker waren sich zudem sehr einige, dass lebenslanges Lernen längst kein „nice to have“ mehr ist, v.a. bezogen auf berufliche Skills. Vielmehr ist es eine Grundvoraussetzung für eine wie auch immer geartete Karriere. Und zwar unabhängig von Bereich, Branche und Karrierelevel.

Fotos: Eva-Maria Blank

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